TE UVS Wien 1999/11/30 03/P/42/2541/99

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Veröffentlicht am 30.11.1999
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch Mag Mag Dr Tessar als Berichter, Mag Pichler als Vorsitzender und Dr Osinger als Beisitzer über die Berufung des Herrn Dkfm DDr Gerhard G gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, vom 13.7.1999, Zl MA 65 - 8/230/99, mit welchem über die Vorstellung gegen den Bescheid der BPD Wien - Verkehrsamt vom 29.8.1997 abgesprochen wurde, entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird in Stattgebung der Berufung Spruchpunkt 2) des Bescheides des Landeshauptmannes von Wien vom 13.7.1999, Zl MA 65-8/230/99, dahingehend abgeändert, dass der Vorstellung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, vom 29.8.1997, Zl III-Entz 7573/VA/97, Folge gegeben und dieser Bescheid wegen Nichtvorliegens der in § 57 Abs 1 AVG genannten Voraussetzungen für die Erlassung eines Mandatsbescheides behoben wird.

Text

Der angefochtene Spruchpunkt 2) des Bescheides des Landeshauptmannes von Wien vom 13.7.1999 lautet wie folgt:

?Der gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien - Verkehrsamt vom 29. August 1997, betreffend die gemäß § 73 Abs 1 KFG 1967 in Verbindung mit § 57 Abs 1 AVG

ausgesprochene Entziehung der am 23. Juni 1965 unter der Zahl 010732/65 für die Gruppen B, C, E, F und G erteilten Lenkerberechtigung für die Zeit von 4 Jahren, rechtzeitig eingebrachten Vorstellung wird keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß die Entziehungszeit am 2. September 1997 begonnen hat und am 2. September 2001 endet, wobei jedoch Zeiten der von Herrn Dkfm DDr Gerhard G zu verbüßenden Haft in diese Frist nicht einzurechnen sind.?

In der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Berufung bekämpfte der Berufungswerber ausschließlich Spruchpunkt 2) des obgenannten Bescheides.

Aus dem erstinstanzlichen Akt ist ersichtlich, dass der Berufungswerber nach Einleitung eines Strafverfahrens wegen Verdachts der Begehung der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen (§ 207 StGB) und der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren (?§ 209 StGB), sowie des Vergehens der Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) aufgrund des gegen ihn wegen Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr erlassenen Haftbefehles des Landesgerichts Wels vom 31.7.1997 am 3.8.1997

festgenommen wurde. In der Folge wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt.

Mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 3.4.1998, Zl 14 Vr 43/98, 14 Hv 6/98, wurde er wegen Begehung der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen (207 Abs 1 StGB) und der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren (§ 209 StGB) und wegen des Vergehens der Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 2 1/2 Jahren verurteilt.

Der dagegen erhobenen Berufung des Berufungswerbers wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 26.1.1999, Zl 7 Bs 381/98, keine Folge gegeben.

Der Berufungswerber befindet sich seit dem 3.8.1997 durchgehend in Haft.

Mit am 2.9.1997 iS des § 57 Abs 1 AVG erlassenen Mandatsbescheid der BPD Wien - Verkehrsamt vom 29.8.1997 wurde dem Berufungswerber die ihm am 23.6.1965 erteilte Lenkerberechtigung für die Gruppen B, C, E, F und G gemäß § 73 Abs 1 KFG entzogen.

Mit Schriftsatz vom 2.9.1997 brachte der Berufungswerber daraufhin Vorstellung gegen den obgenannten Mandatsbescheid ein. In dieser brachte er vor, dass bislang kein rechtskräftiges Urteil

gegen ihn vorliege, sodass für ihn die Unschuldsvermutung gelte. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien - Verkehrsamt vom 4.12.1997, Zl III-Entz 7573/VA/97, wurde das Verfahren betreffend die Entziehung der Lenkerberechtigung gemäß § 38 zweiter Satz AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des bereits anhängigen Verfahrens beim Landesgericht Wels zur Zl 7 Vr 692/97, 7 UR 111/97 ausgesetzt.

Die gegen diesen Aussetzungsbescheid erhobene Berufung wurde durch das im Devolutionsweg zuständig gewordene Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr mit Bescheid vom 19.6.1998, Zl 421.626/3-II/B/8/98, abgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 29.4.1999 brachte der Berufungswerber einen Devolutionsantrag beim Amt der Wiener Landesregierung ein, und führte in diesem u a aus wie folgt:

?Mit Bescheid vom 04.12.1997, GZ III-Entz 7573/VA/97, hat die Bundespolizeidirektion Wien das seit 29.08.1997 anhängige Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung des Betroffenen ?bis zur rechtskräftigen Entscheidung im bereits anhängigen Verfahren beim Landesgericht Wels zur Zahl 7 Vr 682/97, 7 Ur 111/97 ... ausgesetzt.?

Im genannten Verfahren beim Landesgericht Wels liegt bereits seit 26.01.1999 eine rechtskräftige Entscheidung vor.

Gemäß § 75 Abs 5 KFG 1967, welcher gemäß § 41 Abs 1 FSG auf Verfahren weiter anzuwenden ist, die - so wie das vorliegende Verfahren am 01.11.1997 bereits anhängig waren, beträgt die Entscheidungsfrist im Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung drei Monate.

Die Bundespolizeidirektion Wien hätte daher bis zum 26.04.1999 eine Entscheidung zu treffen gehabt. Eine solche ist bislang nicht zugegangen, die Behörde erster Rechtsstufe ist säumig.?

Daraufhin wurde durch den im Devolutionsweg zuständig gewordenen Landeshauptmann von Wien der im Berufungsverfahren bekämpfte Bescheid erlassen.

Die erkennende Behörde führte am 23.11.1999 und am 30.11.1999 mündliche Verhandlungen durch.

Die wesentlichen Teile des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 23.11.1999 lauten wie folgt:

?Nach der Entscheidung des VwGH 97/11/0302 vom 20.1.1998 ist die Entziehungsdauer u a davon abhängig wie oft der BW gegen gleichartige Rechtsgüter verstoßen hat, wobei die Mehrmaligkeit sich nicht auf Taten sondern auf Verfahren stützt. Diese als einzig zugängliche Entscheidung in der RDB bezieht sich auf einen zweifachen Wiederholungstäter gemäß § 208 StGB, dem bereits einmal die Lenkerberechtigung vor dem zitierten Verfahren entzogen worden war. Die Entziehungsdauer betrug in jenem Verfahren zwei Jahre.

Ich stelle nachfolgende Anträge:

a) Gemäß Art 234 EGV den Europäischen Gerichtshof mit dem vorliegenden Verfahren zu befassen und eine Vorabentscheidung dahingehend zu bewirken, ob die in der Berufung vom 10.8.1999 geltend gemachten Verstöße gegen die Richtlinien des Rates NR 91/439/EWG sowie gegen die Art 43, 46 und 49 des EWG Vertrages vorliegen, sodass die Bestimmungen der §§ 66 und 73 KFG insoweit derogiert sind.

b) Aufgrund der Länge des noch zu erwartenden Verfahrens und der bevorstehenden Entlassung des BW wird beantragt, der Berufung für 18 Monate übersteigende Zeiträume des noch andauernden Verfahrens die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen.

Den Verfahrensparteien wird die Möglichkeit gegeben, seitens des Verkehrsamts angenommenen Gefahr in Verzug anlässlich der Erlassung des vfgst Mandatsbescheides Stellung zu nehmen:

Die Vertreterin des Landeshauptmanns gibt bekannt, dazu keine weiteren Ausführungen zu machen.

Der BW bringt vor:

Im Gegensatz zum Mandatsbescheid war schon durch die Haft

keine Gefahr in Verzug gegeben.

Zu dem wird vorgebracht, dass entgegen der gesetzlichen Forderung keine bestimmten Tatsachen im Sinne des § 66 KFG vorlagen.

Im übrigen hat die BPD Wien dadurch dass sie ihre Entscheidungspflicht über die Vorstellung nicht nachgekommen ist, sich der Begründung entzogen.?

DER UNABHÄNGIGE VERWALTUNGSSENAT WIEN HAT

ERWOGEN:

Am 1.11.1997 ist das Führerscheingesetz - FSG, BGBl I Nr 120/1997, in Kraft getreten. Gemäß § 41 Abs 1 FSG sind die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängigen Verfahren aufgrund der §§ 64 bis 77 KFG nach der bisherig geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Da im konkreten Fall das Entziehungsverfahren bereits am 1.11.1997 anhängig war, ist daher das KFG anzuwenden.

Gemäß § 123 Abs 1 KFG in der anzuwendenden Fassung ist der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide des Landeshauptmanns als Behörde erster Instanz zuständig.

Im vorliegenden Fall hat der Landeshauptmann von Wien als im Devolutionsweg zuständig gewordene Behörde funktionell als Behörde erster Instanz entschieden.

§ 73 Abs 1 KFG in der Fassung BGBl I Nr 103/1997, lautet wie folgt:

?Besitzern einer Lenkerberechtigung, die nicht mehr im Sinne des § 66 verkehrszuverlässig, nicht mehr geistig oder körperlich geeignet oder nicht mehr fachlich befähigt sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken, ist die Lenkerberechtigung entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit ganz oder nur hinsichtlich bestimmter Gruppen zu entziehen oder durch Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit einzuschränken; dies gilt auch sinngemäß, wenn die geistige und körperliche Eignung nicht mehr in vollem Umfang gegeben ist oder nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und Nachuntersuchungen erforderlich sind.?

Gemäß § 66 Abs 1 KFG in der Fassung BGBl I Nr 103/1997, gilt eine Person dann als verkehrszuverlässig, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen im Sinne des § 66 Abs 2 KFG und ihrer Wertung im Sinne des § 66 Abs 3 KFG angenommen werden muss, dass sie auf Grund ihrer Sinnesart die Verkehrssicherheit gefährden wird oder sie sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

Gemäß § 57 Abs 1 AVG ist eine Behörde unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt auch ohne Abschluss eines vorausgegangenen Ermittlungsverfahrens einen Bescheid zu erlassen. Dies ist aber im Falle eines Bescheides, mit welchem keine Geldleistungen vorgeschrieben werden, nur dann zulässig, wenn es sich bei Vorliegen von Gefahr in Verzug um eine unaufschiebbare Maßnahme handelt.

Entsprechend der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des Öffentlichen Rechtes ist ein Mandatsbescheid gemäß § 57 Abs 1 AVG, welcher trotz Nichtvorliegens der in § 57 Abs 1 AVG genannten Voraussetzungen erlassen wurde, mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet (vgl VwGH 28.4.1967, 1332/65; 21.11.1986, 84/17/0217 sowie VfGH 1.10.1975, B 279/75, VfSlG 7615/1975). Im vorliegenden Fall ist kein Indiz ersichtlich, welches die Annahme des Vorliegens einer Gefahr in Verzug zum Zeitpunkt der Erlassung des mit Vorstellung bekämpften Mandatsbescheides nahe legen würde:

Der Berufungswerber befand sich im September 1997 in Haft und war folglich nicht in der Lage, ein Fahrzeug zu lenken. Sohin lag auch keine unmittelbar drohende Gefahr einer - durch die Möglichkeit des Lenkens eines Kraftfahrzeuges erleichterten - Verübung eines weiteren Sittlichkeitsdeliktes vor.

Es bestand sohin keine Gefahr in Verzug iSd § 57 Abs 1 AVG. Auch die von der den Mandatsbescheid erlassenden Behörde allenfalls ins Auge gefasste Möglichkeit der Aufhebung der über den Berufungswerber verhängten Untersuchungshaft konnte die Annahme, bei dem Entzug der Lenkberechtigung handle es sich um eine unaufschiebbare Maßnahme iS des § 57 Abs 1 AVG nicht rechtfertigen.

Tatbegehungsgefahr stellt einen der in § 180 StPO genannten Gründe für die Verhängung - und Aufrechterhaltung - der Untersuchungshaft dar.

Eine Aufhebung der über den Berufungswerber verhängten Untersuchungshaft wäre daher nur bei Nichtvorliegen einer aktuellen Tatbegehungsgefahr gesetzeskonform gewesen, weshalb auch der Umstand, dass der Berufungswerber nach einer allfälligen Aufhebung der Untersuchungshaft vor Abschluss des ordentlichen Verfahrens wieder ein Fahrzeug lenken hätte können, die Annahme, es liege Gefahr im Verzug iS des § 57 Abs 1 AVG vor, nicht rechtfertigen konnte.

Am 2.9.1997 lagen daher die Voraussetzungen für die Erlassung eines Führerscheinentzugsbescheides im Mandatsverfahren nicht vor.

Der im Devolutionsweg zur Entscheidung über die Vorstellung des nunmehrigen Berufungswerbers gegen diesen Mandatsbescheid zuständig gewordene Landeshauptmann von Wien hätte daher den bekämpften Mandatsbescheid wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 57 Abs 1 AVG zu beheben gehabt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Schlagworte
Führerscheinentzug Verkehrszuverlässigkeit
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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