TE UVS Niederösterreich 1993/07/13 Senat-KO-92-082

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.07.1993
beobachten
merken
Spruch

Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl Nr 51, hinsichtlich Punkt 1) des Straferkenntnisses keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß das Wort "zumindest" entfällt.

Punkt 2) des Straferkenntnisses wird aufgehoben und das Verfahren gemäß §45 Abs1 Z2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl Nr 52, eingestellt. Der Kostenbetrag für das Verfahren erster Instanz beträgt S 300,--.

 

Der Berufungswerber hat gemäß §64 VStG binnen 2 Wochen ab Zustellung dieses Bescheides S 600,-- als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu entrichten.

Innerhalb gleicher Frist sind der Strafbetrag und die Kosten des Verfahrens erster Instanz zu bezahlen (§59 Abs2 AVG).

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschuldigten vorgeworfen, es als Obmann und somit zur Vertretung nach außen berufenes Organ der reg R********************************** mbH mit dem Sitz in K, K*****straße 3, zu verantworten, daß

-

zumindest am 23.1.1992 das als giftig eingestufte und gekennzeichnete Produkt "ANIDRIDE SOLFOROSA - Schwefeldioxid 1 kg" im Wege der Sebstbedienung abgegeben worden sei, obwohl dies im Hinblick auf die Bestimmung des §32 Abs3 Chemikaliengesetz ausdrücklich verboten sei (Punkt 1),

-

das oben angeführte Produkt entgegen den vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen bei der Lagerung und Aufbewahrung von Giften nicht in einem ausschließlich hiefür bestimmten Raum gelagert, aufbewahrt oder vorrätig gehalten worden sei (Punkt 2).

 

Hiefür wurden über den Beschuldigten Geldstrafen in der Höhe von je S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je 72 Stunden) verhängt.

 

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschuldigte Berufung und führte darin im wesentlichen aus, er habe durch seinen ausgewiesenen Anwalt Akteneinsicht beantragt, diese sei jedoch nicht eingeräumt worden. Hierin liege eine Verletzung des Parteiengehörs und daher eine Magelhaftigkeit. Die Behörde sei rechtsirrig davon ausgegangen, daß eine Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten nur dann Rechtsgültigkeit erlange, wenn die Bestellung in schriftlicher Form erfolge. Der beantragte Zeuge Dipl Ing T sei nicht vernommen worden. Es habe eine rechtsgültige Delegation der Verantwortung durch Bestellung verantwortlicher Beauftragter nach §9 VStG stattgefunden. Ein entsprechender Fristerstreckungsantrag zur Vorlage der entsprechenden Urkunden sei übergangen worden (die  Urkunden wurden vom Beschuldigten im Zuge des Berufungsverfahrens vorgelegt). Es seien von dem Produkt lediglich drei Gebinde bezogen worden und diese bei der Kontrolle auch noch vorhanden gewesen, woraus sich ergäbe, daß von der Ware nichts verkauft worden sei. Zum Nachweis dieses Vorbringens wurde die Einvernahme des kontrollierenden Lebensmittelinspektors beantragt. Das Verschulden sei jedenfalls als gering einzustufen, washalb die Voraussetzungen für die Anwendung des §21 VStG vorlägen. Die vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen stünden zueinander im Verhältnis der Idealkonkurrenz, weshalb eine Kumulation unrichtig sei.

 

Am 18. Juni 1993 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer Dipl Ing T als Zeuge sowie der Beschuldigte vernommen wurde.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

Die Übersendung des Aktes an eine andere Behörde ist - wie vom Beschuldigten selbst festgestellt wird - nach §17 AVG nicht zwangsweise vorgeschrieben. Aus der Tatsache, daß dem entsprechenden Parteienantrag nicht nachgekommen wurde, kann nicht geschlossen werden, daß die Akteneinsicht nicht gewährt oder verweigert worden sei. Vielmehr wäre es dem Beschuldigten möglich gewesen, direkt bei der Behörde erster Instanz Akteneinsicht jederzeit zu nehmen.

 

Die Verwirklichung des objektiven Tatbildes wird vom Beschuldigten grundsätzlich nicht bestritten. Unbestritten ist auch, daß der Beschuldigte als Obmann und somit Vorsitzender des Vorstandes zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Genossenschaft ist.

 

Die zur Vertretung nach außen Berufenen sind berechtigt, nach §9 Abs2 VStG aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantworlichen Beauftragten bestellt werden.

 

Vom Beschuldigten wurde eine Verantwortungsdelegation durch Bestellung des Geschäftsführers Ing E B und des Filialleiters M H geltend gemacht und diesbezüglich auch Urkunden vorgelegt. Eine rechtswirksame Delegation der Verantwortung ist aber in beiden Fällen aus folgendem Grund nicht erfolgt:

Zu verantwortlichen Beauftragten für den gesamten Unternehmensbereich können nach §9 Abs2 VStG nur Personen bestellt werden, die dem vertretungsbefugten Organ angehören ("aus ihrem Kreis"). Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere auch den eigenen Angaben des Beschuldigten ist unzweifelhaft erwiesen, daß der Geschäftsführer Ing E B für den gesamten Geschäftsbereich der Genossenschaft bestellt wurde, jedoch selbst nicht Mitglied des Vorstandes ist. Die Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten ist daher rechtsunwirksam.

 

Auch bezüglich des Filialleiters M H konnte keine rechtswirksame Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten nachgewiesen werden. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl Erkenntnis vom 17.3.1988, 87/08/0306 ua) kann sich der zur Vertretung nach außen Berufene nur dann auf einen an seiner Stelle verwaltungsstrafrechtlich verantwortlichen Beauftragten berufen, wenn bei der Behörde spätestens während des Verwaltungsstrafverfahrens ein - aus der Zeit vor der Begehung der dem Beschwerdeführer angelasteten Übertretung stammender - Zustimmungsnachweis eines derartigen verantwortlichen Beauftragten eingelangt ist. Von einem aus der Zeit vor der Begehung der Verwaltungsübertretung stammenden Zustimmungsnachweis kann nur dann gesprochen werden, wenn ein die Zustimmung zur Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten betreffendes Beweisergebnis schon vor der Begehung der Tat vorhanden war (etwa in Form einer entsprechenden Urkunde, aber auch einer Zeugenaussage etc). Der vorgelegte Aktenvermerk vom 30.4.1992 ist - ebenfalls wie eine etwa im Zuge des Berufungsverfahrens abgegebene Zeugenaussage von Herrn M H - kein derartiges aus der Zeit vor der Begehung der Verwaltungsübertretung stammendes Beweisergebnis. In Betracht käme hiefür allenfalls die Stellenbeschreibung vom Februar 1991. Nach den Angaben des Beschuldigten ist diese Stellenbeschreibung praktisch als der Dienstvertrag anzusehen. Sie enthält neben einer allgemeinen Beschreibung der Aufgaben der Regelung der Über- und Unterstellung auch Bestimmungen über die Organisation und Verwaltung sowie die Formulierung, daß der Stelleninhaber zur "Einhaltung der Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes, der Giftverordnung, Brandschutz, Gewerberrecht, Unfallverhütung etc." verantwortlich ist. Diese Stellenbeschreibung erfüllt aber nicht die erforderlichen Kriterien für die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten.

 

Abgesehen davon, daß sich für den Stelleninhaber die Einhaltung des Chemikaliengesetzes aus der Stellenbeschreibung nicht unzweifelhaft ableiten läßt, mangelt es ihr auch an einer Anordnungsbefugnis für einen klar gegrenzten Unternehmensbereich.

 

Daraus ergibt sich, daß eine rechtswirksame Bestellung eines verantwortlich Beauftragten nicht erfolgt ist.

 

Der Beschuldigte hat zwar grundsätzlich ein Kontrollsystem eingerichtet, es zeigt sich jedoch, daß es jedenfalls nicht für sämtliche Unternehmenstätigkeiten, insbesondere für den Verkehr mit giftigen Produkten als ausreichend anzusehen ist. Die bloße Anwesenheit am Freitag vormittag am Unternehmenssitz und der lediglich sporadische, dh stichprobenartige Besuch der Filialen ist sicherlich nicht geeignet, eine ausreichende Kontrolle sicherzustellen, um Verwaltungsübertretungen zu verhindern. Es gibt keine regelmäßigen Besuche in den Filialen und es ist naheliegend, daß in Filialen, die wie vom Beschuldigten angegeben, nur alle zwei bis drei Monate überprüft werden, keine ausreichende Wahrscheinlichkeit besteht, daß Verwaltungsübertretungen aufgedeckt werden. Das Kontrollsystem ist daher absolut unzureichend und der Beschuldigte hätte wissen müssen, daß die von ihm dargestellte Art der Kontrolle keine ausreichende Sicherheit bietet, weitere Verwaltungsübertretungen zu verhindern. Dem Beschuldigten ist daher jedenfalls fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Für die Anwendung des §21 VStG bleibt hier kein Raum, da das Verschulden des Berufungswerbers nicht als geringfügig einzustufen ist. Vielmehr ist in der Tatsache, daß der Berufungswerber ein derart offensichtlich mangelhaftes Kontrollsystem eingerichtet hat, ein erheblicher Grad der Fahrlässigkeit zu erblicken.

 

Gemäß §32 Abs3 Chemikaliengesetz ist die Abgabe von Giften außerhalb von Betriebsstätten, insbesondere im Versandhandel oder durch sonstige Direktvertriebsmethoden, durch Automaten sowie im Wege der Selbstbedienung verboten.

