TE Bescheid 1991/06/17 02/31/1/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.06.1991
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Betreff

Rechtsverletzung durch Festnahme und Anhaltung der Beschwerdeführerin im Verlauf ihrer Einvernahme als Verdächtige; Festnahme im Dienste der Strafjustiz.

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben und die am 10.12.1990 um 19.15 Uhr erfolgte Festnahme und die daran anschließende Anhaltung der Beschwerdeführerin bis 12.12.1990, 9.40 Uhr, durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 67c Abs 3 AVG für rechtswidrig erklärt.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat der Beschwerdeführerin gemäß § 79a AVG Kosten in Höhe von S 20.394,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Text

Begründung:

I.1. In ihrer Beschwerde vom 21.1.1991 bringt die Beschwerdeführerin im wesentlichen vor, sie sei am 10.12.1990 um

18.15 Uhr oder 19.15 Uhr in dem von ihr betriebenen Cafe "M", von Organen der Bundespolizeidirektion Wien, Sicherheitsbüro, festgenommen worden, wobei als Haftgrund angegeben worden sei, die Beschwerdeführerin wüßte über Faustfeuerwaffen aus einem Einbruchsdiebstahl sowie über Pelzmäntel und Uhren Bescheid, deren Herkunft bedenklich sei. Es hätte daher angeblich der Verdacht bestanden, die Beschwerdeführerin habe die Waffen bzw die bedenklichen Gegenstände vorläufig in ihrer Wohnung verwahrt. Tatsächlich sei zwar gegen den geschiedenen Gatten der Beschwerdeführerin L wegen Verdachtes der Hehlerei ermittelt worden, doch habe hinsichtlich der Beschwerdeführerin überhaupt kein Tatverdacht bestanden, weswegen die Festnahme ohne Einholung eines richterlichen Haftbefehles nicht gerechtfertigt gewesen sei. Gefahr im Verzug habe schon deshalb nicht bestanden, weil der richterliche Befehl auch telefonisch direkt im Cafe der Beschwerdeführerin eingeholt hätte werden können. Für die Verfassung der Beschwerde wurden Kosten iH von S 15.000.--(incl USt) verzeichnet.

2. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und verzichtete gemäß § 67d Abs 2 AVG ausdrücklich auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung. Für den Fall des vollständigen Obsiegens der Beschwerdeführerin beantragte die belangte Behörde, bloß den Ersatz der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten, nicht jedoch die von der Beschwerdeführerin begehrten - bisher in Maßnahmebeschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zuerkannten Kosten - zuzusprechen, und zwar nach den in den Autonomen Honorar-Richtlinien vorgesehenen Sätzen. II.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat am 7.5.1991 im Beisein des Beschwerdevertreters eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Kriminalbeamten Gruppeninspektor G, Gruppeninspektor S und Bezirksinspektor S von der Bundespolizeidirektion Wien als Zeugen einvernommen wurden. Aufgrund dieser Verhandlung und nach dem Inhalt der Verwaltungsakten wird folgender Sachverhalt festgestellt:

Im Zeitraum zwischen 23. und 24.11.1990 wurde (zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit) in Wien ein Einbruchsdiebstahl in ein Waffengeschäft verübt und eine große Anzahl von Waffen gestohlen. Aufgrund der Ermittlungen der Bundespolizeidirektion Wien, Sicherheitsbüro, stellte sich heraus, daß vermutlich verschiedene Personen, die mit dieser Tat in Zusammenhang stehen, im Cafe der Beschwerdeführerin (namens "M", vormals "H") verkehren. Insbesondere wurde der geschiedene Ehegatte der Beschwerdeführerin, L, der ihr bei der Einführung ihres Cafes nach der Übernahme durch sie behilflich und dort daher öfters anwesend war, verdächtigt, und zwar möglicherweise am Einbruchsdiebstahl beteiligt gewesen zu sein, jedenfalls aber als Hehler beim versuchten Verkauf der Faustfeuerwaffen mitgewirkt zu haben. Deswegen wurden Kontakte zwischen ihm und allfälligen anderen Tätern vermutet.

