TE UVS Steiermark 1997/01/29 30.13-17/96

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Veröffentlicht am 29.01.1997
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erwin Ganglbauer über die Berufung des Herrn Dr. K. F., vertreten durch Dr. P. Sch., gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Graz, Gewerbeamt, vom 6.2.1996, GZ.: A 4 - St 251/1-1995/303, wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird die Berufung abgewiesen.

Gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG hat der Berufungswerber als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens einen Betrag von S 400,-- binnen vier Wochen ab Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.

Der Spruch wird neu gefaßt, daß der lautet:

"Sie haben es laut Strafantrag des Arbeitsinspektorates Leoben vom 6.4.1995, GZ.: 1160/300-12/95 als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ des Arbeitgebers der Stmk. K. GesmbH mit dem Sitz in G. zu verantworten, daß laut Feststellung des Arbeitsinspektorates Leoben vom 9.3.1995 im LKH J. in der chirurgischen Abteilung der Hauptfluchtweg im 1. Obergeschoß (Doppelflügeltüre) durch einen fahrbaren Medikamentenkasten verstellt war, obwohl die Fluchtwege und Notausgänge freigehalten werden müssen, damit sie jederzeit benützt werden können."

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Stmk. K. GesmbH zu verantworten, daß laut Feststellung des Arbeitsinspektorates Leoben vom 9.3.1995 im LKH J. der Hauptfluchtweg im 1. Obergeschoß durch einen fahrbaren Medikamentenkasten so verstellt gewesen sei, daß ein Öffnen im Gefahrenfalle nur mit größten Schwierigkeiten möglich gewesen wäre und diese Fluchttür überdies versperrt gewesen sei, obwohl die Fluchtwege und Notausgänge freigehalten werden müssen, damit sie jederzeit benutzt werden können. Er habe dadurch gegen § 21 Abs 4 iVm. § 130 Abs 1 Z 15 Arbeitnehmerschutzgesetz (ASchG) BGBl. Nr. 450/1994 iVm. § 9 Abs 1 VStG 1991 verstoßen. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über ihn eine Geldstrafe in Höhe von S 2.000,-- (12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

In der Berufung vom 11.3.1996 wurde ausgeführt, daß die angebrachte "optische Sperre" in Form eines fahrbaren Medikamentenkastens mit einem Finger wegbewegt werden könne, sodaß ein Öffnen im Gefahrenfall ohne Hindernis möglich sei.

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark stellt auf Grund der am 27. November 1996, am 19. Dezember 1996 und am 29. Jänner 1997 durchgeführten mündlichen Verhandlung, bei welcher die Zeugen Dipl. Ing. H. T. (Arbeitsinspektorat Leoben), Primarius Dr. K. W. (ärztlicher Direktor des LKH J. und Leiter der chirurgischen Abteilung), Dipl. Ing. W. H. (Leiter des technischen Dienstes im LKH J.), F. Z. (Brandschutzbeauftragter des LKH J.) und A. P.-S.

(Stationsschwester der chirurgischen Abteilung) gehört

wurden, fest:

1.) Sachverhalt:

Die chirurgische Abteilung im LKH J. befindet sich im ersten Obergeschoß im Westtrakt und ist direkt über ein Stiegenhaus von außen erreichbar. In diese Abteilung bzw. aus dieser Abteilung heraus führen zwei Türen, welche lediglich um ein Eck voneinander entfernt sind. Eine dieser Türen mit einer Breite von ca. 1 m dient als allgemein verwendeter Ein- und Ausgang für Personal, Patienten und Besucher zur chirurgischen Abteilung. Die andere breitere, zweiflügelige verglaste Pendeltüre gegenüber dem Kinderzimmer der chirurgischen

Abteilung dient nicht dem allgemeinen Verkehr. Es ist vielmehr vorgesehen, daß durch diese Türe die Evakuierung von nicht gehfähigen Patienten in ihren Betten im Brandfall ins Stiegenhaus und in der Folge ins Freie erfolgt, da man durch die allgemein benützte Tür ein Bett nur mit Mühe - daher zeitaufwendig - gerade durchbringen könnte. Zu der doppelten Schwingtüre leiten in der Abteilung auch die zur Kennzeichnung eines Fluchtweges allgemein üblichen Piktogramme hin. Die verfahrensgegenständliche Tür ist mit einem Schlüssel versperrbar. Sie ist jedoch auch im unversperrten Zustand von außen (d. h. vom Stiegenhaus) nicht zu öffnen, wenn sie einmal ins Schloß gefallen ist.

