TE UVS Wien 1996/06/28 04/G/35/549/95

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Veröffentlicht am 28.06.1996
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Betreff

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Berufungswerberin zur Last gelegt, sie habe durch die Herstellung von Textilien (wie Kleider, Jacken, mehrteilige Kostüme und Filzpantoffel), die sie einem größeren Kreis von Personen zum Verkauf angeboten habe, das Gewerbe "Damenkleidermacher (§ 94 Z 43 GewO 1994)" ausgeübt, ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben. Nach Auseinandersetzung mit den in der mündlichen Verhandlung vorgezeigten sowie fotografisch wiedergegebenen Arbeiten der Berufungswerberin (Bekleidungsgegenstände: zB ein Wendemantel/Unikatgewand, ein gestrickter Mantel mit Kappe, ein Jacket aus einer Kombination von gestrickten und künstlerisch ausgefertigten Leinenteilen; textile Einrichtungsgegenstände: zB textile Wandbilder, Wandbehänge und Textilobjekte), gelangt die Berufungsbehörde zu der Auffassung, daß die in der Herstellung dieser Gegenstände bestehende Tätigkeit eine künstlerische ist, die vom Ausnahmetatbestand des § 2 Abs 1 Z 7 GewO 1994 erfaßt und daher vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommen ist, da die Art und Weise der Gestaltung dieser Gegenstände durchaus eigenschöpferischen Gestaltungsprinzipien entspricht, die eine künstlerische Ausbildung und Begabung der Berufungswerberin voraussetzen. Daß die von der Berufungswerberin in ihren Arbeiten eingesetzten Gestaltungsprinzipien das Niveau fantasievollen Schneidergewerbes oder kreativen Kunsthandwerks tatsächlich überschreiten und mit jenen auf eine Stufe gestellt werden können, welche zur Herstellung von Kunstwerken auf den Gebieten klassischer Kunstfächer wie etwa der Bildhauerei oder Malerei führen, wurde auch durch ein Gutachten des Vorstandes der Lehrkanzel für Kultur- und Geistesgeschichte sowie durch die Stellungnahme des Vizepräsidenten der Bundesvereinigung der bildenden Künstler Österreichs bestätigt.

Nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl ua VwGH 23.10.1990, 89/14/0181 und 90/14/0035) vermag aber - entgegen der von der Wirtschaftskammer und der Erstbehörde vertretenen Auffassung - der Gebrauchswert der gegenständlichen Bekleidungsstücke diesen nicht die Eigenschaft eines Kunstwerkes zu nehmen, da ein Werk, das eine künstlerische Schöpfung ist, auch dann ein Kunstwerk bleibt, wenn es wirtschaftlichen Zwecken bzw Gebrauchszwecken dienst (vgl VwGH 25.3.1960, 1313/57). Aufgrund der Angaben der Berufungswerberin, wonach das Stück erst im Verlauf des Umsetzungsprozesses seine endgültige Gestalt annehme und die Realisierung Teil des gestaltenden Gesamtprozesses sei, kann auch eine Trennung zwischen Entwurf, in dem bereits die originelle künstlerische Leistung zum Ausdruck kommt und der bloßen Ausführung dieses Entwurfes, nicht vorgenommen werden. Die Anfertigung der von der Berufungswerberin hergestellten Textilkunstwerke ist daher als Teil eines künstlerischen Gesamtprozesses anzusehen, dh daß die handwerkliche Umsetzung einer von ihr als künstlerisch erkannten Idee Teil des künstlerischen Prozesses und nicht übergewichtiger, der Künstlereigenschaft abträglicher Annex ist (vgl VwGH 15.9.1993, 91/13/0112).

Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Mag Schwächter über die Berufung der Frau Susanne R, vertreten durch Rechtsanwalt, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 6./7. Bezirk, vom 8.8.1995, Zl MBA 6/7 - S 192/95, betreffend eine Verwaltungsübertretung nach § 366 Abs 1 Z 1 GewO 1994, nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung vom 3.6.1996 und 28.6.1996 (Bescheidverkündung), wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

Gemäß § 65 VStG wird der Berufungswerberin daher kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Berufungswerberin zur Last gelegt, sie habe seit Mai 1994 bis 21.12.1994, in Wien, S-gasse, zahlreiche Textilien wie Kleider, Jacken, mehrteilige Kostüme und Filzpantoffel hergestellt und einem größeren Kreis von Personen zum Verkauf angeboten und somit das Gewerbe:

Damenkleidermacher (§ 94 Z 43 GewO 1994) ausgeübt, ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben. Sie habe dadurch § 366 Abs 1 Z 1 GewO 1994, BGBl Nr 194/1994, verletzt, weswegen über sie gemäß § 366 Abs 1 Einleitungssatz GewO 1994 eine Geldstrafe von S 6.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit 6 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt und ihr ein Verfahrenskostenbeitrag in der Höhe von S 600,-- auferlegt wurde.

Begründend wird ausgeführt, daß die Abteilung II der Wirtschaftskammer Wien in ihrer Stellungnahme vom 1.6.1995 die Rechtsmeinung geäußert habe, daß eine Tätigkeit nur dann der Ausübung der schönen Künste zuzurechnen sei, wenn die originelle künstlerische Leistung nicht mit dem Entwurf abgeschlossen sei, sondern auch die Ausführung mehr als nur handwerklicher Fertigung bedürfe. Diese Voraussetzung sei im gegenständlichen Fall nicht gegeben. Darüberhinaus handle es sich bei den von der Berufungswerberin hergestellten Produkten um Kleidungsstücke, die vor allem zum Tragen bestimmt seien. Deshalb komme diesen Kleidungsstücken ein erheblicher Gebrauchswert zu, weshalb gezwungenermaßen der Funktionalität bei der Herstellung eine entscheidende Rolle zukomme. Die Erstbehörde schließe sich dieser Rechtsmeinung an, da zweifellos für einen Gutteil der zur Herstellung der gegenständlichen Kleidungsstücke führenden Arbeitsabläufe ausschließlich handwerkliche Fertigkeiten erforderlich seien, allein der schöpferische Entwurf eine Einreihung der gegenständlichen Tätigkeit in den Bereich der schönen Künste nicht rechtfertige und die Herstellung von zum Gebrauch bestimmten Produkten vorrangig nach funktionellen als nach künstlerischen Kriterien zu erfolgen habe.

Dagegen richtet sich die vorliegende Berufung, in der die Berufungswerberin bezugnehmend auf die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Stellungnahme des Herrn DiplGraph Joachim-Lothar G, Vizepräsident der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs, ausführt, daß aus diesem "Gutachten" eindeutig hervorgehe, daß ihre Arbeiten Kunstwerke seien und die Kompetenz in Sachen Kunstbeurteilung des Herrn DiplGraph Joachim-Lothar G und des Herrn Prof Walter S, Vizepräsident bzw Präsident der Bundesvereinigung der bildenden Künstler Österreichs, mit Sicherheit höher als die des Herrn Mag W von der Wirtschaftskammer Wien zu bewerten sei.

Mit Schriftsatz vom 28.5.1996, in dem die Berufungswerberin ua auch die Herrn Rechtsanwalt Dr Michel W erteilte Bevollmächtigung bekanntgab, legte sie zur Untermauerung ihres Vorbringens, daß ihre künstlerische Tätigkeit aus dem geistig-künstlerischen Konzept (Entwurf), der künstlerischen Stoffgestaltung selbst und der künstlerischen Ausgestaltung (von Textilien und Bekleidungsstücken) bestehe und eine untrennbare Einheit bilde, sodaß entgegen der Ansicht der Erstbehörde nicht zwischen Entwurf und Ausführung unterschieden werden könne, sondern die gesamte Gestaltung vielmehr einen einheitlichen Schaffensprozeß darstelle, zwei Stoffmuster, drei Fotos (die ein Textilbild, einen gestrickten Mantel mit Kappe und ein von ihr geschaffenes Jacket aus einer Kombination von gestrickten und künstlerisch ausgefertigten Leinenteilen wiedergeben), eine Auszeichnung des Kulturamtes der Stadt G und einen Artikel der S "Niveauvoll kreativ - Frauen-Kunst-Werk" vom 25.11.1995, vor. Die Berufungswerberin führt unter anderem auch aus, daß es sich bei den von ihr geschaffenen Textilien und Kleidungsstücken um absolute Unikate handle, die - wie Gemälde oder Werke der Bildhauerkunst - in einem vom Konzept bis zur Ausführung reichenden künstlerischen Bogen gestaltet würden. Ihrem textilen Gestalten sei das Schaffen von Werken der Bildhauerkunst vergleichbar, da sich auch beim Bildhauer die künstlerische Tätigkeit nicht in der Erstellung eines Entwurfs oder einer Skizze erschöpfe, sondern diese hin bis zur Ausführung, die in technischer Hinsicht freilich auch handwerkliche Fertigkeiten voraussetze, die aber selbstverständlich nicht das Wesentliche darstellten, reiche. Es sei zwar richtig, daß sie Kleidungsstücke künstlerisch gestalte, es sei aber nicht der einzige Aspekt ihrer künstlerischen Tätigkeit, sondern umfaße diese auch "textile Bilder" als solche.

Am 3.6.1996 fand vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, die zur Bescheidverkündung auf den 28.6.1996 erstreckt wurde. Die Berufungswerberin versteht sich nach ihren in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben als Textilkünstlerin, wobei für ihre Arbeit insbesondere Farben, Formen, Materialien und deren Komposition wichtig sind. In ihrem Atelier in Wien, S-gasse, welches aus einer kleinen Werkstatt mit angeschlossenem Schauraum besteht, stellt die Berufungswerberin nicht nur Kleidungsstücke, sondern auch textile Einrichtungsgegenstände, wie zB textile Wandbilder, Wandbehänge und Textilobjekte (zB textile Kerzenständer) her. Dabei handelt es sich um Unikate, die sie entweder in ihrem Schauraum oder auf Ausstellungen präsentiert. Die Berufungswerberin ist Absolventin der Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie in Wien V (Höhere Lehranstalt für Textiltechnik - Dessinatur und Modezeichnen) und Mitglied der Bundesvereinigung der bildenden Künstler Österreichs. Anläßlich der Veranstaltung "Schwerpunkt Textil" von 9.-10.12.1994 wurde ihr für ihre Kappen und Hüte, "die in zurückhaltender Art eine Einheit zwischen Form, Farbe und Material zeigen", die Auszeichnung des Kulturamtes der Stadt G verliehen. In der mündlichen Verhandlung legte die Berufungswerberin einige ihrer Werke (eine Strickjacke, einen Wendemantel/Unikatgewand, ein textiles Wandbild, einen Wandbehang, eine Halskette aus verschieden großen, mit Garnen umwickelten Kugeln, einen textilen Kerzenständer und mit verschiedenfärbigen Garnen umwickelte ausgeblasene Eier), sowie eine Mustermappe mit Fotografien ihrer Werke aus den Jahren 1993 bis 1996 vor, anhand derer sie ihre Arbeitsweise, welche von der Auswahl und Bearbeitung über Kombination verschiedener Materialien bis zur Gestaltannahme des jeweiligen Werkes reicht, darlegte. In diesem Zusammenhang führte die Berufungswerberin aus, daß sie zwar vor Beginn ihrer Arbeit an einem Stück eine grobe Vorstellung vor Augen habe, doch erst bei Umsetzung dieser Vorstellung sich die konkrete Ausgestaltung, zB die Verwendung eines zweiten oder mehrerer verschiedener Garne bzw die Anordnung der Falten, Farben etc ergebe. Es sei zum Teil auch so, daß sie zwar einen Stoff in der Absicht bearbeite, daraus ein Kleidungsstück zu machen, während des Schaffensprozesses jedoch dann die Idee habe, dieses Stoffstück vielmehr zu einem anderen Kunstobjekt zu verwenden, zB für ein textiles Bild oder als Teil einer Kopfbedeckung. Für sie sei der schöpferische Prozeß erst dann abgeschlossen, wenn sie das Gefühl habe, daß das jeweilige Stück ihren künstlerischen Ansprüchen entspreche, wobei sich bis zuletzt noch alles mögliche ergeben könne und sie auch zum Teil verschiedenste Teile erst zum Schluß miteinander kombiniere bzw zusammensetze und erst diese Kombination dann das vollendete Werk darstelle.

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich folgendes:

