TE UVS Niederösterreich 1999/06/09 Senat-WB-98-434

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Veröffentlicht am 09.06.1999
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Spruch

Der Berufung wird gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) 1991 Folge gegeben und das erstinstanzliche Straferkenntnis aufgehoben.

 

Gleichzeitig wird gemäß §45 Abs1 Z1 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) 1991 die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens verfügt.

Text

Mit Straferkenntnis vom 24.3.1998, Zl. 3-*****-97, erkannte die Bezirkshauptmannschaft XX den nunmehrigen Berufungswerber der Begehung einer Verwaltungsübertretung nach §20 Abs2 StVO schuldig, weil er am 2.10.1997, 08.52 Uhr, im Gemeindegebiet B F-B, **, ***********, km 42,5, Richtungsfahrbahn Graz, als Lenker des PKWs W-******, auf der Autobahn schneller als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h gefahren war (203 km/h gemessene Geschwindigkeit), und verhängte hiefür gemäß §99 Abs3 lita StVO eine Geldstrafe von S 7.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 144 Stunden) unter gleichzeitiger Vorschreibung eines Kostenbeitrages gemäß §64 Abs2 VStG von S 700,--.

 

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschuldigte fristgerecht am 10.4.1998 mit der Begründung Berufung, dass es sich bei dem von ihm zur Tatzeit gelenkten Tatfahrzeug aufgrund der tatzeitlichen Verwendung des Blaulichtes um ein Einsatzfahrzeug gehandelt habe, weshalb er gemäß §26 Abs2 StVO nicht an die in §20 Abs2 StVO normierte Geschwindigkeitsbeschränkung gebunden gewesen sei. Darüber hinaus sei mittels einer zweiten Leuchte aus dem Innenraum dieses Einsatzfahrzeuges ständig nach vorne blaues Blitzlicht ausgestrahlt worden.

Er beantrage daher die Aufhebung des Straferkenntnisses sowie die Verfahrenseinstellung.

 

Mit Schreiben vom 15.4.1998 legte die Bezirkshauptmannschaft XX den gegenständlichen Verwaltungsstrafakt zur Berufungsentscheidung vor.

 

Gemäß §51e Abs1 VStG führte die Berufungsbehörde am 20.5.1999 eine öffentliche mündliche Verhandlung in Anwesenheit des Beschuldigten durch, anlässlich welcher die Einvernahme des Zeugen (zur Tatzeit Rev., nunmehr Gr.Insp. W H erfolgte.

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich hat erwogen:

 

Aufgrund der Beschuldigtenverantwortung (s. Meldung vom 9.1.1998, Schreiben vom 4.3.1998, Berufungsschrift, Einvernahme in der Berufungsverhandlung) und den damit übereinstimmenden, unter Wahrheitspflicht stehend getätigten, Angaben des Zeugen Gr.Insp. H in der Berufungsverhandlung steht fest, dass der Rechtsmittelwerber das Tatfahrzeug, in welchem er den Zeugen Gr.Insp. H am Beifahrersitz mitbefördert hat, zur Tatzeit am Tatort, für welchen eine erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h gegolten hat, unter Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von knapp 200 km/h gelenkt hat und somit auf der Autobahn schneller als 130 km/h gefahren ist.

 

Diese Tat entspricht dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach §20 Abs2 StVO.

 

Unter Zugrundelegung der diesbezüglich übereinstimmenden Verfahrensergebnisse (s. Angaben des Beschuldigten und des Zeugen Gr.Insp. H, Mitteilung der BPD ****, Verkehrsamt, vom 11.12.1997, schriftliche Stellungnahmen des Leiters des Kraftfahrreferates der BPD ****, M F (nunmehriger Rang: Oberst), vom 23.1.1998 und 26.4.1999) ist weiters erwiesen, dass es sich beim Tatfahrzeug (PKW Opel Vectra) um ein Dienstkraftfahrzeug (Zulassungsbesitzer: BPD ****, Kraftfahrreferat) gehandelt hat, welches zur Tatzeit mit dem Deckkennzeichen W-******* versehen und mit diverser sicherheits- und kriminaldienstlicher Spezialausrüstung ausgestattet gewesen ist.

 

Am Tattag hat Oberst F dem, in seinem Referat Dienst verrichtenden, Beschuldigten den Dienstauftrag erteilt, das Tatfahrzeug sofort und rasch zur BPD **** (Polizeistützpunkt ****-****) zu überstellen, weil dieses dortörtlich dringend benötigt worden ist. Diese Dienstfahrt hat dienstauftragsgemäß unter gebotener Dringlichkeit ("Zeitdruck") vorgenommen werden müssen.

