TE UVS Wien 1995/09/12 03/15/3013/94

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Veröffentlicht am 12.09.1995
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Hrdliczka über die Berufung der Frau Friederike P, nunmehr vertreten durch Rechtsanwalt, vom 11.7.1994 gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt,

vom 21.6.1994, Zahl Pst 4221/S/93, wegen Übertretung 1) des Art VIII EGVG und 2) des § 81 Abs 1 SPG, nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung am 12.9.1995 entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der zu Punkt 1) nur das Strafausmaß bekämpfenden Berufung insoferne Folge gegeben, als gemäß § 1 Abs 1 WLSG (Wiener Landes-Sicherheitsgesetz) die Geldstrafe auf S 200,--, bei Uneinbringlichkeit 9 Stunden und 40 Minuten Ersatzfreiheitsstrafe, herabgesetzt wird.

Dementsprechend ermäßigt sich der erstinstanzliche Verfahrenskostenbeitrag gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG auf S 20,-- (= 10 % der verhängten Geldstrafe).

Gleichzeitig wird gemäß § 19a Abs 1 VStG die am 26.8.1993 in der Zeit

von 01.10 Uhr bis 10.50 Uhr erlittene Vorhaft im Ausmaß von 9 Stunden

40 Minuten auf die nunmehr verhängte Geldstrafe von S 200,-- in voller Höhe angerechnet.

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung zu Punkt 2) Folge gegeben, das

Straferkenntnis in diesem Punkt aufgehoben und das diesbezügliche Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

Die Berufungswerberin hat gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Text

Begründung:

Im angefochtenen Straferkenntnis wurde der Berufungswerberin zur Last

gelegt, sie habe am 26.08.1993 um 01.10 Uhr (bei der Angabe der Tatzeit mit 0.10 Uhr im Straferkenntnis handelt es sich um einen offenkundigen Schreibfehler) in Wien, H, in und vor dem Wachzimmer

1)

durch widerholtes lautes Schreien ungebührlicherweise störenden Lärm erregt und 2) durch ihr besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört.

Sie habe dadurch die Rechtsvorschriften 1) des Art VIII EGVG und 2) des § 81 Abs 1 SPG verletzt, weswegen über sie zwei Geldstrafen zu je

S 500,-- (zwei Ersatzfreiheitsstrafen zu je 30 Stunden) verhängt wurden und die Vorschreibung eines erstinstanzlichen Verfahrenskostenbeitrages von insgesamt S 100,-- (= 10 % der verhängten Geldstrafen) erfolgte.

Weiters wurde gemäß § 19a VStG die Vorhaft von 26.08.1993, 01.10 Uhr,

bis 26.08.1993, 10.50 Uhr, "im Ausmaß von 10 Stunden 20 Minuten" auf die verhängte Geldstrafe mit einer Höhe von ÖS 180,-- angerechnet. Auf Grund der fristgerecht eingebrachten Berufung wurde vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in welcher die Berufungswerberin ihre Berufung zu Punkt

1) als gegen das Strafausmaß gerichtet einschränkte, womit der Schuldspruch zu Punkt 1) in Rechtskraft erwachsen ist.

Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

ad Punkt 1):

In diesem Punkt oblag dem Unabhängigen Verwaltungssenat ausschließlich die Überprüfung der erstbehördlichen Strafzumessung und damit im Zusammenhang die Überprüfung der Verfahrenskosten und der Anrechnung der Vorhaft.

Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von

Geldstrafen besonders zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall war zur Strafbemessung nicht die Strafnorm des Art VIII EGVG, sondern jene des § 1 Abs 1 WLSG, das am 23.9.1993 in Kraft trat, heranzuziehen, was im Spruch der gegenständlichen Entscheidung zum Ausdruck kommt.

Nach § 1 Abs 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat

geltenden Recht, es sei denn, daß das zur Zeit der Fällung des Bescheides erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre.

Gemäß Art VIII (zweiter Fall) begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geld bis S 1.000,-- oder Arrest bis zwei Wochen zu bestrafen,

wer ungebührlicherweise störenden Lärm erregt.

Gemäß § 1 Abs 1 WLSG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu S 10.000,--, im Fall der Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen, wer (Z 2) ungebührlicherweise störenden Lärm erregt.

Bei der Prüfung im Sinne des § 1 Abs 2 VStG betreffend das von der Behörde anzuwendende Recht kommt es nicht darauf an, welche Strafe tatsächlich über den Täter verhängt wird, sondern auf die Strafdrohung. Der Vergleich ist nicht bloß auf die Höhe der jeweils angedrohten Geldstrafe abzustellen. Bei Verschiedenheiten der Strafdrohungen kommt es auf die Bewertung der "Gesamtauswirkung" an. Beim Vergleich der Strafdrohungen ist in erster Linie die Strafart in

Betracht zu ziehen und davon auszugehen, daß die Androhung einer Geldstrafe günstiger ist als die einer Freiheitsstrafe. Wird in einer

Strafbestimmung als primäre Strafe nur eine Geldstrafe und in einer anderen Strafbestimmung neben einer Geldstrafe Primärarrest angedroht, so ist letztere Strafbestimmung die strengere und die erstere für den Täter günstiger (vgl das Erkenntnis des VwGH vom 13. September 1982, Slg NF 10.801/A ua).

Art VIII EGVG sah für Lärmerregung als Strafe Geld bis S 1.000,-- oder Arrest bis 2 Wochen vor. Demgegenüber bedroht § 1 Abs 1 WLSG Lärmerregung mit Geldstrafe bis zu S 10.000. Eine Primärfreiheitsstrafe ist nicht vorgesehen.

§ 1 Abs 1 WLSG stellt daher die für den Täter günstigere Strafbestimmung dar (siehe VwGH 24.4.1995, Zl 94/10/0154), weil die Tat zwar am 26.8.1993 begangen, das Straferkenntnis jedoch erst nach Inkrafttreten des WLSG, nämlich am 27.6.1994, zugestellt und damit erlassen wurde.

Im konkreten Fall war der bisher verwaltungsstrafrechtlich unbescholtenen Berufungswerberin im Hinblick auf die besondere Situation zum Tatzeitpunkt - die Berufungswerberin erachtete sich ungerecht behandelt und provoziert - heftige Erregung und Entrüstung zuzubilligen, weshalb ihr zwar kein Schuldausschließungsgrund (siehe dazu die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, so zB die Erkenntnisse vom 11.11.1980, Zlen 725, 727/80, und vom 17.12.1990, Zl 89/10/0050), jedoch ein bedeutender Milderungsgrund zugutekam, der zum bereits vorliegenden Milderungsgrund der bisherigen verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit hinzutrat. Eine weitere Strafherabsetzung kam nicht in Betracht, weil das der Bestrafung zugrundeliegende Verhalten in nicht unerheblichem Maße das

Interesse an der Vermeidung ungebührlicherweise störenden Lärmes schädigte, weshalb der objektive Unrechtsgehalt der Tat groß war. Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe und auf den gemäß § 1 Abs 1 WLSG bis S 10.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche) reichenden Strafsatz, erweist sich die nunmehrige Strafhöhe auch in Anbetracht der nicht als ungünstig zu wertenden wirtschaftlichen Verhältnisse der Berufungswerberin (monatliches Nettoeinkommen von ca S 20.000,--, Vermögen in Form eines Hauses in Wien-Innere Stadt, keine Sorgepflichten) als milde genug. Die Anrechnung der Vorhaft erfolgte in Anpassung an die nunmehr verhängte

Strafe.

ad Punkt 2):

Gemäß § 81 Abs 1 SPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu S 3.000,-- zu bestrafen, wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden. Die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (148 Blg NR 18. GP, 52) führen zu § 81 aus:

"Die Tatbestandsumschreibung entspricht in ihrem Aufbau jener des Art IX Abs 1 Z 1 (zu ergänzen: EGVG), die Strafbarkeit wurde jedoch in zwei Punkten inhaltlich zurückgenommen. Nach geltendem Recht ist für die Störung der Ordnung ein Verhalten gefordert, das Ärgernis zu erregen geeignet ist; diese Formulierung stellt bereits auf die Einschätzung durch andere und nicht auf die Intention des Täters ab. Daß insbesondere dies maßgeblich ist, soll nunmehr durch die Wendung "besonders rücksichtsloses Verhalten" verstärkt zum Ausdruck gebracht

werden. Außerdem soll auch entscheidend sein, ob es eine Rechtfertigung für die Störung der Ordnung gibt. Hier wären insbesondere Verhaltensweisen zu berücksichtigen, die der Täter in Ausübung seiner Grund- und Freiheitsrechte gesetzt hat."

Die Ordnungsstörung ist nur dann strafbar, wenn sie "ungerechtfertigt" erfolgt. In diesem Kriterium ist nicht bloß ein Hinweis auf die Strafbarkeitsvoraussetzungen der "Rechtswidrigkeit" zu verstehen, diesfalls käme diesem Ausdruck keine eigenständige normative Bedeutung zu, da schon nach allgemeinen Grundsätzen eine Tat nicht strafbar ist, wenn sie, "obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt" ist (§ 6 VStG). Vielmehr wollte der Gesetzgeber Situationen berücksichtigt wissen, die zwar noch nicht von den klassischen Rechtfertigungsgründen erfaßt sind, gleichwohl aber unter besonderen Gesichtspunkten von der Rechtsordnung zu tolerieren sind; nach der Regierungsvorlage ist an Verhaltensweisen zu denken, "die der Täter in Ausübung seiner Grund- und Freiheitsrechte gesetzt hat"; vgl in diesem Sinne auch § 27 Abs 1 letzter Satz SPG: danach haben die Sicherheitsbehörden bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf das Interesse des Einzelnen, seine Grund- und Freiheitsrechte auszuüben, besonders Bedacht zu nehmen (siehe Anmerkung 6 zu § 81 SPG in: Hauer-Keplinger, Handbuch zum Sicherheitspolizeigesetz).

Sowohl in der Anzeige als auch im angefochtenen Straferkenntnis ist nicht eindeutig und zweifelsfrei erkennbar, worin das besonders rücksichtslose Verhalten der Berufungswerberin bestanden haben und worin die ungerechtfertigte Störung der öffentlichen Ordnung gelegen sein soll.

Sollte die Erstbehörde das wiederholte laute Schreien der Berufungswerberin als besonders rücksichtsloses und ungerechtfertigtes Verhalten angesehen haben, so vermag der Unabhängige Verwaltungssenat insbesonders im Hinblick darauf, daß die

Berufungswerberin sich ungerecht behandelt und provoziert erachtete, weshalb ihr eine heftige Erregung und Entrüstung zuzubilligen war, darin allein noch kein nach § 81 Abs 1 SPG strafbares Verhalten zu erkennen, mag auch im konkreten Fall das Verhalten der Berufungswerberin den Tatbestand der Lärmerregung verwirklicht haben.

Bei der konkreten Fallkonstellation war demnach spruchgemäß zu entscheiden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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