Am 9. März 1995 stellte der Arbeitsinspektor des Arbeitsinspektorates Leoben Dipl. Ing. H. T. anläßlich einer Kontrolle fest, daß der Zugang von der chirurgischen Abteilung in das Stiegenhaus durch einen fahrbaren Medikamentenwagen verstellt war. Ob die Türe von innen (von der chirurgischen Abteilung) fix versperrt war, überprüfte der Arbeitsinspektor nicht, nachdem er festgestellt hatte, daß sie jedenfalls von außen (vom Stiegenhaus) nicht zu öffnen war. Bereits anläßlich einer Vorkontrolle am 9.6.1994 war dies vom Arbeitsinspektor festgestellt und mit Schreiben vom 16.6.1994, adressiert an die Stmk. K. GesmbH, Krankenhaus J., beanstandet worden ("3.: der Fluchtweg vom 1. Obergeschoß (chirurgische Abteilung) in das Stiegenhaus ist durch Lagerungen (Kästchen) versperrt. Zwischentüren auf Gängen und Fluchtwegen dürfen bei Anwesenheit von Arbeitnehmern im Betriebsgebäude nicht versperrt gehalten werden (§ 26 AAV)"). Diese Beanstandung

wurde vom Verwaltungsdirektor He. mit Schreiben vom 24.6.1994 sowohl dem ärztlichen Leiter des LKH J., Primarius Dr. K. W. als auch dem Brandschutzbeauftragten F. Z. zur Kenntnis gebracht, weiters auch der Pflegedienstleitung. Primarius Dr. W. gab daraufhin den in der chirurgischen Abteilung beschäftigten Schwestern die Anweisung, die verfahrensgegenständliche Tür zu versperren. Dies deshalb, weil gegenüber dieser Türe das Kinderzimmer liegt und Primarius W. nicht wollte, daß die Kinder in der Nacht unkontrolliert in das Stiegenhaus und in der Folge ins Freie gelangen können. Tatsächlich war die Türe am Abend und in der Nacht oft unversperrt, da verschiedene Personen, z. B. die Internisten, einen Schlüssel für die Türe hatten und den Durchgang ohne neuerliches Absperren benützten. Immer wieder brachen auch undisziplinierte Patienten, die sich an das in der chirurgischen Abteilung geltende Rauchverbot nicht halten wollten, die Türe gewaltsam auf. Vor allem diesem Verhalten sollte die zusätzlich angebrachte "optische Sperre" durch das Kästchen entgegenwirken. Der Leiter des Sicherheitsdienstes im LKH, Dipl. Ing. W. H. und der Brandschutzbeauftragte des LKH J., F. Z., mußten bei ihren Kontrollgängen zwischen der ersten und zweiten Betriebsbesichtigung durch das Arbeitsinspektorat Leoben immer wieder feststellen, daß sich ein fahrbarer Medikamentenkasten vor der verfahrensgegenständlichen Tür befand. So wie das auch vom Arbeitsinspektor am 9. März 1995 festgestellt worden war. Z. und H. schoben diesen Medikamentenwagen immer wieder weg und

wiesen gegenüber diversen Schwestern (Z. gegenüber Schwester Andrea, Schwester Ilse und Schwester Michaela) immer wieder darauf hin, daß das Verstellen des Ausgangs durch den Medikamentenkasten unzulässig sei, da es sich um einen Fluchtweg handle. Die Schwestern beriefen sich gegenüber H. und Z. auf eine Weisung von Primarius Dr. W. im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, Kinder am Betreten des Stiegenhauses durch diese Tür zu hindern. Dieser Sachverhalt wurde von den beiden Zeugen gegenüber Primarius W. niemals direkt angesprochen, jedoch machte der Leiter des technischen Dienstes Dipl. Ing. H. seinen Vorgesetzten den Verwaltungsdirektor He. zumindest einmal darauf aufmerksam, der mitteilte, daß er diese Beanstandung an Primarius W. weiterleiten werde. Tatsächlich bewirkten die Beanstandungen durch Dipl. Ing. H. und Z. gegenüber den Schwestern lediglich für kurze Zeit das Freihalten des Ausgangs.

Unmittelbar nach der ersten Beanstandung im Juni 1994 erlangte die leitende Stationsschwester A. P.-S. davon Kenntnis, daß das Arbeitsinspektorat Leoben die Positionierung des fahrbaren Verbandkastens vor der Flügeltür als unzulässig angesehen hatte. Es war ihr auch bekannt, daß hierüber zwischen dem ärztlichen Leiter und Leiter der chirurgischen Abteilung, Primarius Dr. W. und dem Verwaltungsdirektor He. eine Meinungsverschiedenheit bestand, in welche sich die ihr eigentlich vorgesetzte Pflegedirektorin N. Pr. jedoch nicht einmischte. Sie selbst sprach Dr. W. mehrfach auf die Positionierung des ominösen Kästchens an, wobei letzterer auf seiner Meinung, das Kästchen habe vor der Tür zu stehen, beharrte. Zeitweise wurde das Kästchen fast täglich von Angehörigen des sicherheitstechnischen Dienstes entfernt, mit dem Ergebnis, daß Primarius W. lautstark jeder zufällig vorbeikommenden Person die neuerliche Positionierung des Kästchens vor der Flügeltür anordnete und die Durchführung seiner Weisung überwachte.

Weder der Verwaltungsdirektor noch der ärztliche Leiter lösten dieses Problem in der vorgeschriebenen Weise, daß hiemit die kollektive Anstaltsleitung (ärztlicher Direktor, Pflegedirektorin, Verwaltungsdirektor) befaßt worden wäre und bei Nichterzielung der Einstimmigkeit, wozu es auf Grund der tiefgreifenden Meinungsverschiedenheit zwischen He. und Dr. W.

zweifelsohne gekommen wäre, die Geschäftsführung der KAGES und somit den Berufungswerber zu befassen. Auf Zugangsmöglichkeiten zur chirurgischen Abteilung sind bei Vollbelag im Schnitt 37 Patienten, 3 Schwestern, 2 Stationshilfsdienste und 3 Ärzte sowie das Reinigungspersonal angewiesen, ferner alle Personen, die zu Dr. W., zum Operationssaal sowie zur Intensivstation wollen, sodaß Tag und Nacht mit der Anwesenheit von Arbeitnehmern und anderen Personen

zu rechnen ist.

2.) Beweiswürdigung:

Daß die verfahrensgegenständliche Tür die Funktion hatte, im Brandfall als Fluchtwegstür, insbesondere zur Evakuierung bettlägriger Patienten zu dienen, geht aus den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen Primarius Dr. K. W., Dipl. Ing. W. H., F. Z. und Dipl. Ing. H. T. hervor. Daß mittels Piktogrammen, die optisch zu dieser Tür hinleiten, dieser Zweck für jedermann klar erkennbar war, geht aus den übereinstimmenden Aussagen des Brandschutzbeauftragten F. Z. und des Arbeitsinspektors Dipl. Ing. H. T. sowie der leitenden Stationsschwester A. P.-S. hervor. Daß der fahrbare Medikamentenschrank am Tag der Kontrolle am 9. März 1995 vor der verfahrensgegenständlichen Türe als "optische Sperre" positioniert war, ist vom Berufungswerber unbestritten und geht zusätzlich aus der Aussage des Arbeitsinspektors Dipl. Ing. T. hervor. Daß dieser Ausgang in der Zeit zwischen der ersten Kontrolle im Juni 1994 und der zweiten Kontrolle im März 1995 durch das Arbeitsinspektorat Leoben trotz mehrfacher Beanstandungen durch den Leiter des technischen Dienstes W. H. und den Brandschutzbeauftragten F. Z. gegenüber den Schwestern immer wieder in gleicher Weise durch den fahrbaren Medikamentenschrank verstellt war, geht aus den glaubwürdigen Aussagen dieser beiden Zeugen sowie der Aussage der leitenden Stationsschwester A. P.-S. hervor. Daß Primarius Dr. W. seit Juni 1994 Kenntnis von der Ansicht des Arbeitsinspektorates Leoben hatte, daß der Fluchtweg durch Lagerungen (Kästchen) nicht versperrt werden dürfe, geht aus der Aussage von Primarius Dr. W. in Verbindung mit dem im erstinstanzlichen Akt befindlichen Schreiben des Verwaltungsdirektors He. an ihn vom 24.6.1994 sowie der Aussage der leitenden Stationsschwester A. P.-S. hervor. Daß die Schwestern gegenüber Z. und Dipl. Ing. H. immer wieder mit einer Weisung des Primarius Dr. W. argumentierten, geht aus den glaubwürdigen Aussagen dieser beiden Zeugen hervor. Daß Primarius Dr. W. seine Weisung trotz der geäußerten Bedenken der leitenden Stationsschwester aufrecht erhielt bzw. immer wieder erneuerte, gründet sich auf der glaubwürdigen Aussage von A. P.-S.

Im Hinblick auf die nachweisliche Verständigung des Primarius durch den Verwaltungsdirektor und den persönlichen Eindruck kommt der Aussage der leitenden Stationsschwester A. P.-S. die Positionierung des Verbandskastens vor der Flügeltür sei auf Anordnung von Dr. W. erfolgt, einer höheren Glaubwürdigkeit zu, als der Aussage desselben, es habe sich dabei um eine Eigenmächtigkeit der Schwestern gehandelt.

Nicht erwiesen konnte werden, daß die Flügeltüre zum Zeitpunkt der Kontrolle versperrt war, sodaß der Spruch berichtigt werden mußte.

3.) Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 21 Abs 4 ASchG 1994 muß dafür vorgesorgt werden, daß alle Arbeitsplätze bei Gefahr von den Arbeitnehmern schnell und sicher verlassen werden können. Anzahl, Anordnung, Abmessungen und Beschaffenheit der Fluchtwege und der Notausgänge müssen der höchst möglichen Anzahl der darauf angewiesenen Personen sowie der Nutzung der Einrichtung und den Abmessungen der Arbeitsstätte angemessen sein. Die Verkehrswege zu Fluchtwegen und Notausgängen sowie die Fluchtwege und Notausgänge selbst müssen freigehalten werden, damit sie jederzeit benutzt werden können. Fluchtwege und Notausgänge müssen gut sichtbar und dauerhaft gekennzeichnet sein. Was als "Fluchtweg" und "Notausgang" zu werten ist, ist im Gesetz selbst nicht definiert. Es kann jedoch kein Zweifel darüber bestehen, daß im konkreten Fall unter Fluchtweg der oder die Wege zu verstehen sind, welche im Falle einer Gefahr allen in der chirurgischen Abteilung im LKH J. befindlichen Personen - das sind Arbeitnehmer, Patienten, Besucher, Angehörige von Fremdfirmen - ermöglichen, diesen Trakt rasch und sicher verlassen zu können. § 21 Abs 4 1. Satz ASchG spricht zwar wortwörtlich nur von "den Arbeitnehmern" und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß sich sämtliche Arbeitnehmer in der chirurgischen Abteilung durch die ein Meter breite üblicherweise benutzte Zugangstüre in Sicherheit bringen können. Bei verständiger Lesung des ganzen Absatzes insbesondere im Zusammenhang damit, daß der zweite Satz des § 21 Abs 4 ASchG auf die "darauf angewiesenen Personen" bezug nimmt, ergibt sich, daß "Fluchtwege" auch das Kriterium erfüllen müssen, daß durch sie die Evakuierung bettlägriger Patienten möglich ist. Auf die vom Berufungswerber mehrfach angeführte Dienstanweisung, daß sich das Personal zuerst um die Evakuierung der Patienten zu kümmern habe, sei hingewiesen. Daß eine Evakuierung einer gesamten Abteilung eines Krankenhauses durch eine gerade ein Meter breite Türe bei einem im Notfall üblicherweise gegebenen gewissen Zeitdruck zumindest "untunlich" ist, liegt auf der Hand. Es kann daher kein Zweifel bestehen, daß als Fluchtweg aus der chirurgischen Abteilung jedenfalls auch die verfahrensgegenständliche Flügeltüre anzusehen ist, da nur durch sie eine sinnvolle Evakuierung von bettlägrigen Patienten möglich ist. Daß eine Evakuierung der Patienten im Brandfall mittels des Aufzugs nicht in Frage kommt, versteht sich von selbst. Es entspricht daher der Logik, daß alle Zeugen wie selbstverständlich den Zweck der verfahrensgegenständlichen Türe in der Möglichkeit zur Evakuierung von Patienten gesehen haben und daß der Weg zu dieser Türe auch mittels Piktogrammen für jedermann als Fluchtweg erkennbar ausgeschildert worden war. Daß der diesbezüglichen Ansicht des zuständigen Primarius, des Leiters des technischen Dienstes und des Brandschutzbeauftragten im Krisenfall entscheidende Bedeutung zukommt, liegt auf der Hand. Es handelt sich bei der verfahrensgegenständlichen Tür daher um den Teil eines Fluchtwegs, ohne daß zur Lösung dieser Frage andere feuerpolizeiliche Bestimmungen herangezogen werden müssen.

Fluchtwege selbst müssen freigehalten werden, damit sie jederzeit benutzt werden können. Freihalten bedeutet, daß es dem Flüchtenden möglich sein muß, den

gesamten Fluchtweg ohne Rücksicht auf irgendwelche Hindernisse benützen zu können. Als Hindernis ist schlechthin jeder Gegenstand anzusehen, da auf jeden Gegenstand reagiert werden muß und jede Reaktion eine psychische (und auch physische) Belastung und Behinderung des Fluchtvorganges darstellt. Es kann daher nicht die Schwierigkeit der Entfernung des Gegenstandes oder die notwendige Zeitdauer, um auf diesen Gegenstand zu reagieren, von belang sein,

sodaß das Argument des Berufungswerbers, das leere Medikamentenkästchen könne von einem Kind ohne Kraftaufwand beiseite geschoben werden, ins Leere geht. Gerade weil das Medikamentenkästchen so leicht ist, besteht die Gefahr, daß es im Zuge der Evakuierung immer wieder herumgestoßen wird und allenfalls gerade nicht die erste flüchtende Person, sondern alle nachfolgenden mit der Evakuierung von Patienten beschäftigten Personen behindert und gefährdet. Es ist daher davon auszugehen, daß bei einer Positionierung eines fahrbaren Medikamentenschranks vor einer Tür, durch welche ein Fluchtweg führt, keine Freihaltung des selben mehr gegeben ist. Die dem Berufungswerber zur Last gelegte Tat ist daher in objektiver Hinsicht verwirklicht worden. Da entgegen dem Wortlaut des Spruchs im angefochtenen Straferkenntnis davon auszugehen ist, daß die Fluchttür nicht versperrt war, war der Spruch neu zu fassen.

4.) Schuld:

§ 5 VStG ("Schuld") lautet:

"(1) Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, genügt zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiters anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

(2) Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, entschuldigt nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte."

Verwaltungsübertretungen, zu deren Tatbestand der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört, werden als Ungehorsamsdelikte bezeichnet. (VwGH 5.9.1978, 2787/77).

Bei diesen Delikten hat jedoch der Täter die von ihm behauptete Schuldlosigkeit glaubhaft zu machen und es obliegt ihm, alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. (s. VwSlg. 7087A/1967 und VwGH 20.5.1968, 187/67). Der Gesetzgeber belastet sohin den Täter in einem solchen Fall schon durch den objektiven Tatbestand und präsumiert die Schuld bis zur Glaubhaftmachung des Gegenteils durch den Beschuldigten. (VwGH 21.10.1977, 1793/76, ebenso VwGH 13.2.1979, 26969/77).

Durch den Nachweis allein, daß die den Beschuldigten treffende Verantwortung auf eine andere, wenn auch hiezu taugliche Person übergegangen sei, kann der Beschuldigte im Verwaltungsstrafverfahren nicht von der ihn treffenden Kontrolle der beauftragten Personen Vorsorge getroffen worden ist. Ein fahrlässiges Verhalten des Verpflichteten ist nicht nur bei Auswahl einer ungeeigneten Person (culpa in eligendo), sondern auch bei nichtentsprechender eingehender und dauernder Kontrolle (culpa in custodiendo) der eingesetzten Person anzunehmen. (VwGH 9.7.1985, 85/07/0051).

Der Berufungswerber ist als einer der beiden Geschäftsführer der Stmk. K.gesmbH für zirka 13000 Arbeitnehmer in 21 Landeskrankenhäusern verantwortlich. Daß es bei einem Unternehmen dieser Größenordnung schon statistisch zwingend zu einzelnen Verstößen gegen Arbeitnehmerschutzbestimmungen

kommen muß, ergibt sich schon auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung. Es ist offenkundig, daß es dem Berufungswerber selbst physisch unmöglich ist, die Einhaltung sämtlicher Arbeitnehmerschutzvorschriften zu überwachen. Die Rechtsordnung räumt ihm jedoch die Möglichkeit ein, sich durch die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten gemäß § 23 Abs 1 ArbIG 1993 von der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung zu befreien. Der Berufungswerber hat von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht, sodaß er grundsätzlich die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung für alle im Bereich der Stmk. K. GesmbH festgestellten Verstöße gegen die Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzes trägt. Aus welchem Grunde der Berufungswerber von § 23 Abs 1 ArbIG 1993 nicht Gebrauch gemacht hat, ist rechtlich nicht von Bedeutung. Sei es, daß er eine derartige Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten von vorneherein nicht in Betracht gezogen hat oder daß die hiefür in Frage kommenden Arbeitnehmer einer derartigen Bestellung nicht zugestimmt haben. Dem Berufungswerber wäre es aber auch in diesem Falle durch entsprechende Dienstanweisungen möglich und zumutbar gewesen, anzuordnen, daß ihm Beanstandungen durch das Arbeitsinspektorat zur Kenntnis zu bringen sind, und sich dadurch prinzipiell in die Lage zu versetzen, einen vom Arbeitsinspektorat festgestellten Mißstand abzustellen. Ausdrücklich ist darauf hinzuweisen, daß die ersten Verwaltungsstrafverfahren gegen den Berufungswerber wegen Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften bereits im Jahr 1993 geführt wurden, sodaß die Frage der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung für den Berufungswerber keineswegs nur akademisch war.

Mit Schreiben vom 16.6.1994 hat das Arbeitsinspektorat Graz jedenfalls ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der Positionierung eines fahrbaren Medikamentenkästchens vor der verfahrensgegenständlichen Tür hingewiesen. Dieses Schreiben ist jedenfalls in die Sphäre der Stmk. K. GesmbH gelangt. Es wäre daher Aufgabe des Berufungswerbers gewesen, durch grundsätzliche Anordnungen sicherzustellen, daß derartige Schreiben ihm zur Kenntnis gebracht werden, mag ihm auch darin zu folgen sein, daß seitens des Arbeitsinspektorates Leoben die Zusendung einer Kopie zu Handen der Direktion zweckmäßig gewesen wäre.

Ursache des festgestellten Verstoßes gegen die Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzes ist im

konkreten Fall zweifelsohne ein schuldhaftes Verhalten des Primarius Dr. W., der von der im Juni 1994 erfolgten Beanstandung Kenntnis erlangt hatte und nicht alle ihm zumutbaren Vorkehrungen getroffen hat, um die Verkehrswege zu den Fluchtwegen freizuhalten. Es ist ihm als Leiter der chirurgischen Abteilung nicht nur nicht verborgen geblieben, daß die verfahrensgegenständliche Türe durch einen fahrbaren Medikamentenwagen immer wieder verstellt war, sondern er hat trotz nachweislicher schriftlicher Information durch den Verwaltungsdirektor und der mehrfachen Äußerung von Bedenken immer

wieder seine gesetzeswidrige diesbezügliche Weisung erneuert.

