TE Vfgh Beschluss 1998/10/17 G96/98, G97/98

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Veröffentlicht am 17.10.1998
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9440 Krankenanstalt, Spital

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
ZPO §190
Nö KAG 1974 ArtII, ArtIII Abs2 der 8. KAG-Nov, LGBl 9440-9

Leitsatz

Zurückweisung von Gesetzesprüfungsanträgen eines Gerichtes mangels Präjudizialität aufgrund denkunmöglicher Beurteilung der Präjudizialitätsfrage durch das antragstellende Gericht

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit Beschluß vom 22.4.1998, 7 Ra 120/98p, stellt das Oberlandesgericht Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Rekursverfahrens den zu G96/98 protokollierten Antrag auf Aufhebung der ArtII und III Abs2 der Novelle des Niederösterreichischen Krankenanstaltengesetzes, LGBl. Nr. 9440-9, (im folgenden: NÖ KAG-Nov) als verfassungswidrig.

Im Antrag wird ausgeführt, daß der Kläger, der aufgrund eines Sondervertrages als Primararzt der Landesnervenklinik Mauer in einem Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich stehe, mit am 15.2.1995 beim Erstgericht erhobenen Klage von seinem Dienstgeber als Rechtsträger des Krankenhauses einen ziffernmäßig näher bestimmten Teil des ihm seiner Auffassung nach zustehenden, aber von der beklagten Partei einbehaltenen ärztlichen Honorars für den Zeitraum vom ersten Quartal 1992 bis zum dritten Quartal 1995 begehrt habe. Das Klagebegehren sei mit der Begründung bestritten worden, daß der nicht ausbezahlte Anteil an Sondergebühren deshalb kein ärztliches Honorar im Sinne des §45 Abs2 des NÖ KAG darstelle, weil diesem keine ärztlichen Leistungen, sondern Leistungen der Rechtsträger als Spitalserhalter zugrunde liegen würden.

Mit Beschluß vom 15.12.1997 habe das Erstgericht das Verfahren mit der Begründung unterbrochen, daß durch ArtII und ArtIII Abs2 der NÖ KAG-Nov eine von ihm zu berücksichtigende rückwirkende Änderung der Rechtslage erfolgt sei. Das Oberlandesgericht Wien habe bereits beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung dieser Vorschriften gestellt. Aus prozeßökonomischen Gründen sei daher das Verfahren zu unterbrechen.

Gegen diesen Beschluß habe die beklagte Partei Rekurs mit der Begründung erhoben, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Unterbrechung des Verfahrens nicht gegeben seien und begehrt, den bekämpften Beschluß aufzuheben und dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens aufzutragen.

Aus Anlaß dieses Rekurses sei, so das Oberlandesgericht Wien, zu erwägen, "daß zur Überprüfung der vom Erstgericht zum Anlaß der Unterbrechung genommenen Präjudizialität wiederum die Rechtsfrage der ... Bedenken gegen die anzufechtenden Bestimmungen zu beurteilen ist." Aus diesem Grund werde der - eingangs erwähnte - Antrag gestellt, in welchem auch gleichheitsrechtliche Bedenken gegen die angefochtenen Vorschriften dargelegt werden.

1.2. Mit einem weiteren Beschluß vom 22.4.1998, 7 Ra 119/98s, stellt das Oberlandesgericht Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen einen zweiten Antrag auf Aufhebung der ArtII und III Abs2 NÖ KAG-Nov als verfassungswidrig. Dieser ist zu G97/98 protokolliert. Er ist im wesentlichen textgleich mit dem zu G96/98 anhängigen Antrag, dessen Inhalt oben (Punkt 1.1.) wiedergegeben wurde, und betrifft einen gleichgelagerten Sachverhalt.

1.3.1. In beiden Verfahren haben die Niederösterreichische Landesregierung sowie die klagende und die beklagte Partei jeweils eine Äußerung erstattet, wobei die Niederösterreichische Landesregierung und die jeweils beklagte Partei der Präjudizialitätsannahme des antragstellenden Gerichtes entgegengetreten sind.

1.3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in beiden Verfahren das antragstellende Gericht dazu aufgefordert darzulegen, inwieweit es die angefochtenen Vorschriften in den Anlaßverfahren anzuwenden habe. Das Oberlandesgericht hat darauf nicht reagiert.

2. Die - zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Anträge sind aus dem Grunde mangelnder Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen unzulässig:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989).

2.2. Dies ist hier der Fall. Die Präjudizialitätsfrage wurde vom antragstellenden Gericht in beiden Verfahren nicht ausdrücklich erörtert, gleichwohl aber (implizit) offenkundig denkunmöglich beurteilt: Gegenstand der bei ihm anhängigen Verfahren ist jeweils nicht die Frage der rechtlichen Beurteilung des geltend gemachten Klagebegehrens, sondern die Frage, ob das Erstgericht gestützt auf §190 ZPO das Verfahren unter Hinweis auf ein in einem anderen Verfahren anhängig gemachtes Gesetzesprüfungsverfahren unterbrechen durfte, d.h., ob die in dieser Bestimmung normierten Voraussetzungen vorliegen. Da das Rekursgericht somit (noch) nicht meritorisch über die Klagebegehren zu entscheiden hat, ist es denkunmöglich, daß es in diesem Verfahrensstadium bei einer Entscheidung über die Rekurse die ArtII und III Abs2 der NÖ KAG-Nov anzuwenden hätte.

Es fehlt ihm daher an der Anfechtungslegitimation, weshalb die Anträge zurückzuweisen waren.

3. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Krankenanstalten, Arztgebühren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G96.1998

Dokumentnummer

JFT_10018983_98G00096_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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