TE UVS Vorarlberg 1991/02/26 3-50-01/91

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Veröffentlicht am 26.02.1991
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Betreff

Beschwerde gegen Anhaltung in Schubhaft

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Text

1. Der Verwaltungssenat geht bei der Frage seiner Prüfungsbefugnis nach § 5a des Fremdenpolizeigesetzes von folgendem aus:

 

1.1 Gemäß § 5a des Fremdenpolizeigesetzes hat derjenige, der in Schubhaft genommen oder angehalten wird, das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Festnahme oder Anhaltung anzurufen.

 

Aus den Materialien zur Novelle des Fremdenpolizeigesetzes BGBl. Nr. 21/1991 ergibt sich, daß mit dem neuen § 5a des Gesetzes den Anforderungen des Art. 6 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit entsprochen werden sollte. Nach diesem Art. 6 hat jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Bestimmung des Art. 6 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit wiederum ist an Art. 5 Abs. 4 MRK orientiert (vgl. die Erläuterungen auf Seite 7 der Beilage 134 des XVII. Nationalrates).

 

Es ist daher geboten, bei der Auslegung des § 5a des Fremdenpolizeigesetzes auf den Inhalt der genannten Grundrechtsbestimmungen und insbesondere auf das herrschende Verständnis des Art. 5 Abs. 4 MRK, von dem der Verfassungsgesetzgeber bei der Erlassung des Art. 6 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit wohl ausgegangen ist, Bedacht zu nehmen.

 

Dieses herrschende Verständnis des Art. 5 Abs. 4 MRK stellt sich nach Auffassung des Verwaltungssenates so dar, daß das richterliche Organ jene Umstände zu überprüfen hat, die nach Art5 Abs1 MRK für die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung einer Person maßgeblich sind. Auf die Schubhaft bezogen bedeutet dies die Überprüfung der Haft im Hinblick auf ihre Notwendigkeit (und Verhältnismäßigkeit) in "einem schwebenden Ausweisungsverfahren" (vgl. dazu Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, S 13; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar (1985), S 85f und S 100; Trechsel, Die Garantie der persönlichen Freiheit (Art. 5 EMRK) in der Straßburger Rechtsprechung, EuGRZ 1980, S 529f).

 

Der Verwaltungssenat hat somit zu prüfen, ob die Schubhaft zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung nach § 5 des Fremdenpolizeigesetzes im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder zur Verhinderung eines unmittelbar zu befürchtenden strafbaren Verhaltens des Fremden erforderlich ist.

 

1.2 Bei der Beschlußfassung des neuen § 5a des Fremdenpolizeigesetzes wurde der § 11 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, der u.a. eine Berufungsmöglichkeit an die Sicherheitsdirektion gegen Bescheide über die Verhängung einer Schubhaft vorsieht, nicht geändert.

1.2.1 Der Gesetzgeber ist bei der Erlassung der Novelle zum Fremdenpolizeigesetz BGBl. Nr. 21/1991 offenbar von einem zulässigen Nebeneinander dieser beiden Rechtsschutzinstrumente ausgegangen. Tatsächlich lassen zahlreiche Unterschiede zwischen der Beschwerde nach § 5a des Fremdenpolizeigesetzes und einer Berufung gegen den Schubhaftbescheid die Annahme gerechtfertigt erscheinen, daß keine unzulässige Zuständigkeitskonkurrenz von Verwaltungssenat und Berufungsbehörde vorliegt. Der Verwaltungssenat hat in einem Verfahren, das dem Verfahren über Maßnahmenbeschwerden nachgebildet und für das die Raschheit der Entscheidung ganz wesentlich ist, die Rechtmäßigkeit der Haft zu prüfen. Die Berufungsbehörde dagegen hat zu prüfen, ob der Bescheid der ersten Instanz in jeglicher Hinsicht rechtmäßig ist, beispielsweise auch hinsichtlich der Begründung. Während die Entscheidungsbefugnis des Verwaltungssenates in ihrer Auswirkung als "kassatorisch" umschrieben werden kann, hat sich die Berufungsbehörde mit dem vorliegenden Fall in gleicher Weise wie die Behörde erster Instanz zu befassen. Sie hat daher u.a. auch ein allenfalls bestehendes Ermessen auszuüben und kann den Bescheid nach jeder Richtung abändern. Der Verwaltungssenat hat die Rechtmäßigkeit der Haft auch dahingehend zu prüfen, ob der Schubhaftbescheid ordnungsgemäß zugestellt und vollstreckbar ist oder ob die weitere Anhaltung einer einmal rechtmäßig festgenommenen Person rechtmäßig ist. Letzteres wäre beispielsweise nicht mehr gegeben, wenn eine für den Schubhaftbescheid wesentliche Voraussetzung später entfallen ist oder wenn das Ausweisungsverfahren nicht mit der erforderlichen Beschleunigung durchgeführt wird (vgl. z.B. Rosenmayr, S 10).

 

Bei diesem Nebeneinander der beiden Rechtsschutzinstrumente könnte die oben angeführte Frage der Notwendigkeit der Schubhaft für die Berufungsbehörde die Hauptfrage eines Verfahrens, das von einer anderen Behörde zu führen ist, und somit eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG mit den dort näher geregelten Folgen sein.

 

Es kann im konkreten vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob dieses Nebeneinander der beiden Rechtsmittel sowie die erwähnte kassatorische Art und die geforderte Raschheit der Beschwerdeentscheidung aber nicht auch die Annahme rechtfertigen, daß der Prüfungsmaßstab für die Frage der Notwendigkeit der Schubhaft bei der Beschwerde nach § 5a des Fremdenpolizeigesetzes ein gröberer sein darf. Mit dem Art. 5 Abs. 4 MRK schiene eine solche Auslegung vereinbar. Diese Frage kann im vorliegenden Fall deswegen dahingestellt bleiben, weil - wie später ausgeführt - auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes die Rechtmäßigkeit der Haft feststeht.

