TE UVS Niederösterreich 1996/01/31 Senat-KO-95-410

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Veröffentlicht am 31.01.1996
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Spruch

Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl Nr 51, keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid vollinhaltlich bestätigt.

 

Der Berufungswerber hat gemäß §64 Abs1 und 2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl Nr 52, S 140,-- als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens binnen 2 Wochen zu zahlen.

 

Innerhalb gleicher Frist sind der Strafbetrag und die Kosten des Verfahrens erster Instanz zu bezahlen (§59 Abs2 AVG).

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde über den Berufungswerber wegen Übertretung des §46 Abs4 litd iVm §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von S 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 42 Stunden) verhängt. In diesem Straferkenntnis wurde als erwiesen angesehen, daß der Beschuldigte am 8. September 1994 um 20.39 Uhr im Gemeindegebiet von L*************, A **, von Straßenkilometer 15.000 bis 15.200, Richtungsfahrbahn S********, mit dem Motorrad ** ** *A auf der Autobahn den Pannenstreifen befahren und mehrere Fahrzeuge rechts überholt hat.

 

Der Beschuldigte hat gegen dieses Straferkenntnis fristgerecht Berufung erhoben.

 

Er verweist zunächst auf sein bisheriges Vorbringen und bringt hiezu ergänzend vor, daß er als Laie gar nicht imstande sein könne, die Unmittelbarkeit der Notstandssituation mit Sicherheit festzustellen. Er verweist hiezu auch auf die von ihm angeschlossene Stellungnahme des Arztes Dr P********. Als Laie könne er durchaus von der Unmittelbarkeit eines Notstandes sprechen, wenn er die ersten Anzeichen für einen solchen verspüre. Er sei daher berechtigt gewesen, die Autobahn auf kürzestem Wege auch unter Einbeziehung des Pannenstreifens zu verlassen. Wegen Vorliegens einer Notstandssituation beantrage er die Aufhebung des Straferkenntnisses.

 

In der der Berufung angeschlossenen ärztlichen Stellungnahme wird zur Frage, inwieweit ein Laie eine fortschreitende Kohlenmonoxydvergiftung erkennen und deren weiteren Verlauf abschätzen könnte und wie man sich als Motorradfahrer in einem Stau verhalten solle, wenn sich Auspuffgase unter dem Helm sammeln und man erste Beeinträchtigungen verspüre, dahingehend Stellung genommen, daß eine Kohlenmonoxydvergiftung an beginnendem Unwohlsein und Kopfschmerzen zu erkennen sei. Da sich im Bereich einer stehenden Kolonne mit Sicherheit Auspuffgase unter dem Helm sammeln können, sollte bei den ersten Anzeichen der Helm abgenommen und so schnell wie möglich der gefährdete Standort verlassen werden; das Verweilen auf dem Pannenstreifen würde keine Besserung bringen, da der Betreffende weiterhin den Auspuffgasen ausgesetzt wäre. Ein weiteres Verweilen in der Kolonne wäre gefährlich, da in diesem Fall innerhalb kürzester Zeit ein Vergiftungsstadium erreicht werden könnte, das ein koordiniertes Handeln erschwert oder unmöglich machen würde. Für genauere Aussagen seien allerdings Messungen bzw genaue Blutuntersuchungen erforderlich.

 

Im Rahmen seines Einspruches gegen die erstinstanzliche Strafverfügung hat der Beschuldigte vorgebracht, zum gegenständlichen Tatzeitpunkt habe es auf der Autobahn K********* von der Stadtgrenze W*** bis weit nach der Ausfahrt K********* einen Stau mit meist stehender Kolonne gegeben. Er sei damals mit seinem Motorrad von W*** nach S******** unterwegs gewesen. Da er schon bei anderen Gelegenheiten gemerkt habe, daß ihm in einer stehenden Kolonne aufgrund der Auspuffgase, die sich unter dem Helm sammeln, in relativ kurzer Zeit schlecht werden könne, habe er zu seiner eigenen Sicherheit und zur Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer versucht, die Autobahn so schnell wie möglich zu verlassen. Hiebei sei er teilweise gezwungen gewesen, auch den Pannenstreifen zu verwenden. Dies habe er auch dem Verkehrsaufsichtsorgan klarzumachen versucht, wobei jedoch die Verständigung durch den Schutzhelm offensichtlich beeinträchtigt gewesen sei. Er habe angenommen, daß der Beamte seine Argumentation gutheißen würde und er daher seine Fahrt in der angegebenen Weise fortsetzen könne.

 

Der anzeigelegende Gendarmeriebeamte Rev Insp R******* hat im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Einvernahme am 8. Dezember 1994 folgendes angegeben:

 

"Grundsätzlich halte ich meine Angaben, wie diese in der Strafanzeige vom 17.09.1994, festgehalten sind, aufrecht. Der Lenker des Motorrades ** ** *A fuhr am 8.9.1994 um 20.39 Uhr auf der A **, Richtungsfahrbahn S********. Ich hatte meinen Standpunkt ca 100 Meter vor dem Ausfahrtstreifen K********* (Höhe Strk 15.200).

 

Ich hatte ca 200-300 Meter einwandfreie Sicht in Richtung W***. Dabei konnte ich diesen Motorradfahrer wahrnehmen, wie dieser auf der gesamten von mir eingesehenen Wegstrecke den Pannenstreifen benützte. Die eingehaltene Geschwindigkeit möchte ich mit ca 50 km/h angeben (Wegstrecke von Strkm 15.000 - 15.200). Aufgrund dieser Wahrnehmung hielt ich diesen Fahrzeuglenker an und wurde gefragt, was los sei. Ich teilte diesem mit, daß das Befahren des Pannenstreifens nicht erlaubt sei.

 

Ich forderte ihn daraufhin auf, am 1. Fahrstreifen bis zur Ausfahrt Korneuburg weiterzufahren. Von der Anzeigeerstattung wurde dieser Fahrer in Kenntnis gesetzt.

 

Er machte mir gegenüber keine Angaben bezüglich Übelkeit oder sonstiger Mißstände.

 

Eine Er- oder Abmahnung meinerseits erfolgte keinesfalls."

 

In seiner Stellungnahme vom 20. Dezember 1994 bringt der Berufungswerber neuerlich vor, aufgrund der Auspuffgase hätte es sein können, daß er aufgrund einer Anreicherung von Kohlenmonoxyd im Blut bei einer Weiterfahrt in der Kolonne die Kontrolle über sein Motorrad verlieren hätte können. Da er bereits erste Anzeichen hiefür verspürt habe und die nächste Autobahnausfahrt nur 200 m entfernt gewesen sei, sei er berechtigt gewesen, den Pannenstreifen dazu zu benützen, um sich aus einem Gefahrenbereich zu bringen. Im übrigen habe ihn der Beamte keineswegs von der Anzeige in Kenntnis gesetzt.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

Gemäß §46 Abs4 litd StVO 1960 ist es auf der Autobahn verboten, den Pannenstreifen zu befahren, ausgenommen mit Fahrzeugen des Straßendienstes, der Straßenaufsicht oder des Pannendienstes und sofern sich nicht aus Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen etwas anderes ergibt.

 

Im vorliegenden Fall macht der Berufungswerber geltend, infolge des Verkehrsstaues auf der Autobahn habe er aufgrund der von ihm eingeatmeten Auspuffgase mit einer schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung bei weiterem Verbleib auf der Autobahn rechnen müssen und sei deshalb aufgrund einer Notstandssituation berechtigt gewesen, die Autobahn auf kürzestem Wege, auch über den Pannenstreifen, zu verlassen.

 

Gemäß §6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt ist.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter Notstand ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten zu verstehen, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein durch Begehung einer im allgemeinen strafbaren Handlung retten kann. Weiters gehört es zum Wesen des Notstandes, daß die Gefahr zumutbarerweise nicht anders als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlungen zu beheben und die Zwangslage nicht selbstverschuldet ist.

 

Nun hat der Berufungswerber im vorliegenen Fall vorgebracht, er habe schon bei mehreren anderen Gelegenheiten bemerkt, daß ihm als Motorradlenker in einer stehenden Kolonne aufgrund der sich unter dem Helm sammelnden Auspuffgase in relativ kurzer Zeit schlecht werden könne. Als Befahrer der A ** zum angegebenen Tatzeitpunkt mußte er aber von vornherein mit der Möglichkeit der Entwicklung eines Verkehrsstaues und der sich daraus für ihn ergebenden Gefahr einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die er seinen Angaben zufolge ja schon mehrmals erfahren hat, rechnen. Wenn er sich aber unter diesen Umständen, obwohl ihm diese seine Neigung zu Übelkeit bei Stausituationen bekannt war, diesen Gefahren ausgesetzt hat, so ist nach Auffassung der Berufungsbehörde eindeutig eine selbstverschuldete Zwangslage gegeben, sodaß das Vorliegen einer Notstandssituation schon aus diesem Grund verneint werden muß.

