TE UVS Niederösterreich 2001/05/23 Senat-LF-00-026

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Veröffentlicht am 23.05.2001
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Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben. Das angefochtene Straferkenntnis (Spruchpunkte 1 bis 3) wird aufgehoben.

 

Das Strafverfahren zu Spruchpunkte 1 bis 3 wird eingestellt.

 

Rechtsgrundlagen zu Spruchpunkte 1 und 3:

§ 66 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG, BGBl Nr 51, in der derzeit geltenden Fassung und §§ 24 und 45 Abs 1 Z 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl Nr 52, in der derzeit geltenden Fassung.

 

Rechtsgrundlagen zu Spruchpunkt 2.:

§ 66 Abs 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG, BGBl Nr 51, in der derzeit geltenden Fassung und §§ 24 und 45 Abs 1 Z 3 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl Nr 52, in der derzeit geltenden Fassung.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft x vom *********** 2000, Zl 3-****-99, wurde über den Berufungswerber

1. wegen Übertretung des § 4 Abs 1 lit a StVO 1960 nach § 99 Abs 2 lit a legcit eine Geldstrafe in der Höhe von S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 120 Stunden),

2. wegen Übertretung des § 4 Abs 1 lit c StVO 1960 nach § 99 Abs 2 lit a StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 120 Stunden) und

3. wegen Übertretung des § 4 Abs 5 StVO 1960 nach § 99 Abs 3 lit b legcit eine Geldstrafe in der Höhe von S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 120 Stunden)

verhängt.

Im Spruch dieses Straferkenntnisses wurde es als erwiesen angesehen, dass der Berufungswerber am ****1999, gegen 17,00 Uhr, im Ortsgebiet von G***********, auf dem K*********** (Parkplatz der Raiffeisenbank G***********), als Lenker des PKW mit dem Kennzeichen ** ****

1. das Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall nicht sofort angehalten hat, obwohl das Verhalten am Unfallsort mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand,

2. ?bei einem Verkehrsunfall insofern an der Feststellung des Sachverhaltes nicht mitgewirkt hat, also nicht tätig geworden ist im Hinblick auf die an der Unfallstelle seitens der Organe der öffentlichen Aufsicht zu pflegenden Erhebungen und zu treffenden Feststellungen? und

3. nicht die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall mit Sachschaden ohne unnötigen Aufschub verständigt hat, obwohl das Verhalten am Unfallort mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand und ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift nicht erfolgte.

 

In der dagegen fristgerecht und vollinhaltlich erhobenen Berufung brachte der Berufungswerber vor, dass er in der Einvernahme vom ****1999 angegeben hat, dass es möglich sei, dass er am ****1999, gegen 17,00 Uhr, in G*********** gewesen sei.

Am ****2000 habe der Berufungswerber angegeben, dass er sich nicht an eine Berührung mit einem anderen Auto erinnern könne und auch nicht Spuren an seinem PKW sichtbar gewesen seien.

Die Zeugin Frau E P habe die Situation sachlich und genau geschildert und angegeben, dass das Kennzeichen mit Sicherheit stimme. Der Berufungswerber habe nie bestritten, dass er in G*********** gewesen sei.

Frau P habe angegeben, dass der Berufungswerber beinahe einen Radfahrer angefahren hätte. Das sei eine subjektive Behauptung, die in keinem Zusammenhang mit der angeblich begangenen Fahrerflucht stehe. Es sei ein Radfahrer nicht verletzt und auch ein Fahrrad nicht beschädigt worden.

Frau P gebe weiters an, dass der Berufungswerber beim weiteren Zurückschieben mit der Stoßstange seines PKW an ein anderes Fahrzeug angefahren sei. Er sei dann, ohne anzuhalten, weitergefahren. Diese Aussage spreche eindeutig dafür, dass, falls der Berufungswerber den anderen Wagen angefahren haben solle, er ja nichts davon bemerkt habe. Frau P gebe nicht an, dass sie gesehen habe, dass der Berufungswerber etwas bemerkt habe. Wie könne der Berufungswerber für etwas bestraft werden, was er nicht bemerkt habe. Möglicherweise sei der Schaden so gering, dass er gar nichts bemerken habe können. Weiters sei sein PKW haftpflichtversichert, sodass der Schaden durchaus gedeckt gewesen wäre.

Der Berufungswerber stelle daher den Antrag auf Aufhebung des Straferkenntnisses.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat hiezu in Entsprechung des § 51e Abs 1 VStG eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt, in welcher durch Einvernahme des Berufungswerbers sowie durch Einvernahme der Zeuginnen E P und C B und anhand des von der Berufungsbehörde beigeschafften Aktes des Bezirksgerichtes y betreffend das zivilgerichtliche Verfahren, Zl * * ***/00 b, Beweis erhoben wurde.

 

Auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens hatte die Berufungsbehörde betreffend Spruchpunkte 1 und 3 davon auszugehen, dass nicht mit der für das Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit nachweisbar war, dass der Berufungswerber die ihm in diesen Spruchpunkten angelasteten Verwaltungsübertretungen begangen hat.

 

Das zivilgerichtliche Verfahren wurde, wie sich aus dem Akt des Bezirksgerichtes y, Zl * * ***/00 b, ergibt, dahingehend abgeschlossen, dass die klagende Partei und die beklagten Parteien einen Vergleich abgeschlossen haben.

Im zivilgerichtlichen Verfahren wurden von einem kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen bereits gutächtliche Stellungnahmen abgegeben.

 

Aus der Niederschrift betreffend die Verhandlung vom ******2000 ergibt sich, dass im Zuge der durchgeführten Stellprobe sich ein Höhenkorrelation zwischen der Heckstoßstange und der Schadenszone am Klagsfahrzeug zeigte. Die an der Heckstoßstange links gelegenen Schäden am Beklagtenfahrzeug sind nach Ausführungen des Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren intensitätsmäßig aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit den Schäden am Klagsfahrzeug in Einklang zu bringen, wobei der Sachverständige auch darauf hinwies, dass auch das Heckblech hinter der Stoßstange in diesem Bereich eingedrückt sei. Die diesbezügliche Aussage der Erstbeklagten, wonach dieser Schaden aus einem Kontakt mit einem Zaunsteher herrühre, erscheine technischerseits schon auf Grund der Schadensstruktur durchaus nachvollziehbar. Die rechts seitlich gelegenen Abriebe an der Heckstoßstange des Beklagtenfahrzeuges könnten schon auf Grund des zu erwartenden Kollisionswinkels nicht dem gegenständlichen Vorfall zugeordnet werden.

Auf Grund der geringgradigen Deformationen am Klagsfahrzeug sei es nach Ausführungen des technischen Sachverständigen durchaus möglich, dass am Beklagtenfahrzeug ein bleibender Schaden nicht zu beobachten sei und letztlich nicht einmal als gesichert erscheinen könne, dass diese Kollision, soferne sie vom Beklagtenfahrzeug tatsächlich verursacht worden sein sollte, vom Beklagten auch wahrgenommen wurde.

 

In der Niederschrift vom *****2001 wurde vom Sachverständigen im zivilgerichtlichen Verfahren weiters festgehalten, dass es aus Sicht des Sachverständigen durchaus möglich und plausibel sei, dass der Beklagte bei Wahrnehmung einer Nahezukollision mit einem Radfahrer einen gewissen Schockzustand erlitten habe und einer Überraschung unterlegen sei.

Im Zuge dieses Geschehens wäre es aus verkehrstechnischer Sicht nach den Ausführungen des technischen Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren auch dann plausibel, dass der Berufungswerber im Zuge seiner weiteren Retourfahrt, noch immer beeindruckt von dem Vorgeschehen, die Kontaktierung mit dem Klagsfahrzeug gerade aus diesem Grund nicht wahrgenommen habe. Es handle sich ja, wie gesagt, bei den Schäden am Klagsfahrzeug eher um geringgradige Schäden.

 

Diese Ausführungen des technischen Sachverständigen im zivilgerichtlichen Verfahren waren nach Ansicht der Berufungsbehörde an und für sich noch nicht geeignet, zu einer Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses zu führen.

Festzustellen ist, dass, sollte ein Radfahrer tatsächlich vorhanden gewesen sein und es zu einer Beinahekontaktierung mit diesem Radfahrer gekommen sein, vom Inhaber einer Lenkberechtigung ein solches Maß an Aufmerksamkeit und Pflichtbewusstsein zu erwarten ist, dass derselbe sich, wenn er sich auf Grund des Vorfalles in einem schockartigen Zustand befindet, weitere Fahrmanöver unterlässt. Ein plötzliches und unvorhergesehenes Schadensereignis im täglichen Verkehrsgeschehen stellt nach Ansicht der Berufungsbehörde im Verwaltungsstrafverfahren nicht einen Anlass dar, schuldausschließende Wirkung für ein im Anschluss daran vorgenommenes rechtswidriges (Fahr-)Verhalten zu bilden.

 

Eine Einvernahme der Zeugin C B im Verfahren vor der Berufungsbehörde im Verwaltungsstrafverfahren ergab eine klare Aussage darüber, dass das Kraftfahrzeug der Frau C B im angelasteten Tatzeitpunkt parallel zum Fahrbahnrand in einer Parkbucht neben der Bundesstraße abgestellt war. Die Zeugin B konnte zum Vorfall selbst keine Angaben machen. Die Schadenshöhe betrug ca S 17.000,--.

 

Die Zeugin E P sagte im Verwaltungsstrafverfahren in der Berufungsverhandlung aus, dass sie das Geschehen von ihrer Position in einem haltenden Kraftfahrzeug, und zwar an zweiter Stelle hinter einem bereits vor ihr anhaltenden Kraftfahrzeug, beobachtet habe. Die Zeugin konnte keine Angaben darüber machen, von welchem Ausgangspunkt aus der Berufungswerber mit dem von ihm gelenkten Kraftfahrzeug die Rückwärtsfahrt vor der Beschädigung begonnen hatte. Die Zeugin konnte auch keine Angaben über den Anstoßwinkel bzw über die Fahrlinie des Berufungswerbers machen.

 

Ungeachtet des Umstandes, dass der Zeugin eine besonders gute Beobachtungsmöglichkeit in Bezug auf den allfälligen Beschädigungsvorgang auf Grund ihrer Positionierung als zweites anhaltendes Kraftfahrzeug nicht möglich war, sind jedoch die Angaben betreffend die genaue Fahrlinie, den Anstoßwinkel und die Ausgangsposition vor der Rückwärtsfahrt für eine Beurteilung, mit welchem Teil des Kraftfahrzeuges des Berufungswerbers es mit dem anderen Kraftfahrzeug zu einer Kontaktierung kam, somit auch für eine Beurteilung der Steifigkeit der betroffenen Kontaktstellen und damit in letzter Folge für die Beurteilung der objektiven Wahrnehmbarkeit des Kontaktgeräusches, unabdingbar erforderlich. Die Zeugin konnte auch keine Angaben darüber machen, ob es zu einem Kontaktgeräusch gekommen sei.

Die Zeugin bemerkte lediglich ein ?Wackeln? des beschädigten Kraftfahrzeuges, wobei diese momenthafte Wahrnehmung durch die Zeugin ohne Nachweis des Hinzutretens zusätzlicher Sensibilisierungsgründe Für den Berufungswerber für sich allein noch nicht geeignet ist, Grundlage für eine Bestrafung innerhalb des Verwaltungsstrafverfahrens zu bilden.

 

Da somit die Prämissen für die Beurteilung einer allfälligen objektiven Wahrnehmbarkeit der Verkehrsunfallsverursachung nicht klar feststanden (fehlende Angaben über Ausgangsposition, Fahrlinie und Anstoßwinkel), erübrigte sich ein weiteres Eingehen auf den Sachverhalt durch Beiziehung eines verkehrstechnischen Amtssachverständigen im Verwaltungsstrafverfahren.

 

Es war daher das angefochtene Straferkenntnis in den Spruchpunkten 1 und 3 aufzuheben und das Strafverfahren hiezu nach § 45 Abs 1 Z 1 VStG im Zweifel zu Gunsten des Beschuldigten einzustellen.

 

Betreffend Spruchpunkt 2 wurde erwogen:

 

Gemäß § 44a Z 1 VStG hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Der Beschuldigte hat nach der Rechtsprechung des VwGH ein Recht darauf, schon dem Spruch unzweifelhaft entnehmen zu können, welcher konkrete Tatbestand als erwiesen angenommen wurde. Das heißt, dass die Tat im Spruch so eindeutig umschrieben sein muss, dass kein Zweifel darüber besteht, wofür der Täter bestraft worden ist (VwGH-Erkenntnis vom 15. Dezember 1983, 82/10/125).

Der Vorschrift des § 44a Z 1 VStG ist dann entsprochen, wenn im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen und

der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.

 

Gemäß § 4 Abs 1 lit c StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken.

 

Die Mitwirkung an der ?Feststellung des Sachverhaltes? bedingt erfahrungsgemäß, je nach den Umständen des Einzelfalles, unterschiedliche Verhaltensweisen der an einem Verkehrsunfall beteiligten Personen, sodass es für jeden Einzelfall der Konkretisierung nicht nur nach Tatzeit und ?ort, sondern auch hinsichtlich jenes Verhaltens, das dem Betreffenden als Nichtmitwirkung an der Ermittlung der den Unfall charakterisierenden Sachverhaltselemente angelastet wird, bedarf.

 

Das Mitwirken an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes kann jedenfalls nicht darin bestehen, hinsichtlich der Erhebungen der Exekutivorgane initiativ tätig zu werden, wie dies aus dem Spruch laut Tatanlastung im Sinne des Spruchpunktes 2 des angefochtenen Straferkenntnisses ableitbar ist.

 

Das Nichtmitwirken an der Feststellung des Sachverhaltes kann hingegen beispielhaft in einem Verlassen der Unfallstelle bestehen.

 

Da eine richtige Tatanlastung in Bezug auf den Spruchpunkt 2 im Sinne der zitierten Gesetzesstelle nicht erfolgt ist, war der Spruchpunkt 2, unbeschadet der inhaltlichen Ausführungen zu Spruchpunkte 1 und 3, aufzuheben und das Strafverfahren hiezu nach § 45 Abs 1 Z 3 VStG einzustellen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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