TE Vwgh Erkenntnis 2001/9/6 98/03/0327

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.09.2001
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Bernegger, Dr. Riedinger und Dr. Handstanger, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des M in Wien, vertreten durch Dr. Hans Lesigang, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 36, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 29. Juli 1998, Zl. MA 12-14063/91, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens in einer Sozialhilfeangelegenheit sowie Neubemessung und Rückforderung von Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Magistrat der Stadt Wien, MA 12-Sozialreferat für den

20. Bezirk, richtete an den Beschwerdeführer den mit 8. Mai 1992 datierten Bescheid folgenden Inhaltes:

"Gemäß § 69 Abs. 1 lit. 1 - 3 und Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsgesetz 1991 - AVG werden sämtliche Verfahren zur Gewährung von Geldaushilfen für die Zeit vom 20. August 1991 bis 11. Jänner 1992 an Herrn S., wohnhaft in Wien 20,....., wieder aufgenommen. Es wird festgestellt, dass kein Anspruch auf Geldaushilfen gemäß §§ 8,10,12 und 13 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. für Wien Nr. 11/1973 in der geltenden Fassung, im Zusammenhalt mit den §§ 1 und 5 der Verordnung der Wiener Landesregierung vom 27. Februar 1973, LGBl. für Wien Nr. 11/1973, in der geltenden Fassung der Verordnung der Wiener Landesregierung vom 11. Dezember 1990, LGBl. für Wien Nr. 57/1990, für die Zeit vom 20. August 1991 bis 30. September 1991 bestand. Jedoch bestand ein Anspruch auf Geldaushilfen als Richtsatzergänzungen zur Notstandshilfe (Tagsatz S 166,80), von insgesamt S 2.090,-- für die Zeit vom 1. Oktober 1991 bis 11. Jänner 1992. Es wird festgehalten, dass durch das Verschweigen von Tatsachen, die für die Bemessung der Höhe der Geldaushilfen von Bedeutung sind, ein Überbezug in der Höhe von S 23.519,-- auflief. Gemäß § 26 Abs. 1 WSHG ist dieser Betrag zurückzuerstatten. Über die Hereinbringung des Überbezuges wird gesondert entschieden".

In der Begründung dieses Bescheides führte die Erstbehörde aus, der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung der Notstandshilfe sei mit Bescheid vom 19. August 1991 vom Arbeitsamt-Versicherungsdienste abgewiesen worden. Der Beschwerdeführer habe dagegen Berufung erhoben, ohne das Sozialreferat für den

20. Bezirk davon in Kenntnis zu setzen. Mit Bescheid vom 16. Dezember 1991 habe der Beschwerdeführer vom 14. Mai 1991 bis 10. Februar 1992 Notstandshilfe von täglich S 166,80 zuerkannt erhalten. Der Beschwerdeführer sei seiner Meldepflicht nicht nachgekommen; das Sozialreferat für den 20. Bezirk habe auf Grund einer Ausfertigung eines Einkommensnachweises zur Erlangung von Begünstigungen am 23. Jänner 1992 davon Kenntnis erlangt. Auf Grund der Zuerkennung der Notstandshilfe sei der Anspruch auf Sozialhilfeleistung ab 20. August 1991 neu zu berechnen. Ausgehend vom Richtsatz eines Alleinunterstützten, unter Berücksichtigung der Mietbelastung, der Heizbeihilfe, weiters des Einkommens des Beschwerdeführers, unter Abzug der Notstandshilfe, und unter Bedachtnahme auf die für den Zeitraum 1. Oktober 1991 - 11. Jänner 1992 gewährten Sozialhilfeleistungen ergebe sich ab 20. August 1991 bis 11. Jänner 1992 ein Gesamtüberbezug von

S 23.519,--, der zurückzuzahlen sei.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, die zunächst mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 8. April 1994 als verspätet zurückgewiesen wurde. Mit hg. Erkenntnis vom 26. September 1995, Zl. 94/08/0152, wurde dieser Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Der daraufhin erlassene Berufungsbescheid vom 17. Jänner 1996, mit dem der erstinstanzliche Bescheid auf Grund der dagegen fristgerecht eingebrachten Berufung behoben und zur Durchführung einer neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 10. März 1998, Zl. 96/08/0260, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. In diesem Erkenntnis wurde unter anderem ausgeführt, es sei im fortzusetzenden Verfahren zur Frage der Wiederaufnahme insbesondere zu klären, ob der Beschwerdeführer schon während des Sozialhilfebezuges über Geldmittel aus Leistungen des Arbeitsamtes tatsächlich verfügte.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 29. Juli 1998 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid vom 8. Mai 1992 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und "der angefochtene Bescheid bestätigt".

Begründend gab die belangte Behörde den Inhalt der § 8 Abs. 1, § 8 Abs. 2, § 10 Abs. 1, § 26 Abs. 1, § 32 Abs. 1 bis 3 Wiener Sozialhilfegesetz wieder. Sie führte weiters aus, dass der Beschwerdeführer von Februar 1989 bis Juli 1989 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten habe, wobei der am 19. Juli 1989 gestellte Antrag auf Gewährung der Notstandshilfe seitens des Arbeitsamtes mit Bescheid vom 2. August 1989 abgewiesen wurde. Daraufhin habe der Beschwerdeführer am 29. August 1989 erstmals im Sozialreferat für den 20. Bezirk ein Ansuchen auf Zuerkennung von Geldaushilfen gestellt, und dies damit begründet, keinen Anspruch auf Notstandshilfe zu haben. Bei einer neuerlichen Vorsprache im Sozialreferat am 20. August 1991 habe er einen abweisenden Bescheid des Arbeitsamtes vorgelegt. Auf Grund seiner Vorsprache habe er ab 20. August 1991 jeweils Geldaushilfen zur Sicherung des Lebensbedarfs ausbezahlt bekommen. Im Zuge einer Vorsprache des Beschwerdeführers zur Ausstellung eines Mittellosigkeitszeugnisses habe die Behörde festgestellt, dass der Beschwerdeführer mit Bescheid des Arbeitsamtes vom 16. Dezember 1991 rückwirkend ab 14. Mai 1991 Notstandshilfe in der Höhe von S 166,80 täglich bis voraussichtlich 10. Februar 1992 zuerkannt erhalten habe. In Verwirklichung des Individualitäts- und Subsidiaritätsprinzips normiere das Wiener Sozialhilfegesetz eine grundsätzliche Ersatzpflicht des Hilfeempfängers, wenn er angesichts seiner nunmehrigen wirtschaftlichen Verhältnisse die Sozialhilfeleistung gar nicht erhalten hätte. Als "Ersatztatbestand" finde sich der Fall, dass der Hilfeempfänger nach der Hilfegewährung zu einem hinreichenden Einkommen oder Vermögen gelangt sei. Zwar sei es richtig, dass der Beschwerdeführer nicht gleichzeitig Sozialhilfe und Notstandshilfeleistungen bezogen habe, "auf Grund der Ersatzregelungen" stehe allerdings eindeutig fest, dass er keine Sozialhilfeleistungen bezogen hätte, hätte er die Notstandshilfe bereits seit 14. Mai 1991 zuerkannt bekommen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, mit der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid zur Gänze, damit auch die von der Erstbehörde gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 - 3 und Abs. 3 AVG angeordnete Wiederaufnahme des Verfahrens. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht begründet sei.

Gemäß § 69 Abs. 1 AVG, ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und

1) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen wurde oder

2) neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Parteien nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3) der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.

Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 3 leg. cit. auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

Die Behörde wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe durch das Verschweigen von Tatsachen, nämlich dadurch, dass er die Behörde nicht darauf hingewiesen habe, dass er gegen den Bescheid des Arbeitsamtes, mit dem ihm die Notstandshilfe versagt wurde, Berufung erhoben habe, Leistungen aus der Sozialhilfe erhalten. Die Behörde geht offensichtlich davon aus - ohne dies allerdings ausdrücklich auszusprechen - dass sich der Beschwerdeführer die Leistungen aus der Sozialhilfe "erschlichen" habe.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein "Erschleichen" eines Bescheides dann vor, wenn diese in der Art zu Stande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteienangaben als ein Erschleichen des Bescheides im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a zu werten. Zusammengefasst müssen daher drei Voraussetzungen vorliegen:

1.

objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung,

2.

ein Kausalitätszusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde und

              3.              Irreführungsabsicht der Partei, nämlich eine Behauptung wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen

(vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1995, Zl. 94/20/0779).

Selbst wenn der Beschwerdeführer anlässlich seiner Vorsprache beim Sozialreferat für den 20. Bezirk im August 1991 auf seine Berufung hingewiesen hätte, hätte dies an der Entscheidung der Behörde nichts geändert. Der Beschwerdeführer war zum damaligen Zeitpunkt mittellos und erhielt tatsächlich keine Notstandshilfe. Daher war sein "Verschweigen" auch nicht kausal für die getroffene Entscheidung der Behörde.

Aus diesen Erwägungen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser insgesamt gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 6. September 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998030327.X00

Im RIS seit

30.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten