TE Vfgh Erkenntnis 2007/11/30 B1538/07 ua

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Veröffentlicht am 30.11.2007
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art133 Z4
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Verfahrensanordnung
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
ASVG §343, §345a, §346, §347
AVG §6, §69
VfGG §88

Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerde gegen die von der beschwerdeführendenÄrztin beantragte Weiterleitung ihres Antrages auf Wiederaufnahme desKündigungsverfahrens betreffend ihren Einzelvertrag an die zuständigeBehörde; Mitteilung über die Abtretung einer Verwaltungssache keinBescheid sondern bloße Verfahrensanordnung; keine Verletzungverfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Zurückweisungder Anträge auf Ungültigerklärung der Berufungszurückziehung und aufFortsetzung des Berufungsverfahrens; keine Sachentscheidung über dieVertragskündigung bzw die Wiederaufnahme

Spruch

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Weiterleitung des Antrages auf Wiederaufnahme wendet, zurückgewiesen.

Im Übrigen ist die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Insoweit wird die Beschwerde abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Vorgeschichte ergibt sich aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. November 2006, B299/06, B753/06:

1.1. Die Beschwerdeführerin stand als Ärztin für Allgemeinmedizin in einem Vertragsverhältnis u.a. mit der Wiener Gebietskrankenkasse (im Folgenden: GKK). Mit Schreiben vom 19. November 2002 kündigte die GKK sowohl den kurativen Einzelvertrag als auch den Vorsorgeuntersuchungsvertrag mit der Beschwerdeführerin mit Wirkung vom 31. Dezember 2002.

1.2. Mit Bescheid der Landesschiedskommission für Wien (im Folgenden: LSK) vom 30. Juni 2003 wurde der Einspruch der Beschwerdeführerin gegen die Kündigung abgewiesen. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 29. Juli 2003 Berufung an die Bundesschiedskommission (im Folgenden: BSK).

1.3. Mit Beschluss der BSK, datiert vom 14. Jänner 2004, wurde der Berufung keine Folge gegeben. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin erst am 27. Februar 2006 zugestellt.

1.4. Bereits am 18. August 2004 war bei der Ärztekammer für Wien per Fax ein Schreiben des bevollmächtigten Parteienvertreters der Beschwerdeführerin eingelangt, in dem "[n]amens unserer Mandantin ... die von dieser am 29.7.2003 beeingabte Berufung zurück[gezogen]" wurde.

1.5. Mit Erkenntnis vom 27. November 2006, B299/06, B753/06, hob der Verfassungsgerichtshof den Bescheid der BSK vom 14. Jänner 2004 wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf. Darin führte der Gerichtshof auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass die Beschwerdeführerin durch das bei der Ärztekammer für Wien (als Geschäftsstelle der LSK) eingelangte Schreiben vom 18. August 2004 ihre Berufung rechtswirksam zurückgezogen habe. Die Zurückziehung der Berufung sei - verfahrensrechtlich betrachtet - nichts anderes als ein nachträglicher Berufungsverzicht, dem die Wirkung anhafte, dass eine von der Partei eingebrachte Berufung einer meritorischen Erledigung nicht zugeführt werden dürfe. Der Verfassungsgerichtshof konnte auch nicht finden, dass ein ungerechtfertigter Druck auf die damals anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin ausgeübt worden sei, der die Rechtswirksamkeit der Berufungsrücknahme in Zweifel ziehen hätte können. Da ein einmal ausgesprochener Berufungsverzicht nicht zurückgenommen werden könne und der Bescheid der BSK nicht schon mit seiner Beschlussfassung, sondern erst mit seiner Zustellung erlassen worden sei, habe die BSK durch seine Erlassung eine ihr (nicht) mehr zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen.

1.6. Mit dem genannten Erkenntnis vom 27. November 2006 hob der Verfassungsgerichtshof aber auch den Bescheid der BSK vom 30. November 2005 auf, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederaufnahme des Kündigungsverfahrens mangels Vorliegens der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe abgewiesen worden war. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Wiederaufnahme komme gemäß §69 Abs4 AVG jener Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen habe. Durch die Zurückziehung der Berufung gegen den Kündigungsbescheid der LSK vom 30. Juni 2003 sei dieser Bescheid rechtskräftig geworden, sodass die BSK nicht zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag zuständig gewesen sei.

