TE Vwgh Erkenntnis 2001/11/23 99/19/0164

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Veröffentlicht am 23.11.2001
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E05204020;
E6J;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art3 Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art3 Abs2;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art5 Abs1;
61977CJ0030 Bouchereau VORAB;
61989CJ0260 ERT / DEP VORAB;
61996CJ0348 Calfa VORAB;
61997CJ0340 Ömer Nazli VORAB;
AVG §68 Abs1;
EURallg;
FrG 1997 §10 Abs1 Z1;
FrG 1997 §10;
FrG 1997 §47 Abs2;
FrG 1997 §47 Abs3 Z1;
FrG 1997 §47;
FrG 1997 §49 Abs1;
MRK Art8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des am 28. April 1961 geborenen M K, vertreten durch Dr. Wilhelm Frysak, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Wagramer Str. 81/2/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 4. Juni 1999, SD 243/99, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste nach seinen Angaben im Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes vom 25. September 1989 am 26. August 1989 in das Bundesgebiet ein. Er verfügte in weiterer Folge nach der diesbezüglich unbedenklichen Aktenlage über Wiedereinreisesichtvermerke für folgende Zeiträume: vom 25. September 1989 bis 5. Dezember 1989, vom 23. November 1989 bis 10. Mai 1990, vom 26. April 1990 bis 28. März 1991, vom 10. April 1991 bis 6. September 1991, vom 6. August 1991 bis 5. September 1992 und vom 23. August 1992 bis 23. Februar 1994.

Am 11. August 1989 heiratete er eine im Bundesgebiet aufhältige türkische Staatsangehörige. Aus dieser Ehe stammen eine am 14. Juni 1990 geborene Tochter und ein am 26. September 1992 geborener Sohn.

Die Bundespolizeidirektion Wien erließ mit Bescheid vom 21. Oktober 1994 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 FrG 1992 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, dass der Beschwerdeführer mit Urteil eines näher bezeichneten Schwurgerichtes in der Türkei vom 7. Juli 1989 wegen gewalttätiger Entführung einer noch nicht volljährigen Verletzten gemäß § 430 Abs. 1 des Türkischen Strafgesetzes zu fünf Jahren schwerer Haftstrafe rechtskräftig verurteilt worden sei.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien wies mit Bescheid vom 7. März 1995 die gegen den vorbezeichneten Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 FrG 1992 ab, wobei in der Begründung die Dauer der über den Beschwerdeführer verhängten Haftstrafe mit vier Jahren und zwei Monaten angegeben wurde..

Der Beschwerdeführer beantragte am 6. Mai 1994 beim Landeshauptmann von Wien die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, wobei als Aufenthaltszweck die Ausübung einer unselbstständigen Tätigkeit und Familiengemeinschaft mit seiner Ehegattin und (erkennbar) seinen Kindern angab. Eine bescheidmäßige Erledigung dieses Antrages ist den vorgelegten Verwaltungsakten nicht zu entnehmen.

Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge am 30. April 1995 in die Türkei abgeschoben, am 1. Mai 1995 unter Polizeiaufsicht gestellt, in das Gefängnis überführt und am 29. September 1995 bedingt aus der Haft entlassen.

Mit Schreiben vom 21. März 1997, bei der Bundespolizeidirektion Wien eingelangt am 24. März 1997, beantragte er die Aufhebung des gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes. Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. Juli 1997 gemäß § 26 FrG 1992 abgewiesen.

Ein weiterer, mit 13. November 1997 datierter und am 17. November 1997 bei der erstinstanzlichen Behörde eingelangter Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 19. November 1997 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

In weiterer Folge gelangte der Beschwerdeführer mit einer Einreisebewilligung der österreichischen Botschaft Ankara vom 14. Jänner 1998 wieder in das Bundesgebiet und beantragte am 26. Jänner 1998 (Einlangen bei der erstinstanzlichen Behörde) die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach dem Fremdengesetz zum Zwecke der Familiengemeinschaft mit seiner Gattin, nach den Antragsangaben einer österreichischen Staatsbürgerin, und (erkennbar) mit seinen Kindern (nach der Aktenlage ebenfalls österreichische Staatsbürger).

Die Bundespolizeidirektion Wien wies diesen Antrag mit Bescheid vom 9. März 1999 gemäß § 49 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) iVm § 47 Abs. 2 und § 10 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 Z. 3 ab.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. Juni 1999 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien diese Berufung gemäß § 49 Abs. 1 FrG 1997 iVm § 47 Abs. 2 und § 10 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 Z. 3 ab.

Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der bezughabenden Gesetzesstellen aus, der Beschwerdeführer sei auf Grund seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 47 Abs. 3 FrG 1997. Festzuhalten sei weiters, dass das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot auch nach der geltenden Rechtslage hätte erlassen werden können. Dieser Maßnahme sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer wegen gewalttätiger Entführung einer noch nicht volljährigen verletzten Person in seinem Heimatstaat zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt worden sei. Es könne angesichts dieses Fehlverhaltens kein Zweifel bestehen, dass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nach der nunmehr geltenden Rechtslage gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 FrG 1997 als gerechtfertigt erwiesen hätte. Da hinsichtlich der §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG 1992 durch das FrG 1997 keine inhaltliche Veränderung eingetreten sei, sei im gegenständlichen Zusammenhang nicht näher darauf einzugehen gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt sei der Beschwerdeführer auch nicht begünstigter Drittstaatsangehöriger gewesen, sodass die diesbezüglichen Bestimmungen außer Betracht zu bleiben hätten. Auch sei zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes kein Sachverhalt gemäß § 38 FrG 1997 gegeben gewesen. Die Behörde hätte mangels sonstiger, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können. Daher ergebe sich zusammenfassend, dass das gegenständliche Aufenthaltsverbot auch nach der geltenden Rechtslage hätte erlassen werden können, sodass eine amtswegige Behebung gemäß § 114 Abs. 3 FrG 1997 nicht in Frage gekommen sei.

Das Bestehen eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes stehe der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG 1997 jedoch zwingend entgegen. Auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Richtlinien und Verordnungen der EWG sei nicht näher einzugehen gewesen, da sie nur für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates Wirksamkeit entwickeln könnten. Auch vermöge der zugleich mit der Berufung neuerlich eingebrachte Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 44 FrG 1997 zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung am rechtskräftigen Bestand des Aufenthaltsverbotes nichts zu ändern, weshalb das darauf gerichtete Berufungsvorbringen nicht zu berücksichtigen gewesen sei.

Auf Grund des dem Aufenthaltsverbot zu Grunde liegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick darauf, dass dessen Aufenthalt in Österreich seit über einem halben Jahr unrechtmäßig sei, sei die Erstbehörde zu Recht von der Annahme ausgegangen, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde. Selbst unter Bedachtnahme auf die zweifelsfrei gegebenen familiären Interessen des Beschwerdeführers, die seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes keiner wesentlichen Änderung unterlegen seien, habe die belangte Behörde der Berufung keine Folge geben können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

     § 10 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 3, § 47 Abs. 2 und 3 sowie

§ 49 Abs. 1 FrG 1997 lauten:

     "2. Hauptstück: Ein- und Ausreise von Fremden

     ...

     2. Abschnitt: Sichtvermerkspflicht

     ...

     Versagung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels

     § 10. (1) Die Erteilung eines Einreise- oder

Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn

1. gegen den Fremden ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot besteht;

...

(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z. 2) insbesondere versagt werden, wenn

...

3. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;

4. Hauptstück: Sonderbestimmungen für Einreise und Aufenthalt für EWR-Bürger sowie für Angehörige von EWR-Bürgern und Österreichern

1. Abschnitt: EWR-Bürger

...

Aufenthaltsberechtigung begünstigter Drittstaatsangehöriger

§ 47. ...

(2) Sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind, genießen begünstigte Drittstaatsangehörige (Abs. 3) Niederlassungsfreiheit; ihnen ist eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. ...

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:

1. Ehegatten;

...

2. Abschnitt: Angehörige von Österreichern

§ 49. (1) Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, genießen Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen. ..."

Der Beschwerdeführer ist begünstigter Drittstaatsangehöriger gemäß §§ 49 Abs. 1 und 47 Abs. 3 FrG 1997. Die Versagung der hier beantragten Niederlassungsbewilligung gemäß §§ 49 Abs. 1 und 47 Abs. 2 FrG 1997 setzt voraus, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Die belangte Behörde hat, gestützt auf das über den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 7. März 1995 verhängte unbefristete Aufenthaltsverbot und seinen nunmehrigen, seit über einem halben Jahr unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, eine derartige Gefährdungsprognose getroffen und weiters ausgeführt, dass das Bestehen eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG 1997 zwingend entgegenstehe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 20. April 2001, Zl. 2000/19/0117, mit ausführlicher Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegt, dass die Versagungsgründe des § 10 FrG 1997 generell auf die in § 47 leg. cit. umschriebenen Personen nicht Anwendung finden. Die belangte Behörde hat daher im vorliegenden Fall insoweit, als sie die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf die Versagungsgründe des § 10 Abs. 1 Z. 1 (mit Begründung) und Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 (ohne Begründung, aber erkennbar im Hinblick auf die von ihr getroffene Gefährdungsprognose) stützte, die Rechtslage verkannt.

Der Verwaltungsgerichtshof geht weiters davon aus, dass die Rechtskraft des in Rede stehenden Aufenthaltsverbotes nicht schon allein auf Grund der Anordnung des § 68 Abs. 1 AVG der Erteilung der beantragten Niederlassungsbewilligung entgegenstand. Wäre der Gesetzgeber des FrG 1997 nämlich davon ausgegangen, dass Anträge auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen bei Bestehen eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes schon wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen wären, so hätte er sich wohl kaum veranlasst gesehen, in Ansehung von Fremden, die nicht begünstigte Drittstaatsangehörige sind, eigens den Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG 1997 zu schaffen.

Aber auch die von der belangten Behörde getroffene Gefährdungsprognose gemäß § 47 Abs. 2 leg. cit. vermag die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers nicht zu tragen:

Durch § 49 Abs. 1 FrG 1997 sollte - von geringfügigen Modifikationen abgesehen - die Rechtsstellung von Angehörigen von Österreichern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, jener von Angehörigen von EWR-Bürgern, die ihrerseits ebenfalls Staatsangehörige eines Drittstaates sind, angeglichen werden. Offenbar wollte der Gesetzgeber des Fremdengesetzes 1997 damit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 1997, Slg. Nr. 14.863, Rechnung tragen. Bei der Auslegung der Wendung "wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet" in dem in § 49 Abs. 1 FrG 1997 verwiesenen § 47 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 ist daher auf das Verständnis der Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Art. 39 EG (ex-Art. 48 EGV) Bedacht zu nehmen. Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG ist bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend. Strafrechtliche Verurteilungen allein können gemäß Abs. 2 leg. cit. ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat in seinem Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs 30/77, Bouchereau, insbesondere folgende Rechtssätze geprägt:

"Eine frühere strafrechtliche Verurteilung darf nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (Rz 27, 28 dieses Urteiles). Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahe legt (im Sinne von erfordert), dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt. Es obliegt den nationalen Behörden und gegebenenfalls den nationalen Gerichten, diese Frage in jedem Einzelfall zu beurteilen, wobei sie die besondere Rechtstellung der dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen haben (Rz 29, 30 dieses Urteiles)."

Nach dieser Rechtsprechung kann aber das bloße tatbildmäßige Verhalten eines Fremden auch im Verständnis des Europarechtes im Einzelfall die Beurteilung rechtfertigen, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Sicherheit gefährden. Freilich dürfen Änderungen in den Lebensumständen des Fremden, die gegen den Fortbestand einer solchen Gefährdungsprognose sprechen, bei einer solchen Beurteilung nicht ausgeklammert werden.

Vergleichbare Aussagen trifft der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil vom 19. Jänner 1999, Rs C-348/96, Calfa (vgl. Rz 22 bis 24 dieses Urteiles).

Sodann heißt es in Rz 25 und Rz 27 dieses Urteiles:

"Demnach kann ein Gemeinschaftsbürger wie Frau Calfa nur dann ausgewiesen werden, wenn er nicht nur gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen hat, sondern sein persönliches Verhalten darüber hinaus eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft

berührt." ... "Unter diesen Umständen wird also eine Ausweisung

auf Lebenszeit auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird."

Mit dieser Rechtsprechung scheint der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften von seinen Aussagen im erstgenannten Urteil nicht abgewichen zu sein, wie aus dem Urteil vom 10. Februar 2000, Rs C-340/97, Nazli, klar wird. Dort heißt es (Rz 58):

"Zwar kann ein Mitgliedstaat die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefährdung der Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen, doch ist die Ausnahme der öffentlichen Ordnung wie alle Ausnahmen von einem Grundprinzip des Vertrages eng auszulegen, sodass eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit eine Ausweisung rechtfertigen kann, als die ihr zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt."

Wie sodann in Rz 59 betont wird, dürfen generalpräventive Aspekte dabei keine Rolle spielen.

Bezüglich des Antrags eines ausgewiesenen Gemeinschaftsbürgers auf eine Aufenthaltserlaubnis trifft der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil vom 18. Mai 1982, Rs 115 und 116/81, Adoui, folgende Aussagen (vgl. Rz 12 dieses Urteils):

"Was die Möglichkeit für jemanden, der aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ausgewiesen worden ist, angeht, erneut in das Hoheitsgebiet des betreffenden Staates einzureisen und dort eine neue Aufenthaltsberechtigung zu beantragen, so ist zu unterstreichen, dass jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat eine Arbeit suchen möchte, erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen kann. Wird ein solcher Antrag nach einer angemessenen Frist gestellt, so ist er von der zuständigen Verwaltungsbehörde zu prüfen, die insbesondere das Vorbringen des Betroffenen berücksichtigen muss, mit dem eine materielle Änderung der Umstände, die die erste Ausweisung gerechtfertigt hatten, nachgewiesen werden soll."

Wie schließlich aus dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 28. Oktober 1975, Rs 36/75, Rutili, hervorgeht, liegt die Beschränkung der ausländerpolizeilichen Befugnisse in der Befolgung der Grundsätze der EMRK; so heißt es in Rz 32:

"Insgesamt stellen sich die Beschränkungen der ausländerpolizeilichen Befugnisse der Mitgliedstaaten als eine besondere Ausprägung eines allgemeineren Grundsatzes dar, der in den Artikeln 8, 9, 10 und 11 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten und von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und in Artikel 2 des am 16. September 1963 in Strassburg unterzeichneten Protokolls Nr. 4 zu dieser Konvention verankert ist, die gleich lautend bestimmen, dass die zum Schutz der öffentlichen Ordnung vorgenommenen Einschränkungen der in den genannten Artikeln zugesicherten Rechte nicht den Rahmen dessen überschreiten dürfen, was für diesen Schutz "in einer demokratischen Gesellschaft" notwendig ist."

Die allgemeine Geltung dieses Grundsatzes wird im Urteil des Gerichthofes der Europäischen Gemeinschaften vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache C-260/89 ERT, Slg. 1991, I-2925, Rz 41f, als ständige Rechtsprechung bestätigt; es wird darin weiters zum Ausdruck gebracht, dass nationale Regelungen, die in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, wie § 47 und § 48 FrG 1997, auch unter dem Gesichtspunkt des Europarechts im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention auszulegen sind (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2000, Zl. 98/19/0304).

Was den Vorwurf betrifft, der Beschwerdeführer halte sich seit über einem halben Jahr unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, so ist der belangten Behörde entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger einer Österreicherin gemäß § 49 Abs. 1 zweiter Satz FrG 1997 Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen darf und darüber hinaus Angehörige von EWR-Bürgern, denen Angehörige von Österreichern durch § 49 Abs. 1 FrG 1997 weit gehend gleichgestellt werden sollten, nach Art. 5 Abs. 1 zweiter Satz der Richtlinie 64/221/EWG sich bis zur Entscheidung über die Erteilung oder die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis vorläufig im Bundesgebiet aufhalten dürfen. In Ansehung der zu treffenden Gefährdungsprognose kommt einem derartigen, nicht auf einem Aufenthaltstitel beruhenden Aufenthalt des Beschwerdeführers jedoch kaum Gewicht zu (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 14. September 2001, Zl. 99/19/0089).

Zu dem dem Aufenthaltsverbot zu Grunde liegenden Fehlverhalten des Beschwerdeführers, das - so die Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid - zu einer Verurteilung zu einer Haftstrafe von fünf Jahren durch ein türkisches Gericht geführt habe, ist Folgendes auszuführen:

Der Beschwerdeführer hat bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht, er sei lediglich zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 25 Monaten verurteilt worden. Nach Verbüßung eines Fünftels dieser Strafe sei er am 29. September 1995 bedingt entlassen worden (siehe Berufung Bl. 421 der Verwaltungsakten und die damit vorgelegte beglaubigte Übersetzung der Bestätigung der Oberstaatsanwaltschaft B. vom 3. Juni 1997; siehe auch die beglaubigte Übersetzung des Urteiles der Großen Strafkammer in S. über die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers, Bl. 247; siehe auch die eingangs wiedergegebene Begründung des Bescheides vom 7. März 1995, in der die Höhe der Haftstrafe - abweichend vom damaligen erstinstanzlichen Bescheid - mit vier Jahren und zwei Monaten angegeben wurde). Er weist in seiner Beschwerde darauf hin, dass die Verurteilung im Jahre 1989 erfolgt ist, also im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits ca. 10 Jahre zurücklag, und das zu Grunde liegende strafbare Verhalten bereits 1987 gesetzt wurde. Angesichts dieser vorgebrachten Umstände, mit denen sich die belangte Behörde, die auch keine näheren Feststellungen zu dem der Verurteilung des Beschwerdeführers zu Grunde gelegenen Verhalten getroffen hat, erkennbar nicht auseinander gesetzt hat, kann der Verwaltungsgerichtshof nicht von vornherein davon ausgehen, dass die Gefährdungsprognose gemäß § 47 Abs. 2 FrG 1997 gerechtfertigt wäre. Der Bestand des Aufenthaltsverbotes an sich vermag die Gefährdungsprognose ebenso wenig zu stützen. Ob das der vorerwähnten Verurteilung im Jahre 1989 zu Grunde liegende Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem - wie dargelegt - kaum ins Gewicht fallenden unrechtmäßigen Aufenthalt die Prognose rechtfertige, der Aufenthalt des Beschwerdeführers würde (künftig) eine Gefährdung für die Sicherheit im Bundesgebiet darstellen, setzte allerdings entsprechende Feststellungen über derartige Umstände voraus, aus denen sich das konkrete und aktuelle Gefährdungspotenzial des Fremden ergibt. Diesbezügliche schlüssige Feststellungen hat die belangte Behörde im Fall des Beschwerdeführers in Verkennung der Rechtslage jedoch nicht getroffen.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416 /1994.

Wien, am 23. November 2001

Gerichtsentscheidung

EuGH 61977J0030 Bouchereau VORAB
EuGH 61997J0340 Ömer Nazli VORAB
EuGH 61996J0348 Calfa VORAB
EuGH 61989J0260 ERT / DEP VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2Zurückweisung wegen entschiedener SacheGemeinschaftsrecht Auslegung Allgemein EURallg3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999190164.X00

Im RIS seit

29.01.2002

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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