 

Im übrigen erscheint es der Berufungsbehörde (im Hinblick auf die unter Wahrheitspflicht erfolgte Zeugenaussage des anzeigelegenden Gendarmeriebeamten, wonach der Berufungswerber bei seiner Anhaltung nichts von Übelkeit oder dgl erwähnt hat) zweifelhaft, ob zum angegebenen Tatzeitpunkt überhaupt eine Gesundheitsbeeinträchtigung gegeben war, da nicht ersichtlich ist, weshalb er dies nicht schon gegenüber dem Gendarmeriebeamten geltend gemacht haben sollte; ein näheres Eingehen hierauf erübrigt sich jedoch angesichts des Umstandes, daß im Sinne der obigen Ausführungen im vorliegenden Fall mangels Zutreffen der Voraussetzung, wonach die Zwangslage nicht selbst verschuldet sein darf, das Vorliegen einer Notstandssituation (und damit eines Schuldausschließungsgrundes) ausgeschlossen werden kann.

Wenn der Berufungswerber aber irrtümlich vom Vorliegen einer Notstandssituation ausgegangen ist, so käme auch einen derartigen Irrtum nur dann schuldbefreiende Wirkung zu, wenn er unverschuldet ist; im vorliegenden Fall ist dem Beschuldigten jedoch auch diesbezüglich zumindest fahrlässiges Verhalten vorwerfbar, da er jedenfalls mit der Möglichkeit rechnen mußte, daß das bloße Vorliegen einer schweren und unmittelbaren Gefahr für das Gegebensein einer Notstandssituation nicht ausreicht, sondern noch andere Voraussetzungen hinzutreten müssen, um das Vorliegen dieses Schuldausschließungsgrundes bejahen zu können.

 

Nach Auffassung der Berufungsbehörde hat daher der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung begangen.

 

Hinsichtlich der Strafhöhe wurde erwogen:

 

Der Schutzzweck der verletzten Gesetzesbestimmung, nämlich der Schutz anderer Verkehrsteilnehmer sowie die Wahrung der Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, wurde durch das Verhalten des Berufungswerbers in nicht unerheblichem Maße beeinträchtigt; das widerrechtliche Befahren des Pannenstreifens auf Autobahnen führt immer wieder zu gefährlichen Situationen. Trotz des Fehlens sonstiger nachteiliger Folgen konnte daher der objektive Unrechtsgehalt des Deliktes nicht als unerheblich betrachtet werden. Im Hinblick darauf, daß dem Berufungswerber zumindest fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen ist (selbst wenn er irrtümlich vom Vorliegen einer Notstandssituation ausgegangen ist, so beruht auch dieser Irrtum auf Fahrlässigkeit), kann auch das Ausmaß des Verschuldens nicht als bloß geringfügig gewertet werden.

 

Nach eigenen Angaben hat der Berufungswerber im Jahr 1994 einen Gewinn von insgesamt rund S 83.600,-- erzielt; er hat kein Vermögen und ist für zwei Kinder sorgepflichtig.

 

Bei der Strafbemessung ist auch davon auszugehen, daß nicht nur der Beschuldigte selbst, sondern auch die Allgemeinheit von der Begehung weiterer gleichartiger Verwaltungsübertretungen abgehalten werden soll, sodaß auch eine generalpräventive Wirkung entsteht.

 

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände gelangt die Berufungsbehörde zu der Auffassung, daß aufgrund des erheblichen Unrechtsgehalts des Delikts trotz der unterdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Berufungswerbers die - ohnehin im untersten Bereich des bis zu S 10.000,-- reichenden gesetzlichen Strafrahmens gelegene - von der Behörde I. Instanz verhängte Strafe in Höhe von S 700,-- durchaus als schuld- und tatangemessen zu betrachten ist.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß §51e Abs2 VStG abgesehen werden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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