Neben anderen Wiener Telefonanschlüssen (seit 30.11.1990) wurde ab 3.12.1990 aufgrund des Beschlusses des Landesgerichtes für Strafsachen vom 3.12.1990 (Verwaltungsakt Seite 51) jener des Cafes "M" überwacht und der Inhalt der Gespräche aufgezeichnet. Am 1.12.1990 wurden Gespräche zwischen der Beschwerdeführerin und L aufgezeichnet, in denen dieser die Beschwerdeführerin aufforderte, aus bestimmten Kleidungsstücken Firmenetiketten vorsichtig herauszutrennen und ihm zu geben. Zusammen mit dem Inhalt anderer Telefongespräche schlossen die ermittelnden Beamten daraus, daß die Beschwerdeführerin möglicherweise an der Hehlerei von Pelzmänteln beteiligt sei. Am 4.12.1990 sprach die Beschwerdeführerin weiters mit ihrem geschiedenen Gatten über aktuelle Zeitungsartikel, in denen über den Einbruch in das Waffengeschäft berichtet wurde (Telefonüberwachungsbericht, Verwaltungsakt Seiten 91 und 96).

Am 10.12.1990 um 16.00 Uhr wurde L wegen Verdachtes des Einbruchsdiebstahles und der gewerbsmäßigen Hehlerei festgenommen. Am selben Tag nach 19.00 Uhr begaben sich zumindest vier Beamte der Bundespolizeidirektion Wien, Sicherheitsbüro, ins Cafe "M" (Verwaltungsakt S 68).

Sie konfrontierten die Beschwerdeführerin mit den Ergebnissen der Telefonüberwachung und befragten sie zu den Gesprächen mit L betreffend die Zeitungsartikel über den Einbruchsdiebstahl und zu der Entfernung der Etiketten aus den Kleidungsstücken. Die Beschwerdeführerin bestritt jeglichen Zusammenhang mit strafbaren Handlungen, sogar, daß sie mit L telefoniert habe; daraufhin wurde sie um 19.15 Uhr ohne richterlichen Haftbefehl wegen Verabredungs- und Verdunkelungsgefahr festgenommen.

Im Cafe befand sich ein Telefonapparat; die Beamten versuchten nicht, telefonisch einen richterlichen Haftbefehl einzuholen, weil im Lokal etliche Personen anwesend waren, bei denen sie einen Zusammenhang mit den Straftaten nicht von vornherein ausschlossen. Keiner der Kriminalbeamten überprüfte, ob sich in der Nähe des Festnahmeortes ein weiteres Telefon befand, von dem aus (ungestört) ein fernmündlicher Kontakt mit dem Untersuchungsrichter hätte hergestellt werden können.

2. Diese Feststellungen gründen sich auf die im wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der in der Verhandlung am 7.5.1991 einvernommenen Zeugen G, S und S, deren Sachverhaltsdarstellungen im übrigen auch mit dem Beschwerdevorbringen nicht in Widerspruch stehen, sowie auf den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten. Der Festnahmezeitpunkt (19.15 Uhr) ergibt sich einerseits aus der Aktenlage (Anhaltemeldung VwAkt S 68), andererseits aus der unbedenklichen Aussage des Zeugen S, der angab, "nach 19.00 Uhr" im Lokal eingetroffen zu sein (UVS-Akt S 28). Der von der BPD Wien in der Sachverhaltsmitteilung an die Staatsanwaltschaft Wien mit

"18.15 h" angegebene Zeitpunkt des Beginnes der Verwahrungshaft der Beschwerdeführerin (VwAkt S 95) beruht offenkundig auf einem Schreibfehler.