 

Eine Abgabe im Wege der Sebstbedienung liegt dann vor, wenn ein Produkt im Verkaufsregal zum Zwecke der selbsttätigen Entnahme durch den Kunden feilgehalten wird. Hiefür ist es nicht erforderlich, daß das Produkt auch tatsächlich bei der Kassa bezahlt und aus dem Verkaufsraum gebracht wird. Es ist daher rechtlich unerheblich, ob von der Ware tatsächlich schon etwas verkauft wurde oder nicht, da das bloße Bereithalten im Verkaufsregal mit der Möglichkeit einer unkontrollierten Entnahme durch den Endverbraucher bereits eine Abgabe im Wege der Selbstbedienung darstellt.

 

Zu den gestellte Beweisanträgen ist folgendes festzustellen:

 

Die Einvernahme des Überprüfungsorgans konnte unterbleiben, da es aus den bereits dargelegten Gründen nicht von Bedeutung ist, ob die Ware tatsächlich bereits verkauft wurde oder nicht. Die Einvernahme des Filialleiters M H war ebenfalls entbehrlich, da die genaue Dauer des Vorhandenseins der Produkte im Verkaufsraum nicht von Bedeutung ist. Die Einvernahme dieses Zeugen zum Nachweis der erfolgten Verantwortungsdelegation konnte unterbleiben, da dadurch aus den bereits dargelegten Gründen kein aus der Zeit vor der Begehung der Verwaltungsübertretung stammendes Beweisergebnis mehr möglich war.

 

Zur Strafzumessung ist festzustellen:

 

Gemäß §19 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Im ordentlichen Verfahren sind überdies die Erschwerungs- und Milderungsgründe, das Ausmaß des Verschuldens sowie die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen.

 

Eine Gefährdung der gesetzlich geschützten Interessen ist deshalb erfolgt, da jedenfalls die Gefahr bestanden hat, daß ein unkontrollierter Erwerb eines als giftig einzustufenden Produktes durch eines Nichtberechtigten erfolgt. Dem Berufungswerber ist eine nicht unerhebliche Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit der Einrichtung des Kontrollsystems vorzuwerfen. Mildernd ist das Tatsachengeständnis. Erschwerende Umstände liegen nicht vor, da die rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen Vorstrafen als nicht einschlägig zu qualifizieren sind.

 

Von folgenden persönlichen Verhältnissen ist nach den Angaben des Beschuldigten auszugehen:

Pension in der Höhe von S 13.000,-- netto, Einfamilienhaus, Sorgepflicht für Ehegattin.

 

Der Strafrahmen für die Übertretung des §32 Abs3 Chemikaliengesetz sieht nach §55 Z25 leg cit eine Geldstrafe bis zu S 200.000,-- vor.

 

Im Hinblick auf die dargelegten Strafzumessungsgründe ist die im Spruchteil 1) des Straferkenntnisses verhängte Strafe, die sich im untersten Bereich des Strafrahmens bewegt, als durchaus angemessen und keineswegs überhöht anzusehen, weshalb die Berufung diesbezüglich abzuweisen war.

 

Zwecks Konkretisierung des Tatvorwurfes war das Wort "zumindest" zu streichen.

 

Im Punkt 2) des Straferkenntnisses wurde dem Beschuldigten wegen der Verwirklichung desselben Sachverhaltes auch die Übertretung des §13 Abs1 Giftverordnung vorgeworfen. Demnach dürfen Gifte nur in ausschließlich hiefür bestimmten Räumen gelagert, aufbewahrt oder vorrätig gehalten werden. Diese Räume müssen versperrbar und für Unbefugte unzugänglich sein. Nach der Defination des §2 Abs9 Chemikaliengesetz muß zwischen verschiedenen Formen des Inverkehrsetzens eines Produktes zu Erwerbszwecken unteschieden werden. Ausdrücklich wird hier auch zwischen Vorrätighalten und Feilhalten unterschieden. Der §13 Abs1 der Giftverordnung pönalisiert lediglich das Lagern, Aufbewahren oder Vorrätighalten. Dabei handelt es sich jedoch um Tätigkeiten, die der eigentlichen Verkaufstätigkeit vorgelagert und daher nicht mit dem Feilhalten und auch nicht mit der Abgabe im Wege der Selbstbedienung identisch sind.

 

Im gegenständlichen Fall wurde das als giftig einzustufende Produkt nicht gelagert, aufgewahrt oder vorrätig gehalten, sondern es wurde vielmehr im Verkaufsraum im Regal feilgehalten, dh im Wege der Selbstbedienung abgegeben. Der §13 Abs1 Giftverordnung ist daher auf den konkreten Fall nicht anzuwenden, weshalb das Verfahren hinsichtlich des Spruchteils 2) des Straferkenntnisses einzustellen war.

 

Der Kostenbeitrag für das Berufungsverfahren beträgt 20 % der verhängten Strafe.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten