TE Vwgh Erkenntnis 2001/11/21 99/12/0249

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Veröffentlicht am 21.11.2001
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Index

63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;
63/06 Dienstrechtsverfahren;

Norm

BDG 1979 §138 Abs3 idF 1994/550;
DVG 1984 §13 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Bayjones und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde der K in W, vertreten durch Riedl & Ringhofer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 9. August 1999, Zl. 27 1200/18-I/11/99, betreffend Aufhebung eines rechtskräftigen Bescheides i.A. der Anrechnung von Dienstzeiten auf die Ausbildungsphase gemäß § 13 Abs. 1 DVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin steht seit 1. Juli 1998 als Beamtin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund; ihre Dienststelle ist die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Vorher war sie seit 4. Oktober 1993 als Vertragsbedienstete in der Finanzverwaltung einschlägig tätig.

Mit Bescheid ihrer Dienstbehörde I. Instanz vom 12. August 1998 wurde wie folgt abgesprochen:

"Gemäß § 138 Abs. 3 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 wird Ihnen die Zeit vom 4. Oktober 1993 bis 6. Oktober 1997 (Aufnahme in die Finanzverwaltung als VB/a - ausgenommen die Zeit des Karenzurlaubes gem. § 29 b VBG vom 22.11.1993 bis 24.11.1993 -) im Ausmaß von 4 Jahren auf die Ausbildungsphase angerechnet."

Zur Begründung wurde nach Hinweis auf § 138 Abs. 1 und Abs. 3 BDG 1979 weiter ausgeführt, da die Beschwerdeführerin bereits in ihrem privatrechtlichen Dienstverhältnis zur FLD für Wien, Niederösterreich und Burgenland ab 4. Oktober 1993 (Aufnahme als VB I/a in die Finanzverwaltung) eine gleichartige Tätigkeit wie in ihrem nunmehrigen Dienstverhältnis ausgeübt habe, seien die Voraussetzungen für die Anrechnung der Zeit vom 4. Oktober bis 21. November 1993 und vom 25. November 1993 bis 6. Oktober 1997 (vier Jahre) in die Ausbildungsphase gegeben.

Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde wie folgt abgesprochen:

"Der Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 12. August 1998, GZ GA 1- 27571/35/98, betreffend Anrechnung von Zeiten auf die Ausbildungsphase gemäß § 138 Abs. 3 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979), wird gemäß § 13 Abs. 1 des Dienstverfahrensgesetzes 1984 (DVG) wie folgt abgeändert:

Gemäß § 138 Abs. 3 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979) wird Ihnen die Zeit vom 4. Oktober 1993 bis 21. November 1993, vom 25. November 1993 bis 3. Dezember 1995, vom 19. April 1996 bis 9. Juli 1996, vom 18. August 1997 bis 19. September 1997 und vom 24. November 1997 bis 12. Dezember 1997 zur Gänze, die Zeit vom 13. Dezember 1997 bis 8. März 1997 im Ausmaß Ihrer Teilbeschäftigung (50 %) und die Zeit vom 9. März 1998 bis 30. Juni 1998 im Ausmaß Ihrer Teilbeschäftigung (75 %) auf die Zeit Ihrer Ausbildungsphase angerechnet.

Das Gesamtausmaß der Ihnen gemäß § 138 Abs. 3 BDG 1979 auf die Ausbildungsphase angerechneten Zeiten beträgt somit 2 Jahre 10 Monate und 16 Tage. "

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Dienstbehörde I. Instanz habe versehentlich nicht beachtet, dass der Beschwerdeführerin für die Zeit ab 13. Dezember 1997 eine Herabsetzung ihres Beschäftigungsausmaßes (Teilbeschäftigung zuerst 20, dann 30 Wochenstunden) gewährt worden sei. Weiters habe die belangte Behörde (- die damals nach dem Gesetz zur Zustimmung berufen war -) keine Zustimmung zur Anrechnung bestimmter Karenzurlaubszeiten erteilt.

Nach Hinweis auf § 13 Abs. 1 DVG und § 138 Abs. 3 BDG 1979 enthält die Begründung des angefochtenen Bescheides folgende tabellarische Darstellung

 

 

Gesamtdauer

Anrechnungszeit

 

 

J

Mo

Tg

J

Mo

Tg

"04.10.1993 - 21.11.1993

VB I/a (100 %)

-

1

18

-

1

18

22.11.1993 - 24.11.1993

KU/MSch

-

-

3

-

-

-

25.11.1993 - 03.12.1995

VB I/a (100 %) 2

-

9

2

-

9

 

04.12.1995 - 18.04.1996

KU/MSch

-

4

15

-

-

-

19.04.1996 - 09.07.1996

VB I/a (100 %)

-

2

21

-

2

21

10.07.1996 - 17.08.1997

KU/MSch

1

1

8

-

-

-

18.08.1997 - 19.09.1997

VB I/a (100 %)

-

1

2

-

1

2

20.09.1997 - 23.11.1997

KU/MSch

-

2

4

-

-

-

24.11.1997 - 12.12.1997

VB I/a (100 %)

-

-

19

-

-

19

13.12.1997 - 08.03.1998

VB I/a (50 %)

-

2

26

-

1

13

09.03.1998 - 30.06.1998

VB I/a (75 %)

-

3

22

-

2

24

 

Summe

4

8

27

2

10

16"

Ausgehend von einem Beginn des Beamtendienstverhältnisses der Beschwerdeführerin mit 1. Juli 1998 wäre die Ausbildungsphase von vier Jahren für die Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung der anrechenbaren Vordienstzeit von 2 Jahren, 10 Monaten und 16 Tagen erst mit Ablauf des 14. August 1999 abgeschlossen gewesen.

Die belangte Behörde führt dann in der Begründung des angefochtenen Bescheides im Wesentlichen weiter aus, gemäß § 13 DVG sei in Dienstrechtsangelegenheiten eine Aufhebung oder Abänderung von rechtskräftigen Bescheiden auch dann zulässig, wenn die Partei wusste oder wissen musste, dass der Bescheid gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoße. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bezögen sich die Worte "oder wissen musste" im § 13 Abs. 1 DVG nicht darauf, ob dem Betroffenen die Kenntnis der Rechtsvorschriften zugemutet werden könne, sondern darauf, ob er - die Kenntnis der Rechtsvorschriften vorausgesetzt - aus dem Bescheidinhalt bei entsprechender Sorgfalt hätte erkennen können und daher auch hätte wissen müssen, dass der Bescheid zwingenden gesetzlichen Vorschriften widersprochen habe. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse die Partei aber auch dann wissen, dass der Bescheid gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoße, wenn die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften eine den Bescheid bejahende Auslegung denkgesetzlich nicht zuließen. Der Widerspruch müsse sich beim Vergleich des Bescheidinhaltes mit dem Wortlaut der angewendeten gesetzlichen Vorschrift ergeben. Der diesbezüglich maßgebliche Wortlaut des § 138 Abs. 3 BDG 1979, wonach mit Zustimmung des Bundesministers für Finanzen (Anm.: jetzt Bundesminister für öffentliche Leistung und Sport) Vorverwendungen auf die Zeit der Ausbildungsphase angerechnet werden könnten, "soweit sie für die Verwendung des Beamten von besonderer Bedeutung und dazu geeignet sind, die erforderliche Ausbildungszeit ganz oder teilweise zu ersetzen ..." sei soweit eindeutig und klar, dass der Sinn dieser Norm nicht erst im Wege der Auslegung hätte ermittelt werden müssen.

Zeiten der Abwesenheit der Beschwerdeführerin vom Dienst durch Karenzurlaub (konkret handle es sich bei der Beschwerdeführerin um folgende Zeiten: 22. November bis 24. November 1993; 4. Dezember 1995 bis 18. April 1996; 10. Juli 1996 bis 17. August 1997; 20. September bis 23. November 1997) könnten angesichts des eindeutigen Wortlautes des § 138 Abs. 3 BDG 1979 nicht auf die Zeit der Ausbildungsphase der Beschwerdeführerin angerechnet werden, weil es sich hiebei wohl unbestreitbar nicht um Zeiten gehandelt habe, die für ihre Verwendung als Beamtin von besonderer Bedeutung und dazu geeignet gewesen wären, die erforderliche Ausbildungszeit ganz oder teilweise zu ersetzen.

Aus dem Gesetzeswortlaut ergebe sich somit unmissverständlich, dass auf die Zeit der Ausbildungsphase nur Zeiten angerechnet werden könnten, die als tatsächliche Praxiszeiten zurückgelegt worden seien, was bei Konsumierung eines Karenzurlaubes zweifelsfrei nicht der Fall sei.

Gleiches müsse aber angesichts des diesbezüglich klaren Wortlautes des § 138 Abs. 3 BDG 1979 auch im Hinblick auf die Zeiten gelten, in denen die Beschwerdeführerin ihre Tätigkeiten in Teilbeschäftigung (50 bzw. 75 %) ausgeübt habe. Im konkreten Fall habe es sich hiebei um folgende Zeiten gehandelt:

13. Dezember 1997 bis 8. März 1998: VB I/a (50 %) 9. März 1998 bis 30. Juni 1998: VB I/a (75 %)

Da die Beschwerdeführerin - wie sich aus der Aktenlage ergebe - in der Zeit vom 13. Dezember 1997 bis 8. März 1998 ihre Tätigkeit in Teilbeschäftigung (50 %) ausgeübt und in der Zeit vom 9. März bis 30. Juni 1998 ihre Tätigkeit ebenfalls in Teilbeschäftigung (75 %) ausgeübt habe, sei diese Zeit - bei richtiger Anwendung des § 138 Abs. 3 BDG 1979 - im selben Ausmaß auf die Zeit der Ausbildungsphase anzurechnen, das dem jeweiligen (Teil)Beschäftigungsausmaß entspreche. Somit ergebe sich im konkreten Fall lediglich eine anrechenbare Zeit von 1 Monat und 13 Tagen für den Zeitraum vom 13. März 1997 bis 8. März 1998 und eine anrechenbare Zeit von 2 Monaten und 24 Tagen für den Zeitraum vom 9. März bis 30. Juni 1998. Es erscheine nach Ansicht der belangten Behörde auf Grund des Gesetzeswortlautes zweifelsfrei, dass die Zeit, in der die Beschwerdeführerin in Teilbeschäftigung tätig gewesen sei, nur im selben Ausmaß auf die Zeit der Ausbildungsphase angerechnet hätte werden dürfen als es dem Prozentsatz der Teilbeschäftigung im jeweiligen Zeitraum entspreche, da nur in diesem Ausmaß - Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit der Tätigkeit vorausgesetzt - die Vorverwendung für die Verwendung als Beamtin von besonderer Bedeutung und dazu geeignet gewesen wäre, die erforderliche Ausbildungszeit zu ersetzen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Anrechnung von Vordienstzeiten auf die Ausbildungsphase nach § 138 BDG 1979 durch unrichtige Anwendung dieser Norm sowie der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung, weiters in ihrem Recht darauf verletzt, dass eine rechtskräftige positive Anrechnungsentscheidung gemäß § 138 BDG 1979 nicht nachträglich ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen dafür - insbesondere nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 13 DVG - zu ihrem Nachteil abgeändert werde.

Die zunächst entscheidende Frage ist, ob die belangte Behörde zu Recht von der Anwendbarkeit des § 13 Abs. 1 DVG ausgegangen ist oder nicht.

Nach § 13 Abs. 1 DVG 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29, ist in Dienstrechtsangelegenheiten (ergänzend zu § 68 AVG) eine Aufhebung oder Abänderung von rechtskräftigen Bescheiden von Amts wegen auch dann zulässig, wenn die Partei wusste oder wissen musste, dass der Bescheid gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt.

Voraussetzung für diesen über § 68 AVG noch hinausgehenden Eingriff in die Rechtskraft eines Bescheides ist die Kenntnis oder die hypothetische Kenntnis der Partei davon, dass der Bescheid gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt. Während es sich bei der "Kenntnis" um eine zu beweisende Tatsachenfrage handelt, ist die Frage der "hypothetischen Kenntnis" ausgehend von der angewendeten Vorschrift als Rechtsfrage zu betrachten. Als "zwingende gesetzliche Vorschriften" sind solche anzusehen, die der Behörde keinen Spielraum (Ermessen, unbestimmte Gesetzesbegriffe) geben, sondern eine ganz bestimmte Entscheidung verlangen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1968, Slg. NF Nr. 7478/A).

Der Begründung des angefochtenen Bescheides ist zu entnehmen, dass die belangte Behörde davon ausgegangen ist, dass die Beschwerdeführerin beim Vergleich des Bescheidinhaltes mit dem Wortlaut des § 138 Abs. 3 BDG 1979 den Widerspruch zu zwingendem Recht hätte objektiv erkennen müssen (zweiter Tatbestand des § 13 Abs. 1 DVG: "wissen musste"), weil - soweit dem für den Beschwerdefall Bedeutung zukommt - die in Z. 1 des Abs. 3 des § 138 BDG 1979 genannte Vordienstzeit als Vertragsbedienstete nur insoweit hätte angerechnet werden dürfen, als diese für die Verwendung der Beschwerdeführerin als Beamtin von besonderer Bedeutung und dazu geeignet gewesen wäre, die erforderliche Ausbildungszeit zu ersetzen.

Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, unmittelbar klar sei nach dem Gesetzeswortlaut nur der Umstand der Dienstzeit, der aber von der belangten Behörde in "Zeit der kontinuierlichen Dienstverrichtung" uminterpretiert werde. Allerdings wäre nach dem behördlichen Standpunkt nicht einmal die durchgehende Dienstverrichtung das definitiv maßgebende Kriterium; diese fehle nämlich auch bei "Krankenständen" und Gebührenurlauben, sodass im Ergebnis das entscheidende Kriterium der Gehaltsbezug sei. Da es hier aber um einen "Ausbildungseffekt" gehe, sei eine solche Interpretation ganz gewiss nicht unmittelbar einsichtig, sondern entferne sich im Gegenteil weit vom Gesetzeswortlaut bzw. füge sie diesem ganz wesentliche Elemente hinzu. Dass sich diese Interpretation in Wahrheit als gesetzwidrig darstelle, zeige sich in der Abweichung vom Gesetzeswortlaut. In dieser Beziehung bringe auch das Erfordernis nach dem letzten Satzteil des § 138 Abs. 3 BDG 1979 nichts Entscheidendes. Weshalb das Erfordernis "für die Verwendung des Beamten von besonderer Bedeutung dazu geeigneten ..., die erforderliche Ausbildungszeit ganz oder teilweise zu ersetzen" für drei Tage Karenzurlaubszeit weniger gegeben sein solle als für vier Wochen Gebührenurlaubszeit, werde schwerlich nach sachlichen Gesichtspunkten erklärbar sein. Es gebe aber bekanntlich durchaus auch "Krankenstände", die zwei bis drei Monate und gelegentlich auch wieder welche, die sogar noch (beträchtlich) länger dauerten. Zwar sei dem angefochtenen Bescheid zur diesbezüglichen Rechtsauffassung der belangten Behörde nichts Eindeutiges zu entnehmen; es sei nicht einmal überprüft worden, ob im Rahmen von Vordienstzeitenanrechnungen nach § 12 GG 1956 allenfalls längere "Krankenstände" angefallen wären.

Ganz eindeutig sei jedenfalls zu konstatieren, dass bei sämtlichen Vordienstzeitenanrechnungen, die im Sinne des § 12 GG 1956 zwingend vorzunehmen seien, die Ausklammerung von - auch längeren - Krankheitszeiten, sei es im Zuge eines Dienstverhältnisses, sei es im Zuge eines Studiums, völlig ausgeschlossen sei. Auch eine Anrechnung von Karenzurlaubszeiten während der Vordienstzeiten sei unter Umständen vorzunehmen. Angesichts dieser gesamten Rechtssituation stelle es eindeutig eine Überforderung der Beschwerdeführerin dar, wenn man von ihr das Erkennen der Gesetzwidrigkeit eines Bescheides verlange, der mit dem Gesetzeswortlaut insoweit voll übereinstimme, als die Anrechnung einer "Dienstzeit" erfolgt sei und wobei jene Tatbestandselemente, welche die Anrechnung allenfalls unzulässig machen könnten (letzter Satzteil des § 138 Abs. 3 BDG 1979), durch unbestimmte Rechtsbegriffe geprägt seien, in Bezug auf deren Anwendung beträchtliche Auffassungsunterschiede bestehen könnten; dies sei abhängig von einem Sachverhalt, der einerseits erst hätte erforscht werden müssen und andererseits ebenfalls großen Wertungsunterschieden unterliegen könne. Im Beschwerdefall sei allgemein zu berücksichtigen, dass der betroffene Beamte nicht dahingehend überfordert werden dürfe, bei derartigen, ihn selbst betreffenden Wertungen eine skeptische oder geradezu negative Haltung einzunehmen. Es sei Tatsache gewesen, dass die Beschwerdeführerin nach der Vertragsbedienstetenzeit voll ausgebildet ihren Dienst im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis habe beginnen können. Unter dieser Voraussetzung sei es nicht nur ihr persönlich, sondern überhaupt jedermann in gleicher Situation unzumutbar, an der Berechtigung der Vollanrechnung eben dieser Zeit auf die Ausbildungsphase - mit dem Ergebnis, dass damit keine weitere Ausbildungsphase benötigt werde - zu zweifeln und dies als unrichtig und gesetzwidrig anzusehen. Unter diesen Umständen sei es schon ein zusätzliches Detail, dass hinsichtlich der Zeiten, während welcher keine Vollbeschäftigung gegeben gewesen sei, auch noch § 12 Abs. 1 Z. 2 GG 1956 hinzukomme, mit der gemäß den vorherigen Ausführungen richtigen, jedenfalls aber nahe liegenden Schlussfolgerung, dass mangels einer konkreten diesbezüglich Regelung im § 138 BDG 1979 bei der Anrechnung nach Abs. 3 dieser Norm jedenfalls nichts Ungünstigeres vorauszusetzen sei, als in der vergleichbaren Bestimmung des § 12 Abs. 1 Z. 2 GG 1956 angeordnet sei.

Zusammenfassend sei die Beschwerdeführerin der Ansicht, dass die belangten Behörde das materielle Recht (§ 138 BDG 1979 unter Berücksichtigung des § 12 GG 1956) nicht richtig angewendet habe, weil sich bei der richtigen Interpretation dieser Normen der aufgehobene Bescheid überhaupt nicht als gesetzwidrig dargestellt hätte. In eventu aber wäre eine solche Gesetzwidrigkeit nur aus einer Interpretation zu gewinnen, die sich zu weit vom Gesetzeswortlaut entfernt habe, als dass in Bezug auf sie im Sinne des § 13 DVG hätte gesagt werden können, sie müsste vom Bescheidadressaten als (die einzige) richtige Interpretation erkannt werden. Unter diesem Gesichtspunkt stelle sich die Anwendung des § 13 DVG als verfehlt dar.

Diesem Vorbringen kommt aus folgenden Gründen Berechtigung zu:

§ 138 BDG 1979, BGBl. Nr. 333, im Wesentlichen in der Fassung des Besoldungsreformgesetzes 1994, BGBl. Nr. 550, regelt die Ausbildungsphase. Nach Abs. 1 der genannten Bestimmung sind die Beamten des allgemeinen Verwaltungsdienstes am Beginn des Dienstverhältnisses bis zum Abschluss der Ausbildungsphase unabhängig von der Zuordnung des Arbeitsplatzes zu einer Funktionsgruppe oder zur Grundlaufbahn in die Grundlaufbahn einzustufen. Als Ausbildungsphase gelten nach Abs. 2 Z. 1 in den Verwendungsgruppen A1 und A2 die ersten vier Jahre. Bei Zustimmung des Bundesministers für Finanzen können nach Abs. 3 Z. 1 der genannten Bestimmung Zeiten, die der Beamte vor Beginn des Dienstverhältnisses in einem anderen Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft zurückgelegt hat, auf die Zeit der Ausbildungsphase angerechnet werden, soweit sie für die Verwendung des Beamten von besonderer Bedeutung und dazu geeignet sind, die erforderliche Ausbildungszeit ganz oder teilweise zu ersetzen.

Der Regelung des zweiten Halbsatzes des § 138 Abs. 3 BDG 1979 kann von vornherein im Sinne der vorstehenden allgemeinen Ausführungen zu § 13 Abs. 1 DVG nicht die Bedeutung einer "zwingenden gesetzlichen Vorschrift" nach § 13 Abs. 1 DVG zukommen, weil es sich dabei um weitgehend unbestimmte Gesetzesbegriffe handelt.

Im Beschwerdefall ist weiters davon auszugehen, dass nach der Rechtsauffassung der belangten Behörde von den im Rahmen des Vertragsbedienstetenverhältnisses der Beschwerdeführerin gelegenen Zeiten sowohl diejenigen, in denen sie sich angeblich im "KU/MSch" befand als auch die Zeiten der Teilbeschäftigung gar nicht bzw. nur teilweise für die Anrechnung hätten berücksichtigt werden dürfen.

Voraussetzung für die Zulässigkeit der vorgenommenen Abänderung des rechtskräftigen Bescheides der Dienstbehörde erster Instanz vom 12. August 1998 war, dass die Beschwerdeführerin - bei Kenntnis der anzuwendenden Rechtsvorschrift (hier: § 138 Abs. 3 Z. 1 BDG 1979) - aus dem Bescheidinhalt mit der entsprechenden Sorgfalt den Widerspruch zur Norm hätte erkennen müssen (vgl. in diesem Sinne insbesondere das hg. Erkenntnis vom 12. September 1968, Slg. NF Nr. 7397/A, und die bei Walter/Mayer, Grundriss des Österreichischen Verwaltunsverfahrensrechts7, unter Rz 1079 f weiters angegebene Rechtsprechung). Demnach rechtfertigt nicht jede Rechtswidrigkeit eines Bescheides die amtswegige Aufhebung und Abänderung, sondern es dürfen nur im vorher genannten Sinn besonders qualifizierte Umstände zu einer Durchbrechung des wesentlichen Grundsatzes der Rechtskraft führen. Die Beschwerdeführerin musste in diesem Sinne die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 12. August 1998 dann nicht "wissen", wenn sich diese nicht unmittelbar aus dem Bescheid ergibt oder wenn die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften auch eine die erfolgte Anrechnung denkgesetzlich bejahende Auslegung zulassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Oktober 1986, Zl. 86/12/0068).

Was die im § 138 Abs. 3 BDG 1979 einleitend genannte Voraussetzung der Anrechnung (die Notwendigkeit der Einholung einer Zustimmung zur Anrechnung - damals - bei der belangten Behörde) betrifft, handelt es sich um eine innerdienstliche Verpflichtung, deren Kontrolle der Einhaltung nicht dem Beamten überbürdet werden darf.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kann auf Grundlage des Wortlautes des § 138 Abs. 3 Z. 1 BDG 1979 weder von vornherein gesagt werden, dass auf die Ausbildungsphase nur "tatsächliche Praxiszeiten" hätten angerechnet werden dürfen und daher insbesondere die Zeiten der Teilbeschäftigung nur anteilsmäßig zu berücksichtigen gewesen wären, noch dass dies die Beschwerdeführerin iS des § 13 Abs. 1 DVG hätte wissen müssen. Denn, in § 138 Abs. 3 Z. 1 BDG 1979 wird nur allgemein von Zeiten in einem anderen Dienstverhältnis gesprochen, nicht aber davon, dass es sich dabei um "tatsächliche Praxiszeiten" hätte handeln müssen. Auch die gedankliche Anknüpfung der belangten Behörde am letzten Halbsatz des § 138 Abs. 3 BDG 1979 ist iS des § 13 Abs. 1 DVG schon deshalb nicht zwingend, weil es sich bei den vom Gesetzgeber in dieser Regelung verwendeten Begriffen (besondere Bedeutung, geeignet oder die erforderliche Ausbildungszeit ganz oder teilweise zu ersetzen) um weitgehend unbestimmte Gesetzesbegriffe handelt, die nicht als zwingende gesetzliche Vorschriften nach § 13 Abs. 1 DVG verstanden werden können. Zu bedenken ist nämlich, dass der Ausbildungszweck, insbesondere bei einer höherwertigen Verwendung, nicht nur durch praktische Verwendung am Arbeitsplatz, sondern beispielsweise auch durch Selbststudium erreicht werden kann (vgl. im vierten Abschnitt des BDG 1979 "Dienstliche Ausbildung", insbesondere § 24 Abs. 3).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann jedenfalls nicht gesagt werden, dass die Beschwerdeführerin iS des § 13 Abs. 1 DVG von einem Verstoß des Bescheides vom 12. August 1998 gegen zwingende gesetzliche Vorschriften hätte wissen müssen. Ausgehend von der für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides zunächst entscheidenden Frage der Anwendbarkeit des § 13 Abs. 1 DVG, kann aber dahingestellt bleiben, ob die dem angefochtenen Bescheid hinsichtlich § 138 Abs. 3 BDG 1979 zugrundeliegende Rechtsauffassung inhaltlich zutreffend ist oder nicht.

Da der angefochtene Bescheid nach § 13 Abs. 1 DVG auf die Annahme gestützt war, die Beschwerdeführerin hätte den Verstoß des Bescheides vom 12. August 1998 auf Grund der Rechtslage "wissen müssen", wodurch die Durchbrechung der Rechtskraft dieses Bescheides mit dem angefochtenen Bescheid gerechtfertigt gewesen wäre, erweist sich der angefochtene Bescheid schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu beheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. November 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999120249.X00

Im RIS seit

23.01.2002

Zuletzt aktualisiert am

27.05.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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