III. Die rechtliche Beurteilung ergibt folgendes:

1. Anzuwendende Rechtslage und Zulässigkeit der Beschwerde:

a) Nach dem AVG-Übergangsrecht 1991, BGBl Nr 51, sind am 1. Jänner 1991 anhängige Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl Nr 357/1990 (1. Jänner 1991) geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Anhängig ist ein Verfahren über eine Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ab der Einbringung der Beschwerde; da im

vorliegenden Fall die Beschwerde nach dem 1.1.1991 eingebracht wurde, ist der Unabhängige Verwaltungssenat Wien - da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen - gemäß § 67a Abs 1 Z 2 iVm § 67c AVG zur Entscheidung zuständig.

b) Art 8 Abs 4 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit lautet folgendermaßen:

"Im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesverfassungsgesetzes anhängige Verfahren, die in diesem Bundesverfassungsgesetz geregelte Angelegenheiten betreffen, sind nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen; dies gilt auch für Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und vor dem Verfassungsgerichtshof". Diese Übergangsbestimmung ist nach ihrem eindeutigen Wortlaut so zu interpretieren, daß sie sich lediglich auf jene Verfahren bezieht, die mit 1.1.1991 bereits anhängig waren; sie erstreckt sich nicht auf die nach diesem Zeitpunkt anhängig gewordenen Verfahren. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer faktischen Amtshandlung ist daher - mangels ausdrücklicher anderslautender Übergangsbestimmung - anhand der im Zeitpunkt des Verwaltungshandelns geltenden Rechtslage zu beurteilen, hier also an der vor dem 1.Jänner 1991 in Kraft getretenen.

2. a) Die Beschwerdeführerin wurde im Dienste der Strafjustiz ohne Vorliegen eines richterlichen Haftbefehles verhaftet. Es ist daher nach § 177 iVm § 175 StPO zu prüfen, ob die Verhaftung in einem der "vom Gesetze bestimmten Fälle" im Sinne des § 4 des Gesetzes vom 27.10.1862, RGBl 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, erfolgt ist.

b) Zur selbständigen Beurteilung und Wahrnehmung des - von den einschreitenden Beamten herangezogenen (VwAkt S 68 verso) - Haftgrundes der Verdunkelungs- und Verabredungsgefahr nach § 175 Abs 1 Z 3 StPO waren diese nach Maßgabe des § 177 Abs 1 Z 2 StPO nur dann befugt, wenn die Einholung eines richterlichen Befehls wegen Gefahr im Verzug nicht tunlich war (vgl hiezu die ständige Rechtsprechung  des VfGH, zB VfSlg 8298/1978, 9701/1983). Für die Prüfung der Frage, ob wegen Gefahr im Verzug die Einholung eines richterlichen Haftbefehles nicht tunlich ist, gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ein äußerst strenger Maßstab: Von der grundsätzlichen Regel, daß ein richterlicher (Haft-)Befehl einzuholen ist, darf nur in besonderen Ausnahmsfällen, wenn die besonderen Umstände eine Einholung nicht erlauben, abgegangen werden (vgl zB VfSlg 8680/1979). Untunlich wegen Gefahr im Verzug ist die Einholung eines richterlichen Befehls unter anderem dann nicht, wenn der zu einem Haftgrund führende Verdacht zu einem Zeitpunkt entsteht, in dem noch ein schriftlicher Haftbefehl eingeholt oder mit dem Untersuchungsrichter des zuständigen Gerichtes während der Dienst- und Journaldienststunden unverzüglich eine fernmündliche Verbindung hergestellt werden kann (VfSlg 4450/1963, 4624/1963, 11518/1987).

Erst nach allfälligem Fehlschlagen eines - vor der Festnahme zu unternehmenden - Versuches, mit dem Untersuchungsrichter das Einvernehmen zu pflegen, darf das einschreitende Organ selbständig prüfen, ob die gesetzlichen Bedingungen für eine Verhaftung vorliegen (VfSlg 4624/1983 und E vom 27.2.1984, B 416/83).

c) In der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 7.5.1991 gab der Einsatzleiter (GI G) an, eine Festnahme sei ursprünglich nicht beabsichtigt gewesen, weil er angenommen hätte, die Sache ließe sich ohne Festnahme im Zuge einer bloßen Einvernahme der Beschwerdeführerin klären; deshalb hätte er auch vorher keinen richterlichen Haftbefehl eingeholt (UVS-Akt Seite 29 verso). Weiters brachten die einvernommenen Kriminalbeamten übereinstimmend vor, sie hätten  dann, als sie die Festnahme schließlich für erforderlich hielten, über das Telefon des Cafes "M" aus kriminaltaktischen Gründen keinen richterlichen Haftbefehl eingeholt, weil das Lokal übel beleumundet sei und einige der anwesenden Gäste und Kellner möglicherweise im Zusammenhang mit den Straftaten gestanden seien. Die Beamten räumten aber ein, gar keinen Versuch unternommen zu haben, von einem anderen Ort aus zu telefonieren.

d) Bei dieser Sachlage kommt der Unabhängige Verwaltungssenat Wien zu dem Ergebnis, daß die Kriminalbeamten im Lichte der oben dargelegten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, die für den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien unverändert maßgeblich ist, nicht zur selbständigen Beurteilung und Wahrnehmung des Vorliegens eines Haftgrundes berechtigt waren:

Zum einen entstand der konkrete Verdacht der Hehlerei gegen die Beschwerdeführerin nicht erst unmittelbar vor der Festnahme, sondern bereits bei der Telefonüberwachung, spätestens also nach dem Gespräch vom 4.12.1990. Selbst wenn es ohne Gefährdung von Aufklärungsinteressen nicht möglich gewesen sein sollte, vom Cafe "M" aus einen richterlichen Haftbefehl einzuholen, hat das Verfahren nicht ergeben, daß es auch anderweitig nicht möglich gewesen sei, den Untersuchungsrichter zu erreichen; die Beamten haben dies nicht einmal versucht. Bei der Festnahme waren zumindest vier Beamte anwesend, sodaß einer von ihnen ohne weiteres ein Telefon außerhalb des Lokales aufsuchen hätte können (vgl hiezu das Erkenntnis VfSlg 9107/1983).

Andere Umstände, die die Einholung eines richterlichen Haftbefehls wegen Gefahr im Verzug als nicht tunlich erscheinen ließen, sind nicht hervorgekommen. Das Vorhaben der Kriminalbeamten, möglichst rasch eine Hausdurchsuchung bei einer anderen, ebenfalls der Hehlerei verdächtigen Person durchführen zu können (s Zeugenaussage UVS-Akt S 29 verso), stellt keinen solchen Umstand dar.

Der Unabhängige Verwaltungssenat verkennt nicht, daß  die Einhaltung der angeführten gesetzlichen Bestimmungen fallweise auch dazu führen kann, daß polizeiliche Ermittlungen erschwert werden, doch wird dies vom Gesetzgeber zugunsten des Rechtsschutzes - wie die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zeigt - in Kauf genommen.

3. Die Festnahme der Beschwerdeführerin war daher im Gesetz nicht begründet, weswegen sie durch die Festnahme und die daran anschließende Anhaltung in ihren Rechten verletzt wurde.

IV. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 79a AVG; die Höhe wurde anhand des Rechtsanwaltstarifgesetzes (RAT) und der Autonomen Honorar-Richtlinien (AHR) wie folgt bemessen:

Bemessungsgrundlage gemäß § 5 Z 38 AHR: S 300.000.--

Beschwerdeschriftsatz, TP 3 A RAT           S  4.532,--

Verhandlung (Dauer 3/2 Stunden), TP 3 A     S  6.798,--

                                            ___________

                                            S 11.330,--

Einheitssatz 50 %, § 23 RAT                 S  5.665,--

                                            ___________

                                            S 16.995,--

20 % USt                                    S  3.399,--

                                            ___________

Summe:                                      S 20.394,--

Das Kostenmehrbegehren (vgl die in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung am 7.5.1991 vorgelegten Kostennote, UVS-Akt Seite 30, verzeichneten Kosten von insgesamt S 28.440.--) war - als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig - abzuweisen.

Der Kostenersatz war im Sinne der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts dem Bund aufzuerlegen, da die Organe für diesen Rechtsträger funktionell tätig wurden (vgl unter vielen anderen VfSlg 11335/1987).

V. Der vorliegende Bescheid erging schriftlich, weil die Parteien des Verwaltungsverfahrens ausdrücklich auf die Anberaumung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung (auch) zur Verkündung des Bescheides gemäß § 67g AVG verzichtet haben (siehe UVS-Akt Seite 9 und 25 verso).

Schlagworte
Festnahme; Anhaltung;
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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