TE UVS Tirol 1994/11/10 11/95-11/1994

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.11.1994
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Spruch

I. Die Aufrechterhaltung der Verwahrungshaft über die Beschwerdeführerin am 15.3.1994 über 17.00 Uhr hinaus war rechtswidrig; die Beschwerdeführerin wurde dadurch in ihrem Recht auf persönliche Freiheit verletzt.

 

II. Der Bund hat der Beschwerdeführerin gemäß §79a AVG Kostenersatz in Höhe von S 18.733,-- binnen zwei Wochen ab Bescheidzustellung zu leisten.

Dieser Betrag setzt sich aus dem Schriftsatzaufwand in Höhe von S 8.333,-- (2/3 von S 12.500,-) und dem Verhandlungsaufwand in Höhe von S 10.400,-- (2/3 von S 15.600,--) zusammen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

 

III. Der Antrag der Bundespolizeidirektion I auf Zuspruch des Kostenersatzes für den Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand wird gemäß §79a AVG abgewiesen.

Text

Am 27.4.1994 langte die mit 26.4.1994 datierte Beschwerde beim unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol mit folgendem Inhalt ein:

"1. Die Beschwerde richtet sich gegen die gesetzwidrige Aufrechterhaltung der Verwahrungshaft über die Beschwerdeführerin in Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch die Beamten der Bundespolizeidirektion I im Wachzimmer Innere Stadt am 15.3.1994 von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr.

2. Die Beschwerde gründet sich dabei auf folgenden Sachverhalt:

Am 15.3.1994 wurde die Beschwerdeführerin um ca. 14.15 Uhr wegen Verdachtes der Körperverletzung gemäß §83 StGB und versuchter Nötigung gemäß §105 StGB zur Identitätsfeststellung in das Wachzimmer Innere Stadt gebracht und in Verwahrung genommen. Der Beschwerdeführerin wurde zur Last gelegt, sie habe in einem Lebensmittelgeschäft eine Verkäuferin, welche die Beschwerdeführerin am Verlassen des Geschäfts hindern wollte, weil diese angeblich zwei leere Bierflaschen stehlen wollte (was sich als unrichtig erwies), durch Schläge verletzt und sie zu nötigen versucht, von der Verständigung der Polizei Abstand zu nehmen.

 

Unmittelbar nach Festnahme der Beschwerdeführerin um ca. 14.15 Uhr konnte durch die einschreitenden Beamten beim Wachzimmer Innere Stadt die Identität der Beschwerdeführerin durch den in ihrer Handtasche befindlichen Reisepaß festgestellt sowie der Sachverhalt geklärt werden. Nach mehrstündiger Verwahrung wurde die Beschwerdeführerin schließlich um ca. 18.00 Uhr aus der Haft entlassen.

 

3. Gemäß §177 StPO iVm Art4 Abs2 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit (BGBl. 1988/684) muß der (die) Verdächtige unverzüglich freigelassen werden, wenn kein Grund für eine weitere Anhaltung, dh kein Haftgrund mehr gegeben ist.

 

Eine Aufrechterhaltung der Verwahrungshaft über die Beschwerdeführerin nach Klärung der Identität und des Sachverhaltes wäre demnach nur rechtmäßig gewesen, wenn ein weiterer Haftgrund gemäß §175 Abs1 Z1 bis 4 StPO vorgelegen hätte. Da im vorliegenden Fall weder Flucht- noch Verdunkelungsnoch Tatausführungsgefahr gegeben war, wurde die Beschwerdeführerin zumindest von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr rechtswidrig festgehalten.

 

4. Aus den dargelegten Gründen stellt die Beschwerdeführerin den Antrag, der unabhängige Verwaltungssenat  möge erkennen, daß die Aufrechterhaltung der Verwahrungshaft über die Beschwerdeführerin zu Unrecht erfolgte und die belangte Behörde zum Ersatz der Kosten der Beschwerde verpflichten."

