TE UVS Wien 1996/02/19 03/P/38/1682/95

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.02.1996
beobachten
merken
Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Mag Pfeifer über die Berufung des Herrn Karlheinz S, vertreten durch RA, vom 16.3.1995 gegen das Straferkenntnis der BPD Wien vom 9.2.1995, Zl S 9839/Ml/95/Har, wegen Übertretung ad 1) § 99 Abs 2 lit a iVm § 4 Abs 1 lit c StVO und ad 2) § 99 Abs 2a iVm § 4 Abs 2 StVO, in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 19.2.1996, entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung in der Schuldfrage keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis diesbezüglich bestätigt.

Hingegen wird der Berufung in der Straffrage insoweit Folge gegeben, als die verhängten Geldstrafen von je S 5.000,-- auf je S 3.000,-- und demgemäß die Ersatzfreiheitsstrafen von je 5 Tagen auf je 3 Tage herabgesetzt werden.

Der Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens wird gemäß § 64 Abs 2 VStG mit insgesamt S 600,-- festgesetzt. Der Berufungswerber hat gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu bezahlen.

Text

Begründung:

Im angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber folgendes zur Last gelegt:

"Sie haben am 12.1.1995 gegen 01.15 Uhr in Wien, W-straße - P-str, als Lenker des PKW W-98 mit einem Verkehrsunfall mit Personen- und Sachschaden ursächlich beteiligt 1) es unterlassen, an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken, da Sie vor Eintreffen von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Unfallstelle verlassen hatten, 2) es unterlassen, sofort die nächste Polizeidienststelle zu verständigen und 3) dieses KFZ in einem durch Alkohol beeinträchtigem Zustand gelenkt.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

ad 1) § 99/2 a iVm § 4/1 c StVO, ad 2) § 99/2 a iVm § 4/2 StVO, ad

3) § 99/1a iVm § 5/1 StVO.

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie folgende Strafen verhängt:

Geldstrafe von ad 1) und ad 2) je S 5.000,-, ad 3) S 16.000,--, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von ad 1) und ad 2) je 5 Tage, ad 3) 2 Wochen gemäß ad 1) und ad 2) §§ 99/2 a StVO, ad 3) § 99/1 a StVO.

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes - VStG zu zahlen:

ad 1) und ad 2) S 500,--, ad 3) S 1.600,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, ds 10 % der Strafe (je ein Tag Arrest wird gleich S 200,-- angerechnet).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher S 28.600,--. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 54d VStG)."

Innerhalb offener Frist erhob der Berufungswerber gegen dieses Straferkenntnis vollinhaltlich Berufung.

Begründend wurde ausgeführt, daß es unrichtig sei, daß durch das Verlassen der Unfallstelle vor Eintreffen von Sicherheitswacheorganen Verstoß gegen § 4 Abs 1 lit c der StVO begangen worden sei. Es hätte erhoben werden müssen, ob das Verhalten des Beschuldigten geeignet war, Feststellungen des Sachverhaltes durch die Sicherheitsbehörde zu erschweren oder gar zu vereiteln. Hiezu ergäbe sich aus den bisherigen Verfahren, daß der Beschuldigte das Wachzimmer aufgesucht, dort eine Niederschrift als beteiligter Fahrzeuglenker zu Protokoll gegeben, und sich der Atemalkoholuntersuchung unterzogen habe, nachdem ihm das Geschehen bewußt geworden wäre. Veränderungen an den Unfallsfahrzeugen habe der Beschuldigte nicht vorgenommen. Es lägen keine Verfahrensergebnisse vor, aus denen abzuleiten wäre, daß durch das Entfernen des Beschuldigten von der Unfallstelle Sachverhaltsfeststellungen erschwert oder vereitelt worden wären. Die vorliegenden Verfahrensergebnisse, insbesondere die Niederschrift mit dem Beschuldigen vom 12.1.1995 und 20.1.1995, seien unzureichend. Es hätte die Behörde gemäß ihrer Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung erheben müssen, daß der Beschuldigte aufgrund der Unfallsfolgen, insbesondere des Schocks, zu einer sofortigen Befolgung von Meldepflichten nicht fähig gewesen wäre, insbesondere aufgrund einer Einsicht in die vorliegenden Fotos und eines psychologischen Gutachtens hätte sich im Zusammenhang mit der Einvernahme des Beschuldigten ergeben, daß der Beschuldigte nach einem Rammstoß von hinten durch ein unbekanntes Fahrzeug ins Schleudern gekommen sei. Nach einer Kollision mit dem Fahrzeug W-96 verließ er sein Fahrzeug, um seinen Unfallsgegnern zu Hilfe zu kommen. Da sich diese aber nicht rührten, dachte er, sie seien tot, worauf er zusätzlich geschockt kopflos davonlief. Sobald die Schockwirkungen nachließen und der Beschuldigte zur Besinnung gekommen wäre, habe er alles erforderliche unternommen.

