TE UVS Tirol 2006/10/16 2006/12/2077-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.10.2006
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Hermann Riedler über die Berufung des Herrn Mag. L. B., vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Dr. G. Z., XY-Straße 4, I., vom 12.07.2006, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 27.06.2006, Zl VK-29828-2005, betreffend eine Übertretung nach der StVO 1960, nach öffentlicher mündlicher Berufungsverhandlung wie folgt:

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG 1991 iVm den §§ 24, 51, 51c und 51e VStG 1991 wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, am 29.11.2005 um 18.17 Uhr auf dem Zirler Berg B177 bei km 4,200 den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen XY bergwärts gelenkt und vor einer unübersichtlichen Stelle (Kurve) ein mehrspuriges Fahrzeug überholt zu haben.

 

Er habe dadurch die Rechtsvorschrift des § 16 Abs 2 lit b StVO verletzt, über diesen wurde gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO eine Geldstrafe von Euro 110,00, Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden, verhängt.

 

Gegen dieses Straferkenntnis wurde von Mag. L. B., rechtsfreundlich vertreten durch Rechtsanwalt Dr. G. Z., am 12.07.2006 Berufung eingebracht und begründet wie folgt:

?Im angefochtenen Straferkenntnis wird dem Beschuldigten angelastet, am 29.11.2005 um 18 Uhr 17 am Zirler Berg auf der B 177 bei km 4.200, Richtung bergwärts als Lenker des Pkws XY vor einer unübersichtlichen Kurve ein mehrspuriges Fahrzeug überholt und gegen die Bestimmung des § 16 Abs 2 lit b StVO verstoßen zu haben.

 

Das Straferkenntnis wird damit lapidar begründet, dass der angeführte Sachverhalt aufgrund des Anzeigeninhaltes sowie des durchgeführten Ermittlungsverfahrens als erwiesen feststünde.

 

Mit keinem Wort setzt sich die Behörde mit den Einwendungen des Beschuldigten in seiner Rechtfertigung, aber auch in seinem Schriftsatz vom 27.3.2006 auseinander.

 

Nochmals wird darauf hingewiesen, dass eine Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs 2 lit b StVO nur dann vorliegt, wenn die Behörde Feststellungen darüber getroffen hat, wie weit die Sicht des Beschuldigten, gemessen von seiner Position zu Beginn des Überholmanövers reichte, welche Länge die Überholstrecke hatte und inwieweit das gegenständliche Straßenstück ihm bis zum Ende der Überholstrecke nicht die erforderliche Übersichtlichkeit bot.

 

Zur Beurteilung, ob im konkreten Fall für den Beschuldigten eine unübersichtliche Kurve vorlag bedarf es auch Ermittlungen, wie weit die Sicht des Beschuldigten, eben gemessen von seiner Position zu Beginn des Überholmanövers reichte und inwieweit damit das gegenständliche Straßenstück bis zum Ende der aufgrund der Fahrgeschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge erforderlichen Überholstrecke nicht die erforderliche Sichtmöglichkeit bot.

 

Derartige Ermittlungen sind nach ständiger Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes durch Anfertigung einer maßstabsgerechten Skizze der örtlichen Situation durchzuführen.

 

Den Beweisantrag auf Einholung einer derartigen maßstabsgerechten Skizze sowie Durchführung der vorerwähnten Ermittlungen durch die Polizeiinspektion sowie Einholung eines kfz-technischen Gutachtens zum Beweise dafür, dass der Beschuldigte nicht gegen die Bestimmungen des § 16 Abs 2 lit b StVO verstoßen hat, wurde ignoriert, sodass die Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht und dieser Beweisantrag im Berufungsverfahren wiederholt wird.

 

Dem Beschuldigten war es erlaubt, auf der Freilandstraße eine Geschwindigkeit von 100 km/h einzuhalten. Es steht nicht fest, welche Geschwindigkeit das vor ihm fahrende und überholte Kraftfahrzeug einhielt. Angeblich lag diese bei 60 bis 70 km/h. Berücksichtigt man die Beschleunigung des vom Beschuldigten gelenkten Pkws und die vorliegende Sicht so ergibt sich, dass der Vorwurf, der Beschuldigte habe vor einer unübersichtlichen Stelle ein mehrspuriges Fahrzeug überholt, unberechtigt ist.

 

Es wird schließlich festzustellen sein, wo genau der Beginn des Überholmanövers des Beschuldigten erfolgte, welche Sichtmöglichkeit an dieser Stelle bestand, welche Geschwindigkeit das zu überholende und welche Geschwindigkeit der Beschuldigte mit seinem PKW einhielt, sodass aufgrund der vom Fahrzeug des Beschuldigten vorhandenen Beschleunigung davon auszugehen sein wird, dass aufgrund der vorhandenen Sicht und der von beiden Fahrzeugen eingehaltenen Geschwindigkeit ein gefahrloses Überholmanöver durchaus möglich war.

 

Hiezu wird nochmals die Einholung eines kfz-technischen Sachbefundes nach Einholung der entsprechenden Skizze und Durchführung eines Augenscheins beantragt.

 

Sodann wird der Antrag

gestellt, der Unabhängige Verwaltungssenat für Tirol wolle der Berufung des Beschuldigten Folge geben, das angefochtene Straferkenntnis beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einstellen.

Die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung wird beantragt.?

 

Die Berufungsbehörde hat hiezu wie folgt erwogen:

Sachverhalt:

Zur Klärung des  entscheidungswesentlichen Sachverhaltes wurde Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Akt, durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der Polizeiinspektion Seefeld vom 13.08.2006 und durch Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, in welcher der Berufungswerber einvernommen und GI C. S. und BI M. S. zeugenschaftlich befragt wurden. Dabei wurde folgender Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

 

Mag. L. B. lenkte am 29.11.2005 um 18.17 Uhr den Personenkraftwagen mit dem amtlichen Kennzeichen XY auf dem Zirler Berg B177 bergwärts und überholte dabei bei Strkm 4,200 einen vor ihm mit einer Geschwindigkeit von ca 60 bis 70 km/h fahrenden Mercedes Benz vor einer unübersichtlichen Linkskurve so, dass der Überholvorgang in der unübersichtlichen Kurve zu Beginn der dort angebrachten Sperrlinie bei Strkm 4,250 abgeschlossen wurde. Das Überholmanöver bei Dunkelheit und vor  einer unübersichtlichen Linkskurve war gefährlich und rücksichtslos und hätte bei Gegenverkehr die Gefahr eines Frontalzusammenstoßes bestanden. Der überholende Kraftfahrzeuglenker war in der Lage, zu Beginn des Überholvorganges das Straßenstück, welches er für den Überholvorgang einschließlich des ordnungsgemäßen Wiedereinordnens seines Fahrzeuges auf dem rechten Fahrstreifen benötigte, zur Gänze zu überblicken.

 

Die vorstehenden Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich, was den Ort und die Zeit des Lenkens, das Fahrzeug und die Person des Lenkers anbelangt, aus der Anzeige der Polizeiinspektion Seefeld/Tirol vom 05.12.2005, Zl A1/38624/01/2005, sowie aus der zeugenschaftlichen Einvernahme der den Überholvorgang wahrgenommenen Polizeibeamten GI C. S. und BI M. S., welche unmittelbar hinter dem Fahrzeug des Berufungswerbers gefahren sind. Für die Behörde hat keine Veranlassung bestanden, die Richtigkeit dieser in der Anzeige getroffenen Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Dem Meldungsleger als Organ der Straßenaufsicht ist schon aufgrund seiner Ausbildung und beruflichen Tätigkeit zuzubilligen, dass er verwaltungsstrafrechtlich relevante Sachverhalte richtig und vollständig wahrzunehmen und wiederzugeben vermag. Es wäre auch unerfindlich, welche Umstände die zeugenschaftlich vernommenen Polizeibeamten veranlasst haben sollten, den Berufungswerber in derart konkreter Weise falsch zu beschuldigen, zumal diese im Falle bewusst unrichtiger Anzeigeerstattung mit massiven disziplinären und auch strafrechtlichen Folgen rechnen müssten. Auch wenn der Berufungswerber angegeben hat, den Überholvorgang bereits bei Strkm 4,150 begonnen und bei Strkm 4,200 bereits auf Höhe des überholenden Kraftfahrzeuges gewesen zu sein, wurde vom zeugenschaftlich vernommenen GI C. S. bestätigt, dass der Überholvorgang erst bei Strkm 4,2 begonnen und im Bereich der Linkskurve, wo die Sperrlinie in etwa beginnt (Strkm 4,250) der Überholvorgang abgeschlossen wurde. Dass dieses Überholmanöver als gefährlich und rücksichtslos einzustufen war, wurde von den zeugenschaftlich vernommenen Polizeibeamten im Rahmen der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung glaubwürdig dargestellt. Dass die gesamte Strecke, welche der Berufungswerber für sein Überholmanöver benötigte, zur Gänze überblickt werden konnte, ergibt sich eindeutig aus den vom Berufungswerber bei der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung beigebrachten Lichtbildern. Der Überholvorgang wur

de mit einem BMW 530i/xi mit einer PS-Leistung von 258 PS und somit mit einem stark beschleunigenden Pkw durchgeführt.