 

Die Bundespolizeidirektion I als belangte Behörde erstattete die Gegenschrift vom 17.5.1994 mit nachstehendem Inhalt:

"Die BPD I als belangte Behörde legt angeführte Gegenschrift vor und wird der in gegenständlicher Beschwerde vorgebrachte Sachverhalt, sofern er von der folgenden Darstellung abweicht, ausdrücklich bestritten.

Sachverhalt:

Am 15.3.1994 um 14.06 Uhr wurde über die Funkleitzentrale der BPD I die Funkstreife "R" zum H-Ufer-Nr.1 beordert, da dort eine Frau "durchdrehen" soll.

 

Am Einsatzort eingetroffen, konnte durch die SWB Insp. He und Insp. Ha festgestellt werden, daß die Beschwerdeführerin Frau DB in einem dort etablierten Geschäft (Markthalle) stand und mit einer ebenfalls anwesenden Verkäuferin eine verbale Auseinandersetzung hatte. Laut Angaben der SWB stieß die Beschwerdeführerin verbale Beschimpfungen gegen die Verkäuferin aus. Verschiedene Versuche der SWB, Frau B zu beruhigen und zu einem sachlichen Verhalten zu bewegen, verliefen negativ. Frau B verhielt sich aggressiv gegen die SWB und beschimpfte diese auch mit den Worten "Bullenschweine, Arschlöcher" in einer derartigen Lautstärke, daß die umstehenden Personen ihren Unmut über das Verhalten der Angezeigten kundtaten.

 

Eine Befragung der Verkäuferin (M G, Nationale im Akt) ergab, daß G von B angegriffen und gefährlich bedroht worden sei. Laut Angaben der Zeugin, die niederschriftlich einvernommen wurde, sei B in das angeführte Geschäft gekommen. Sie habe zwei leere Bierflaschen, die vor der Kassa standen, genommen und in einen Einkaufswagen gelegt. Anschließend nahm sie aus den Regalen mehrere Artikel und warf diese wahllos im Geschäft herum. Daraufhin wurde sie von der G zur Rede gestellt. Plötzlich und für G völlig unerwartet, stieß B den Einkaufswagen von ihr weg und stieß G gegen do. befindlichen Bierkisten, wobei diese heftig mit dem Hinterkopf auf eine stieß. B begann in weiterer Folge wie wild auf die G einzuschlagen, wobei diese mehrere Kratzwunden im Gesicht und eine geschwollene linke Wange erlitt. Weiters beschimpfte sie die Verkäuferin auf das Ärgste. Neben den Angeführten Verbalinjurien wurde G auch mit dem "Zusammenschlagen" bedroht. Durch diese Drohung wurde sie in Furcht und Unruhe versetzt, die Zeugin ging in gegenständlichem Fall davon aus, daß sie berechtigte Angst hätte, daß B ihre Drohung wahrmachen würde.

 

Weitere Versuche seitens der G, die B zu beruhigen, verliefen negativ. B blieb äußerst aggressiv und schlug weiter auf die G ein. Durch den Vorfall wurde die G derartig in Furcht und Unruhe versetzt, daß sie zu weinen begann und aufgrund des Schockzustandes das unmittelbar danach erfolgte Eintreffen der SWB nicht mehr registrierte. Eine noch stärkere Eskalation konnte durch die Intervention des Zeugen J W (Nationale im Akt) vorläufig hintangehalten werden. Auch dieser Zeuge wurde niederschriftlich einvernommen und decken sich seine Angaben mit den Angaben der Zeugin G.

 

Nachdem sich die Beamten wie angeführt kurz vom Geschehen in Kenntnis gesetzt hatten, forderten sie B auf, sich auszuweisen, was von dieser aber nicht durchgeführt wurde. Sie entgegnete den SWB, daß sie nichts verbrochen habe und ihren Weg fortsetzen werde. B wurde ein zweites Mal aufgefordert, sich auszuweisen und wurde auch dieser Aufforderung nicht entsprochen.

 

Ein Fluchtversuch durch Davonlaufen wurde durch die SWB durch Erfassen der B an den Oberarmen verhindert. Gleichzeitig begann die B zu schreien und zu schimpfen, dies geschah in ärgster Art und Weise. Textbeispiel: "Ihr Wichser bekommt ja sowieso keinen hoch. Ich trete euch die Eier ein, ihr verdammten Schweine ..."). Kurz darauf beruhigte sich die B und wurde daher sofort losgelassen. Ein neuerlicher Versuch der Identitätsfeststellung, der daraufhin unternommen wurde, verlief negativ und wurde das Verhalten wie oben angeführt fortgesetzt.

 

Infolge mußte B mit Brachialgewalt mit dem Arrestantenwagen in das WZ Innere Stadt verbracht werden, laut Meldung der SW zum Zwecke der Identitätsfeststellung. Durch den Journalbeamten wurde eine Vorführung zum Amte angeordnet und die B nach durchgeführter niederschriftlicher Einvernahme durch ein Organ des Kriminaldienstes nach Kontaktierung der StA mit 18.35 Uhr entlassen."

 

Von der belangten Behörde wird folgender Standpunkt vertreten:

"Es geht aus der Anzeige nicht hervor, daß B bereits am Tatort nach der Strafprozeßordnung §177 in Verbindung mit §175 Abs1 StPO festgenommen wurde. Diese Festnahme erfolgte laut Anzeige um 16.00 Uhr im WZ Innere Stadt über Weisung des Journalbeamten.

 

In der Anzeige ist festgehalten, daß, da die Person unbekannt und nicht gewillt war, ihre Identität bekanntzugeben, nach dem SPG zum Zwecke der Identitätsfeststellung mit dem Arrestantenwagen in das WZ Innere Stadt gebracht werden mußte.

 

Aus der Anzeige geht weiters hervor, daß zu diesem Unterfangen gegen die Beschwerdeführerin Brachialgewalt in der Form angewandt werden mußte, daß die Angezeigte zum Arrestantenwagen unter Assistenz einer weiteren Funkstreife getragen werden mußte. Es geht aus der Anzeige auch nicht hervor und wird ausdrücklich daher durch die Behörde bestritten, daß die Beschwerdeführerin im WZ nach erfolgter Identitätsfeststellung entlassen worden ist.

 

Die Beschuldigte befand sich zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme im WZ im Stande der "Festnahme", auch wenn dies in der Anzeige nicht dezidiert herausgearbeitet ist. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (VfGH 23.6.1976, SLG 7829) ist bereits eine ausgesprochene Aufforderung zum Funkstreifenwagen mitzukommen, ohne ausdrückliche Erklärung der Festnahme als Festnehmung zu werten.

 

Im gegenständlichen Falle waren durch die Beamten wesentlich weitgreifendere Mittel als die bloße Aufforderung zum Funkwagen bzw. Arrestantenwagen zu kommen, notwendig. Laut Akt war die Anwendung, wie angeführt, von Brachialgewalt notwendig.

 

Zusammenfassend wird daher durch die belangte Behörde als Zwischenergebnis festgehalten:

 

Am Tatort erfolgte bereits faktisch eine Festnahme, da die Beschuldigte bereits am Tatort von den Zeugen glaubhaft der Täterschaft eines StGB-Deliktes mit landesgerichtlicher Zuständigkeit beschuldigt wurde. Zu diesem Zeitpunkt lag daher keine SPG-Relevanz mehr vor. Dieser Standpunkt wird ausdrücklich auch dann aufrecht erhalten, obwohl dies aus der Anzeige nicht dezidiert hervorgeht.

 

In weiterer Folge wurde durch die Sicherheitswachebeamten instruktionsgemäß Kontakt mit dem diensthabenden Behördenvertreter - Journalbeamten Kmsr Mag. D - aufgenommen. Dieser gibt in seiner Stellungnahme vom 9.5.1994 an, er habe am 15.3.1994 um 15.55 Uhr seinen Dienst als Journalbeamter der BPD I versehen, als er vom Kommandanten des WZ Innere Stadt, Abt.Insp. S S, angerufen wurde. S teilte dem JB mit, daß B glaubwürdig beschuldigt wird, eine Verkäuferin um 14.00 Uhr gefährlich bedroht und verletzt zu haben und deshalb von der Funkstreife in das Wachzimmer gebracht wurde. Mag. D ordnete daraufhin zum Zwecke von Einvernahme und Rücksprache mit dem Staatsanwalt die Vorführung zum Journaldienst an.

 

Da B unmittelbar nach Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung, die mit mehr als einer 6-monatigen Freiheitsstrafe bedroht ist und die auch nicht in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fällt, glaubwürdiger Täterschaft beschuldigt wurde, war die Festnahme durch die SW am Tatort und davon ist der Journalbeamte ausgegangen, gemäß §177 Abs1 Z1 in Verbindung mit §175 Abs1 Z1 StPO zweifellos gerechtfertigt.

 

Diese Ansicht wird von der belangten Behörde ausdrücklich geteilt und wird diesbezüglich auf die angeführte Rechtsansicht verwiesen. Auch nach der älteren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13.3.1956, P 7240/55) wird der Begriff der Verhaftung im materiellen Sinn aufgefaßt und jede Maßnahme darunter verstanden, durch die in die persönliche Freiheit des einzelnen mit physischen Mitteln eingegriffen wird (SLG 2287).

 

In der Beschwerde wird von der Beschuldigten angeführt, daß die Aufrechterhaltung der Verwahrungshaft nach Feststellung der Identität im WZ zu Unrecht erfolgt sei. Hierzu wird durch die Behörde der Standpunkt vertreten, daß gemäß §177 lt. Lehre und ständiger Rechtsprechung ein Festgenommener von der Sicherheitsbehörde zu vernehmen ist. Der Sicherheitswache kommt nicht der Status einer Sicherheitsbehörde zu.

(Foregger-StPO, Stand 1.10.1983, 8. Auflage, Anmerkung zu §177 auf Seite 155)

Im Auftrag der Sicherheitsbehörde ist jedoch die Durchführung einer niederschriftlichen Einvernahme durch ein Organ eines Korps zulässig.

 

Durch den Behördenvertreter wurde nun verfügt, daß die Festgenommene einzuvernehmen sei. Eine Vernehmung der B durch die Sicherheitswache erschien dem Journalbeamten aus mehren Gründen für nicht tunlich:

 

Wie aus der Anzeige eindeutig hervorgeht, wurden die SWB am Tatort von B auf das Gröblichste beschimpft. Es war daher vorzuziehen, daß die Einvernahme von Beamten geführt wird, die am Tatort nicht anwesend waren. Wäre die Amtshandlung weiter durch die uniformierten Beamten geführt worden, so wäre es zweifelsohne zu einer weiteren Eskalation gekommen. Der hochgradige Erregungszustand, in welchem sich die Beschwerdeführerin befand, wurde nicht nur durch die Amtshandlung als solche verursacht, sondern war bereits bei den Vorfällen mit der Verkäuferin vorhanden. Es ist gesetzliche Aufgabe der Sicherheitsbehörden, Anzeigenerstattung im Falle gerichtlich strafbarer Taten sowie die Einholung von Haftverfügungen durch die zuständigen Organe der StA bzw. Gerichte. Im Bezugsfalle war es nicht möglich, die Verdächtige zu ihrer Verantwortung sofort zu befragen. Die Gründe, die dagegen sprachen, wurden oben dargelegt. Des weiteren wurden im WZ bereits die Bedrohte bzw. Verletzte, deren Angaben überhaupt die Grundlage für die Anlegung des entsprechenden Aktes darstellten, befragt. Des weiteren ein Zeuge. Wäre zu diesem Zeitpunkt auch noch die Einvernahme von B erfolgt, wäre aufgrund der Ereignisse am Tatort damit zu rechnen gewesen, daß der Dienstbetrieb im WZ Innere Stadt empfindlich gestört worden wäre. Aus diesen Gründen wurde von Mag. D die Vorführung der B zum Journaldienst angeordnet. Die Einvernahme durch die Kriminalpolizei begann dann um 17.55 Uhr. Der Zeitpunkt ist dadurch zu begründen, daß wie angeführt die notwendigen Erhebungen bzw. niederschriftlichen Einvernahmen sowie die aä. Untersuchung auf Deliktsfähigkeit durchgeführt werden mußten. Nach Abschluß der angeführten behördlichen Erhebungen wurde Kontakt mit der StA aufgenommen und die Verfügung eingeholt. Anschließend wurde die Beschwerdeführerin entlassen.

