TE UVS Wien 1995/09/26 03/P/18/2716/95

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Veröffentlicht am 26.09.1995
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied DDr Lacina über die Berufung des Herrn Rudolf W gegen das Straferkenntnis

der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Döbling, vom 23.5.1995, AZ S 21484-D/95, betreffend eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs 2 StVO 1960, womit über den Beschuldigten eine Geldstrafe von S 10.000,--, im Nichteinbringungsfalle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Woche, verhängt und ein erstinstanzlicher Verfahrenskostenbeitrag von S 1.000,-- vorgeschrieben wurde, entschieden:

Auf Grund der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung und nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 20.9.1995 wird das angefochtene Straferkenntnis gemäß § 66 Abs 4 AVG mit der Maßgabe bestätigt, daß die Übertretungsnorm "§ 99 Abs 1 lit b iVm § 5 Abs 2 und 3 StVO 1960" zu lauten hat.

Dem Berufungswerber wird gemäß § 64 Abs 2 VStG ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in der Höhe von S 2.000,--, ds 20 % der verhängten Geldstrafe, auferlegt.

Text

Begründung:

1. Das angefochtene Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 23.5.1995, Zl S 21484-d/95, ist gegen den nunmehrigen Berufungswerber als Beschuldigten gerichtet und enthält folgenden Spruch:

"Sie haben am 8.2.1995 um 22.30 Uhr in Wien, Wachzimmer H als Lenker des Kfz W-16 sich geweigert, Ihre Atemluft von einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organe der Straßenaufsicht auf Alkoholgehalt messen zu lassen, obwohl vermutet werden konnte, daß Sie sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befanden.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§ 5/2 StVO 1960.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von S 10.000,--, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Woche gemäß § 99 Abs 1 lit b StVO 1960. Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

S 1.000,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, ds 10 % der

Strafe.

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher

S 11.000,--. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 54d VStG)."

2. Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die Berufung des Beschuldigten vom 31.5.1995.

Der Berufungswerber bringt vor, daß die erstinstanzliche Behörde vollkommen zu Unrecht davon ausgegangen ist, daß ihm ein weiteres Zuwarten zumutbar gewesen wäre. Nachgewiesenermaßen sei er Diabetiker

und müsse um ca 22.00 Uhr Insulinspritzen (Kein Medikament nehmen, wie in der Begründung des Straferkenntnisses angeführt). Das Straferkenntnis sei unvollständig geblieben, da es - was die maßgeblichen Zeitpunkte betrifft - nur allgemein gehalten sei, anstatt daß konkrete Feststellungen hinsichtlich der maßgeblichen Uhrzeiten getroffen werden. Die zitierte Judikatur treffe in diesem Fall überhaupt nicht zu, da hier nur von gesunden Personen ausgegangen werde. Auch sei es vollkommen unzutreffend, daß ein Notstand deshalb verneint wird, da er für die Herbeiholung der notwendigen Medikamente sorgen hätte sollen. Auf Grund von Begleitmaßnahmen könne der Berufungswerber diese Insulinspritzen nur zu Hause verabreichen. In keinster Weise wurde gewürdigt, daß er sehr

wohl über einen relativ langen Zeitraum zugewartet und erst dann das Kommissariat verlassen habe.

3. In der Sache wurde am 20.9.1995 vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Der Berufungswerber hat an der Verhandlung persönlich teilgenommen. Er führte aus, daß bei ihm 1987 Diabetes mellitus diagnostiziert wurde und er ab 1990 insulinpflichtig sei. Er mache funktionelle Therapie (NIS). Um 22.00 Uhr hätte er prandiales Insulin, nämlich Actrapid, applizieren müssen und hätte er zu diesem Zwecke zuerst eine Blutzuckerkontrolle mit einem Reflolux-2-Gerät durchführen müssen. Sein letzter HbA1c-Wert (i e Hämoglobin A1c) sei ihm ohne Unterlagen derzeit nicht bekannt.

4. Die Berufung ist nicht begründet.

a. Gemäß § 5 Abs 2 StVO 1960 sind Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe

der Straßenaufsicht berechtigt, jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Sie sind außerdem berechtigt, die Atemluft von Personen, die verdächtig sind,

in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand

1.

ein Fahrzeug gelenkt zu haben oder

2.

als Fußgänger einen Verkehrsunfall verursacht zu haben, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Wer zu einer Untersuchung der Atemluft aufgefordert wird, hat sich dieser zu unterziehen. Gemäß § 5 Abs 3 StVO leg cit ist die Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt mit einem Gerät vorzunehmen, das den Alkoholgehalt der Atemluft mißt und entsprechend anzeigt (Alkomat).

 b. Aus der Anzeige vom 8.2.1995 geht hervor, daß beim Berufungswerber, der als Lenker eines Kfz an einem Verkehrsunfall mit

Sach- und Personenschaden ursächlich beteiligt war, im Zuge der Verkehrsunfallaufnahme vom Meldungsleger als Symptome einer möglichen

Alkoholisierung ein Geruch aus dem Munde nach alkoholischen Getränken, eine lallende Aussprache und ein unsicherer Gang festgestellt werden konnten. Auf Grund dieser Symptome wurde der Berufungswerber aufgefordert sich einen Alkomattest zu unterziehen, welcher Aufforderung er zunächst auch nachkam und mit dem Verkehrsunfallskommando auf das Kommissariat Döbling fuhr. Der Meldungsleger war mit Ermächtigung des Polizeipräsidenten vom 1.10.1994, DNr 6719, befugt einen Alkomattest durchzuführen. Nachdem das Verkehrsunfallskomando am Kommissariat Döbling eingetroffen war und der Berufungswerber den Alkomattest durchführen sollte, sagte er im Beisein des erstintervenierenden Sicherheitswachebeamten, daß er ihn nicht mache. Er müsse nach Hause fahren um eine Spritze zu nehmen, weil er Diabetiker sei. Auf Grund der Verweigerung wurde der Führerschein am 8.2.1995 um 22.30 Uhr vom Meldungsleger abgenommen (Blatt 4 verso).

 c. Anläßlich seiner zeugenschaftlichen Einvernahme führte der Meldungsleger zum maßgeblichen Sachverhalt befragt wie folgt aus:

"Ich kann mich an den Vorfall noch erinnern.

Ich habe die niederschriftliche Einvernahme mit Herrn W am Unfallort durchgeführt und fiel mir bereits bei meinem Eintreffen auf, daß dieser sehr nervös war. Herr W stand außerhalb seines KFZ und ging auf und ab, wobei er einen unsicheren Gang hatte. Im Fahrzeug selbst während der Einvernahme fiel mir noch am Berufungswerber ein Geruch der Atemluft nach alkoholischen Getränken auf. Ich habe den Lenker dann gefragt, ob er alkoholische Getränke konsumiert hätte, was dieser bejahte und in weiterer Folge, ob er einer Alkomatuntersuchung

zustimmen würde, was dieser gleichfalls bejahte. Ich habe dann über Funk erfahren, daß sich der mobile Alkomat im 3. Bezirk befindet und habe daher den Berufungswerber aufgefordert mit aufs Wachzimmer Hohe Warte zu fahren, da es zu lange gedauert hätte bis der mobile Alkomat

am Unfallort eingetroffen wäre. Der Berufungswerber fuhr dann auf

das

Wachzimmer mit.

Soferne der Alkomat im Wachzimmer nicht eingeschaltet und völlig

kalt

war, würde das Einschalten bis zur Bereitschaft des Gerätes etwa 10 bis 15 Minuten dauern. Ich weiß allerdings heute nicht mehr, ob der Alkomat damals schon einsatzbereit war oder nicht.

Als wir im Wachzimmer eintrafen, teilte uns der Berufungswerber nach etwa 2 Minuten mit, daß er nach Hause gehen müsse, um eine Spritze zu

nehmen, da er Diabetiker sei. Hätte mir der Berufungswerber diesen Grund bereits bei seiner Einvernahme mitgeteilt, hätten wir den mobilen Alkomat schneller an den Einsatzort beordern können. Der Berufungswerber sagte mir dann, daß er den Alkomattest nicht machen würde, da er eine Spritze benötigen würde. Ich habe ihm daraufhin den Führerschein abgenommen und gesagt, daß er nach Hause gehen könne.

Ich habe den Berufungswerber darüber in Kenntnis gesetzt, daß ihm der

Führerschein abgenommen und auf das Verkehrsamt geschickt und alles weitere dort entschieden wird.

Der Berufungswerber hat die Vornahme des Alkomattest mit der Begründung verweigert, daß er jetzt nach Hause gehen müsse, um eine Spritze zu nehmen.