Gemäß § 2 Abs 1 Z 7 GewO 1994 ist die Gewerbeordnung ua auf die Ausübung der schönen Künste (Abs 11) nicht anzuwenden. Gemäß § 2 Abs 11 erster Satz GewO 1994 ist unter Ausübung der schönen Künste im Sinne dieses Bundesgesetzes (Abs 1 Z 7) die eigenschöpferische Tätigkeit in einem Kunstzweig zu verstehen. Die vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommene Ausübung der schönen Künste schließt das Recht des Künstlers ein, seine Kunstwerke zu verkaufen (vgl VwGH 26.6.1984, 84/04/0067, 0068). Maßgebend für die Beurteilung, ob die in der Herstellung eines Gegenstandes bestehende Tätigkeit eine künstlerische ist, ist ausschließlich die Art und Weise seiner Gestaltung (vgl VwGH 8.2.1989, 88/13/0063). Erfolgt sie nach Gestaltungsprinzipien, die für ein umfassendes Kunstwerk - zB Malerei, Bildhauerei, Architektur - charakteristisch sind, oder ist sie auf dieselbe Stufe zu stellen wie diese, weil die Tätigkeit eine vergleichbare weitreichende künstlerische Ausbildung und Begabung erfordert, dann ist eine derart gestaltete Tätigkeit als die eines Künstlers anzusehen. Die Abgrenzung zu dem nicht Kunst, sondern Gewerbebetrieb bildenden Kunsthandwerk muß in jedem Einzelfall nach Maßgabe des Überwiegens entweder der eben umrissenen künstlerischen, für die Arbeit etwa eines Malers, Bildhauers oder Architekten in Richtung auf eigenschöpferischen Wert gleichartigen, oder der handwerklichen Komponente entschieden werden, wobei persönliche Note und großes Können allein eine handwerkliche Tätigkeit noch nicht zu einer künstlerischen machen (vgl hinsichtlich der Tätigkeit eines Fotografen VwGH 7.2.1990, 89/13/0038).

Eine künstlerische Leistung darf sich nicht darauf beschränken, Erlernbares oder Erlerntes wiederzugeben, es muß vielmehr beim Künstler etwas Persönliches und Eigenschöpferisches hinzukommen, daß eben nur der Künstler infolge seines angeborenen Talentes hinzuzugeben vermag. Was also mehr oder weniger jeder mit durchschnittlichen Fähigkeiten ausgestattete Mensch bei Anwendung gehörigen Fleißes und entsprechender Sorgfalt herzustellen vermag, ist, mag es noch so ansprechend sein, kein Kunstwerk (vgl VwGH 18.2.1975, 1553/73).

Nur das geschaffene Werk kann letztlich Aufschluß darüber geben, ob ein Kunstwerk vorliegt oder nicht. Bei der Beurteilung der Frage der Künstlereigenschaft können der Ausbildungsort, der behauptete urheberrechtliche Schutz der Werke, die Mitgliedschaft bei der Berufsvereinigung bildender Künstler Österreichs oder ein Gutachten des Bundesministeriums für Unterricht für Zwecke der gesetzlichen Sozialversicherung zwar als Indizien Berücksichtigung finden, entscheidend ist jedoch, daß sich die Behörde eingehend mit den vorgelegten Werken auseinandersetzt (vgl VwGH 20.6.1990, 86/13/0008).

Die Eignung eines Gegenstandes zum Gebrauch schließt aber keineswegs aus, daß die in der Herstellung des Gegenstandes bestehende Tätigkeit eine künstlerische ist, dh der Gebrauchswert kann einem Objekt nicht die Eigenschaft eines Kunstwerkes nehmen (vgl für den Bereich der Graphik VwGH 23.10.1990, 89/14/0181 und 90/14/0035).