 

Es wird daher zusammenfassend durch die belangte Behörde die Ansicht vertreten, daß, wie oben angeführt, die Festnahme zu Recht nach der StPO erfolgt ist und des weiteren die notwendige Anhaltung aufgrund der dargelegten Umstände ebenfalls gerechtfertigt war.

 

Die BPD I stellt daher den Antrag, die Beschwerde der DB als unbegründet abzuweisen."

 

Die belangte Behörde beantragte den Zuspruch des Kostenersatzes für den Vorlage- und Schriftsatzaufwand.

 

Am 18.10.1994 wurde im Beisein einer Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin die mündliche Verhandlung durchgeführt. Die Beschwerdeführerin, die persönlich geladen war, konnte zum Verhandlungstermin nicht erscheinen, da sie sich auf einem länger

dauernden Auslandsaufenthalt (vom 15.10.1994 bis Ende März 1995) befindet.

 

Aufgrund der Einvernahme der Zeugen M G, J W, Insp. M Ha, Bundespolizeidirektion I, Mag. M D und Bez.Insp. J F, beide Bundespolizeidirektion I, ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

 

Die Beschwerdeführerin hat am 15.3.1994 gegen 14.00 Uhr in der Markthalle in I im Geschäft XY auf die dort beschäftigte Verkäuferin M G eingeschlagen und dieser Verletzungen am Körper zugefügt. Durch die Worte, sie werde die Verkäuferin finden und zusammenschlagen, wenn diese die Polizei hole, wurde Frau M G in Furcht und Unruhe versetzt.

 

Zeuge dieses Vorfalles war Herr J W, der beruhigend eingreifen wollte.

 

Um 14.06 Uhr wurde die Funkstreife "R" mit den Sicherheitswachebeamten Insp. He und Insp. Ha über die Funkleitzentrale der Bundespolizeidirektion I zur Markthalle beordert, da dort eine Frau "durchdrehen" soll.

 