Gemäß § 22 Abs 1 VStG können Strafen nur dann nebeneinander verhängt werden, wenn eine Tat unter solche Strafdrohungen fällt, die einander nicht ausschließen. Die Anordnung des Gesetzgebers im § 4 Abs 2 StVO, sofort die nächste Polizei- oder Gendarmerie-Dienststelle zu verständigen, sei lediglich eine lex specialis zur Vorschrift des § 4 Abs 1 lit c StVO. Der Unrechtsgehalt der Verletzung von Meldepflichten sei in dem der Verletzung von Mitwirkungspflichten enthalten, sodaß hinsichtlich beider Straftatbestände lediglich Scheinkonkurrenz vorliege. Die Behörde hätte dem Beschuldigten demgemäß nicht sowohl wegen § 99 Abs 2 lit a in Verbindung mit § 4 Abs 1 lit c StVO als auch wegen § 99 Abs 2 lit a in Verbindung mit § 4 Abs 2 StVO bestrafen dürfen.

Beantragt wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, die Einvernahme sämtlicher an der Erhebung mitbeteiligter Sicherheitswacheorgane zum Beweise dafür, daß der Beschuldigte an der Feststellung des Sachverhaltes bereitwillig mitgewirkt habe, sowie die Einvernahme des Beschuldigten und die Einvernahme eines psychologischen Gutachtens und eines KFZ-Gutachtens zum Beweise dafür, daß der Unfallschock des Beschuldigten aufgrund zweier Kollisionen und des Anblicks der reglosen Unfallsgegner so stark war, daß ihm eine sofortige Befolgung seiner Meldepflicht nicht zumutbar, sowie daß der Beschuldigte sofort nach Wegfall der Bewußtseinsstörung seinen Pflichten nachgekommen sei. Bei seiner Einvernahme am 12.1.1995 um 3.30 Uhr gab der Berufungswerber folgendes zu Protokoll:

"Ich fuhr mit dem Fahrzeug meines Freundes M die W-straße Richtung T-Straße. Ich mußte bei der Ampel, verm bei der W-straße, wegen Rotlicht anhalten. Ich benutzte den ersten, rechten Fahrstreifen. Neben mir stand ein Mercedes, verm beige lack, auf dem zweiten Fahrstreifen. Ich war alleine im Fahrzeug und war angegurtet. Bei Grünlicht beschleunigte ich mein Fahrzeug, die Geschwindigkeit kann ich nicht angeben, und ich hatte vermutlich den zweiten Gang eingelegt. Der Mercedes fuhr links hinter mir, wobei seine Front in Höhe des linken Hinterrades meines Fahrzeuges war. Während des Beschleunigens drehte das Heck des Fahrzeuges plötzlich nach rechts. Ich versuchte noch gegenzulenken, konnte jedoch den Wagen nicht mehr unter Kontrolle bringen. Der Wagen brach anschließend mit dem Heck nach links und nach dem Gegensteuern noch einmal mit dem Heck nach rechts aus. Ob ich vor dem Schleudern in den dritten Gang schalten wollte, kann ich nicht angeben. Anschließend kam ich auf die Gegenfahrbahn, wo mir ein Fahrzeug entgegenkam. Ob ich während des Schleuderns noch bremste oder ob ich Gas gegeben habe, kann ich nicht angeben. Ich konnte den Zusammenstoß nicht verhindern. Ich schnallte mich los und da das rechte vordere Fenster kaputt war, kroch ich durch das kaputte Fenster aus dem Fahrzeug. Ich ging zu dem anderen Fahrzeug, schaute hinein und sagte zu den Insassen "He, was ist los?". Da sich im Fahrzeug niemand rührte, bekam ich panische Angst und lief vom Unfallsort weg. Während des Weglaufens überlegte ich, was ich weiter tun könnte und versuchte meinen Vater anschließend fernmündlich zu erreichen. Da mein Vater nicht abhob, setzte ich mich in ein Taxi und fuhr zu meinem Vater. Ich erzählte meinem Vater den Vorfall und dieser fuhr danach mit mir zum Koat 10. Ich habe seit 11.01.1995, 20.00 Uhr bis 12.01.1995, 01.00 ca sieben Bacardi-Cola getrunken, davon zwei bei mir zu Hause und den Rest im Lokal in der M-straße. Ich war auf dem Weg nach Hause, als der Unfall passierte. Das Fahrzeug war vor dem Zusammenstoß in einem technisch einwandfreien Zustand und ich hatte freie Sicht nach allen Seiten. Ich war vor dem Zusammenstoß durch nichts abgelenkt. Mehr kann ich nicht angeben."