In Entsprechung dieses Dienstauftrages hat der Beschuldigte im Beisein des Zeugen Gr.Insp. H die verfahrensgegenständliche Fahrt durchgeführt.

 

Unter Zugrundelegung der diesbezüglich übereinstimmenden Angaben des Beschuldigten und des Zeugen Gr.Insp. H sowie der vorgelegten Protokolle der am Morgen und am Vormittag des Tattages erfolgten Ö3-Verkehrsfunkdurchsagen steht weiters fest, dass es am Morgen des Tattages zu umfangreichen Stauungen im Großraum W**** gekommen ist, wodurch sich ein erheblicher zeitlicher Mehraufwand für das Zurücklegen des im Großraum W**** befindlichen Teiles der dienstauftragsgemäßen Fahrtstrecke ergeben hat.

Das Verkehrsaufkommen hat sich erst relativ kurz vor dem späteren Tatort dermaßen verringert, dass die Einhaltung einer 130 km/h übersteigenden Fahrgeschwindigkeit ohne Gefährdung von Personen und Sachen möglich gewesen ist.

Aufgrund einer während der Fahrt gehörten Ö3-Verkehrsfunkdurchsage haben die Beamten gewusst, dass es auf ihrer weiteren Fahrtstrecke zu einer weiteren zeitlichen Verzögerung kommen wird, weil bei E***** der erste Fahrstreifen der Südautobahn, Richtungsfahrbahn Graz, nach mehreren

Verkehrsunfällen gesperrt worden ist.

Um der Dringlichkeit des ihm erteilten Dienstauftrages zu entsprechen, hat der Beschuldigte das Blaulicht eingeschaltet und anschließend das Tatfahrzeug auf eine Fahrgeschwindigkeit von über 130 km/h beschleunigt.

Die, mit einer Magnethalterung versehene, "mobile Blaulichtleuchte" ist während der Fahrt vom Beifahrer Gr.Insp. H auf das Tatfahrzeugdach gesteckt worden.

Außerdem ist die im Tatfahrzeuginneren befindliche, am rechten unteren Bereich der Windschutzscheibe angebrachte, Blaulicht ausstrahlende, Blitzleuchte eingeschaltet worden.

Zur Tatzeit hat der Beschuldigte das Tatfahrzeug am Tatort unter Verwendung beider angeführter Blaulichtsignale gelenkt, sodass von der am Tatfahrzeugdach angebrachten Leuchte Blaulicht und von der im Tatfahrzeuginnenraum befindlichen

Leuchte ständig blaues Blitzlicht nach vorne ausgestrahlt worden sind.

Die gegenständliche Fahrt ist im Zusammenhang mit den, durch die am Tattag erfolgte Ergreifung des F F veranlassten,

umfangreichen sicherheits- und kriminaldienstlichen Erhebungen zum Dienste der Strafrechtspflege ("Briefbombenserie") gestanden. Zur Durchführung dieser Erhebungen sind diverse Spezialisten und Spezialgegenstände auf dem Luft- und Landweg sowie, mit der für diese spezifischen Ermittlungen erforderlichen Spezialausrüstung ausgestattete, Fahrzeuge in den Großraum **** gebracht worden, wobei es sich beim Tatfahrzeug um eines dieser dortörtlich dringend zum Dienste der Strafrechtspflege benötigten Fahrzeuge gehandelt hat.

 

Der Zeuge Gr.Insp. H hat das verfahrensrelevante Geschehen überzeugend dargelegt und in nachvollziehbarer Weise mit Nachdruck darauf hingewiesen, die "mobile Blaulichtleuchte" nur dann am Fahrzeugdach anzubringen, wenn diese auch tatsächlich zur Verwendung kommt.

Die detaillierte Erinnerung des Zeugen in der Berufungsverhandlung an den gegenständlichen Vorfall ist nachvollziehbar und schlüssig mit der besonderen Einprägsamkeit der näheren Umstände und des Hintergrundes der Fahrt erklärt, zumal die Ergreifung von F F und die dadurch - zu diesem Zeitpunkt - als Möglichkeit gesehene Aufklärung der Briefbombenserie nicht nur in Polizeikreisen, sondern in der gesamten Öffentlichkeit enormes Aufsehen und große Beachtung erregt hat.