Die beiden Sicherheitswachebeamten sind bei der Markthalle gegen

14.15 Uhr eingetroffen. Sie fanden dort beim Geschäft XY die Verkäuferin und die Beschwerdeführerin vor. Die Verkäuferin wurde von der Beschwerdeführerin beschimpft und mit obszönen Worten belegt. Die Verkäuferin, die zu diesem Zeitpunkt hinter der Kasse stand, machte einen verängstigten Eindruck. Sie hatte nach Erinnerung des Zeugen Insp. M Ha einen Kratzer im Gesicht. Die Verkäuferin sagte zu Insp. Ha, sie sei von Frau B bedroht worden. Vor der Markthalle wurde Frau B von Insp. He am Weglaufen gehindert. Dieser versuchte zusammen mit dem hinzugekommenen Insp. Ha Frau B zu beruhigen. Mehrmals wurde Frau B aufgefordert, sich auszuweisen. Dieser Aufforderung hat sie nicht entsprochen. Sie war keinem der beiden Sicherheitswachebeamten persönlich bekannt. Sie hat die beiden Sicherheitswachebeamten als "Bullenschweine" und "Arschlöcher" beschimpft. Das Verhalten der Frau B hat die Aufmerksamkeit mehrerer vor der Markthalle stehender Personen erregt. Nach Einlangen des von den beiden Sicherheitswachebeamten angeforderten Arrestantenwagen wurde Frau B unter Einsatz von insgesamt 4 Sicherheitswachebeamten in den Arrestantenwagen verbracht und mit diesem von der Markthalle zum Wachzimmer Innere Stadt, I, Adamgasse 5-7, transportiert. Das Eintreffen von Frau B dort ist kurz vor 15.00 Uhr erfolgt. Im Wachzimmer Innere Stadt wurde mit der Verkäuferin Frau G und dem Zeugen W in der Zeit von 14.50 Uhr bis 15.28 Uhr durch die Sicherheitswachebeamten Ha und He eine Niederschrift aufgenommen. Die Identität der nunmehrigen Beschwerdeführerin konnte durch den Wachkommandanten des Wachzimmers Innere Stadt nur dadurch festgestellt werden, daß dieser aus der Handtasche der Beschwerdeführerin den darin befindlichen Reisepaß entnahm und einsah. Eine vorherige Identitätsfeststellung durch die Sicherheitswachebeamten Ha und He konnte nicht erfolgen, da die Beschwerdeführerin diesen gegenüber erklärte, daß sie keinen Ausweis mit sich führe. Zeitlich ist die Entnahme des Reisepasses aus der Handtasche der Beschwerdeführerin durch den Wachekommandanten im Wachzimmer Innere Stadt während der Aufnahme der Niederschriften mit Frau G und Herrn W festzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die nunmehrige Beschwerdeführerin in der Handzelle des Wachzimmers Innere Stadt; ihre Handtasche befand sich außerhalb dieses abgeschlossenen Raumes und war damit dem Wachekommandanten zugänglich. Insp. Ha verfaßte nach Beendigung der von ihm mit Frau G aufgenommenen Niederschrift etwa ab 15.30 Uhr die Anzeige gegen Frau B wegen des Verdachts der gefährlichen Drohung, der Körperverletzung und Ordnungsstörung gemäß §81 SPG. Ab 15.50 Uhr wurde Frau B im Wachzimmer Innere Stadt vom Polizeiarzt Dr.T amtsärztlich untersucht. Der Amtsarzt stellte dabei eine etwas eingeschränkte Diskretions- und Dispositionsfähigkeit bei Frau B fest. Etwa gegen 16.15 Uhr war der Sicherheitswachebeamte Ha mit der Abfassung der Anzeige fertig. Um 15.55 Uhr telefonierte der Wachkommandant des Wachzimmers Innere Stadt mit dem Journaldienstbeamten bei der Bundespolizeidirektion I Herrn Mag. D. In einem etwa 10-minütigen Telefonat schilderte er diesem den Sachverhalt und erbat weitere Anordnungen. Von Herrn Mag. D wurde angeordnet, daß Frau B zwecks Einvernahme durch die Kriminalpolizei der Bundespolizeidirektion I vorzuführen sei. Die Beschwerdeführerin hat sich während ihrer Verwahrung in der Handzelle des Wachzimmers Innere Stadt nicht ruhig verhalten, sondern gegen die Tür geklopft und geschrien, sie wolle heraus. Nach den Angaben des Bez.Insp. F, Kriminalbeamter bei der Bundespolizeidirektion I, traf Frau B dort um etwa 17.50 Uhr ein. In der Zeit von 17.55 Uhr bis 18.30 Uhr hat Bez.Insp. F mit Frau B eine Niederschrift aufgenommen. Anschließend hat er mit Herrn Staatsanwalt Dr. B Verbindung aufgenommen und diesen vom Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Dr. B ordnete die Anzeigeerstattung gegen Frau B auf freiem Fuß an. Frau B wurde am 15.3.1994 um 18.35 Uhr auf freien Fuß gesetzt.

 

Der gegenständliche Sachverhalt unterliegt folgender rechtlicher Beurteilung:

 

I.

Gemäß §177 Abs1 StPO kann ausnahmsweise die vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen zum Zwecke der Vorführung vor den Untersuchungsrichter auch durch Organe der Sicherheitsbehörden ohne schriftliche Anordnung unter anderem in den Fällen des §175 Abs1 Z1 StPO vorgenommen werden.

 

§175 Abs1 Z1 StPO regelt den Fall, wenn der Verdächtige auf frischer Tat betreten oder unmittelbar nach Begehung eines Verbrechens oder Vergehens glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt .... wird.

 

Gemäß §177 Abs2 StPO ist der Festgenommene unverzüglich zur Sache sowie zu den Voraussetzungen der Verwahrungshaft zu vernehmen und, wenn sich dabei ergibt, daß kein Grund zur weiteren Anhaltung vorhanden ist, sogleich freizulassen.

 

II.

Aufgrund der glaubwürdigen Angaben der Verkäuferin und des Zeugen W ergab sich für die beiden einschreitenden Sicherheitswachebeamten He und Ha der dringende Verdacht, daß die Beschwerdeführerin am 15.3.1994 um ca. 14.00 Uhr die Vergehen der Körperverletzung und der gefährlichen Drohung begangen hat.

 

Der vom Verfassungsgerichtshof dafür vorgesehene nahe zeitliche Zusammenhang zwischen der Begehung der Gerichtsdelikte und der Verfügung der vorläufigen Verwahrung der Berufungswerberin ist gegeben. Die von den beiden Sicherheitswachebeamten bei der Markthalle verfügte vorläufige Verwahrung der Beschwerdeführerin erfolgte daher entsprechend des §177 Abs1 Z1 iVm §175 Abs1 Z1 StPO.

 

III.

Der Umstand, daß die Beschwerdeführerin in weiterer Folge ins Wachzimmer Innere Stadt und nicht sofort zur Bundespolizeidirektion als zuständiger Sicherheitsbehörde mit dem Arrestantenwagen gebracht worden ist, hat zu keiner Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin geführt, da wegen der amtsbekanntermaßen annähernd gleichen Entfernungen zwischen der Markthalle und dem Wachzimmer Innere Stadt in der Adamgasse bzw. dem Gebäude der Bundespolizeidirektion I in der Kaiserjägerstraße damit keine ins Gewicht fallende Verzögerung aufgetreten ist.

 

IV.

Die im Wachzimmer Innere Stadt vorgenommene Aufnahme der Niederschriften mit den Zeugen G und W erfolgte gleichzeitig durch zwei Sicherheitswachebeamte; diese Vorgangsweise ist als zeitsparend anzusehen. Sie war für die umfassende Abklärung des Sachverhaltes erforderlich.

 

Gleichzeitig mit der Einvernahme der Beschwerdeführerin zu beginnen, war nicht möglich, da wegen ihrer mangelnden Kooperationsbereitschaft ihre Identität zunächst nicht feststellbar war.

 

Das Verhalten der Beschwerdeführerin war derart, daß sich die Sicherheitswachebeamten zur Beiziehung eines Amtsarztes veranlaßt sahen. Der Amtsarzt hat nach vorgenommener Untersuchung bei der Beschwerdeführerin eine etwas eingeschränkte Dispositions- und Diskretionsfähigkeit festgestellt. Etwa gegen 16.10 Uhr erfolgte die Anordnung, die Beschwerdeführerin zwecks Einvernahme der Bundespolizeidirektion I vorzuführen. Es muß davon ausgegangen werden, daß etwa zu diesem Zeitpunkt die Anzeige gegen die Beschwerdeführerin durch den Sicherheitswachebeamten Ha bereits abgefaßt war, da dieser angab, dafür ca. 40 Minuten benötigt zu haben, wobei der Beginn der Anzeigeverfassung mit ca. 15.30 Uhr anzunehmen ist.