"Ich möchte bemerken, daß ich mich nicht wie umseitig angeführt losgegurtet habe, sondern der Gurt ging nicht auf und ich befreite mich, indem ich den Gurt vom Körper wegzerrte und ich herausschlüpfen konnte. Anschließend verließ ich das Auto durch das Fenster."

In der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat ergänzte der Berufungswerber das Vorbringen zum verfahrensgegegenständlichen Sachverhalt im wesentlichen dahingehend, daß er gemeinsam mit seinem Freund, Herrn Anton M, am 12.1.1995 gegen 22.00 Uhr ein Lokal im Wiener Gemeindebezirk in der M-straße aufgesucht und sich gegen 1.00 Uhr mit dem Fahrzeug dieses Freundes auf den Weg nach Hause begeben habe. Nachdem er von einer Kreuzung in der W-straße losgefahren sei, sei er auf Höhe des Kaufhauses K aus nicht erklärlichen Gründen ins Schleudern gekommen.

Der Vertreter des Berufungswerbers führte aus, daß die auslösende Ursache des Unfalls ein Rammstoß eines dritten unbekannten Verkehrsteilnehmers gewesen sein dürfte, wodurch der Berufungswerber einen Schock erlitten habe. Er habe - ohne die Polizeidienststelle sofort zu verständigen - die Unfallstelle verlassen und versucht, vorerst seinen Vater zu erreichen, und zwar habe er von der Unfallstelle entfernt den Versuch unternommen, den Vater telefonisch zu erreichen. Da er den Vater auf diesem Wege nicht erreichen konnte, habe er sich auf den Weg nachhause begeben und dabei Ausschau nach einer Polizeidienststelle gehalten. Nachdem er eine solche auf seinem Weg nicht antraf, habe er ein Taxi angerufen und sich nachhause zu seinem Vater begeben. Der Anruf zu seinem Vater sei auch angekommen, jedoch habe dieser den Hörer erst zu jenem Zeitpunkt abgehoben, als der Berufungswerber den Hörer wieder aufgelegt hatte.

Der Berufungswerber gab an, daß der unmittelbar nach dem Unfall nach den anderen Unfallbeteiligten Ausschau gehalten habe und diese gefragt habe, was los sei. Nachdem niemand Antwort gegeben habe, nahm er an, daß diese tot seien und habe sich auf den Weg nachhause begeben. Er sehe ein, daß er im gegenständlichen Fall eine falsche Reaktion gezeigt habe, als er die Unfallstelle verließ. Aufgrund des Unfalls habe er eine Verletzung im Bereich des linken Knies erlitten. Aus diesem Grunde habe er die Arbeit nicht am nächsten Tage aufnehmen können.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt gab der Berufungswerber an, daß er ein monatliches Bruttogehalt in der Höhe von S 19.500,-- erhalte, nicht sorgepflichtig sei und kein Vermögen besitze. Er habe Verbindlichkeiten in der Höhe von S 3.600,-- monatlich, einen Regreßanspruch von der Versicherung in der Höhe von S 100.000,-- und Verbindlichkeiten aus dem Titel des Schadenersatzes gegenüber dem Halter des BMW in der Höhe von S 40.000,--.

Aufgrund der vom Berufungswerber in seiner niederschriftlichen Befragung selbst vorgenommenen Sachverhaltsschilderung des gegenständlichen Vorfalles und dessen ergänzenden Vorbringens in der durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, im Zusammenhalt mit dem vorgelegten erstinstanzlichen Akt, steht als erwiesen fest, daß sich der Berufungswerber nach einem Verkehrsunfall, mit welchem er in ursächlichem Zusammenhang gestanden ist, vor Eintreffen der Sicherheitswachebeamten von der Unfallstelle entfernte und sich nach Hause zu seinem Vater begab. Er war nicht Halter jenes Fahrzeuges, mit welchem er an diesem Unfall beteiligt war. Er unterließ es, eine sofortige Verständigung bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle durchzuführen, diese erfolgte erst gegen

2.45 Uhr (Protokoll zur Atemalkoholuntersuchung).

Hiezu wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 4 Abs 1 lit c StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken. Die Mitwirkungspflicht an der Feststellung des Sachverhaltes im Sinne des § 4 Abs 1 lit c umfaßt auch die Person des beteiligten Fahrzeuglenkers, so etwa, ob er zur Lenkung des am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeuges berechtigt war und ob er äußerlich den Anschein erweckte, daß er sich körperlich und geistig in einem zur Lenkung eines Kraftfahrzeuges geeigneten Zustand befinde. Entfernt sich daher ein Unfallsbeteiligter während oder auch schon vor der Unfallsaufnahme vom Unfallsort, ohne einen Namen mitzuteilen, so hat er, unbeschadet der Übertretung anderer Vorschriften, gegen die Mitwirkungspflicht verstoßen (VwGH 28.6.1976, 307/76). Sohin erfüllt bereits das Entfernen von der Unfallstelle vor Abschluß der Erhebungen den Tatbestand des § 4 Abs 1 lit c StVO (VwGH 25.2.1983, 81/02/0162, ZVR 1983/218).

Für das Tatbild dieser Verwaltungsübertretung ist nicht erforderlich, daß durch das Verhalten des Täters die Sachverhaltsfeststellung erschwert oder vereitelt wird. In diesem Zusammenhang sei nur zur Vervollständigung angemerkt, daß der Berufungswerber, indem er sich vor Eintreffen der Sicherheitswachebeamte von der Unfallstelle entfernte, die Sachverhaltsfeststellungen durch die Behördenorgane jedenfalls erschwert hat, mußte doch eine Ausforschung des Halters erfolgen, welcher indes nicht Lenker des Fahrzeuges zum Tatzeitpunkt war. In Hinblick darauf erübrigte sich die beantragte Einvernahme der an der Sachverhaltsfeststellung ermittelnden Sicherheitswachebeamten.

Der Berufungswerber hat sohin im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen die ihm angelastete Verwaltungsübertretung in Ansehung der objektiven Tatseite zu verantworten.

Gemäß § 4 Abs 2 zweiter Satz StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden sind, sofort die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu verständigen.

Eine Verständigung der nächsten Polizeidienststelle oder Gendarmeriedienststelle mehr als eine halbe Stunde nach dem Unfall erfolgt nicht mehr "sofort" im Sinne des § 4 Abs 2 zweiter Satz (VwGH 19.3.1986, 85/03/0164, ÖJZ 1986, 666).

Unter Zugrundelegung der Angaben des Berufungswerbers begab er sich nicht sofort nach dem Verkehrsunfall zur nächsten Polizeidienststelle. Aus dem erstinstanzlichen Akt ist ersichtlich, daß gegen 2.45 Uhr im Wachzimmer 10, V-Gasse, eine Atemalkoholuntersuchung des Berufungswerbers durchgeführt wurde, der Unfall ereignete sich um 1.15 Uhr.

Indem der Berufungswerber erst nach einer Zeitspanne von 1,5 Stunden eine Meldung an die Polizei erstattete, erweist sich dieses gesetzte Verhalten als Übertretung der im Spruch genannten Norm, weshalb der Berufung in der Schuldfrage kein Erfolg zu geben und das angefochtene Straferkenntnis diesbezüglich zu bestätigen war.