Hinsichtlich des Entwerfens von Modellen für Bekleidungs- und Einrichtungsgegenstände bei nachfolgender Umsetzung durch manipulative Herstellung samt Verkauf als Gebrauchsgegenstände hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15.9.1993, Zl 91/13/0112, zum Ausdruck gebracht, daß die handwerkliche Umsetzung einer als künstlerisch erkannten Idee Teil des künstlerischen Prozesses und nicht übergewichtiger, der Künstlereigenschaft abträglicher Annex ist.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, daß die Anzeige der Magistratsabteilung 59 - Marktamtsabteilung für den 4.-7. Bezirk vom 23.12.1994 insofern unvollständig ist, als lediglich Kleidungsstücke (mit Ausnahme der Filzpantoffel), deren Herstellung dem Gewerbe der Damenkleidermacher zuzurechnen sei, nicht aber auch die übrigen von der Berufungswerberin hergestellten Textilobjekte angeführt sind, obwohl gerade die Beurteilung der Frage, ob die von der Berufungswerberin ausgeübte Tätigkeit der Gewerbeordnung unterliegt, aufgrund einer Gesamtbetrachtung ihrer Arbeiten zu erfolgen hat. Daß die Berufungswerberin in ihrem Atelier jedoch nicht nur "Kleidungsstücke", sondern neben diesen auch Bilder, Hüte, Strickkleider etc hergestellt und angeboten hat, wird aber auch von der Wirtschaftskammer in ihrer Stellungnahme vom 1.6.1995 aufgrund der vor Ort seitens eines Vertreters der Landesinnung Wien der Kleidermacher getroffenen Feststellungen bestätigt. Nach Auseinandersetzung mit den in der mündlichen Verhandlung vorgezeigten sowie fotografisch wiedergegebenen Arbeiten der Berufungswerberin gelangt der Unabhängige Verwaltungssenat Wien zu der Auffassung, daß die in der Herstellung dieser Gegenstände bestehende Tätigkeit eine künstlerische ist, da die Art und Weise der Gestaltung dieser Gegenstände durchaus eigenschöpferischen Gestaltungsprinzipien entspricht, die eine künstlerische Ausbildung und Begabung der Berufungswerberin voraussetzen. Daß die von der Berufungswerberin in ihren Arbeiten eingesetzten Gestaltungsprinzipien das Niveau fantasievollen Schneidergewerbes oder kreativen Kunsthandwerks tatsächlich überschreiten und mit jenen auf eine Stufe gestellt werden können, welche zur Herstellung von Kunstwerken auf den Gebieten klassischer Kunstfächer wie etwa der Bildhauerei oder Malerei führen, wird auch durch das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Gutachten des oHS Prof Dr Manfred W, Vorstand der Lehrkanzel für Kultur- und Geistesgeschichte und gerichtlich beeideter Sachverständiger, vom 31.5.1996 bestätigt, wonach die Berufungswerberin zu der kleinen, aber nichtsdestoweniger geachteten Textilkünstlerszene Österreichs zähle, ihre Arbeiten allesamt Unikate seien, die teilweise als Wandbilder und teilweise als Unikatgewänder existierten, ihre Formensprache für den Kenner unverkennbar durch die Aneinanderreihung gestrickter Falten oder auch die Kombination aus Strickelementen und bei spezifisch bearbeiteten Leinenstoffen in verschiedenen Strukturen und Farben sei. Dieses Kombinationsmodell habe sie auch in spezifischen Kopfschmuckstücken sowie anderen Schmuckkategorien umgesetzt. Ihre künstlerischen Quellen beziehe sie zweifellos aus ihrer finnischen Heimat, die auf diesem Sektor gerade in den sechziger Jahren weltweit führend gewesen sei. Wie fast immer in der Kunst des 20. Jahrhundert würden Unikatkunst und Design zu einer untrennbaren Einheit verschwimmen, wobei bemerkenswert sei, daß aufgrund der manuellen Fertigkeit der Unikatcharakter erhalten werden müsse und sie selbst als Produzentin des Kunstwerkes keine Möglichkeit der Vervielfältigung habe.

Auch der Stellungnahme des Herrn DiplGraph Joachim-Lothar G vom 1.8.1995 ist zu entnehmen, daß die Herstellung der Kleidungsstücke bis zur letzten Phase Teil eines originär-schöpferischen Aktes mit textilen Mitteln und die Tätigkeit der Berufungswerberin eindeutig der Ausübung von angewandter Kunst zuzuordnen sei, was ihre Erzeugnisse als künstlerische Produkte ausweise, da es sich um Eigenkreationen handle, die während des Arbeitsprozesses spontan und schöpferisch weiterbearbeitet und bis zuletzt verändert würden, also nicht nach vorgefertigten Schnittmustern entstünden. Darüberhinaus lasse die Berufungswerberin Motive und Symbole aus ihrer autonomen bildnerischen Tätigkeit einfließen, um damit die Gestaltungsfläche des Kleidungsstückes mit künstlerischen Elementen wie Strukturen, Texturen und ungewöhnlichen Materialien zu bereichern, zu beleben und geistige Inhalte zu vermitteln (Darstellung der Lebenslinie). Somit sei ihr Entwurf bzw ihre Modezeichnung der Skizze oder Vorstudie des Malers bzw Bildhauers gleichzusetzen und das Endprodukt als textiles Kunstobjekt zu werten.

Aber auch die Wirtschaftskammer räumte in ihrer Stellungnahme vom 1.6.1995 durchaus ein, daß zumindest die von der Berufungswerberin verwendeten Motive eine künstlerische Deutung zuließen, diese Deutung (Beispiel: Darstellung der Lebenslinie) jedoch davon unabhängig sei, ob dieses Motiv in einem Kleid, einer Kopfbedeckung oder in einem Bild verwendet werde.