Dazu kommt noch, dass ein Grund, aus welchem der Zeuge tatsachen- und wahrheitswidrige Angaben machen und sich dadurch der strafgerichtlichen und disziplinarrechtlichen Verfolgung aussetzen sollte, nicht verfahrensevident geworden ist, zumal der Zeuge zum nunmehrigen Zeitpunkt nicht mehr beim Kraftfahrreferat, sondern beim Donaudienst der BPD **** Dienst versieht und somit nicht mehr im Verhältnis der "unmittelbaren Kollegenschaft" zum Beschuldigten steht.

 

Die, zur dem gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren zugrundeliegenden schriftlichen Anzeige des LGK für NÖ, **** ****, *********** **, vom 20.10.1997, Zl. *****/****, gehörigen, sieben Radarfotos zeigen das Tatfahrzeug als im abfließenden Verkehr befindlich und dokumentieren, dass zum Radarmess-(=Tat-)zeitpunkt tatsächlich die oben beschriebene Blaulichtleuchte am über dem Beifahrersitz befindlichen Bereich des Tatfahrzeugdaches angebracht gewesen ist, lassen jedoch nicht erkennen, ob das Blaulicht in Verwendung gewesen ist oder nicht.

Der die Radarmessung durchführende Gendarmeriebeamte Insp. S hat am 2.5.1999 beauskunftet, dass ihm nicht mehr erinnerlich ist, ob das Tatfahrzeug mit oder ohne Verwendung von Blaulicht gelenkt worden ist, wobei anzumerken ist, dass eine Anhaltung des Lenkers des Tatfahrzeuges am Tattag nicht erfolgt ist. Der Darstellung der beiden tatzeitlichen Tatfahrzeuginsassen widersprechende Verfahrensergebnisse liegen somit nicht vor.

 

Gemäß §2 Abs1 Z25 StVO ist ein Einsatzfahrzeug ein Fahrzeug, das aufgrund kraftfahrrechtlicher Vorschriften als Warnzeichen blaues Licht und Schallzeichen mit Aufeinanderfolge verschieden hoher Töne führt, für die Dauer der Verwendung eines dieser Signale. Für die Qualifikation eines Fahrzeuges als Einsatzfahrzeug ist erforderlich, dass blaues Licht oder Folgetonhorn tatsächlich verwendet wird, es genügt die Verwendung eines dieser Signale. Ein Fahrzeug ist auch dann ein Einsatzfahrzeug, wenn diese Signale widerrechtlich verwendet werden (OGH 20.12.1988, ZVR 1990/18), weshalb sich fallbezogen die Klärung der Frage, ob das Blaulichtsignal erlaubterweise, also unter den in §26 Abs1 StVO normierten Voraussetzungen, abgegeben worden war, mangels Entscheidungsrelevanz erübrigt hat.

 

Gemäß §26 Abs2 StVO ist der Lenker eines Einsatzfahrzeuges (außer in den fallbezogen nicht zutreffenden, in §26 Abs3 StVO angeführten, Fällen) bei seiner Fahrt an Verkehrsverbote oder an Verkehrsbeschränkungen nicht gebunden. Er darf jedoch hiebei nicht Personen gefährden oder Sachen beschädigen.

 

Ausgehend von den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen ergibt sich, dass es sich beim Tatfahrzeug zur Tatzeit infolge der Verwendung von Blaulicht um ein Einsatzfahrzeug i.S.d. §2 Abs1 Z25 StVO gehandelt hat.

 

Eine Tat ist nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist (§6 VStG).

§26 Abs2 StVO normiert eine gesetzliche Erlaubnis iSd §6 VStG.

 

Obzwar die vom Beschuldigten gesetzte Tat dem Tatbestand des §20 Abs2 StVO entsprochen hat, ist diese iSd §6 VStG erlaubt und folglich nicht rechtswidrig gewesen, weil gemäß §26 Abs2 StVO der Lenker eines Einsatzfahrzeuges bei seiner Fahrt nicht an Verkehrsbeschränkungen, somit auch nicht an eine Geschwindigkeitsbeschränkung nach §20 Abs2 StVO, gebunden ist.

 

Da die gegenständliche tatbestandsmäßige Tat mangels Rechtswidrigkeit keine Verwaltungsübertretung bildet und demzufolge nicht strafbar ist, war spruchgemäß zu entscheiden.

 

Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass dem Beschuldigten im gesamten erstinstanzlichen Verfahren nicht konkret angelastet worden ist, durch die gegenständliche Tat Personen gefährdet zu haben. Eine tatbedingte Beschädigung von Sachen ist nicht verfahrensevident geworden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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