TE UVS Niederösterreich 1991/09/30 Senat-B-91-004

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Veröffentlicht am 30.09.1991
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Zur Frage der Kosten und der anzuwendenden Norm wird auf das Erkenntnis des VerwGH vom 17.2.1992, Zl 91/19/0327 hingewiesen. Spruch

Der Beschwerde wird gemäß §67c Abs3 AVG stattgegeben.

 

Es wird festgestellt, daß die Beschwerdeführerin am 9.2.1991 um 04.15 Uhr durch ein Organ der Bezirkshauptmannschaft xx rechtswidrigerweise festgenommen und bis 07.00 Uhr rechtswidrigerweise angehalten wurde.

 

Der Bund hat der Beschwerdeführerin gemäß §79a AVG iVm §59 Abs2 AVG die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten in Höhe von S 8.397,60 bei sonstiger Exekution binnen zwei Wochen zu ersetzen.

 

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Text

I.

 

Mit der auf §67a Abs1 Ziff2 AVG gestützten Beschwerde behauptet die Beschwerdeführerin eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit ("Art8 StGG und Art5 MRK") und bringt im wesentlichen vor, am 9.2.1991 um 04.15 Uhr in Ausübung ihrer Tätigkeit als selbstständiges Fotomodell bei einer Intervention eines Beamten der Bezirkshauptmannschaft xx unter Assistenzleistung der örtlichen Gendarmerie in xx im Haus xx wegen angeblichen Verstoßes gegen die GewO und der Weigerung, eine Strafe in Höhe von S 1.000,-- zu bezahlen, festgenommen und bis 07.00 Uhr widerrechtlich angehalten worden zu sein.

 

Die belangte Behörde hat eine Stellungnahme abgegeben und die Amtshandlung durch Vorlage des Verwaltungsstrafaktes dokumentiert. Im Haus xx, xx werde unter der Bezeichnung "xx" ein illegales Bordell betrieben, die Beschwerdeführerin sei kein Fotomodell, sondern stehe im Verdacht, die Prostitution auszuüben.

Unter anderem aus der Art des Inventars: Theke, Barhocker, Tische und diverse Sitzgelegenheiten, einer typischen Nachtlokalatmosphäre, des Vorhandenseins eines Getränkelagers und des Umstandes, daß mehrere Gäste vor sich auf den Tischen Getränke stehen gehabt hätten, sei für das einschreitende Organ der Tatbestand der unerlaubten Gewerbeausübung in der Betriebsart Barbetrieb gegeben gewesen.

Man habe aufgrund früherer Informationen und des bei der Amtshandlung am 9.2.1991 gewonnenen Eindrucks auf eine erwerbswirtschaftliche Absicht schließen können, die Beschwerdeführerin demnach also bei der Ausübung einer Verwaltungsübertretung nach der GewO 1973 auf frischer Tat betreten. Dem Aktenvermerk vom 11.2.1991 zufolge sei der Erlag einer Sicherheitsleistung nach §37 VStG abgelehnt worden. Es entspreche den Erfahrungswerten des täglichen Lebens, daß Prostituierte häufig den Wohnsitz wechseln bzw unangemeldet als "U-Boote" leben, um sich behördlichen Zugriffen oder der Strafverfolgung zu entziehen. Es sei deshalb gemäß §35 bzw §37a VStG 1950 die Festnahme und Vorführung zur Behörde erfolgt. Nach Ausfolgung der Strafverfügung sei die Festnahme aufgehoben worden.

In der Stellungnahme vom 28.4. wird dazu ergänzend und berichtigend ausgeführt, es sei Gendarmerieorganen zum Zweck der Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens vor der Behörde die Festnahme gemäß §35 litb VStG 1991 aufgetragen worden. Es sei aber auch noch der Festnahmegrund nach §35 litc VStG 1991 gegeben gewesen, weil die Beschwerdeführerin die Fortsetzung ihrer Tätigkeit in Aussicht gestellt habe.

Nach Überstellung der Festgenommenen auf den Gendarmerieposten xx und Aushändigung einer SV sei die Entlassung, entgegenkommenderweise auch die Zurückstellung zum Festnahmeort verfügt worden.

 

II. Der Unabhängige Verwaltungssenat stellt zunächst fest:

 

Der Art8 StGG vom 21.12.1867, RGBl Nr 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder sowie das Gesetz vom 27.10.1862 RGBl Nr 87 zum Schutz der persönlichen Freiheit sind einschließlich ihrer Erwähnung in Art149 Abs1 B-VG aufgehoben und durch das Bundesverfassungsgesetz vom 29.11.1988, BGBl Nr 648, über den Schutz der persönlichen Freiheit ersetzt.