Vor dem Hintergrund der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vermag aber auch der Gebrauchswert der gegenständlichen Bekleidungsstücke, welcher neben dem Schutz vor Kälte- und Witterungseinflüssen auch in der Verbesserung des Aussehens seines Trägers bzw seiner Trägerin besteht, entgegen der von der Wirtschaftskammer in ihrer Stellungnahme vom 1.6.1995 vertretenen und von der Erstbehörde dem angefochtenen Straferkenntnis zugrundegelegten Auffassung, wonach auf Grund dieses Gebrauchswertes die gestalterische Tätigkeit des Erzeugers hinsichtlich Farb-, Stoff- und Schnittwahl, Teil der handwerklichen Fertigkeiten sei und für sich allein keine künstlerische Tätigkeit darstelle, den Arbeiten der Berufungswerberin nicht die Eigenschaft eines Kunstwerkes zu nehmen. Die von der Wirtschaftskammer in ihrer Stellungnahme vertretene Auffassung, daß die gestalterische Tätigkeit des Erzeugers bei der Herstellung von Bekleidungsgegenständen schon deshalb keine künstlerische Tätigkeit darstelle, weil das Endprodukt "Bekleidungsstück" von Form und Ausfertigung her stets dazu auch bestimmt sei, getragen werden zu können, sodaß die Funktionalität in den Vordergrund gestellt werde, und gerade die Herstellung von Gebrauchsgegenständen eine typische Tätigkeit von Kunstgewerbebetrieben sei, berücksichtigt somit nicht, daß ein Werk, das eine künstlerische Schöpfung ist, auch dann ein Kunstwerk bleibt, wenn es wirtschaftlichen Zwecken bzw Gebrauchszwecken dienen soll (vgl VwGH 25.3.1960, 1313/57). Weiters vertritt die Wirtschaftskammer als auch die erstinstanzliche Behörde die Auffassung, daß die Herstellung der jeweiligen Kleidungsstücke gar nicht mehr der Ausübung der schönen Künste zuzurechnen sei, wenn der originär-schöpferische Akt bereits mit dem Entwurf ("Modezeichnung") abgeschlossen sei. Gerade auf Grund der Angaben der Berufungswerberin, wonach das Stück erst im Verlauf des Umsetzungsprozesses seine endgültige Gestalt annehme und die Realisierung Teil des gestaltenden Gesamtprozesses sei, kann eine solche Trennung zwischen Entwurf, in dem bereits die originelle künstlerische Leistung zum Ausdruck kommt, und der bloßen Ausführung dieses Entwurfes, nicht vorgenommen werden, sodaß auch die in der Stellungnahme der Wirtschaftskammer zitierte Rechtsprechung (ua VwGH 4.6.1957, VwSlg 4363) im vorliegenden Fall nicht herangezogen werden kann. Die Anfertigung der von der Berufungswerberin hergestellten Textilkunstwerke ist daher als Teil eines künstlerischen Gesamtprozesses anzusehen, dh daß die handwerkliche Umsetzung einer von ihr als künstlerisch erkannten Idee Teil des künstlerischen Prozesses und nicht übergewichtiger, der Künstlereigenschaft abträglicher Annex ist (vgl das bereits oben zitierte Erkenntnis VwGH 15.9.1993, 91/13/0112). Es verliert doch auch im klassischen Kunstfach der "handwerkliche" Teil der künstlerischen Produktion nicht deswegen seinen Charakter als künstlerisches Tun, weil das Werk in der Vorstellung des Künstlers Gestalt schon in allen Einzelheiten angenommen hat. Der Bildhauer, der sich anschickt, die vor seinem geistigen Auge im letzten Detail schon fixierte Skulptur aus dem Stein zu meiseln, ist bei dieser Arbeit ebenso künstlerisch tätig wie jener, für den das Werk seine endgültige Gestalt erst im Verlaufe des "handwerklichen" Umsetzungsprozesses annimmt, was aber vor allem auf die von der Berufungswerberin ausgeübte Tätigkeit zutrifft. Auf Grund der Art und Weise der Gestaltung der vorgelegten sowie der fotografisch wiedergegebenen Werke war aus den dargelegten Gründen die in der Herstellung dieser Gegenstände bestehende Tätigkeit als künstlerische zu qualifizieren, die vom Ausnahmetatbestand des § 2 Abs 1 Z 7 GewO 1994 erfaßt und daher vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommen ist, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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