TE Vwgh Erkenntnis 2001/8/7 99/18/0383

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Veröffentlicht am 07.08.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde des S A, (geboren 16.10.1970), vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. September 1999, Zl. SD 646/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 7. September 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei lediglich in der Zeit vom 14. Juli 1997 bis 14. Juli 1999 im Besitz einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit Österreichern gewesen. Die diesem Aufenthaltstitel zu Grunde liegende Ehe sei jedoch am 22. April 1999 rechtskräftig geschieden worden. Bereits am 6. April 1998 sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien wegen des Vergehens der "zweifachen" versuchten Nötigung, der vollendeten Nötigung, des Vergehens der gefährlichen Drohung, des Vergehens der Freiheitsentziehung sowie der Körperverletzung nach den §§ 15, 105 Abs. 1, 109 Abs. 1, 99 Abs. 1 und 83 Abs. 1 StGB schuldig gesprochen und zu seiner bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dem Urteil sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am 28. Februar 1998 seine damalige Ehefrau durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme von der geplanten Scheidung, zu nötigen versucht habe. Am 1. März 1998 habe der Beschwerdeführer eine andere Person durch gefährliche Drohung zur Zurückziehung einer Anzeige genötigt. Eine andere Person habe er am selben Tag mit den Worten: "Wenn ihr nicht akzeptiert, was ich will, dass Fatma die Scheidung zurücknimmt, töte ich die ganze Familie" gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Letztlich habe der Beschwerdeführer bereits am 9. Oktober 1997 seine Ehefrau durch Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten vorsätzlich am Körper verletzt. Seine Ehefrau habe eine Prellung des Nasenbeins, des rechten Jochbogens und Hautabschürfungen auf dem rechten Knie und am Oberschenkel davongetragen. Am 28. Februar 1998 habe der Beschwerdeführer gemeinsam mit einem anderen seine Ehefrau in einen Pkw gezerrt und zu einer Duldung, nämlich der Gestattung ihrer Verschaffung in das Kraftfahrzeug, genötigt, und sie dort auf der Rückbank festgehalten, sohin widerrechtlich gefangen gehalten.

Dem Beschwerdeführer sei nur soweit zu folgen, als gegenständliche Verurteilung den im § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG normierten Sachverhalt nicht verwirkliche. Nicht zu folgen sei ihm hingegen in seiner Rechtsauffassung, dass nur dann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfe, wenn ein Sachverhalt gemäß § 36 Abs. 2 FrG gegeben sei. Allein aus der Textierung des § 36 Abs. 2 leg. cit. ("als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, ...") sei ersichtlich, dass auch andere, nicht vom § 36 Abs. 2 leg. cit. erfassten Tatbestände die im § 36 Abs. 1 FrG normierte Annahme rechtfertigen könnten. Dies liege im gegenständlichen Fall vor. Die der Verurteilung zu Grunde liegenden Tathandlungen des Beschwerdeführers ließen seine Geringschätzung der zum Schutz der Freiheit und körperlichen Unversehrtheit anderer Personen aufgestellten Rechtsnormen erkennen. Auch wenn die Vorfälle mit dem anhängigen Scheidungsbegehren seiner Ehefrau im Zusammenhang gestanden seien, sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht "nur" gegen diese, sondern auch gegen dritte Personen in der geschilderten Art und Weise vorgegangen sei. Erschwerend zum Fehlverhalten des Beschwerdeführers sei hinzugetreten, dass dieser - wie aktenkundig - am 26. August 1994 mit einem Einreisevisum in das Bundesgebiet gelangt sei, dieses jedoch nach Ablauf desselben nicht mehr verlassen habe. Weder eine rechtskräftige Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes noch ein rechtskräftig abgewiesener Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels habe den Beschwerdeführer zur Ausreise bewegen können. Dieser Umstand verdeutliche, dass der Beschwerdeführer keinerlei Bedenken habe, sich auch über die für ihn gesetzten maßgeblichen fremdenpolizeilichen Vorschriften hinwegzusetzen und bestätige die offensichtliche Geringschätzung des Beschwerdeführers von geltenden österreichischen Rechtsvorschriften. Das Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige jedenfalls die öffentliche Ordnung und Sicherheit in erheblichem Ausmaß, sodass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 FrG - im Grund des § 36 Abs. 1 leg. cit. als gerechtfertigt erweise.

Der Beschwerdeführer sei geschieden und habe keine (aktenkundigen) Sorgepflichten. Sonstige familiäre und private Bindungen seien nicht geltend gemacht worden. Nicht zuletzt auf Grund der Aufenthaltsdauer sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch gerechtfertigt, da er zur Erreichung der im Abs. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei. Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers lasse nachhaltig auf eine geringe Verbundenheit mit der österreichischen Rechtsordnung schließen. Der Umstand, dass er nunmehr geschieden sei, vermöge die von ihm ausgehende Gefahr in keiner Weise zu relativieren. Vielmehr sei die Annahme gerechtfertigt, dass er (auch andere schwer wiegende) Konflikte des täglichen Lebens auf dieselbe oder ähnliche Art zu bereinigen versuche, wie es im gegenständlichen gerichtlichen Urteil dargelegt würde. Dadurch, dass der Beschwerdeführer derart massiv und wiederholt die genannten Rechtsgüter gefährdet habe, sei auch eine Zukunftsprognose zu seinen Gunsten nicht möglich. Zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz der Rechte Dritter sowie zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens erweise sich die gegenständliche Maßnahme daher als dringend geboten und sohin zulässig im Sinn des § 37 FrG. Mit der gemäß § 37 Abs. 2 FrG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Gleichwohl sei jedoch zu bedenken, dass mehr als die Hälfte dieses Aufenthalts unrechtmäßig gewesen sei. Ebenso sei die einer jeglichen Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich an Gewicht gemindert. Diesen - ohnedies nicht sehr ausgeprägten - Privatinteressen des Beschwerdeführers seien die öffentlichen Interessen der angeführten Art gegenübergestanden. Bei Abwägung dieser Interessenlagen habe die belangte Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen, als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse an der Erlassung der vorliegenden fremdenpolizeilichen Maßnahme. Diese erweise sich daher auch im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG als zulässig. Ein Sachverhalt gemäß § 38 FrG sei nicht gegeben gewesen. Da auch sonst keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben gewesen seien, habe die belangte Behöre angesichts des vorliegenden Sachverhaltes von der Erlassung des Aufenthaltsverbots auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.

Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betreffe, so erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung auch nach Auffassung der belangten Behörde gerechtfertigt. Angesichts des aufgezählten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Ablauf des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer wendet gegen den bekämpften Bescheid (u.a.) ein, dass er im Sinne der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen lediglich zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt worden sei und das vorliegende Aufenthaltsverbot deswegen nicht erlassen hätte werden dürfen. Weiters sei dem Beschwerdeführer nach dem Ablauf seiner Aufenthaltsberechtigung im Juni 1999 neuerlich eine Aufenthaltsberechtigung erteilt worden.

2. Dieses Vorbringen ist zielführend. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, es begegne keinen rechtlichen Bedenken, ein Aufenthaltsverbot ausschließlich auf § 36 Abs. 1 FrG (gegebenenfalls unter Bedachtnahme auf die §§ 37 und 38 leg. cit.) zu stützen, wenn triftige Gründe vorlägen, die zwar nicht die Voraussetzungen der in § 36 Abs. 2 FrG angeführten Fälle aufwiesen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die im § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, Zl. 99/18/0213, unter Hinweis auf das einen Suchtgiftfall betreffende Erkenntnis vom 26. März 1999, Zl. 98/18/0244). Die belangte Behörde hat die Auffassung vertreten, dass im Beschwerdefall ein solcher triftiger Grund im Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers, nämlich dem im angefochtenen Bescheid näher dargestellten, der besagten strafgerichtlichen Verurteilung vom 6. April 1998 zu Grunde liegenden Fehlverhalten sowie dem unerlaubten Aufenthalt des Beschwerdeführers nach seiner Einreise im Jahr 1994 - trotz deswegen erfolgter rechtskräftiger Bestrafung und trotz Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung -, gelegen sei.

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten (vgl. Blatt 85 f) ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer vom Landeshauptmann von Wien die ihm bis 14. Juli 1999 erteilte Niederlassungsbewilligung (mit einer Geltungsdauer vom 22. Juli 1999 bis zum 22. Juli 2001) verlängert wurde, weshalb ihm sein Verbleiben im Bundesgebiet nach dem 14. Juli 1999 nicht vorgeworfen werden kann, zumal ihm in Ansehung der Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung auch für den Zeitraum vom 14. Juli 1999 bis zum 22. Juli 1999 eine Aufenthaltsberechtigung in Österreich zukam (vgl. § 31 Abs. 4 FrG). Dem unerlaubten Aufenthalt des Beschwerdeführers nach seiner Einreise im Jahr 1994 sowie der besagten deswegen erfolgten Bestrafung kommt angesichts der dem Beschwerdeführer unstrittig im Jahr 1997 erteilten, bis 14. Juli 1999 gültigen Aufenthaltsbewilligung und der genannten Verlängerung dieses Aufenthaltstitels kein für die Begründung der Annahme gemäß § 36 Abs. 1 FrG maßgebliches Gewicht mehr zu. Das der genannten strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zu lediglich sechs Monaten Freiheitsstrafe unter bedingter Strafnachsicht zu Grunde liegende Fehlverhalten (vgl. oben I.1.) reicht für sich genommen aber nicht aus, um als triftiger Grund im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG eingestuft zu werden.

3. Da die belangte Behörde somit in Verkennung der Rechtslage die Auffassung vertrat, dass im Beschwerdefall die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war im Hinblick darauf abzuweisen, dass neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes ein Ersatz weiterer Kosten unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist. Wien, am 7. August 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999180383.X00

Im RIS seit

12.12.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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