 

Die Anführung dieser nicht mehr in Geltung stehenden Rechtsvorschriften durch den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird jedoch als unbeachtlich gewertet, hat sich doch die Beschwerdeführerin entsprechend der seit 1.1.1991 geltenden Rechtslage richtigerweise an den örtlichen zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenat im Land NÖ gewendet (Art129a Abs1 Ziff2 BGBl Nr 1988/685) und dabei ausdrücklich auf §67a Abs1 Ziff2 AVG gestützt.

 

Das gleiche gilt für die Zitierung der von der belangten Behörde zur Begründung der Zulässigkeit der Festnahme herangezogenen Gesetzesstellen.

Gemäß ArtVI des Abschnittes A der Kundmachung des Bundeskanzlers mit der das Verwaltungsstrafgesetz wieder verlautbart wird (BGBl Nr 51/1991) lautet die richtige Zitierweise entweder Verwaltungsstrafgesetz 1991 oder VStG (nicht: VStG 1991) und gemäß dem ArtV Ziff10 der zitierten Kundmachung wurde die Bezeichnung der Gliederungseinheit mit Kleinbuchstaben durch solche mit arabischen Ziffern ersetzt, sodaß statt §35 litb und litc VStG 1991 §35 Ziff2 und Ziff3 VStG zu zitieren gewesen wäre.

 

III. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

 

Gemäß Art129a Abs1 Ziff2 B-VG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein. Darunter fallen Verwaltungsakte, die nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen bekämpfbar waren, wie dies für eine Festnahme gemäß §35 VStG und eine anschließende Anhaltung einer Person zutrifft.

 

Art2 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit gewährt - ebenso wie Art5 MRK - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftungen".

Es bestimmt in seinem Art2 Abs2 Ziff3, daß einem Menschen die persönliche Freiheit nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise und nur zum Zweck der Vorführung vor die zuständige Behörde wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung, bei der er auf frischer Tat betreten wird, sofern die Sicherung der Strafverfolgung oder die Verhinderung weiteren gleichartigen strafbaren Handelns erforderlich ist, entzogen werden darf.

 

Die belangte Behörde stützt die Festnahme auf §35 VStG.

 

Die Festnahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß §35 VStG setzt hinsichtlich sämtlicher Tatbestände (Ziff1 bis 3) voraus, daß die festzunehmende Person auf frischer Tat betreten wird und der Behörde vorgeführt werden soll. Das einschreitende Organ hat in der Villa xx eine Situation vorgefunden, die es als wahrscheinlich hat erscheinen lassen, daß die Beschwerdeführerin und ihre Kolleginnen bei einer Verwaltungsübertretung nach der Gewerbeordnung auf frischer Tat betreten worden sind.

Die Überstellung auf den Gendarmerieposten ist jedoch dann nicht als zum Zweck der Vorführung vor die Behörde erfolgt anzusehen, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - das Behördenorgan selbst unter Assistenzleistung der Gendarmerie zum Einsatzort begeben hat und die Vorführung nicht zur Bezirkshauptmannschaft oder allenfalls einer Außenstelle erfolgt und überdies nichts anderes als die Aushändigung einer Strafverfügung bezwecken soll.

Die Strafverfügung mit bloß 6 Zeilen Text in Maschinschrift hätte zumutbarer Weise auch handschriftlich am Betretungsort ausgefertigt bzw am Postweg zugestellt werden können.

 

Der angefochtene Verwaltungsakt war somit bereits deshalb rechtswidrig, weil die Festnahme nicht zum Zweck der Vorführung vor die Behörde erfolgte.

 

Die belangte Behörde führt in der Stellungnahme vom 18. April aus, es seien Gendarmeriebeamte beauftragt worden, "die Beschuldigte gemäß §35 litb VStG 1991 festzunehmen und der Behörde vorzuführen". Begründet wird dies mit dem Hinweis daß es "dem Erfahrungsschatz von Strafbehörden entspricht, daß Prostituierte häufig den Wohnsitz wechseln bzw unangemeldet als "U-Boote" leben, um sich behördlichen Zugriffen oder der Strafverfolgung zu entziehen".

 

Dieser Rechtsansicht jedoch kann sich der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich nicht anschließen. Wie der VfGH in Bezug auf den Festnahmegrund des §35 litb VStG 1950 bereits in seinem Erkenntnis Slg 3154/1957 ausgesprochen und in mehreren Entscheidungen nachdrücklich beibehalten hat, rechtfertigt nicht einmal der Umstand, daß ein auf frischer Tat Betretener keinen inländischen Wohnsitz hat, die Annahme eines begründeten Verdachtes, daß er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde. Auch die aus den ermittelten Lebensumständen der Betretenen allenfalls ableitbare Möglichkeit eines Wohnsitzwechsels läßt bloß den Schluß auf zu erwartende Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung zu (vgl VwGH Erk vom 23.2.1984, B 461, 462/80, VfSlg 3154/1957, 7060/1973).

