TE Vwgh Erkenntnis 2001/9/14 2000/02/0275

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.09.2001
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §19 Abs1;
AVG §19 Abs3;
AVG §19 Abs4;
AVG §19;
AVG §56;
B-VG Art129a Abs1;
VStG §24;
VStG §41 Abs3;
VStG §51 Abs1;
VStG §54c;
VwFormV 2000;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Beck, Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerde des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 28. August 2000, Zl. UVS-03/P/35/7151/2000/2, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen einen Beschuldigtenladungsbescheid i.A. Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

In einem gegen KL geführten Verwaltungsstrafverfahren erließ die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Donaustadt eine als "Ladungsbescheid" bezeichnete Erledigung vom 27. Juli 2000, in welcher KL eine näher umschriebene Verwaltungsübertretung zur Last gelegt wurde. Es sei nötig, dass KL persönlich komme. Wenn KL dieser Ladung ohne wichtigen Grund nicht Folge leiste, müsse sie "damit rechnen, dass das Strafverfahren ohne Ihre Anhörung durchgeführt wird".

In der Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass KL das Recht habe, gegen diesen Bescheid Berufung zu ergreifen.

Mit Schreiben vom 31. Juli 2000 erhob KL Berufung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28. August 2000 wies die belangte Behörde die Berufung als unzulässig zurück. Nach Zitierung der §§ 19 Abs. 1 und 4 AVG begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung folgendermaßen:

"Die Behörde kann die Ladung entweder in Form der sogenannten einfachen Ladung oder in Form des Ladungsbescheides aussprechen. Der einfachen Ladung kommt lediglich die Bedeutung einer verfahrensrechtlichen Anordnung zu, gegen die eine abgesonderte Berufung nicht zulässig ist. Sie kann daher auch nicht abgesondert von der Hauptsache vor dem VwGH angefochten werden. Der Ladungsbescheid unterscheidet sich von der einfachen Ladung in seiner Form dadurch, dass er für den Fall der unentschuldigten Nichtbefolgung des Ladungsbefehles die Verhängung von Zwangsstrafen oder die zwangsweise Vorführung androht (vgl. VwGH 24.3.1988, 88/09/0036).

Der einfachen Ladung ohne gleichzeitige Androhung von Zwangsmaßnahmen kommt somit kein Bescheidcharakter zu. Daran vermag auch nicht zu ändern, dass der Verwaltungsakt (verfehlterweise) mit 'Ladungsbescheid' überschrieben wurde und eine (unrichtige) Rechtsmittelbelehrung bezüglich der Zulässigkeit einer Berufung enthält ...

Da es sich beim gegenständlichen 'Ladungsbescheid' mangels Androhung von Zwangsmaßnahmen um eine sogenannte einfache Ladung handelt, gegen die eine abgesonderte Berufung unzulässig ist, war spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf § 123 Abs. 1 letzter Satz Kraftfahrgesetz 1967 gestützte Amtsbeschwerde des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 51 Abs. 1 VStG steht den Parteien im Verwaltungsstrafverfahren das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat jenes Landes zu, in dem die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ihren Sitz hat.

Auf Grund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 6. Oktober 1997, G 1393/95 ua = VfSlg. 14.957/1997) wurde die Verwaltungsformularverordnung durch BGBl. II Nr. 508/1999 geändert (vgl. die Erläuterungen zum Ministerratsvortrag, 600.153/4-V/2a/99, zu den Formularen 36 (vormals 31), 25 (vormals 20) und 26 (vormals 21)). Der Verfassungsgerichtshof versteht im genannten Erkenntnis § 54c VStG dahin, "dass die unmittelbare Anfechtbarkeit von Entscheidungen erster Instanz (beim unabhängigen Verwaltungssenat) gemäß § 54c VStG durch den ausdrücklichen Ausschluss sonstiger administrativer Rechtsmittel ... bewirkt wird, ...". Im Sinne dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes sind auch Ladungsbescheide im Verwaltungsstrafverfahren durch Erhebung eines Rechtsmittels an den unabhängigen Verwaltungssenat zu bekämpfen, weil die im Verwaltungsstrafverfahren zur Anwendung kommende Bestimmung (§ 24 VStG) des § 19 Abs. 4 AVG eine dem § 54c VStG vergleichbare Bestimmung enthält, die auf Grund der vom Verfassungsgerichtshof aus Art. 129a Abs. 1 erster Satz B-VG sich direkt (ohne dass es einer einfachgesetzlichen Regelung bedürfte) ergebenden Anrufbarkeit der unabhängigen Verwaltungssenate gleich wie § 54c VStG zu verstehen ist. Die Änderung der Verwaltungsformularverordnung trat am 31. Dezember 1999 in Kraft. Hinsichtlich des neuen Formulares 25 zu § 19 AVG und §§ 40 und 41 VStG (Beschuldigtenladung mit Überschrift Ladungsbescheid) enthält die Verordnung keine Übergangsfrist. Der gegenständliche Ladungsbescheid vom 27. Juli 2000 entspricht (mit Ausnahme einer im gegenständlichen Fall nicht angekreuzten Vordruckstelle betreffend "Jugendliche") inhaltlich dem Formular 25.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich in diesem Zusammenhang zur Feststellung veranlasst, dass die maßgebliche Rechtslage in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen betreffend Anrufbarkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegen Ladungsbescheide der Behörde erster Instanz im Lichte des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 6. Oktober 1997, G 1393/95 = VfSlg. 14.957/1997, aus seiner Sicht eine Änderung erfahren hat, sodass es - ungeachtet der bisherigen hg. Rechtsprechung, welche eine unmittelbare Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof für zulässig erachtete - einer Beschlussfassung im Sinne des § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG nicht bedarf (vgl. den hg. Beschluss vom 23. Jänner 1998, Zl. 98/02/0011).

Wie der beschwerdeführende Bundesminister richtig vorbringt, betraf der von der belangten Behörde zur Stützung ihrer Rechtsansicht herangezogene hg. Beschluss vom 24. März 1988, Zl. 88/09/0036, lediglich ein nach dem AVG abzuführendes Verfahren, wobei weder die Verhängung einer Zwangsstrafe noch die zwangsweise Vorführung (für den Fall der unentschuldigten Nichtbefolgung des Ladungsbefehls) angedroht waren. Im gegenständlichen Fall handelt es sich aber um ein Strafverfahren, bei welchem neben § 19 AVG auch die §§ 40 und 41 VStG zu beachten sind. Eine Voraussetzung dafür, dass einer Ladung der Charakter eines Bescheides eingeräumt ist, liegt darin, dass im Falle des ungerechtfertigten Ausbleibens des Vorgeladenen an die Ladung kraft Gesetzes unmittelbar Rechtsfolgen geknüpft sind. § 41 Abs. 3 VStG, wonach die Ladung des Beschuldigten auch die Androhung enthalten kann, dass das Strafverfahren, wenn der Beschuldigte der Ladung keine Folge leistet, ohne seine Anhörung durchgeführt werden kann, enthält ergänzende Bestimmungen zu § 19 AVG. Er bringt klar zum Ausdruck, dass an Stelle der in § 19 Abs. 3 AVG für das unentschuldigte Fernbleiben vorgesehenen Sanktionen im Verwaltungsstrafverfahren für den Beschuldigten auch die Rechtsfolge der Kontumazierung vorgesehen werden kann (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. März 1979, B 206/78 = VfSlg. 8497, und das hg. Erkenntnis vom 17. Mai 1988, Zl. 87/04/0181).

Wie der beschwerdeführende Bundesminister weiters richtig erkennt, handelt es sich bei den Zwangsmitteln des § 19 Abs. 3 AVG und der Rechtsfolge gemäß § 41 Abs. 3 VStG um auf gleicher Stufe stehende Folgen für die Nichtbefolgung der Ladung. Wird eine dieser Folgen im Ladungsbescheid angedroht, so kann - nicht zuletzt auch wegen des Inhaltes der Verordnung BGBl. II Nr. 508/1999 und des sonstigen Erscheinungsbildes des gegenständlichen Ladungsbescheides - kein Zweifel an der Qualität als Bescheid aufkommen, weshalb die belangte Behörde verpflichtet war, sich inhaltlich mit der dagegen erhobenen Berufung auseinander zu setzen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 14. September 2001

Schlagworte

Berufungsverfahren Bescheidcharakter Bescheidbegriff Bejahung des Bescheidcharakters Bescheidcharakter Bescheidbegriff Inhaltliche Erfordernisse Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000020275.X00

Im RIS seit

22.01.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten