TE Vwgh Erkenntnis 2001/9/20 98/11/0307

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Veröffentlicht am 20.09.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KFG 1967 §73 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des M in N, vertreten durch Dr. Gerald Kreuzberger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kalchberggasse 10/I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 27. Oktober 1998, Zl. 11-39-56/98-21, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Verwaltungsakt erliegt ein Befund des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag vom 7. Jänner 1997, der dem Beschwerdeführer anlässlich einer Untersuchung am 7. Jänner 1997 nicht augenscheinlich behinderten Gang und Bewegungsablauf sowie "beim Vorhalteversuch deutlich feinschlägiger Tremor" bescheinigt.

Im Verwaltungsakt erliegt weiters ein vom Beschwerdeführer vorgelegtes nervenfachärztliches Gutachten Dris. Z. vom 9. Oktober 1997, in dem nach einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 8. Oktober 1997 neurologisch leichte Zittererscheinungen der Finger, jedoch ohne Störung bei Zielversuchen, festgestellt werden. Reflexe seien lebhaft auslösbar, demnach bestehe eine gewisse vegetative Übererregbarkeit mit verständlicher Zunahme im Rahmen der fachärztlichen Untersuchung. Es lägen jedoch keinerlei Zeichen einer alkoholbedingten Polyneuritis oder Polyneuropathie vor. Zeigeversuche erfolgten zielsicher. Die romberg'sche Probe sei negativ, der Blindgang unauffällig.

Der Landeshauptmann von Steiermark forderte den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 28. Oktober 1997 auf, binnen zwei Wochen ab Rechtskraft des Bescheides zur Erstattung eines amtsärztlichen Gutachtens einen verkehrspsychologischen Untersuchungsbefund beizubringen.

Am 24. November 1997 wurde der Beschwerdeführer im psychologischen Zentrum des Instituts für klinisch-psychologische Diagnostik und Psychotherapie in L. untersucht. Das Ergebnis der Untersuchung wurde in einem Schreiben vom 28. November 1997 dahingehend zusammen gefasst, dass eine ausreichende kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Verkehrsanpassung beim Beschwerdeführer zurzeit nicht angenommen werden könne, weshalb der Beschwerdeführer aus verkehrspsychologischer Sicht zum Lenken von Kraftfahrzeugen derzeit nicht geeignet sei.

Mit Bescheid vom 18. März 1998 entzog die Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für die Gruppen A, B, C, E, F und G und sprach gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 aus, dass dem Beschwerdeführer eine neue Lenkerberechtigung erst bei Nachweis der Wiedererlangung der körperlichen und geistigen Eignung erteilt werden dürfe. Gemäß § 64 Abs. 2 AVG wurde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen.

In seiner dagegen erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer, dass sich die Behörde erster Instanz nicht mit dem von ihm vorgelegten Gutachten Dris. Z. beschäftigt und verkannt habe, dass bei der verkehrspsychologischen Untersuchung bloß eine Übererregbarkeit vorgelegen habe.

Am 31. Juli 1998 wurde der Beschwerdeführer von einem amtsärztlichen Sachverständigen der Fachabteilung für das Gesundheitswesen des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung untersucht. Im ärztlichen Gutachten vom 6. August 1998 wird ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer ausgeprägter Händetremor vorliege, der Finger-Nasen- und Finger-Finger-Versuch nicht zielgerichtet sei und im Rombergtest deutliches Schwanken erkennbar sei. Bei der nervenfachärztlichen Untersuchung am 9. Oktober 1997 wie auch bei der amtsärztlichen Untersuchung am 17. Jänner 1997 seien nur leichte Zittererscheinungen der Hände erwähnt worden. Es sei lediglich vegetative Übererregbarkeit diagnostiziert worden. Bei der nunmehrigen Nachuntersuchung könne glaubliche Alkoholabstinenz nicht angenommen werden. Vorgeschichte und Alkoholkonsum würden bagatellisiert und ergäbe schon die grob neurologische Untersuchung wiederum verstärkte Hinweise auf Alkoholmissbrauch. Sowohl Kritikfähigkeit als auch kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit erschienen gegenüber dem Bild bei der erstinstanzlichen Untersuchung sogar verschlechtert, das Ergebnis der verkehrspsychologischen Untersuchung sei schlüssig. Es bestehe weiterhin erheblicher Verdacht auf chronischen Alkoholmissbrauch, weshalb der Beschwerdeführer derzeit körperlich und geistig zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, C, E, F und G nicht geeignet sei.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 1998 wies der Landeshauptmann von Steiermark die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. In der Begründung führte der Landeshauptmann von Steiermark aus, aus dem ärztlichen Gutachten (des Amtssachverständigen) gehe schlüssig und nachvollziehbar hervor, dass weiterhin erheblicher Verdacht auf chronischen Alkoholmissbrauch bestehe, weshalb der Beschwerdeführer derzeit körperlich und geistig zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, C, E, F und G nicht geeignet sei. Dieses Gutachten sei dem Rechtsvertreter am 11. September 1998 mit der Einladung übermittelt worden, binnen zwei Wochen dazu schriftlich Stellung zu nehmen. Auf dieser Einladung habe der Rechtsvertreter mit Schriftsatz vom 28. September 1998 reagiert und den Antrag gestellt, die gewährte Stellungnahmefrist auf 19. Oktober 1998 zu verlängern. In einem neuerlichen Schriftsatz vom 19. Oktober 1998 sei sodann begehrt worden, die gewährte Stellungnahmefrist auf 9. November 1998 zu verlängern. Die Berufungsbehörde sei aber der Ansicht, dass es für den rechtsfreundlichen Vertreter möglich gewesen wäre, bis zum Tag der Bescheiderlassung eine entsprechende Stellungnahme abzugeben. Aus dem bereits von der Erstbehörde ihrem Bescheid zu Grunde gelegten verkehrspsychologischen Befund, der dem amtsärztlichen Gutachten zu Grunde gelegt worden sei, gehe hervor, dass der Beschwerdeführer schon aus verkehrspsychologischer Sicht keine Eignung zum Lenken der entzogenen Gruppen besitze. Im Übrigen sei Dr. Z. nicht zur Abgabe verkehrspsychologischer Befunde ermächtigt. Schließlich habe der Amtssachverständige der Berufungsbehörde in seinem Gutachten vom 6. August 1998 auf das nervenfachärztliche Gutachten Dris. Z. Bezug genommen und sich in der Befundaufnahme auch auf die eigene amtsärztliche Untersuchung bzw. Nachuntersuchung und den verkehrspsychologischen Befund gestützt und trotzdem eine Nichteignung ausgesprochen. Er habe auch darlegen können, warum weiterhin erheblicher Verdacht auf chronischen Alkoholmissbrauch bestehe, und diesen mit seiner grob neurologischen Untersuchung unterstrichen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet verlangt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Im Hinblick darauf, dass im Zeitpunkt des Inkrafttretens des FSG das gegenständliche Entziehungsverfahren bereits anhängig war, war dieses Verfahren nach den Vorschriften des KFG 1967 weiter zu führen.

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des KFG 1967 lauteten (auszugsweise):

"§ 73. (1) Besitzern einer Lenkerberechtigung, die nicht mehr im Sinne des § 66 verkehrszuverlässig, nicht mehr geistig oder körperlich geeignet oder nicht mehr fachlich befähigt sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken, ist die Lenkerberechtigung entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit ganz oder nur hinsichtlich bestimmter Gruppen zu entziehen oder durch Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit einzuschränken; dies gilt auch sinngemäß, wenn die geistige und körperliche Eignung nicht mehr in vollem Umfang gegeben ist oder nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und Nachuntersuchungen erforderlich sind."

§ 34 KDV lautete (auszugsweise):

"§ 34. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe hinreichend gesund gilt eine Person, bei der nicht festgestellt wurden:

...

d) Alkoholabhängigkeit oder chronischer Alkoholismus,

...

(3) Wenn sich bei der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung zur Feststellung der Gesundheit gemäß Abs. 1 lit. b, d oder e ein krankhafter Zustand ergibt, der die Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist eine Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt, der eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten einzubeziehen hat, anzuordnen."

Die belangte Behörde stützt sich, wie schon die Behörde erster Instanz, bei ihrer Annahme der Nichteignung des Beschwerdeführers auf das Ergebnis der verkehrspsychologischen Untersuchung vom 24. November 1997, welche vom Amtssachverständigen der belangten Behörde, allerdings ohne nähere Begründung, als schlüssig bezeichnet wurde. Wie die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung erkennen lässt, spricht sie dem Beschwerdeführer insbesondere die verkehrspsychologische Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat freilich schon in seiner bisherigen Judikatur die Auffassung vertreten, dass im Einzelfall nachvollziehbar sein muss, warum Testergebnisse eines Probanden nach Auffassung der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle außerhalb der Norm liegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 96/11/0190). Im vorliegenden Fall waren Grundlage der Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen des Beschwerdeführers offenbar die bei den einzelnen Tests am 24. November 1997 erzielten Testwerte zu den Punkten "Aufmerksamkeit, Konzentrations- und Beobachtungsfähigkeit", "Reaktionsverhalten", "Sensomotorik", "Intelligenz" und "Persönlichkeit". Die daraus abgeleiteten Beurteilungen der einzelnen Leistungsfunktionen sind allerdings mangels Angabe der der jeweiligen Beurteilung zu Grunde gelegten, nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte nicht nachvollziehbar. Hinzu tritt, dass den beigefügten Bewertungen wie "Nicht normgerechte Leistungen", "Unterdurchschnittliche Leistung", "Nicht normgerechte Reaktionssicherheit und reaktive Belastbarkeit", "In allen Geschwindigkeitsstufen überdurchschnittlich viele Reaktionsauslassungen", mangels Bezugnahme auf den jeweiligen Grenzwert nicht entnehmbar ist, ob (und in welchem Ausmaß) dieser erreicht oder verfehlt wurde. Derartige Aussagen sind auch der Zusammenfassung der Befunde im Schreiben vom 28. November 1997 nicht zu entnehmen. Die auf die verkehrspsychologische Stellungnahme gestützte ärztliche Stellungnahme, auf die die belangte Behörde ihrerseits ihre Auffassung stützt, der Beschwerdeführer besitze nicht mehr die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen bzw. die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, ist sohin nicht schlüssig, sodass die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers auf einem mangelhaften Ermittlungsverfahren beruht.

Falls die belangte Behörde mit ihrem Hinweis in der Begründung des angefochtenen Bescheides, es bestehe beim Beschwerdeführer Verdacht auf chronischen Alkoholmissbrauch, zum Ausdruck bringen wollte, sie gehe von einer bestehenden Alkoholabhängigkeit des Beschwerdeführers aus, so wäre sie auf § 34 Abs. 3 KDV zu verweisen. Nach dieser Bestimmung ist, wenn bei einer Person ein krankhafter Zustand (hier: iSd. § 34 Abs. 1 lit. d KDV) festgestellt wird, die Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt anzuordnen. Da nach der Aktenlage eine solche Untersuchung im vorliegenden Fall nicht vorgenommen worden ist, könnte keine Rede davon sein, dass der maßgebende Sachverhalt ausreichend ermittelt worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. März 1991, Zl. 90/11/0123).

Der angefochtene Bescheid war daher, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. September 2001

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998110307.X00

Im RIS seit

27.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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