TE Vfgh Erkenntnis 1999/2/22 B940/98

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Veröffentlicht am 22.02.1999
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8 Abs2
FremdenG 1997 §17
FremdenG 1997 §37 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung des Beschwerdeführers ohne ausreichende Interessenabwägung; rechtswidriger Aufenthalt des Fremden im Inland allein nicht ausreichend

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertreter die mit S 28.750,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bundespolizeidirektion Wien wies den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 23. April 1997 gemäß §17 Abs1 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992, aus. Der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 31. März 1998 keine Folge gegeben und es wurde der angefochtene Bescheid unter Bedachtnahme auf §114 Abs1 Fremdengesetz 1997, BGBl. I 75/1997 (im folgenden: FrG 1997), gemäß §66 Abs4 AVG mit der Maßgabe bestätigt, daß sich die Ausweisung auf §33 Abs1 FrG 1997 zu stützen habe.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet; in dieser wird der angefochtene Bescheid verteidigt und es wird die Abweisung bzw. die Nichtbehandlung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die verfügte Ausweisung wird im bekämpften Bescheid damit begründet, der Beschwerdeführer sei am 17. August 1995 aufgrund eines ihm von der österreichischen Botschaft in Belgrad für Besuchszwecke ausgestellten, bis 6. September 1995 gültig gewesenen Touristensichtvermerkes nach Österreich eingereist. Elf Tage nach seiner Einreise, noch während der Gültigkeitsdauer des Touristensichtvermerkes, habe er einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt, der vom Amt der Wiener Landesregierung und im Instanzenzug vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 19. April 1996 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Der Beschwerdeführer sei illegal im Bundesgebiet geblieben, am 12. Juni 1996 betreten und wegen unerlaubten Aufenthaltes in der Dauer von neun Monaten nach dem Fremdengesetz sowie Unterlassung der polizeilichen Anmeldung während der Dauer von vier Monaten nach dem Meldegesetz rechtskräftig bestraft worden. Am 18. Juni 1996 habe der Beschwerdeführer das Bundesgebiet wieder verlassen.

In der folgenden Zeit sei der Beschwerdeführer dann wieder ohne Sichtvermerk, somit illegal, nach Österreich gelangt, wo er am 18. Jänner 1997 wegen illegalen Aufenthaltes betreten, angezeigt und in der Folge bestraft worden sei. Ein von ihm (vom Ausland aus) gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei von der Wiener Landesregierung mit Bescheid vom 6. März 1997 abgewiesen worden.

Da der Beschwerdeführer illegal eingereist sei und sich mangels Aufenthaltstitels unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, sei die Erlassung einer Ausweisung - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§35 und 37 Abs1 leg.cit. - gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer, der seit Anfang 1973 in Österreich gemeldet gewesen sei, habe in der Zeit von 1980 (mit einer Unterbrechung von September 1992 bis März 1993) über Sichtvermerke verfügt. Die Gültigkeitsdauer des zuletzt ausgestellten Sichtvermerkes habe am 17. September 1994 geendet; ein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung sei von der MA 62 mit Bescheid vom 2. Dezember 1994 rechtskräftig abgewiesen worden.

In der Folge habe der Beschwerdeführer das Bundesgebiet verlassen und sei mit einem am 16. August 1995 ausgestellten, bis 6. September 1995 gültig gewesenen Touristensichtvermerk wieder nach Österreich gekommen. Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei in beiden Instanzen (Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. April 1996) abgewiesen worden.

Ein neuerlicher Antrag vom 19. Juni 1996 sei wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung (geordnetes Fremdenwesen) ebenfalls in erster Instanz mit Bescheid vom 6. März 1997 abgewiesen worden.

Aufgrund seines langjährigen, nur bis Dezember 1994 rechtmäßigen inländischen Aufenthaltes und der Tatsache, daß sich neben seinen Eltern und seiner Schwester seine Gattin sowie drei Kinder im Bundesgebiet aufhalten, sei von einem mit der Ausweisung verbundenen schwerwiegenden Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dessen ungeachtet sei aber die gegen ihn gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens - dringend geboten.

2. Dem tritt die Beschwerde im einzelnen entgegen. Sie bringt insbesondere vor, der Beschwerdeführer lebe im wesentlichen seit 1972 in Österreich und wohne hier zusammen mit seiner langjährigen Lebensgefährtin und nunmehrigen Ehegattin (Heirat am 22. August 1997) und ihren drei Kindern im gemeinsamen Haushalt.

3. Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet.

Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewandt hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie den angewandten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11638/1988, 11857/1988, 11982/1989, 12919/1991, 13241/1992, 13489/1993).

Zwar gesteht die belangte Behörde im bekämpften Bescheid zu, daß es sich bei der verhängten Ausweisung um einen schwerwiegenden Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers handle, die fremdenpolizeiliche Maßnahme sei aber zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens dringend geboten.

Diese besonderen Gründe werden aber nicht konkret angegeben, sondern nur allgemein angenommen. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 14547/1996 zum FremdenG 1992 ausgeführt hat, verlangt der §17 Abs1 FrG 1992 für eine Ausweisung in jedem Fall, daß sich der Fremde nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält; dieser Umstand allein vermöge eine Ausweisung nicht zu rechtfertigen.

Auch auf der Grundlage des FrG 1997 ist notwendige Voraussetzung einer Ausweisung der rechtswidrige Aufenthalt des Fremden im Inland. Für sich allein betrachtet reicht dies nicht aus, eine Ausweisung zu verfügen, vielmehr muß eine solche gemäß §37 Abs1 FrG 1997 zur Erreichung der in Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sein. Solches vermag aber der angefochtene Bescheid nicht plausibel zu vermitteln. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere des langen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und im Hinblick auf die Integration seiner ganzen Familie in Österreich verletzt der angefochtene Bescheid auf Grundlage der hier gewählten Begründung den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; der Bescheid war deshalb aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung

stützt sich auf §88 VerfGG 1953; im zugesprochenen Betrag sind S 3.750,-- an Umsatzsteuer enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B940.1998

Dokumentnummer

JFT_10009778_98B00940_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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