 

Selbst wenn die Festnahme zum Zweck der Vorführung vor die Behörde erfolgt wäre, fehlte es an einem Festnahmegrund nach §35 Ziff2 VStG, dem zusätzlich erforderlichen begründeten Verdacht die Strafverfolgung vereiteln zu wollen.

 

Die belangte Behörde gründet die Festnahme darüberhinaus noch auf §35 litc VStG 1991 (richtig §35 Ziff3 VStG), da mehrere Festgenommene, die Beschwerdeführerin eingeschlossen, eindeutig verlauten ließen, mit der inkriminierten Tätigkeit - gemeint ist offensichtlich die Verabreichung von Getränken, die Übertr der GewO - weiter fortfahren zu wollen.

Gemäß §35 Ziff3 VStG ist eine Festnahme unter den oben näher ausgeführten Bedingungen zum Zwecke der Vorführung vor die Behörde nur dann statthaft, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

 

Auch unter der Annahme, daß der Erklärung der Berufungswerberin mit der inkriminierten Tätigkeit, dem Ausschank alkoholischer Getränke, weiter fortfahren zu wollen eine Abmahnung iSd §35 Ziff3 VStG vorausgegangen ist, kann von einem Verharren im strafbaren Verhalten, der Übertretung der GewO, schon deshalb nicht mehr gesprochen werden, weil gerade durch die Amtshandlung am Tatort das strafbare Verhalten abgestellt worden ist.

 

Der dabei von der Beschwerdeführerin abgegebenen Erklärung mit der Tätigkeit weiter fortfahren zu wollen mangelt es an jeder konkreten Ausführungsmöglichkeit.

 

Die rein abstrakte Wiederholungsgefahr hat auch bei der Entlassung aus der Haft nach Aushändigung der Strafverfügung noch weiterbestanden. Sie kann daher nicht nachträglich zur Begründung des Vorliegens des Festnahmetatbestandes gem Ziff3 herangezogen werden, weil die belangte Behörde in der Stellungnahme vom 21.5.1991 selbst ausgeführt hat, daß die Beschwerdeführerin um 06.40 Uhr "entgegenkommenderweise mit dem VW-Bus vom Gendarmerieposten xx in die Villa xx nach xx, xx zurückgebracht" wurde.

 

Hinsichtlich der nach Minuten divergierenden Zeitangaben bezüglich Beginn und Ende der Haft folgt der Unabhängige Verwaltungssenat den genauen Angaben der Beschwerdeführerin. Sie stehen nicht im Widerspruch zu den ungefähren Angaben wie sie die belangte Behörde im Zeitdiagramm vom 21.5.1991 dargelegt hat.

 

Aus vorstehenden Gründen war deshalb die am 9.2.1991 um 04.15 Uhr erfolgte Festnahme und die bis 07.00 Uhr andauernde Anhaltung für rechtswidrig zu erklären.

 

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß §67d Abs1 AVG unterbleiben, weil aus der Aktenlage bereits ersichtlich war, daß der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist.

 

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die im Spruch genannten Bestimmungen.

Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin hat ohne nähere Aufgliederung Kosten in Höhe von S 15.240,-- verzeichnet. Sie entsprechen dem pauschalierten Kostenersatz im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ab 1.1.1989.

Ein Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat jedoch kann einem Verfahren vor dem Gerichtshof des öffentlichen Rechts nicht gleichgesetzt werden, weil Bescheide der Unabhängigen Verwaltungssenate der nachprüfenden Kontrolle dieses Höchstgerichtes unterliegen.

Gemäß §8 Abs7 der Autonomen Honorar-Richtlinien (AHR) 1974 sind demnach auch im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat (soweit nicht in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des §13 Abs1 lith AHR anzuwenden sind) die Bestimmungen des RATG (§6 AHR) anzuwenden.

Die Höhe der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten ist nach §5 Ziff38 lita auf der Basis der Bemessungsgrundlage von S 300.000,-- wie folgt zu ermitteln:

 

Schriftsatz (TP 3A RATG)              S 4.532,--

50 % Einheitssatz                     S 2.266,--

                                      ----------

Verdienst                             S 6.798,--

20 % USt                              S 1.359,60

Barauslagen (2 BStM zu S 120,--)      S   240,--

                                      ----------

Summe                                 S 8.397,60.

 

Die Kosten waren dem Bund und nicht wie beantragt dem Land NÖ vorzuschreiben, weil die Bezirkshauptmannschaft xx in der Vollziehung des Bundes (Angelegenheiten des Gewerbes, Art10 Abs1 Ziff8 B-VG) tätig geworden ist.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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