TE UVS Steiermark 2000/05/16 303.16-8/1999

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Veröffentlicht am 16.05.2000
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch die Kammermitglieder Dr. Reingard Steiner, Dr. Karl-Heinz Liebenwein und Dr. Monika Gasser-Steiner über die Berufung des Herrn DI P P, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 21.09.1999, GZ.: III/S- 23330/99, wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im Folgenden VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

Text

I.)

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe am 28.05.1999 um ca. 18.30 Uhr in Graz 11., Rettenbacher Straße, in Höhe des Grundstückes Nr. 21, ein Fahrrad in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt - der Blutalkoholgehalt betrug am 28.05.1999 um 20.30 Uhr 1,7 Promille - und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs 1 lit a in Verbindung mit § 5 Abs 1 StVO begangen.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über ihn gemäß § 99 Abs 1 lit a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von S 17.000,--, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 17 Tagen, verhängt.

In der rechtzeitig erhobenen Berufung führte der Berufungswerber aus, er könne sich an den Unfall, den er wahrscheinlich infolge eigener Unachtsamkeit mit seinem Fahrrad verursacht habe, nicht erinnern, aber auch nicht daran, dass an ihm eine Blutabnahme durchgeführt worden wäre, zu der angeblich ein Beamter der Bundespolizeidirektion Graz seine Zustimmung eingeholt hätte. Unter Hinweis auf § 5 Abs 7 StVO hätte daher das Ergebnis der Blutabnahme, die weder über seinen Antrag noch mit seiner Zustimmung erfolgt sei, nicht verwertet werden dürfen, was bedeute, dass ihm zu Unrecht das Lenken eines Fahrrades im alkoholisierten Zustand vorgeworfen worden sei. Abgesehen davon stünde auch die Höhe der verhängten Strafe in keinem Verhältnis zur Schwere des Vergehens.

Aus den dargestellten Gründen beantragte der Berufungswerber, das Straferkenntnis zu beheben und das Verfahren gegen ihn einzustellen, in eventu die Strafe auf das gesetzliche Mindestmaß herabzusetzen.

II.)

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesonders

der Beweisergebnisse der Berufungsverhandlung vom 16.05.2000, in deren Rahmen neben dem Berufungswerber als Partei auch die Zeugen RI F K (Meldungsleger) und Frau Dr. S E (Aufnahmeärztin) gehört sowie der medizinische Sachverständige Dr. F R beigezogen wurden, wird nachstehender Sachverhalt festgestellt:

Der Berufungswerber war am 28.05.1999 gegen 18.30 Uhr in Graz, Rettenbacher Straße, Höhe Haus Nr. 21, als Lenker eines Fahrrades, mit dem er gegen das abgestellte Fahrzeug des Dr. S prallte, in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem er, wie sich später herausstellte, schwerwiegende Schädel- und Hirnverletzungen erlitt. Bedingt durch den Sturz erlitt der Berufungswerber ein schweres Schädel-Hirn-Trauma in Form mehrfacher Mittelgesichtsfrakturen (Nasenbeinbruch, Bruch des linken Jochbeins, Brüche im Bereich beider knöcherner Augenhöhlen sowie in den Bereich der Nasennebenhöhle reichende Bruchlinien) verbunden mit einer Gehirnerschütterung und einer retrograden Amnesie.

Auf der Chirurgie des Universitätsklinikums am LKH Graz führte die Zeugin Dr. E die Erstuntersuchung des Berufungswerbers durch, der laut Angaben des Dr. S am Unfallsort offensichtlich zeitlich und örtlich nicht orientiert war. Der Berufungswerber wirkte

im Krankenhaus teilweise apathisch, reagierte zeitweise aber auch durchaus situationsadäquat, er war hauptsächlich im Gesicht und über den gesamten Oberkörper blutüberströmt mit Hautemphysemen im Bereich beider Periorbitalregionen. Neben einem Hämatom im Bereich der Nasenwurzel wurde eine stark blutende Rissquetschwunde über der linken Augenbraue festgestellt. Das gesamte Gesicht war verschwollen, der Kreislauf stabil, der Berufungswerber war etwas benommen und bestand der Verdacht auf einen Schädelbasisbruch oder eine Schädelfraktur.

In der Unfallaufnahme traf der erhebende Polizeibeamte, der Zeuge RI K, erstmals auf den Berufungswerber und führte nach der bereits stattgefundenen Wundversorgung mit diesem ein Gespräch bezüglich des Unfallshergangs. Dabei stellte auch der Zeuge fest, dass der Berufungswerber örtlich unorientiert war und zudem nach Alkohol roch.

Aufgrund der Blutungen aus dem Mund erkundigte sich der Zeuge bei der diensthabenden Ärztin, ob eine Atemluftuntersuchung (Alkomatmessung) möglich wäre. Die Zeugin E riet angesichts der Möglichkeit schwererer innerer Verletzungen sowie der offenkundigen Notwendigkeit der Verhinderung von Druck bei einer allenfalls bestehenden Gehirnerschütterung davon dringend ab, gab aber zu verstehen, dass der Abnahme von Blut nichts entgegenstehen würde.

Der Zeuge RI K suchte daraufhin das Gespräch mit dem Berufungswerber, um von ihm die Zustimmung zur Blutabnahme zwecks Feststellung seines Alkoholisierungsgrades einzuholen. Die Reaktion des Berufungswerbers auf diese Ansprache war nicht mehr eindeutig festzustellen; sein Verhalten wurde aber vom Zeugen als Zustimmung ausgelegt.

Aufgrund der oben schon im Einzelnen dargestellten Verletzungen ist nicht auszuschließen, dass der Berufungswerber zum Zeitpunkt der Befragung nicht in der Lage war, zu begreifen, was von ihm gewollt wurde, noch seine Entscheidungsmöglichkeit (Zustimmung oder Ablehnung zur Blutabnahme) zu überblicken. Von der Zeugin Dr. E erfolgte um 20.30 Uhr die Blutabnahme beim Berufungswerber. Die Untersuchung der Blutprobe am Institut für gerichtliche Medizin der Universität Graz ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,7 Promille.

Diese Feststellungen konnten aufgrund der glaubwürdigen Angaben der beiden einvernommenen Zeugen sowie aufgrund des schlüssigen und nachvollziehbaren SV-Gutachtens Dris. Prof. R, welches auf der eingeholten Krankengeschichte aufbaute und die Verfahrensergebnisse miteinbezog, getroffen werden.

III.)

Zur rechtlichen Beurteilung:

Da mit dem angefochtenen Bescheid eine S 10.000,-- übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, entscheidet über die dagegen eingebrachte Berufung gemäß § 51 c VStG der Unabhängige Verwaltungssenat als Kammer.

Gemäß § 5 Abs 1 StVO darf, wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt. Gemäß § 5 Abs 4 a StVO sind Organe der Straßenaufsicht berechtigt, Personen, bei denen eine Untersuchung gemäß Abs 2 (Feststellung des Atemalkoholgehaltes) aus Gründen, die in der Person des Probanden gelegen sind, nicht möglich war und die verdächtig sind, sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu befinden, zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden, bei einer Bundespolizeibehörde tätigen oder bei einer öffentlichen Krankenanstalt diensthabenden Arzt zur Blutabnahme zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes zu bringen. Gemäß § 5 Abs 6 StVO (Verfassungsbestimmung) in der Fassung der 20. Novelle zur StVO 1960 ist an Personen, die gemäß Abs 4 a zu einem Arzt gebracht werden, eine Blutabnahme zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes vorzunehmen; die Betroffenen haben diese Blutabnahme vornehmen zu lassen. Gemäß § 99 Abs 1 lit c StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von S 16.000,-- bis S 80.000,--, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 2 bis 6 Wochen zu bestrafen, wer sich bei Vorliegen der im § 5 leg. cit. bezeichneten Voraussetzungen weigert, sich Blut abnehmen zu lassen (Verfassungsbestimmung).

Der Berufungswerber hat, wenngleich auch unter Verweis auf eine zur Tatzeit nicht mehr gültige Bestimmung der StVO, ein Beweismittelverwertungsverbot geltend gemacht.

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes stellt die Blutabnahme zum Zwecke der Blutalkoholbestimmung einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar, der "die zur Privatsphäre zählende physische Integrität des Menschen von hoher Hand beeinträchtigt". Wie jeder andere behördliche Eingriff, der jemanden unter Strafandrohung verpflichtet, durch ein mündliches Geständnis oder durch Zurverfügungstellung seines Körpers für medizinische Eingriffe an der Wahrheitsfindung mitzuwirken, widerspricht auch ein solcher Eingriff dem Anklageprinzip (vgl. VfGH 26.09.1986, B 502/85; Kopetzky, Blutabnahme an Bewusstlosen zum Zwecke der Blutalkoholbestimmung, RZ 1985,53 ff. m.w.N. u.a.). Dies bedeutet, dass die Rechtslage nach der 20. StVO-Novelle verfassungskonform auch nur so zu interpretieren ist, dass für eine Blutabnahme die allgemeinen Voraussetzungen des § 5 Abs 4 a StVO vorliegen müssen. Wesentliche Voraussetzung muss weiterhin vor allem aber auch sein, dass vom Verpflichteten - dies ergibt sich schon allein daraus, dass im Falle einer Verweigerung der Blutabnahme bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs 4 a und Abs 6 StVO eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs 1 lit c StVO verwirklicht wird - der Blutabnahme ausdrücklich die Zustimmung erteilt wird (vgl. VwGH 15.05.1981, 02/2524/79). Die belangte Behörde ist im vorliegenden Fall von einer solchen Zustimmung des Berufungswerbers ausgegangen, die von diesem in Abrede gestellt wird.

Wenngleich sich der Berufungswerber zwar im Zuge der Befragung durch den erhebenden Polizeibeamten nach der Zustimmung zu einer Blutabnahme weder in einem komatösen Zustand befand, noch die Blutabnahme mit Gewalt gegen dessen Willen erfolgte (beide genannten Umstände wurden in der Judikatur und Literatur als unzulässige Eingriffe in die persönliche Integrität des Verpflichteten angesehen), war dennoch zu prüfen, inwieweit der Berufungswerber zufolge der ihm attestierten, objektiv festgestellten schweren Verletzungen überhaupt in der Lage war, die Zustimmung zur Blutabnahme zu erteilen bzw. sich im Klaren darüber zu sein, wofür das solcherart abgenommene Blut Verwendung finden soll, zumal für ihn ja, worauf bereits hingewiesen wurde, grundsätzlich die Möglichkeit bestand, diese Blutabnahme auch zu verweigern.

Zur Beurteilung dieser Frage wurde dem Berufungsverfahren der medizinische Sachverständige Dr. F R beigezogen, der im Zuge der Berufungsverhandlung hiezu Befund und Gutachten erstellt hat.

Aus diesem Gutachten geht deutlich hervor, dass die beim Berufungswerber vorgelegenen schweren Schädel-Hirn-Verletzungen zwangsläufig mit einer klinisch relevanten Gehirnerschütterung verbunden gewesen seien. Dafür würden sowohl die Beobachtungen des Dr. med. S bereits an der Unfallstelle, wonach eine offensichtliche qualitative und quantitative Bewusstseinsveränderung beim Berufungswerber vorgelegen sei, als auch die über zumindest etliche Stunden ab dem Unfallszeitpunkt eingetretene Erinnerungslosigkeit des Berufungswerbers sprechen.

Der Sachverständige kommt für den Senat überzeugend in seinem Gutachten, in dem auch die Anamnese der Zeugin Dr. E sowie deren Zeugenaussagen im Rahmen der Berufungsverhandlung verwertet wurden, zum Ergebnis, dass in Anbetracht der Schwere der Schädel-Hirn-Verletzungen zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Berufungswerber zum Zeitpunkt der Befragung hinsichtlich der Zustimmung zur Blutabnahme in einem psychiatrisch-medizinischen Sinn nicht imstande war, den eigentlichen Sinn dieser Frage bzw. allfällige Konsequenzen seiner Antworten zu begreifen. Es spricht befundmäßig einiges dafür, dass der Berufungswerber zum fraglichen Zeitpunkt - auch wenn er bei oberflächlicher Betrachtung adäquat reagierte - in einem nur unzureichenden Maße diskretions- und dispositionsfähig gewesen ist.

Gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann.

Aus dem oben Dargestellten ergibt sich somit, dass gewichtige Zweifel an der als vorliegend erachteten Zustimmung des Berufungswerbers zur Blutabnahme vorliegen. Angesichts der gewonnenen Beweisergebnisse erscheint eine Verwertung des dem Berufungswerber am 28.05.1999 um 20.30 Uhr in der Unfallchirurgie des LKH Graz abgenommenen Blutes hinsichtlich der ihm im Spruch des angefochtenen Bescheides angelasteten Verwaltungsübertretung nicht zulässig. Mangels anderer brauchbarer Beweise, die den erhobenen Tatvorwurf stützen könnten, war daher spruchgemäß unter Verweis auf § 45 Abs 1 Z 1 VStG zu entscheiden.

Schlagworte
Alkoholbeeinträchtigung Blutabnahme Beweisverwertungsverbot Zustimmung
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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