Festgehalten wird, daß der verfahrensgegenständliche Verstoß nur durch ein gemeinsames Zusammenwirken

von Verwaltungsdirektor, ärztlichem Direktor und Pflegedirektorin zu verhindern gewesen wäre. Es wäre die Pflicht aller 3 leitenden Funktionäre des LKH J. gewesen, insbesondere des ärztlichen Direktors Dr. W., die kollektive Anstaltsleitung mit diesem Problem zu befassen und - bei Nichteinigung - den Vorstand der KAGES, d. h. unter anderem den Berufungswerber um Erteilung einer Weisung zu ersuchen. Statt dessen wurde die Verantwortung auf untergeordnete Funktionsträger, den Sicherheitsbeauftragten, den Brandschutzbeauftragten und die leitende Stationsschwester abgewälzt, die damit in eine ständige überflüssige Konfliktsituation hineinmanövriert und dann alleingelassen wurden. Warum die Kommunikation zwischen den Funktionsträgern letztlich nicht ausreichend geklappt hat, ist für die Feststellung, daß dem Berufungswerber ein grundsätzliches organisatorisches Verschulden zur Last zu legen ist, ohne entscheidende Bedeutung. Der Berufungswerber muß das vorsätzliche Verhalten des ärztlichen Direktors des LKH J. für sich gelten lassen, sodaß der ihm gemäß § 5 VStG

obliegende Entlastungsbeweis nicht gelungen ist.

Angemerkt wird, daß sich das Problem, die Benützung der Fluchtwegstüre durch Kinder und andere unbefugte Personen zu verhindern bei gleichzeitiger Freihaltung des Notausganges, leicht durch das Anbringen eines sogenannten "Panikverschlusses" hätte lösen können.

5.) Strafbemessung:

§ 19 Abs 1 VStG enthält jene objektiven Kriterien, die Grundlage für jede Strafbemessung sind. Demnach ist bei der Wertung der Tat innerhalb der Grenzen des gesetzten Strafrahmens (hier S 2.000,-- bis S 100.000,--) insbesondere davon auszugehen, in welchem Ausmaß diejenigen Interessen gefährdet worden sind, deren Schutz die Strafdrohung dient. Der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat, ist ebenso bei der Strafbemessung zu berücksichtigen. Zweck der Bestimmung, gegen die der Berufungswerber verstoßen hat, ist es, sämtlichen Arbeitnehmern und sonstigen Personen im Falle einer Gefahr das möglichst schnelle und sichere Verlassen des Gefahrenbereichs zu ermöglichen, wozu gehört, daß Verkehrswege zu Fluchtwegen und Notausgängen absolut freigehalten werden. Hindernisse können gerade in Extrem- und Paniksituationen die Ursache von Verletzungen (z. B. durch Stürze) sein. Dies unabhängig von der Schwierigkeit und dem notwendigen Kraftaufwand zu ihrer Entfernung.

Neben den objektiven Kriterien des Unrechtsgehaltes der Tat kommt im ordentlichen Verfahren als Strafbemessungsgrundlage die Prüfung der subjektiven Kriterien des Schuldgehaltes der Tat, somit auch die in der Person des Beschuldigten gelegenen Umstände, hinzu. Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) daher die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen.

Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Bei der Strafbemessung ist als mildernd die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit, als erschwerend nichts zu werten. Dem Berufungswerber ist in den unter Punkt 4.) Schuld angeführten Gründen schwere Fahrlässigkeit zur Last zu legen, da bei Leitung eines Betriebes mit 13.000 Arbeitnehmern schon auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung mit Verstößen gegen den Arbeitnehmerschutz zu rechnen ist und es sich von vorneherein angeboten hätte, die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten abgeben. Der Verstoß gegen den Schutzzweck der Norm ist als zumindest durchschnittlich zu werten, sodaß die Anwendung von § 20 oder 21 VStG nicht in Frage kommt. Bei der Strafbemessung ist weiters ein monatliches Einkommen in Höhe von S 70.000,--, Vermögen in Form einer Eigentumswohnung und eines Hälfteanteiles an einem Einfamilienhaus, sowie Sorgepflichten für 7 Kinder und die Ehefrau zu berücksichtigen.

Die verhängte Geldstrafe entspricht der gesetzlichen Mindeststrafe. Eine weitere Absenkung der Strafe verbietet sich dadurch von selbst. Die Voraussetzungen für die Anwendung von § 20 und § 21 VStG waren nicht gegeben, da der Schutzzweck gegen den Verstoß der Norm zumindest als durchschnittlich zu bezeichnen ist und auch der Grad der Fahrlässigkeit nicht als gering zu bezeichnen ist.

Schlagworte
Fluchtweg Hindernis Krankenhaus
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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