2.1. Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen Bescheid der BSK vom 9. Mai 2007, Z R-1-BSK/07-4, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, die Zurückziehung ihrer Berufung gegen den Kündigungsbescheid der LSK vom 30. Juni 2003 für ungültig zu erklären und das Berufungsverfahren wieder aufzunehmen, zurückgewiesen. Begründend führt die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin in mehreren Eingaben Erklärungen abgegeben habe, die darauf hinausliefen, die Zurückziehung der Berufung für ungültig zu erklären und das Berufungsverfahren wieder aufzunehmen. Da ein einmal ausgesprochener Berufungsverzicht nicht zurückgenommen und auch nicht für ungültig erklärt werden könne, sei der Antrag, die Zurückziehung für ungültig zu erklären, zurückzuweisen gewesen.

2.2. Gegen diesen Bescheid richtete sich die zu B1538/07 protokollierte Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

2.3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten (nicht jedoch jene der LSK) vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand. Die GKK als mitbeteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, der Beschwerde keine Folge zu geben und ihr die Verfahrenskosten zuzusprechen.

3.1. Mit einer weiteren, als "Bescheid" bezeichneten Erledigung vom 9. Mai 2007, Z R 2-BSK/07-4, sprach die BSK Folgendes aus: "Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird mitsamt dem Akt an die Landesschiedskommission für das Land Wien weitergeleitet."

Begründend wird dazu ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin am 12. März 2007 bei der BSK einen Antrag auf Weiterleitung des Aktes an die LSK gestellt habe. Der Verfassungsgerichtshof habe ausgesprochen, dass die BSK zur Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zuständig sei. Diese Zuständigkeit komme vielmehr der LSK zu, "an die der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens samt dem Akt antragsgemäß weiterzuleiten ist".

3.2. Gegen diese als Bescheid iSd Art144 B-VG gewertete Erledigung richtet sich die zu B1539/07 protokollierte Beschwerde, in der - mit im Wesentlichen gleich lautender Begründung wie in der Beschwerde zu B1538/07 - ebenfalls die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

II. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG lauten:

"Aufnahme der Ärzte in den Vertrag und

Auflösung des Vertragsverhältnisses

§343. (1) Die Auswahl der Vertragsärzte und der Vertrags-Gruppenpraxen und der Abschluß der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis erfolgt nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer. ...

...

(4) Das Vertragsverhältnis kann unbeschadet der Bestimmungen der Abs2 und 3 von beiden Teilen unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Kündigt der Träger der Krankenversicherung, so hat er dies schriftlich zu begründen. Der gekündigte Arzt oder die gekündigte Vertrags-Gruppenpraxis kann innerhalb von zwei Wochen die Kündigung bei der Landesschiedskommission mit Einspruch anfechten. Die Landesschiedskommission hat innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen des Einspruches über diesen zu entscheiden. Der Einspruch hat bis zum Tag der Entscheidung der Landesschiedskommission aufschiebende Wirkung. Die Landesschiedskommission kann die Kündigung für unwirksam erklären, wenn sie für den Arzt oder für einen persönlich haftenden Gesellschafter der Vertrags-Gruppenpraxis eine soziale Härte bedeutet und nicht eine so beharrliche oder eine so schwerwiegende Verletzung des Vertrages oder der ärztlichen Berufspflichten im Zusammenhang mit dem Vertrag vorliegt, daß die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses für den Träger der Krankenversicherung nicht zumutbar ist. ... Eine vom gekündigten Arzt (von der gekündigten Gruppenpraxis) eingebrachte Berufung an die Bundesschiedskommission hat ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung.

...

Landesschiedskommission

§345a. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesschiedskommission zu errichten. Diese besteht aus einem Richter des Ruhestandes als Vorsitzenden und vier Beisitzern. Der Vorsitzende soll durch längere Zeit hindurch in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig gewesen sein. Er ist vom Bundesminister für Justiz jeweils auf fünf Jahre zu bestellen. Je zwei Beisitzer werden im Einzelfall von der zuständigen Ärztekammer und dem Hauptverband entsendet.

(2) Die Landesschiedskommission ist zuständig:

1. zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages und

2. zur Entscheidung über die Wirksamkeit einer Kündigung gemäß §343 Abs4.

(3) Gegen die Entscheidungen der Landesschiedskommission kann Berufung an die Bundesschiedskommission erhoben werden.

Bundesschiedskommission

§346. (1) Zur Entscheidung über Berufungen, die gemäß §345a Abs3 erhoben werden, ist eine Bundesschiedskommission zu errichten.

(2) Die Bundesschiedskommission besteht aus einem aktiven Richter des Obersten Gerichtshofes als Vorsitzenden und aus sechs Beisitzern. Der Vorsitzende und zwei Beisitzer, die gleichfalls dem Dienststand angehörende Richter des Obersten Gerichtshofes sein müssen, werden vom Bundesminister für Justiz bestellt. Je zwei Beisitzer werden von der Österreichischen Ärztekammer und dem Hauptverband entsendet.

(3) Die Mitglieder der Bundesschiedskommission und ihre Stellvertreter werden vom Bundesminister für Justiz für eine Amtsdauer von fünf Jahren berufen. Sie haben bei Ablauf dieser Amtsdauer ihr Amt bis zu dessen Wiederbesetzung auszuüben. Neuerliche Berufungen sind zulässig.

(4) Der Bundesminister für Justiz hat ein Mitglied der Bundesschiedskommission oder einen Stellvertreter seines Amtes zu entheben, wenn sich ergibt, daß

1. bei einem Mitglied (Stellvertreter) aus dem Richterstand die Voraussetzungen für seine Berufung nicht gegeben waren;

2. sich das Mitglied (der Stellvertreter) einer groben Verletzung oder dauernden Vernachlässigung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat;

3. bei einem Mitglied (Stellvertreter), das (der) von der Österreichischen Ärztekammer oder dem Hauptverband entsendet wurde, ein wichtiger persönlicher Grund zur Enthebung vorliegt, und die Österreichische Ärztekammer oder der Hauptverband seine Enthebung unter Berufung darauf beantragt;

4. das Mitglied (der Stellvertreter) seine Berufstätigkeit durch Übertritt in den Ruhestand beendet oder selbst um seine Amtsenthebung ersucht.

Wird ein Mitglied enthoben, ist sein Stellvertreter für die Dauer eines laufenden Verfahrens heranzuziehen, bis ein neues Mitglied durch die hiezu befugte Stelle bestellt (entsendet) und berufen wird.

(5) Wird ein Mitglied (Stellvertreter) seines Amtes enthoben, so hat die hiezu befugte Stelle innerhalb von drei Monaten ein neues Mitglied (Stellvertreter) zu bestellen (entsenden). Die Amtsdauer solcher Mitglieder (Stellvertreter) endet mit dem Ablauf der jeweils laufenden fünfjährigen Amtsdauer. Für die weitere Ausübung des Amtes durch solche Mitglieder (Stellvertreter) oder ihre Wiederbestellung gilt Abs3 sinngemäß. Verabsäumt es die Österreichische Ärztekammer binnen drei Monaten ein neues Mitglied (Stellvertreter) zu entsenden, so hat über Antrag des Hauptverbandes der Bundesminister für Justiz einen Richter (Abs2) als Ersatz für das seines Amtes enthobene Mitglied zu bestellen. Verabsäumt es der Hauptverband binnen drei Monaten ein neues Mitglied (Stellvertreter) zu entsenden, so ist die Österreichische Ärztekammer berechtigt, einen derartigen Antrag zu stellen. Die Amtsdauer eines solcherart bestellten Mitgliedes (Stellvertreters) endet, sobald die hiezu befugte Stelle die Entsendung nachholt.

(6) Die Mitglieder der Bundesschiedskommission sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden.

(7) Entscheidungen der Bundesschiedskommission unterliegen weder der Aufhebung noch der Abänderung im Verwaltungswege.

Allgemeine Bestimmungen über die Kommissionen

§347. ...

(4) Die in den §§344, 345, 345a und 346 vorgesehenen Kommissionen haben auf das Verfahren das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 anzuwenden, soferne dieses Bundesgesetz nichts anderes anordnet. Sie fassen ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit; eine Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Im übrigen sind die Geschäftsordnungen dieser Kommissionen vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach Anhörung der Österreichischen Ärztekammer und des Hauptverbandes durch Verordnung zu regeln.

(5) Die Verhandlungen sind mündlich und öffentlich. §67e AVG ist sinngemäß anzuwenden.

..."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

A. Zur Zulässigkeit:

1. Die zu B1539/07 protokollierte Beschwerde ist unzulässig:

1.1.1. Gemäß Art144 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen u.a. "Bescheide der Verwaltungsbehörden". Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 13.968/1994 mwN, 17.291/2004) liegt ein Bescheid iSd Art144 Abs1 B-VG dann vor, wenn die Erledigung eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber individuell bestimmten Personen normativ regelt, wenn sie also für den Einzelfall bindend die Gestaltung oder Feststellung von Rechtsverhältnissen zum Inhalt hat, ob sie nun in Form eines Bescheides nach den §§56 ff AVG ergeht oder nicht.

1.1.2. Mit der angefochtenen Erledigung der BSK wird der Antrag auf Wiederaufnahme des Kündigungsverfahrens mitsamt dem Akt an die LSK weitergeleitet. Wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat, sind Mitteilungen von der Abtretung einer Verwaltungssache iSd §6 AVG keine Bescheide (VfSlg. 3801/1960, 6984/1973 mwN). Dass die angefochtene Erledigung, bei der es sich der Sache nach um eine bloße Verfahrensanordnung handelt, dennoch alle äußeren Merkmale eines Bescheides aufweist (insb ist sie als solcher bezeichnet und enthält eine entsprechende Gliederung mit "Begründung", "Rechtsmittelbelehrung" und dem "Hinweis" auf die Möglichkeit der Beschwerdeführung beim Verfassungsgerichtshof), verleiht ihr noch nicht Bescheidqualität (vgl. VfSlg. 9984/1984; vgl. auch Hengstschläger/Leeb, AVG §63 Rz 57 mwN). Nichts deutet darauf hin, dass die belangte Behörde in einer der Rechtskraft fähigen Weise einen Abspruch über die - nach dem mehrfach zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. November 2006 unstrittige - Zuständigkeit treffen wollte. Sie hat vielmehr lediglich in Entsprechung der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens - zutreffend - an die LSK weitergeleitet.

1.1.3. Die angefochtene Erledigung kann daher nicht unmittelbar beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden (VfSlg. 9984/1984, 17.291/2004).

1.2. Selbst wenn es sich bei der angefochtenen Erledigung aber um einen Bescheid handeln würde, könnte die Beschwerdeführerin durch diesen nicht in ihren Rechten verletzt sein. Durch die angefochtene Erledigung wird ihrem Antrag, das Verfahren über die Wiederaufnahme an die LSK weiterzuleiten, voll Rechnung getragen, sodass es ihr auch an der Beschwer und damit an der Legitimation zur Beschwerdeführung mangelt (zB VfSlg. 12.659/1991 mwN; zuletzt etwa VfSlg. 16.519/2002 mwN).

1.3. Die zu B1539/06 protokollierte Beschwerde war daher gemäß §19 Abs3 Z2 lita und e VfGG als unzulässig zurückzuweisen.

2. Hingegen ist die zu B1538/07 protokollierte Beschwerde zulässig:

2.1. Die mitbeteiligte GKK behauptet, der Sachverhalt des vorliegenden Verfahrens sei mit jenem "völlig ident", der dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. November 2006 zu Grunde liege, sodass es sich um res iudicata handle.

Diesem Vorbringen kann der Verfassungsgerichtshof nicht folgen: In den mit Erkenntnis vom 27. November 2006 entschiedenen Verfahren ging es um die Aufkündigung des Einzelvertrages (B753/06) und um die Wiederaufnahme des Kündigungsverfahrens unter Berufung auf die Wiederaufnahmegründe des §69 Abs1 Z1 und 2 AVG (B299/06). Den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet hingegen die Entscheidung über die Anträge der Beschwerdeführerin auf Ungültigerklärung ihrer Berufungszurückziehung und damit eine andere Sache als jene, die mit Erkenntnis vom 27. November 2007 entschieden wurde.

2.2. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, ist die Beschwerde zulässig.

B. In der Sache:

1.1. Die Beschwerdeführerin behauptet zunächst die Verfassungswidrigkeit der Einrichtung der BSK, weil deren Bescheide ohne sachliche Rechtfertigung der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof entzogen seien. Die Organisation der BSK beruhe daher auf einer "dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage".

1.2. Die BSK ist als eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichtet (VfSlg. 15.803/2000 [dort auch zu ihrem Tribunalcharakter iSd Art6 Abs1 EMRK]). Da die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausdrücklich für zulässig erklärt ist, sind Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit dieser Kommission fallen, von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgenommen. Soweit die Beschwerde offenbar davon ausgeht, dass der Ausschluss der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes seinen Grund in den Vorschriften über die Einrichtung dieser Behörde hat, geht sie ins Leere (vgl. VfSlg. 17.295/2004). Im Übrigen liegt es bei den nach Art133 Z4 B-VG eingerichteten Behörden gemäß dem letzten Halbsatz dieser Verfassungsbestimmung ausschließlich in der Zuständigkeit des (hier: Bundes-)Gesetzgebers zu bestimmen, ob die Entscheidungen dieser Behörden vor dem Verwaltungsgerichtshof anfechtbar sind oder nicht (vgl. zuletzt VfGH 11.6.2007, B957/07 mwN).

1.3. Der Umstand, dass der angefochtene Bescheid der BSK beim Verwaltungsgerichtshof nicht angefochten werden kann, begründet daher keine Verfassungswidrigkeit (vgl. VfSlg. 14.109/1995, 15.538/1999; VfGH 11.6.2007, B957/07; 12.6.2007, B1944/06).

2. Die Beschwerdeführerin behauptet weiters eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weil die BSK zur Entscheidung über ihre Anträge nicht zuständig gewesen sei; sie hätte diese Anträge vielmehr an die LSK zur Entscheidung weiterleiten müssen.

2.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

2.2. Dieses Vorbringen geht schon deshalb fehl, weil die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gar keine Entscheidung - weder über die Kündigung noch über die Wiederaufnahme - getroffen hat. Sie hat lediglich die Anträge der Beschwerdeführerin auf Ungültigerklärung der Berufungszurückziehung und auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens als unzulässig zurückgewiesen, den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens aber - mit der zu B1539/07 angefochtenen Erledigung - an die LSK weitergeleitet.

2.3. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter hat somit nicht stattgefunden.

3. Die Beschwerdeführerin zieht schließlich auch die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der LSK in Zweifel. Der Hauptverband habe nämlich die GKK aufgefordert, einen Beisitzer für das Verfahren vor der LSK namhaft zu machen, und "sohin einer an einem Verfahren beteiligten Partei, nämlich der WGKK wider Artikel XI EMRK [gemeint wohl: Art6 EMRK] die Möglichkeit eingeräumt, Mitglieder in Schiedskommissionen zu entsenden".

In welchem Zusammenhang dieses Vorbringen - das sich offensichtlich auf das erstinstanzliche Verfahren vor der LSK bezieht - mit der vorliegenden Beschwerde stehen soll, die sich gegen einen Bescheid der BSK wendet, mit dem Anträge der Beschwerdeführerin auf Ungültigerklärung ihrer Berufungszurückziehung zurückgewiesen wurden, ist nicht nachvollziehbar.

4. Weiters behauptet die Beschwerdeführerin, die belangte Behörde habe jegliche Ermittlungstätigkeit dahingehend unterlassen, dass ihre Berufungszurückziehung nur "zum Disziplinarakt der Ärztekammer geschickt" worden sei und diesen "niemals verlassen" habe; die Zurückziehung der Berufung sei daher weder der LSK noch der BSK zur Kenntnis gebracht worden und hätte keine Erklärungswirkung entfalten können.

Dieses Vorbringen geht insofern ins Leere, als der Gegenstand dieses Verfahrens nur die Frage ist, ob die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, ihre Berufungszurücknahme für ungültig zu erklären und das Berufungsverfahren wieder aufzunehmen, zu Recht zurückgewiesen hat. Für diese Frage ist es ohne Bedeutung, ob und auf welchen Wegen diese Berufungszurückziehung zu den Verwaltungsakten gelangt ist; es sei aber angemerkt, dass der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 27. November 2006 als Grundlage für den Ausspruch der Unzuständigkeit der damals belangten Behörde davon ausgegangen ist, dass die (aktenkundige) Berufungszurückziehung wirksam zustande gekommen ist.

5. Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die belangte Behörde habe dadurch den Gleichheitssatz verletzt, dass sie das Verfahren "verzögert" habe, bezieht sich dem Vorbringen zufolge ausschließlich auf das Verfahren, das in die Erlassung des - mit Erkenntnis vom 27. November 2006 aufgehobenen - Bescheides der BSK gemündet hat.

6. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin in einem von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre; ebenso wenig entstanden - aus der Sicht dieser Beschwerdesache - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dem bekämpften Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften. Die Beschwerdeführerin wurde mithin auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

7. Der beteiligten GKK waren (trotz Beschwerdeabweisung) die begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil die von ihr erstattete Äußerung nichts zur Rechtsfindung beigetragen hat (zB VfSlg. 14.214/1995, 15.916/2000; vgl. auch VfSlg. 15.818/2000).

8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Sozialversicherung, Ärzte, Behördenzuständigkeit, Wiederaufnahme,Rechtskraft, Verwaltungsgerichtshof, Behördenzusammensetzung,Ersatzbescheid, Bindung (der Verwaltungsbehörden an VfGH),Kollegialbehörde, Bescheidbegriff, Verfahrensanordnung,Verwaltungsverfahren, Zuständigkeit, Beschwer, VfGH / Kosten, VfGH /Beteiligter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:B1538.2007

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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