 

Rechtliche Beurteilung:

Nach § 16 Abs 2 lit b StVO 1960 darf der Lenker eines Kraftfahrzeuges bei ungenügender Sicht und auf unübersichtlichen Straßenstellen, zB vor und in unübersichtlichen Kurven und vor Fahrbahnkuppen nicht überholen. Es darf jedoch überholt werden, wenn die Fahrbahn durch eine Sperrlinie (§ 55 Abs 2) geteilt ist und diese Linie vom überholenden Fahrzeug nicht überragt wird.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 03.07.1996, VwGH 95/03/0297, ausgeführt, dass die Rechtsfrage, ob der vom Berufungswerber vorgenommene Überholvorgang im Sinne des § 16 Abs 2 lit b StVO 1960 unzulässig war, vom Beginn dieser Maßnahme aus zu beurteilen ist und dass es weiters zutrifft, dass es im Einzelfall bei Beurteilung der Frage, ob der Bestimmung des § 16 Abs 2 lit b StVO 1960 zuwider gehandelt wurde, auch auf die Fahrgeschwindigkeit der an einem Überholvorgang beteiligten Fahrzeuge ankommt, wenn fraglich ist, ob die Überholstrecke, deren Länge ua von den jeweiligen Fahrgeschwindigkeiten abhängig ist, im Bereich einer ?unübersichtlichen Straßenstelle? gelegen ist oder nicht (vgl auch das VwGH-Erkenntnis vom 15.05.1991, Zl 02/3161/80).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem oben zitierten Erkenntnis vom 03.07.1996 ausgeführt, dass es aber nicht entscheidend ist, ob zum Zeitpunkt des Überholvorganges Gegenverkehr herrschte oder nicht sowie ob allenfalls durch einen im Zuge des Überholmanövers ? möglicherweise mit einer hypothetischen Geschwindigkeit ? auftretenden Gegenverkehr andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden könnten. Ist der überholende Kraftfahrzeuglenker in der Lage, das Straßenstück zu Beginn des Überholvorganges zur  Gänze zu überblicken, das er für diese Maßnahme einschließlich des ordnungsgemäßen Wiedereinordnens seines  Fahrzeuges auf dem rechten Fahrstreifen benötigt, so kann von einer unübersichtlichen Straßenstelle nicht  gesprochen werden, sodass in einem derartigen Fall ein Überholverbot nach § 16 Abs 2 lit b StVO 1960 jedenfalls nicht besteht (vgl auch Erkenntnis des VwGH vom 10.07.1981, Zl 81/02/0017, sowie das dort zitierte Erkenntnis vom 15.05.1981, Zl 02/3161/80).

 

Das Ermittlungsverfahren hat ergeben, dass für den überholenden Berufungswerber zu Beginn des Überholvorganges die Überholstrecke zur Gänze einsehbar war, sodass unter Berücksichtigung des oben zit. Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes dem Berufungswerber eine Übertretung des Überholverbotes nach § 16 Abs 2 lit b StVO 1960 nicht vorwerfbar ist. Richtigerweise wäre diesem eine Missachtung des Überholverbotes nach § 16 Abs 1 lit a oder c StVO vorzuwerfen gewesen, wonach der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen darf, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist bzw wenn der Lenker nicht einwandfrei erkennen kann, dass er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern. Da sich die erste Verfolgungshandlung ? die Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 07.12.2005, Zl VK-29828-2005 - auf das Überholen vor einer unübersichtlichen Stelle (Kurve) bezogen hat und gegen den Berufungswerber innerhalb der sechsmonatigen Verfolgungsverjährungsfrist keine andere Verfolgungshandlung gesetzt wurde, war das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG 1991 einzustellen. Eine Richtigstellung des Tatvorwurfes war der Berufungsbehörde im Hinblick auf § 31 Abs 1 VStG verwehrt. Auch die gegen einen Beschuldigten gerichteten Verfolgungshandlungen müssen nämlich, damit für diesen eine ausreichende Verteidigungsmöglichkeit besteht, klar erkennen lassen, welche Tat diesem zur Last gelegt wird. Andernfalls liegt keine taugliche Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs 2 VStG vor (vgl VwGH 26.05.1988, Zl 88/09/0057).

Schlagworte
Das, Ermittlungsverfahren, hat, ergeben, dass, für, den, überholenden, Berufungswerber, zu, Beginn, des, Überholvorganges, die, Überholstrecke, zur, Gänze, einsehbar, war, sodass, unter, Berücksichtigung, des, Erkenntnisses, des, Verwaltungsgerichtshofes, eine, Übertretung, nach, § 16 Abs 2 StVO 1960, nicht, vorwerfbar, ist, Richtigerweise, wäre, eine, Missachtung, des, Überholverbotes, nach, § 16 Abs 1 lit a oder c StVO 1960, vorzuwerfen, gewesen
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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