TE UVS Niederösterreich 2008/01/15 Senat-KR-06-3067

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Veröffentlicht am 15.01.2008
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Spruch

Gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) in Verbindung mit §§3 Abs1, 24 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das erstinstanzliche Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß §45 Abs1 Z2 VStG 1991 eingestellt.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 15.9.2006, ****-S-06****, wurde über den Berufungswerber eine Freiheitsstrafe von sechs Wochen verhängt, da er am 14.6.2006 um 17,00 Uhr im Ortsgebiet von M****** auf dem Schanzweg von der L 7104 ? Baumgartner Straße kommend den Pkw mit dem Kennzeichen **-***BD gelenkt hat, obwohl er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden hat und der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,78 mg/l, somit 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l betrug (Verwaltungsübertretung gemäß §5 Abs1, §99 Abs1a, §100 Abs1 StVO 1960).

 

In seiner rechtzeitig dagegen erhobenen Berufung beantragte der Berufungswerber die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens im Wesentlichen mit der Begründung, dass er an einem organischen Psychosyndrom leide und im verwaltungsstrafrechtlichen Sinn als zurechnungsunfähig einzustufen sei.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat dazu wie folgt erwogen:

 

Aus diversen Vorakten (zB Senat-**-05-****) ergibt sich, dass Rechtsanwalt Dr H***** M**** vom Bezirksgericht X mit Beschluss vom 6.4.2006 zum Sachwalter bestellt worden ist, da der Berufungswerber an einem organischen Psychosyndrom leidet. Aus dem psychiatrischen Sachverständigengutachten der Dr I*** G******* vom 12.8.2006 aus dem Gerichtsakt ergibt sich Folgendes:

 

?Herr S*********** leidet an einem Alkoholabhängigkeitssyndrom, wobei es im Januar dieses Jahres im Rahmen eines vermutlich alkoholinduzierten epileptischen Anfallsgeschehens zu einem Schädel-Hirn-Trauma mit Subduralhämatom gekommen ist. Obwohl bei der psychodiagnostischen Untersuchung im Juli 2006 keine Auffälligkeiten beschrieben wurden, finden sich bei der heutigen Untersuchung deutliche Hinweise auf eine organische Wesensveränderung im Sinne einer erhöhten Gleichgültigkeit und Interesselosigkeit, verlangsamten Reaktionen, einem Verlust höherer Regungen wie zum Beispiel Rücksichtsnahme und einer Abstumpfung feinerer seelischer Schwingungen. Insgesamt wirkt der Betroffene auch wenig belastbar und vernachlässigt offensichtlich auch seine Körperpflege. Inwieweit diese Symptome auf das im Januar 2006 erlittene Schädel-Hirn-Trauma zurückzuführen sind oder als Zeichen der heute ebenfalls deutlich fassbaren depressiven Verstimmung gewertet werden können, kann derzeit nicht genau differenziert werden, da im Moment keine antidepressive Behandlung erfolgt. Die generelle Gleichgültigkeit zeigt sich auch darin, dass sich Herr S*********** offensichtlich nicht ausreichend um die gegen ihn laufenden Zivilprozesse kümmert und diesbezügliche Postsendungen nur teilweise behebt. Hinsichtlich seiner Grunderkrankung weist Herr S*********** keinerlei Problembewusstsein bzw Krankheitseinsicht auf, damit ist auch keine Behandlungsbereitschaft gegeben.

 

Die heute fassbaren Symptome sind also durchaus im Sinne einer psychischen Erkrankung, nämlich des Vorliegens eines organischen Psychosyndroms zu werten, das einerseits auf einer alkoholischen Hirnschädigung basiert und sich auch als Folge des im Januar 2006 erlittenen Schädel-Hirn-Traumas entwickelt hat. Der Betroffene hat in den letzten Monaten mehrfach Verhaltensmuster gezeigt, die zu erheblichen Nachteilen für ihn geführt haben und steht diesen Ereignissen völlig emotionslos gegenüber. Herr S*********** ist offensichtlich auch derzeit nicht in der Lage, diese schädigenden Verhaltensmuster entsprechend zu adaptieren, was ebenfalls für das Vorliegen einer organischen Wesensveränderung spricht.

 

Aus heutiger Sicht scheint Herr S*********** nicht in der Lage zu sein, sich vor Gerichten, Ämtern und Behörden ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu vertreten, sodass für diese Bereiche aus psychiatrischer Sicht die Bestellung eines Sachwalters empfohlen wird.

 

Eine anhaltende Verbesserung des heutigen Untersuchungsergebnisses ist erst bei entsprechender Krankheitseinsicht und einer damit verbundenen anhaltenden Alkoholkarenz zu erwarten, da Herr S*********** derzeit sein ohnehin aufgrund des Traumas vorgeschädigtes Gehirn täglich der schädlichen Wirkung des Alkohols aussetzt.?

 

Dieses im Sachwalterschaftsverfahren eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten wurde von der Berufungsbehörde im genannten Vorakt zur Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit des Berufungswerbers an den medizinischen Amtssachverständigen der NÖ Landesregierung Hofrat Dr H******** weitergeleitet, der in seinem am 7.11.2006 erstellten Gutachten auf das soeben zitierte Ergebnis des im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachtens eingeht und zusätzlich den Amtsarzt der Erstbehörde konsultiert hat, dem der Berufungswerber amtsbekannt ist und der den Berufungswerber zusammenfassend als ?Soziopathen? beschreibt, der sich um an ihn gestellte amtliche Forderungen und Verbote nicht kümmert, sondern nach Gutdünken ? auch gegen die behördlichen Anordnungen ? handelt, weil es ihm so notwenig erscheint. SV H******** kommt daher zum Ergebnis, dass der Berufungswerber zur Tatzeit im dortigen Verwaltungsstrafverfahren (Oktober 2005) nicht wegen Bewusstseinsstörung, aber wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit bzw Geistesschwäche zwar nicht unfähig war, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen, wohl aber unfähig, dieser Einsicht gemäß zu handeln, bzw unfähig, sich die Tragweite des Unerlaubten seiner Handlungen bewusst zu machen. Möglicherweise habe auch selbstverschuldete Trunkenheit eine Rolle gespielt, doch komme in erster Linie die gestörte Geistestätigkeit infolge des organischen Psychosyndroms zum Tragen.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich hat für die hier verfahrensgegenständliche Tatzeit (und weitere Akten betreffend den Berufungswerber) ein Ergänzungsgutachten durch SV Dr H********, datiert mit 21.12.2007, eingeholt, welches zu folgendem Ergebnis kommt:

 

?Wie aus der do Mitteilung hervorgeht, hat sich das Verhalten des beklagten E**** S*********** in der Zwischenzeit nicht wesentlich geändert. Er befleißigt sich weiterhin seines "soziopathischen" (Zitat Dr P******) Verhaltens, wie im Vorgutachten schon beschrieben. Offenbar hat er auch seinen Alkoholkonsum nicht wesentlich eingeschränkt, weshalb sich auch sein Verhalten bzw seine Einstellung nicht geändert haben konnte. Die do Frage zielt auf die Delikte zwischen November 2005 und Juni 2006. Da sich das Verhalten des E**** S*********** mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in den letzten Jahren nicht verändert hat, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass schon damals dasselbe Leiden wie 2006/07 bestanden hat. Es lag (und liegt) ein organisches Psychosyndrom vor, das durch das ständig weitergeübte Alkoholtrinken nur verstärkt wird.

Daher kann zu der do Frage festgestellt werden, dass E**** S*********** zu den angegebenen Terminen  u n f ä h i g  war, das Unerlaubte seiner Handlungen einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln, und zwar einerseits wegen des psychoorganischen Syndroms, andererseits wegen der dazukommenden Alkoholisierung.?

 

Diese Beweisergebnisse wurden im Rahmen des Parteiengehörs dem Berufungswerber zu Handen seines Sachwalters und der Erstbehörde mitgeteilt. Der Sachwalter hat zustimmend reagiert, die Erstbehörde überhaupt nicht.

 

Gemäß §3 Abs1 VStG 1991 ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

 

 

Die Bestimmung des §3 VStG 1991 ist von Amts wegen wahrzunehmen (vgl VwGH vom 22.9.1992, 92/06/0087). Die Zurechnungsfähigkeit bildet eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. Die Frage, ob der Täter zur Zeit der Tat zurechnungsfähig im Sinne des §3 Abs1 VStG 1991 war, ist eine Rechtsfrage, die von der Behörde mit Hilfe eines ärztlichen Sachverständigen zu lösen ist. Dementsprechend hat die Berufungsbehörde ergänzend zu den bereits vorliegenden Gutachten das oben zitierte Ergänzungsgutachten eingeholt, welches zum oben zitierten Ergebnis gekommen ist, dass dem Berufungswerber im Tatzeitpunkt sowohl die Diskretionsfähigkeit als auch die Dispositionsfähigkeit gefehlt hat. Das Ergebnis des Amtssachverständigengutachtens erscheint der Berufungsbehörde schlüssig und nachvollziehbar, da es sich auf Ergebnisse der Vorgutachten stützt.

 

Dass der Berufungswerber alkoholabhängig ist, ist der Berufungsbehörde bereits im Rahmen von Berufungsverhandlungen in anderen Angelegenheiten in den Jahren 2003 und 2004 aufgefallen; zu Berufungsverhandlungen im Jahr 2005 ist der Berufungswerber trotz ordnungsgemäßen Ladungen unentschuldigt nicht erschienen, sodass die Beurteilung der Sachverständigen, der Berufungswerber kümmere sich um Verfahren und Postsendungen nicht, auch für die Tatzeit nachvollziehbar ist.

 

Die Berufungsbehörde legt daher die genannten Gutachten ihrer Entscheidung zugrunde und geht davon aus, dass der Berufungswerber im Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig im Sinn des §3 Abs1 VStG 1991 war, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

 

Gemäß §65 VStG 1991 fallen dem Berufungswerber keine Kosten zur Last.

 

Gemäß §51e Abs2 Z1 VStG 1991 konnte eine Berufungsverhandlung entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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