Zum Vorbringen des Berufungswerbers, er hätte sich in einem Schockzustand befunden, wodurch ihm eine sofortige Befolgung seiner Meldepflichten nicht zumutbar war, womit er sohin auf die Anwendung des Strafausschließungsgrundes im Sinne des § 3 Abs 1 VStG abstellt, ist folgendes auszuführen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein sogenannter Unfallschock nur in besonders gelagerten Fällen und bei gravierenden psychischen Ausnahmesituationen das Unterlassen eines pflichtgemäßen Verhaltens entschuldigen. Einem dispositionsfähig gebliebenem Unfallbeteiligten ist trotz eines sogenannten "Unfallschrecks" in Verbindung mit einer begreiflichen affektiven Erschütterung pflichtgemäßes Verhalten zumutbar, weil von einem Kraftfahrer, welcher die Risken einer Teilnahme am Straßenverkehr auf sich nimmt, ein solches Maß an Charakter und Willensstärke zu verlangen ist, daß er den Schreck über den Unfall und die etwa drohenden Folgen zu überwinden vermag (vgl zB VwGh vom 25.9.1991, Zl 91/02/0062, vom 28.10.1992, Zl 91/02/0351 und vom 26.5.1993, Zl 92/03/0008, mit der darin enthaltenen Vorjudikatur und va).

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien findet nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß ein die Zurechnungsfähigkeit des Berufungswerbers ausschließender Zustand vorgelegen ist. Der Berufungswerber hat ausgeführt, daß er die am Geschehen Beteiligten aufgesucht hat und nachfragte, was los sei. Indem er sich zu den Beteiligten begab und sich nach ihrem Zustand erkundigte, hat er jedenfalls unmittelbar nach dem Unfall bewußte Handlungen gesetzt. Daß er aufgrund der Annahme, diese seien tot, geschockt war, ist jedenfalls schon deshalb auszuschließen, da ja bereits die diesbezügliche Annahme ein bewußtes Verhalten voraussetzt. Weiters hat er doch vorgebracht, unmittelbar nach diesem Vorfall seinen Vater unter der richtigen Telefonnummer zuhause angerufen zu haben. Nachdem dieser Versuch ergebnislos blieb, hat er sich auf den Weg nach Hause gemacht und Ausschau nach einer Polizeidienststelle gehalten. Er war auch in der Lage, sich ein Taxi zu rufen. Er hat sohin im konkreten Fall Überlegungen angestellt und bewußte Handlungen gesetzt. Im übrigen hat er bei seiner ersten Einvernahme am 12.1.1995, 3.30 Uhr, angegeben, während des Weglaufens überlegt zu haben, was er tun könnte. Auch war er imstande, seinem Vater den Vorfall zu erzählen. Bei seiner Einvernahme gegen 2.45 Uhr am Tag des Unfalls war ihm sogar erinnerlich, daß er aus dem kaputten Fenster des Fahrzeuges herauskroch. Wenn er sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in einem Schockzustand befunden hätte, konnte er keine Erinnerung daran haben. Insgesamt kann daraus nur abgeleitet werden, daß der Beschuldigte auch unmittelbar im Anschluß an den Verkehrsunfall durchaus in der Lage war, zweckdienliche Handlungsabläufe durchzuführen. Auch der Grad der bei dem Anprall erlittenen Verletzung (leichte Körperverletzung in Form einer Innenknieprellung links und Innenknöchelprellschürfung links) läßt rückschließen, daß die behauptete Bewußtseinsbeeinträchtigung und die störende Dispositionsfähigkeit nicht vorgelegen sind. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage bedurfte es somit keiner Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens sowie eines KFZ-technischen Gutachtens.

Zur Strafbemessung bestimmt § 19 VStG folgendes:

(1) Grundlage für die Bemessung der Strafe ist stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

(2) Im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Die Bestimmung des § 99 Abs 2 lit a StVO 1960 lautet:

Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von S 500,-- bis S 30.000,--, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen, der Lenker eines Fahrzeuges, dessen Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, sofern er den Bestimmungen des § 4 Abs 1 und 2 zuwiderhandelt, insbesondere nicht anhält, nicht Hilfe leistet oder herbeiholt oder nicht die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verständigt. Die Taten schädigten in nicht unerheblichem Maße die Interessen an der raschen Aufklärung von Verkehrsunfällen. Deshalb war der Unrechtsgehalt der Taten an sich nicht gering, selbst wenn man dem Berufungswerber zugutehält, daß er von sich aus später die Meldung vom Verkehrsunfall vornahm.

