TE Vwgh Erkenntnis 2001/11/21 97/08/0416

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Veröffentlicht am 21.11.2001
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §49 Abs3;
ASVG §49 Abs6;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der H GmbH in R, vertreten durch Dr. Johann Kahrer und Dr. Christian Haslinger, Rechtsanwälte in 4910 Ried im Innkreis, Bahnhofstraße 59, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 22. April 1997, Zl. Vd-4439/2/Scha, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara-Pölt-Weg 2, 6021 Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenbegehren der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse wird abgewiesen.

Begründung

Ernst R. war vom 1. Oktober 1992 bis 12. Oktober 1993 bei der Beschwerdeführerin als unselbstständiger Handelsvertreter beschäftigt. Neben einem monatlichen Bruttogehalt sollte ihm ein vom Nettowarenwert berechneter Provisionsanspruch in Höhe von 5 % zustehen.

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. April 1994 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, Ernst R. S 36.673,18 brutto und S 43.977,37 netto zuzüglich S 1.805,-- brutto s.A. zu bezahlen. Diese Beträge setzen sich nach der detaillierten Urteilsbegründung im Wesentlichen aus den (restlichen) Ansprüchen auf laufendes Gehalt, Kilometergeld und Provisionen für den Zeitraum August 1993 bis zum 12. Oktober 1993, aus einer Kündigungsentschädigung und einer Urlaubsentschädigung, nicht jedoch aus Ansprüchen auf Ersatz von Barauslagen (wie "Telefonvergütung" bzw. "Tagesdiäten") zusammen. Das Gericht stellte fest, dass zu Beginn des Dienstverhältnisses (wegen laufender Lohnexekutionen gegen Ernst R.) "an Stelle der Provision die Ausbezahlung von Barauslagen bzw. von Tagesdiäten vereinbart wurde." Ernst R. habe für den jeweiligen Monat eine "Gesamtaufstellung" vorgelegt, der eine Provisionsaufstellung und ein Fahrtenblatt angeschlossen gewesen seien. Der sich aus der Provisionsaufstellung ergebende Betrag finde sich in der "Gesamtaufstellung" jeweils unter der Position "Telefonvergütung" bzw. "Tagesdiäten". Ernst R. habe derartige "Barauslagen" weder belegt noch belegen müssen. Das Kilometergeld sei (hingegen) monatlich auf Grund der tatsächlich von Ernst R. gefahrenen und mittels des erwähnten "Fahrtenblattes" nachgewiesenen Fahrleistungen abgerechnet worden.

Mit Urteil vom 16. November 1994 bestätigte das Oberlandesgericht Innsbruck in Arbeits- und Sozialrechtssachen das genannte erstgerichtliche Urteil und verwies zu dem die Feststellung über die Umwidmung der Provisionsansprüche betreffenden Teil der Beweisrüge (die im Zusammenhang mit der Bestreitung eines restlichen Provisionsanspruchs für August 1993 in Höhe von S 5.088,-- erhoben worden war) auf eine entsprechende erstinstanzliche Außerstreitstellung.

Nach Vorliegen der genannten Urteile führte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse bei der Beschwerdeführerin eine Beitragsprüfung für den Zeitraum vom 1. Oktober 1992 bis 30. November 1993 durch. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass es sich bei den erwähnten, als Aufwandsentschädigungen deklarierten Provisionen "um tatsächliche Telefonvergütungen und Tagesdiäten handeln" würde. Man habe die genannten Urteile "aus rein ökonomischen Gründen rechtskräftig werden" lassen. Sie könnten daher "nicht als Grundlage angeblich sozialversicherungspflichtiger Zahlungen herangezogen werden".

Mit Bescheid vom 19. September 1996 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Beschwerdeführerin, Beiträge in Höhe von S 26.481,98 zu bezahlen und verwies in der Begründung darauf, dass beitragspflichtige Provisionszahlungen nicht zur Sozialversicherung gemeldet worden seien. Die unter "Differenzart 11" in der dem Bescheid beigelegten Aufstellung der Entgelts- und Beitragsdifferenzen ausgewiesenen Zahlungen (betreffend den Zeitraum vom 1. November 1992 bis 30. September 1993) habe Ernst R. zwar unter dem Titel "Telefonkosten" und "Tagesdiäten" erhalten, stellten aber in Wahrheit Provisionen dar.

Die Beschwerdeführerin erhob Einspruch und wandte ein, sie sei "aufgrund eines von einem unabhängigen österreichischen Gericht verhängten Urteils, welches in Folge durch die Berufungsinstanz bestätigt wurde, rechtskräftig verurteilt (worden), diese Beträge als Kilometergeld, Telefonvergütung etc. auszubezahlen". Die Art der Beträge sei bereits als Vorfrage ermittelt worden. Eine Umwidmung oder Neubewertung durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse sei nicht mehr zulässig.

Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid und führte begründend aus, die Auszahlung geschuldeter Provisionen unter dem Titel des Ersatzes für Barauslagen ("Telefonkosten" sowie "Tagesdiäten") ergebe sich aus dem vom Gericht festgestellten und auch von der erstinstanzlichen Behörde für richtig gehaltenen Sachverhalt. Demnach sei der klagsweise geltend gemachte (und zugesprochene) Provisionsanspruch jeweils mit den Positionen, die unter dem Titel "Telefonvergütung" bzw. "Tagesdiäten" angeführt worden seien, ident. Ernst R. habe im gerichtlichen Verfahren glaubwürdig und nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei der Auszahlung von Telefonkosten und Tagesdiäten lediglich um eine andere "Widmung", in Wirklichkeit jedoch um die Bezahlung von Provisionen gehandelt habe. Die Beschwerdeführerin habe im Gerichtsverfahren auch außer Streit gestellt, dass Provisionen als Barauslagen bezahlt werden sollten.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, vom Entgeltsbegriff des § 49 Abs. 1 ASVG seien auch Provisionen umfasst. Die Höhe der nachverrechneten Beiträge ergebe sich aus den im Akt befindlichen und dem bekämpften Bescheid beigelegten Beitragsnachrechnungen. Die als Barauslagen abgerechneten Zahlungen seien in Wirklichkeit Provisionen gewesen. Die Beschwerdeführerin habe die Höhe der an ihren Dienstnehmer geleisteten Zahlungen nicht bestritten. Die sich aus § 49 Abs. 6 ASVG ergebende Bindungswirkung gehe nicht so weit, dass sie auch die rechtliche Qualifikation einzelner Entgeltbestandteile nach Sozialversicherungsrecht umfasse. Dem Spruch der genannten Urteile sei zu entnehmen, dass die Klageforderung zu Recht bestehe. Der Urteilsbegründung sei zu entnehmen, dass es sich bei den Barauslagen (Telefonkosten bzw. Tagesdiäten) in Wirklichkeit um Provisionen handle, und nicht - wie die Beschwerdeführerin meine - um "anerkannte und ausbezahlte Barauslagen".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bemängelt, es sei nicht geklärt worden, weshalb dem Ernst R. durch das Gericht einerseits Gehalt, andererseits auch Provision "und dann eben letztlich Kilometergeld und Barauslagenersatz zugesprochen worden ist". Es liege wohl auf der Hand, dass bei einem Provisionsvertreter natürlich Fahrtspesen anfallen und auch sonstige Barauslagen, wie Telefonkosten und Ähnliches. Dass diese vom Dienstgeber zu ersetzen sind, liege ebenfalls auf der Hand. Es wäre daher Aufgabe der belangten Behörde gewesen, hier entsprechende Nachforschungen und Sachverhaltsfeststellungen vorzunehmen. Aus dem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck sei "ersichtlich, daß bspw. für den Monat September 1993 ein Provisionsanspruch bestand und auch zusätzlich ein Anspruch auf Kilometergeld und eben Barauslagenersatz." An diese Urteilsbegründung sei die belangte Behörde gebunden. Die Beitragsvorschreibung sei daher verfehlt.

Diesen Beschwerdeausführungen ist zunächst zu entgegnen, dass die Versicherungsträger und die Behörden zwar gemäß § 49 Abs. 6 ASVG an rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte, in denen Entgeltansprüche des Dienstnehmers (Lehrlings) festgestellt werden, gebunden sind. Die Bindung an das Urteil geht aber nicht so weit, dass sie auch die rechtliche Qualifikation der zuerkannten Entgeltbestandteile umfassen würde. Die Qualifikation, ob ein bestimmter Entgeltteil unter § 49 Abs. 3 ASVG fällt, obliegt somit den Sozialversicherungsträgern. Wird etwa in einem Urteil bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für das Urlaubsentgelt als Vorfrage entschieden, ob eine kollektivvertragliche Montagezulage einen Lohn oder eine Aufwandsentschädigung darstellt, erwächst daraus keine Bindung (vgl. das Erkenntnis vom 25. April 1974, Slg. Nr. 8607/A).

Davon abgesehen lässt sich den erwähnten Urteilen im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin gar nicht entnehmen, dass Ernst R. die ihm angeblich entstandenen Barauslagen ("Telefonvergütung" bzw. "Tagesdiäten") gegenüber der Beschwerdeführerin jemals geltend gemacht hat oder dass sie ihm gerichtlich zugesprochen worden wären. Gegenstand der Klage des Ernst R. und der im Instanzenzug ergangenen Urteile waren - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - Ansprüche auf Provision und auf Kilometergeld. Das Gericht sprach die geforderten Beträge aus den genannten Rechtsgründen und nicht etwa als "Barauslagenersatz" zu.

Die belangte Behörde ging in ihren Feststellungen - gestützt auf die für glaubhaft gehaltenen Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils als Beweismittel - ebenfalls davon aus, dass die zugesprochenen Provisionen von Ernst R. und der Beschwerdeführerin lediglich als "Telefonvergütung" bzw. "Tagesdiäten" bezeichnet worden waren. Der dieser Feststellung zu Grunde liegenden Beweiswürdigung tritt die Beschwerde - ausgehend von ihren unrichtigen Auffassungen über den Inhalt der arbeitsgerichtlichen Urteile - nicht entgegen. Die belangte Behörde hat sämtliche Zahlungen an Ernst R. im Zeitraum vom 1. November 1992 bis 30. September 1993, die angeblich einen Ersatz von Barauslagen darstellten, als beitragspflichtiges Entgelt (Provisionen) behandelt. Die Beschwerdeführerin hat weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde die Höhe dieser als Auslagenersatz deklarierten Provisionszahlungen bestritten. Die in den genannten arbeitsgerichtlichen Urteilen zugesprochenen Kilometergelder waren nicht Gegenstand der Beitragsvorschreibungen.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen mitbeteiligten Gebietskrankenkasse steht kein Ersatz des Schriftsatzaufwandes zu (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 30. Mai 2001, 95/08/0301). Ihr Kostenbegehren war daher abzuweisen.

Wien, am 21. November 2001

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1997080416.X00

Im RIS seit

02.04.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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