Zu mir hat der Berufungswerber jedenfalls gesagt, daß er nach Hause müsse, um eine Spritze zu nehmen und daher den Alkomattest nicht durchführen wird; für mich stellte dies eine Verweigerung dar und habe ich dem Berufungswerber den Führerschein abgenommen. Wenn mir die im Akt befindliche Kopie, Blatt 27, vorgehalten wird, wo

sich der Vermerk "22.22 tel" befindet, so gebe ich an, daß dies der Zeitpunkt ist, an welchem wir im Kommissariat eintrafen. Ich habe bereits um 21.46 Uhr auf dem Protokoll, Blatt 27, festgehalten, daß an gegenständlichem Verkehrsunfall ein KKW und ein PKW beteiligt war, 1 Verletzter ins AKH gebracht wurde und eine Anfrage bezüglich eines mobilen Alkomaten.

Ich hatte den Berufungswerber bereits am Unfallort, nachdem von mir Symptome einer möglichen Alkoholisierung festgestellt wurden, gefragt, ob er der Vornahme eines Alkomattest zustimmen würde. Da er dies bejahte, habe ich eine Anfrage bezüglich eines mobilen Alkomaten

gestellt.

Im Zuge der Einvernahme im Einsatzwagen habe ich dem Berufungswerber,

nachdem ich Symptome einer möglichen Alkoholisierung bei ihm festgestellt hatte, diesem gesagt, daß wir einen Alkomattest machen müssen und da der Berufungswerber diesen nicht ablehnte, habe ich eine Anfrage nach einem mobilen Alkomaten gemacht.

Ein Teststreifen beim Alkomat wird nur dann aufgehoben, wenn der Proband in das Gerät hineinbläst. Da im gegenständlichen Fall vom Berufungswerber nicht hineingeblasen wurde, kam es auch nicht zu einem Ausdruck irgendeines Teststreifens."

Ein weiterer Sicherheitswachebeamter, RvI Wi, bestätigte die Angaben seines Kollegen im wesentlichen, indem er folgendes ausführte:

"Ich habe mich am Unfallort mehr um die verletzte Lenkerin gekümmert.

 

Ich habe am Unfallort die Amtshandlung eingeleitet und das Verkehrsunfallskommando verständigt. Nach Beendigung meiner Amtshandlung bin ich dann mit dem Stkw wieder auf das Wachzimmer zurückgefahren. Erst später traf das Unfallkommando und der Berufungswerber dort ein.

Der im Wachzimmer befindliche Alkomat war auf Sparbetrieb (Bereitschaft) meiner Erinnerung nach eingestellt. Soferne dieser seit Tagen nicht benutzt wurde, würde es ungefähr 5 Minuten dauern, damit man einen Test durchführen kann; wäre kurz zuvor ein Test durchgeführt worden, dauert es allerdings nur etwa 1/2 Minute, um einen neuen Test durchführen zu können. Ich weiß heute allerdings nicht mehr, ob gegenständlicher Alkomat kurz zuvor benutzt worden war

oder nicht.

Von mir wurde der Alkomat von der Bereitschaftstellung auf Betriebstellung eingeschaltet und teilte dann der Berufungswerber nach etwa 1 bis 2 Minuten mit, daß er irgendwelche Medikamente, ich glaube Insulin, benötigen würde. Dem Berufungswerber wurde hierauf entweder von mir oder von anderen Kollegen mitgeteilt, daß es maximal

nur mehr noch 2 bis 3 Minuten dauern würde, bis der Alkomat funktionsbereit sei; der Berufungswerber sagte jedoch, er könne nicht

solange warten, um den Test zu machen, er benötige die Medikamente und müsse daher nach Hause gehen.

Wenn mir vorgehalten wird, daß mein Kollege anläßlich seiner Einvernahme am 13.4.1995 (Blatt 26 verso) ausgesagt hätte, daß der Berufungswerber nach etwa 5 Minuten Anwesenheit im Wachzimmer erklärt

hatte, Diabetiker zu sein, so gebe ich dazu an, daß mir diese Zeit kürzer vorgekommen ist."

Sohin steht zunächst einmal als erwiesen fest, daß beim Berufungswerber zum Zeitpunkt der Verkehrsunfallaufnahme vom Meldungsleger bestimmte Symptome einer möglichen Alkoholbeeinträchtigung festgestellt wurden und der Berufungswerber, der im Verdacht stand, in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt zu haben, sohin berechtigterweise vom Meldungsleger aufgefordert wurde, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen. Dieser Aufforderung

stimmte der Berufungswerber zunächst nachweislich zu und fuhr mit

auf

das Wachzimmer Döbling.

d. Zum Einwand des Berufungswerbers, er hätte eine Spritze nehmen und

aus diesem Grund den Alkomattest verweigert, wird folgendes ausgeführt:

Mit dem von Dr Kinga Howorka entwickelten System einer intensivierten

Insulintherapie, der nahe-normoglykämischen Insulinsubstitution

(NIS)

wird der Weg zur eigenständigen Insulin-Substitutionstherapie durch den Typ I Diabetiker und der Liberalisierung von Ernährung und Lebensrhythmus mit großem Erfolg beschritten (Berger in Howorka, Funktionelle, nahe-normoglykämische Insulinsubstitution, 3., vollst überarb Aufl, Berlin-Heidelberg 1990, IX).

Die Begriffe: "funktionelle Insulinbehandlung", "funktionelle Insulinsubstitution" und "NIS" werden zumeist als Synonym gebraucht und bedeuten anhand individueller Regeln (=Algorithmen) funktionell getrennten Insulingebrauch (mittels Spritze, Pumpe oder Pen) entweder

zum Fasten, oder zum Essen oder zur Korrektur eines zu hohen Blutzuckers (mit dem Ziel der Nahe-Normoglykämie und flexibler Lebensführung; Howorka, 8).

Durch die klaren Algorithmen (= Regeln) für Insulinanwendung erhält der Patient die Möglichkeit der selbständigen Insulindosierung und der freien Entscheidung bezüglich der Nahrungsaufnahme und trägt die Verantwortung für die aktuelle Glykämie (i e Blutglucosespiegel; Howorka, 15).

Der Berufungswerber hat nun vorgebracht er hätte um 22.00 Uhr "prandiales" Insulin, nämlich Actrapid, applizieren müssen. Die prandiale (i e das Essen betreffende) Insulinsekretion ist jedoch

in erster Linie von der Menge und auch teilweise von der Art der Kohlenhydrate (i e Naturstoffe, die einen Hauptnährstoff der Tiere und des Menschen darstellen; sie umfassen Substanzen mit der Summenformel Cn(H2O)n und ihre Derivate (von einer chemischen Grundsubstanz abgeleitete Verbindungen); unterschieden werden Zucker (Mono-, Oligosaccharide) und Polysaccharide)), aber auch von der Menge an Nicht-Kohlenhydraten abhängig. Sie liegt bei 1.35 IE (Internationale Einheiten; i e die in einer bestimmten Gewichtsmenge enthaltene biologische Aktivität eines Wirkstoffs) Insulin pro 50 kcal Glukoseäquivalent (1 Broteinheit (BE) = Maßeinheit in der Diabetes-Diät-Behandlung zur Angabe des Kohlenhydratgehaltes der Nahrungsmittel)) und 0.45 IE je 100 kcal an Nicht-Kohlenhydraten (Eiweiß, Fett) (Howorka, 20).

Die prandiale Insulinsekretion kann durch Normalinsulin (zB Actrapid HM (Howorka, 203) - wie vom Berufungswerber angeführt) praeprandial (i e vor dem Essen) bzw durch Bolus-Insulingabe bei kontinuierlicher Insulininfusion (Pumpe) ersetzt werden (Howorka, 21). Da die prandiale Insulinsekretion jedoch in erster Linie dazu dient, eine angemessene Menge an Insulin zur Nahrungsaufnahme in richtiger Weise zu applizieren, hätte der Berufungswerber auf Grund der weitgehenden Flexibilität der Nahrungsaufnahme den Zeitpunkt durchaus

verschieben können (cf Howorka 2 und 22).

Unter NIS ist der Gebrauch von Normalinsulin (Actrapid HM) in

folgenden Situationen indiziert:

(1) Aufnahme von Kohlenhydraten (wie oben bereits erwähnt);

(2) Korrektur einer Hyperglykämie (i e Erhöhung des Blutglucosespiegels);

(3) Ausgleich des morgendlichen basalen Insulinmehrbedarfes (sogenanntes "Dawn"-Phänomen) (Howorka, 90).

Eine Erörterung des unter (3) angeführten morgendlichen "Dawn"-Phänomens erübrigt sich aber an dieser Stelle, da sich der aktenkundliche Vorfall in den Abendstunden ereignete. Die unter (1) angeführte Aufnahme von Kohlenhydraten kann der Berufungswerber jedoch unter NIS weitgehend flexibel in Eigenverantwortung gestalten, sodaß seiner diesbezüglichen Verantwortung, er könne auf die Alkomatuntersuchung nicht länger warten, keinerlei Berechtigung zukommt.

Die unter (2) angeführte Korrektur einer Hyperglykämie erfordert jedoch eine Glykämiekontrolle in Form einer Blutglukose-Selbstmessung

des Patienten (Howorka, 95). Der Patient muß bei der funktionellen Insulinsubstitution befähigt sein, aus jedem Meßergebnis, sofern dieses vom Zielbereich abweicht, unmittelbare Konsequenzen zu ziehen,

um eine annähernde Normoglykämie (i e 60-160 mg/dl) zu erreichen.

NIS

beruht ja auf einer glykämieabhängigen Insulin-Selbstdosierung (Howorka, 36).

Als "Minimalausrüstung" für NIS gilt: Blutzuckerstreifen, Normalinsulin, Plastipak-Insulinspritze, Dextroenergen (Howorka, 64f). Eine richtige Insulinsubstitution ist jedoch nicht denkbar, ohne daß der Patient ständig Insulin, eine Plastipak-Spritze, Dextroenergen und BG-Teststreifen bei sich trägt. Er müßte jederzeit imstande sein, die aktuelle Glykämie zu erfassen, zu beurteilen und zu beeinflussen (Howorka, 97).

Dem Berufungswerber, der nach eigenen Angaben seit mehreren Jahren NIS als Therapieform seines Diabetes mellitus anwendet, muß daher der

Vorwurf gemacht werden, seine "Minimalausrüstung" für NIS nicht stets

bei sich geführt zu haben um so jederzeit - auch auf dem Wachzimmer des Kommissariates Döbling - seine aktuelle Glykämie zu erfassen, zu beurteilen und gegebenenfalls zu beeinflussen.

Seine Rechtfertigung, er könne nicht länger auf die Alkomatuntersuchung warten, da er "Insulin" benötige, muß daher - unter Berücksichtigung der Prinzipien der funktionellen, nahe-normoglykämischen Insulinsubstitution (NIS), als bloße Schutzbehauptung gewertet werden.

Bemerkt wird noch, daß bei Insulinspritzenden durch Alkoholaufnahme die hepatische (i e Leber-, zur Leber gehörige) Glukoseproduktion herabgesetzt wird, was in einem relativ überhöhten, peripheren Insulinspiegel resultiert, zumal dieser nicht abrupt vermindert werden kann. Alkoholaufnahme wird daher bei Insulinbehandelten zur Hypoglykämie (i e Erniedrigung des Blutzuckerspiegels unter den Normwert) führen, sofern keine Gegenmaßnahmen (unmittelbare Aufnahme rasch resorbierbarer Kohlenhydrate) getroffen werden (Howorka, 21 und 109).

Da der Berufungswerber selbst angegeben hat im Laufe des Abends lediglich "ein Bier" getrunken zu haben (Bl 18 verso) hätte dies allenfalls zu einer Hypoglykämie führen können, welche - wie bereits oben erwähnt - durch unmittelbare Aufnahme rasch resorbierbarer Kohlenhydrate zu behandeln gewesen wäre und nicht durch das behauptete Erfordernis einer sofortigen Insulinsubstitution. Wäre eine solche jedoch dennoch erforderlich gewesen, hätte der Berufungswerber unter Beachtung der NIS-Prinzipien zuvor die aktuelle

Glykämie mittels BG-Testreifen feststellen müssen.

Es lag sohin für den Berufungswerber kein Grund vor, der Untersuchung

seiner Atemluft auf Alkoholgehalt nicht nachzukommen. Dadurch aber, daß der Berufungswerber, nachdem er aufgefordert worden war, sich einer Atemluftuntersuchung zu unterziehen, den Amtsraum verließ ohne dieser Aufforderung nachgekommen zu sein, hat er den Tatbestand der Weigerung nach § 99 Abs 1 lit b StVO 1960 erfüllt (cf VwGH 27.3.1974,

361/73, ZVR 1975/39).

e. Der vom Berufungswerber behauptete Rechtsirrtum liegt aus folgenden Gründen nicht vor:

Gemäß § 9 Abs 1 StGB handelt, wer das Unrecht der Tat wegen eines Rechtsirrtums nicht erkennt, nicht schuldhaft, wenn ihm der Irrtum nicht vorzuwerfen ist.

Gemäß § 9 Abs 2 leg cit ist der Rechtsirrtum dann vorzuwerfen, wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war oder

wenn sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften nicht bekannt gemacht hat, obwohl er seinem Beruf, seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre.

Der erkennenden Behörde ist kein höchstgerichtlicher Rechtssatz und kein medizinischer Erfahrungssatz bekannt, wonach ein insulinpflichtiger Diabetiker grundsätzlich nicht in der Lage wäre, sich einer Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt zu unterziehen.

Ein diesbezüglicher Rechtsirrtum (Verbotsirrtum), bei dem der Täter über eine Verbotsnorm (bzw über einen Erlaubnissatz) irrt, muß dem Berufungswerber daher vorgeworfen werden.

Daß der Berufungswerber jedoch als ein in der Therapieform NIS geschulter Diabetiker dazu "verpflichtet" war, seine "Minimalausrüstung" stets bei sich zu führen, um zu einer weitgehenden Flexibilität der Nahrungsaufnahme und Lebensführung in der Lage zu sein, stellt keine Rechtsnorm dar, sondern lediglich eine

Empfehlung an die Vernunft des mündigen insulinabhängigen Diabetes-Patienten, der praktisch so leben können soll wie jeder Gesunde (cf Howorka, 2).

Ob ein insulinabhängiger Diabetes-Patient die zur Behandlung seines Diabetes erforderliche "Minimalausrüstung" auch stets mit sich führt,

fällt daher alleine in seinen Entscheidungs- und Verantwortungsbereich. Er hat sohin alle jene Nachteile zu vertreten,

die dadurch entstehen können, daß er seine "Minimalausrüstung" nicht mit sich führt.

In Anlehnung an die Fahrlässigkeitsdogmatik des § 6 StGB handelt ein insulinabhängiger Diabetiker dann fahrlässig, wenn er jene Sorgfalt und Aufmerksamkeit in der Behandlung seines Diabetes außer acht läßt,

zu der er nach den Umständen (Diabetikerschulung) verpflichtet und die ihm zuzumuten ist.

Nach seinen eigenen Angaben ist der Berufungswerber in der Behandlung

seines Diabetes mellitus geschult worden, weshalb ihm auch die Einhaltung der erlernten Vorschriften zuzumuten war, insbesondere das

unverzichtbare Erfordernis des ständigen Mitsichführens der "Minimalausrüstung".

Die dem Berufungswerber zur Last gelegte Tat war daher auch unter besonderer Berücksichtigung der diabetesspezifischen Aspekte als erwiesen anzusehen, weshalb der Berufung keine Folge zu geben und der

erstinstanzliche Schuldspruch in modifizierter Form zu bestätigen war.

Die Abänderung im Spruche diente der richtigen Zitierung der heranzuziehenden gesetzlichen Bestimmung.

5. Zur Strafbemessung wird ausgeführt:

Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient

und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach

sich

gezogen hat.

Gemäß § 19 Abs 2 leg cit sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung der Geldstrafen zu berücksichtigen.

Die Tat schädigte in nicht unerheblichem Maße das Interesse an der raschen Aufklärung von Alkoholdelikten.

Deshalb war der objektive Unrechtsgehalt der Tat auch erheblich. Das Verschulden des Berufungswerbers war gleichfalls als erheblich anzusehen, da der Berufungswerber zumindest grob fahrlässig gehandelt

hatte.

Bei der Strafbemessung wurde auch die zur Tatzeit vorgelegene verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit sowie die angegebenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie das Bestehen einer gesetzlichen Sorgepflicht für die Ehefrau berücksichtigt. Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe und auf den von S 8.000,-- bis S 50.000,-- reichenden Strafrahmen

ist die verhängte Geldstrafe durchaus angemessen und keineswegs zu hoch, zumal weitere Milderungsgründe im Verfahren nicht hervorgetreten sind.

Die Auferlegung des Beitrages zu den Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf die zwingende Vorschrift des § 64 Abs 2 VStG.

Schlagworte
Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt, Verweigerung, Diabetiker
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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