 

VI.

Wäre der Transport der Beschwerdeführerin vom Wachzimmer Innere Stadt in der Adamgasse zum Gebäude der Bundespolizeidirektion I in der Kaiserjägerstraße tatsächlich um ca. 16.10 Uhr angetreten worden, wäre ihr Eintreffen dort bei einer mit etwa 5 Minuten anzunehmenden Fahrzeit um ca. 16.15 Uhr erfolgt.

 

Wäre daran anschließend sofort ihre Einvernahme erfolgt - der Zeitaufwand für die Aufnahme der Niederschrift kann mit 35 Minuten angenommen werden - wäre die Beschwerdeführerin jedenfalls um spätestens 17.00 Uhr nach Vorliegen der Anordnung des Staatsanwaltes, daß sie auf freiem Fuß zur Anzeige zu bringen ist, freizulassen gewesen.

 

VII.

Im Verfahren sind keine stichhaltigen Gründe dafür hervorgekommen, weshalb der Transport der Beschwerdeführerin nach der vorliegenden Anordnung durch den Journaldienstbeamten der Bundespolizeidirektion I nicht ab etwa 16.10 Uhr hätte vorgenommen werden können; es sind auch keine rechtfertigenden Umstände hervorgekommen, weshalb der Transport der Beschwerdeführerin vom Wachzimmer Innere Stadt zum Gebäude der Bundespolizeidirektion tatsächlich erst um ca. 17.45 Uhr veranlaßt worden ist.

 

VIII.

Dadurch, daß die Beschwerdeführerin erst ab 17.55 Uhr bei der Bundespolizeidirektion I einvernommen wurde, obwohl dies nach den dargelegten zeitlichen Gegebenheiten und Umständen bereits ab etwa 16.15 Uhr hätte geschehen können, wurde der Bestimmung des §177 Abs2 StPO, die nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nach einem strengen Maßstab auszulegen ist, nicht entsprochen.

 

IX.

Es ist daher auszusprechen, daß die Aufrechterhaltung der Verwahrungshaft über die Beschwerdeführerin am 15.3.1994 über 17.00 Uhr hinaus rechtswidrig war, und die Beschwerdeführerin dadurch in ihrem Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist.

 

X.

Die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde ist somit im spruchgemäßen Umfang berechtigt.

 

XI.

Gemäß §79a AVG hat die Partei, die in Fällen einer Beschwerde wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegt, Anspruch auf Ersatz der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten. Geltend gemacht wurden S 26.798,40.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Bemessung des Kostenersatzes auf die um 1/3 gekürzten Pauschalbeträge laut Verordnung des Bundeskanzlers über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof abzustellen. Nach der hier anzuwendenden Verordnung, BGBl. Nr.416/1994, ergibt sich somit der zuzuerkennende Schriftsatzaufwand mit S 8.333,-- (2/3 von S 12.500,--) und der beantragte und zuzuerkennende Verhandlungsaufwand mit S 10.400,-- (2/3 von S 15.600,--). Damit ergibt sich ein Gesamtbetrag von S 18.733,--, der dem Bund zum Ersatz vorzuschreiben war. Das Mehrbegehren war abzuweisen.

 

Der Antrag der belangten Behörde auf Zuspruch des Kostenersatzes für den Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand war gemäß §79a AVG - mangels Obsiegens - abzuweisen.

Schlagworte
Vorläufige Verwahrung, Recht auf persönliche Freiheit, unverzügliche Vernehmung erforderlich
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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