 

1.2.2 Wenn man aber davon ausgeht, daß bei einem Nebeneinander beider Rechtsschutzinstrumente eine allenfalls verfassungsrechtlich unzulässige konkurrierende Zuständigkeit von Verwaltungssenat und Berufungsbehörde vorläge, dann wäre eine verfassungskonforme Interpretation dahingehend zu prüfen, daß dem § 11 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes hinsichtlich der Berufungsmöglichkeit gegen Schubhaftbescheide durch den § 5a des Fremdenpolizeigesetzes derogiert wurde (vgl. VfGH 7.12.1989, G 237-240/89, S 15f).

 

 

1.2.3 Wäre eine solche Interpretation nicht zulässig, dann wäre bei Annahme einer verfassungsrechtlich unzulässigen Zuständigkeitskonkurrenz eine der beiden genannten Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes verfassungswidrig. Der Verwaltungssenat geht davon aus, daß in diesem Fall der Verfassungsgerichtshof eher die Worte "die Schubhaft verhängt (§ 5)" im § 11 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes als den § 5a des Fremdenpolizeigesetzes in Prüfung ziehen würde. Dafür spräche, daß es sich beim § 5a des Fremdenpolizeigesetzes um eine wegen des Art. 6 Abs. 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit und des Art. 5 Abs. 4 MRK verfassungsrechtlich gebotene Bestimmung handelt und daß eine Aufhebung des § 5a des Fremdenpolizeigesetzes - bei der hier angenommenen Entscheidungsidentität hinsichtlich der Prüfung der Notwendigkeit der Schubhaft - einen wesentlich größeren Eingriff in den Rechtsschutz der Betroffenen bedeuten würde (vgl. dazu auch dem Erkenntnis VfSlg. 3673 sowie dem Grundsatz der verfassungskonformen Interpretation zugrundeliegende Überlegungen). Die Bestimmung des Art. 129a Abs. 1 B-VG stünde diesem Ergebnis nicht entgegen, weil es sich bei der Beschwerde nach § 5a jedenfalls um ein Rechtsschutzinstrument "sui generis" handelt, bei dem eine vorherige Erschöpfung eines administrativen Instanzenzuges von vornherein nicht in Betracht kommt.

 

1.3 Eine Prüfung des Bescheides über das Aufenthaltsverbot ist dagegen nach Auffassung des Verwaltungssenates in einem Verfahren nach § 5a des Fremdenpolizeigesetzes nicht zulässig. Nach den genannten Grundrechtsbestimmungen ist nur über die Rechtmäßigkeit der Haft, nicht aber über die Rechtmäßigkeit der Abschiebung zu entscheiden, in welchem Fall Art. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK anwendbar wäre (vgl. Rosenmayr, S 13f; Trechsel, S 527 sowie VfSlg. 8996).

 

Das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Grundrecht auf Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK wird - ungeachtet des Umstandes, daß die im § 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz des Fremdenpolizeigesetzes enthaltenen Tatbestände auch eine entsprechende Deckung im Art. 8 Abs. 2 MRK haben - in den gesetzlichen Bestimmungen über das Aufenthaltsverbot berücksichtigt und ist im Zusammenhang mit den diesbezüglichen Verfahren zu beachten.

 

2. Der Verwaltungssenat beurteilt den vorliegenden Sachverhalt wie folgt:

 

2.1 Die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers erfolgte zur Sicherung seiner Abschiebung (§ 5 Abs. 1 erster Halbsatz des Fremdenpolizeigesetzes). Über den Beschwerdeführer wurde von der Bezirkshauptmannschaft am 11. Dezember 1990 ein bis zum 31. Dezember 1995 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Die Schubhaft diente der Vollstreckung dieses Aufenthaltsverbotes.

 

2.2 Auch die weitere Voraussetzung der Notwendigkeit der Schubhaft ist zu bejahen. Der Beschwerdeführer ist dem erwähnten Aufenthaltsverbot zuwider neuerlich in das Bundesgebiet eingereist. Er hat damit neuerlich - wie schon vor der Erlassung des Aufenthaltsverbotes der Bezirkshauptmannschaft Landeck - gegen grundlegende fremdenpolizeiliche Vorschriften verstoßen. Dieser grobe Verstoß gegen die Rechtsordnung rechtfertigt die Annahme, daß die Verhängung der Schubhaft im Interesse der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit notwendig ist (§ 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz, 1. Fall). Es muß angenommen werden, daß in diesem Fall die österreichische Rechtsordnung nicht ohne die Maßnahme der Schubhaft durchgesetzt werden könnte.

 

Auf die alternative Voraussetzung der Verhinderung eines unmittelbar zu befürchtenden strafbaren Verhaltens des Fremden (§ 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz, 2. Fall) muß daher nicht mehr eingegangen werden.

 

2.3 Das Verfahren hat ergeben, daß der Schubhaftbescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 17. Dezember 1991 vollstreckbar ist.

 

2.4 Nach der Erlassung des Schubhaftbescheides ist während der Dauer der Schubhaft keine Voraussetzung für die Erlassung des Schubhaftbescheides weggefallen. Die Schubhaft ist auch nach Erlassung des Schubhaftbescheides nicht rechtswidrig geworden.

 

2.5 Es wird daher festgestellt, daß die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft rechtmäßig war.

Schlagworte
Prüfungsumfang bei Schubhaftbeschwerden, Notwendigkeit der Schubhaft
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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