Das Verschulden des Berufungswerbers kann nicht als geringfügig angesehen werden, da weder hervorgekommen ist, noch aufgrund der Tatumstände anzunehmen war, daß die Einhaltung der Vorschrift eine besondere Aufmerksamkeit erfordert habe oder daß die Verwirklichung des Tatbestandes aus besonderen Gründen nur schwer hätte vermieden werden können.

Bei der Strafbemessung war das Vorliegen einer rechtskräftigen einschlägigen verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkung zu berücksichtigen.

Im Hinblick auf die bekanntgegebenen, als ungünstig zu wertenden Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Berufungswerbers, und unter Bedachtnahme darauf, daß der Berufungswerber in der durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung einen positiven Eindruck vermittelte, erscheinen die nunmehr verhängten Strafen als ausreichend, um ihn in Hinkunft von der Begehung weiterer gleichartiger Straftaten wirksam abzuhalten.

Die nunmehr verhängten Geldstrafen sind unter Bedachtnahme auf den von S 500,-- bis S 30.000,-- reichenden Strafrahmen durchaus angemessen und keineswegs zu hoch, zumal im Zuge des Verfahrens keine besonderen Milderungsgründe hervorgetreten sind. Hinsichtlich des Einwandes, daß gemäß § 22 Abs 1 VStG Strafen nur dann nebeneinander verhängt werden dürfen, wenn eine Tat unter solche Strafdrohungen fällt, die einnander nicht ausschließen. Im gegenständlichen Falle die Anordnung des § 4 Abs 2 StVO (sofortige Verständigung der Polizei- oder Gendarmeriedientstelle) jedoch eine lex specialis zur Vorschrift des § 4 Abs 1 lit c StVO darstelle, ist folgendes entgegenzuhalten:

Von Scheinkonkurrenz (auch Gesetzeskonkurrenz) spricht man, wenn der Täter zwar nur eine deliktische Handlung begangen hat, die jedoch Merkmale mehrerer Deliktstypen aufweist, wobei jedoch mit der Unterstellung unter einen Deliktstypus der Unrechtsgehalt voll erfaßt ist.

Wenn an der Sachverhaltsfeststellung nicht mitgewirkt wird und auch keine Verständigung an die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle erfolgt, so liegen nebeneinander zu bestrafende Übertretungen vor, da jede dieser Übertretungen für sich allein und unabhängig von der anderen verwirklicht werden kann (so ist ein Verwischen der Spuren oder Nachtrunk und ein Verständigen der nächsten Polizeidienststelle möglich).

§ 4 Abs 1 lit c und Abs 2 StVO enthalten sohin verschiedene und voneinander unabhängige Verpflichtungen, weshalb diese Tatbestände einander nicht ausschließen.

Der Unrechtsgehalt des Deliktes nach § 4 Abs 2 StVO ist sohin nicht in dem der Verletzung von Mitwirkungspflichten enthalten. Die vom Berufungswerber geltend gemachte Spezialität, welche vorliegt, wenn der eine Deliktstypus zunächst alle Merkmale des anderen enthält, darüberhinaus aber auch noch andere, durch die der Sachverhalt in einer spezifischen Weise erfaßt wird, wodurch die beiden Deliktstypen zueinander im Verhältnis von Gattung und Art stehen, liegt im gegenständlichen Falle nicht vor. Das nicht sofortige Verständigen der Polizei- oder Gendarmeriedienststelle stellt sohin keine spezielle Norm zur Vorschrift des § 4 Abs 1 lit c StVO (Nichtmitwirken am Sachverhalt) dar.

Aus diesem Grunde waren durch die Tathandlung mehrere konkurrierende Delikte verwirklicht, denn nur auf diese Weise wird der Unrechtsgehalt des Gesamtgeschehens voll erfaßt und zum Ausdruck gebracht.

Aus diesen Gründen teilte die Berufungsbehörde die Rechtsauffassung des Berufungswerbers nicht, daß die angelasteten Delikte zueinander im Verhältnis der Scheinkonkurrenz stehen und die Erstbehörde damit das Kummulationsprinzip zu Unrecht angewendet hat. Das angefochtene Straferkenntnis war daher in der Schuldfrage zu bestätigen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten