TE Vwgh Erkenntnis 2002/1/29 2001/05/1110

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Veröffentlicht am 29.01.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger-Heis, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. September 2001, Zl. 606.048/6- II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde Nikolsdorf, 2. Bettina Winkler in Wien VIII, Lange Gasse 48/31), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die am 10. August 1974 in Lienz geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit ihrer Kindheit in Nikolsdorf / Bezirk Lienz mit Hauptwohnsitz gemeldet. Seit 24. Mai 2000 ist sie mit einem weiteren Wohnsitz in Wien gemeldet.

Die Zweitmitbeteiligte ist in Wien berufstätig, wobei sie angab, 12-Stunden-Dienste zu absolvieren. Sie bewohnt am gemeldeten weiteren Wohnsitz in Wien eine Untermietwohnung (nähere Angaben über Größe und Ausstattung der Wohnung fehlen). In der Wohnung in Nikolsdorf leben als Mitbewohner die Eltern der Zweitmitbeteiligten und deren Geschwister (nähere Angaben zur Wohnung am Hauptwohnsitz fehlen). Nikolsdorf ist von Wien rund 350 km entfernt. Auf Grund der Angaben der Zweitmitbeteiligten in der Wohnsitzerklärung nahm die belangte Behörde als erwiesen an, dass die Zweitmitbeteiligte ca. 200 Tage berufsbedingt in Wien verbringe und den Weg zum Arbeitsplatz in Wien IX. (vermutlich: AKH) überwiegend von Wien aus antrete. Ihre "gesellschaftlichen Betätigungen" in Nikolsdorf seien in der Dorf- und Familiengemeinschaft gegeben.

Der beschwerdeführende Bürgermeister beantragte mit Eingabe vom 9. Februar 2001 gemäß § 17 Abs. 2 Z. 2 MeldeG die Einleitung eines Reklamationsverfahrens zur Entscheidung darüber, ob die Zweitmitbeteiligte, die in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters mit Hauptwohnsitz angemeldet ist, dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat. Begründet wurde dieser Antrag im Wesentlichen damit, dass im Hinblick auf die qualifizierte (berufliche) Anwesenheit der Zweitmitbeteiligten in Wien, zu welcher keine familiären Bindungen hinzuträten, dieser Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen betrachtet werden müsse, zumal im Hinblick auf die relativ große Entfernung von Nikolsdorf zu Wien die (ursprünglich mit 200 Tagen) angegebene Aufenthaltsdauer in Nikolsdorf nicht der Realität entsprechen dürfte. Wenn man im Übrigen auch noch mit ins Kalkül ziehe, dass die Stadt Wien mit all ihren zahlreichen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Angeboten mit Sicherheit der Zweitmitbeteiligten schon bisher dienlich gewesen sei und weiterhin sein werde, sei Wien als Hauptwohnsitz zu betrachten.

Die Zweitmitbeteiligte führte in ihrer Stellungnahme aus, ihre Familie und Freunde in Nikolsdorf seien für sie der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Nikolsdorf ab. Das Ermittlungsverfahren habe gezeigt, dass der Schwerpunkt der beruflichen Lebensbeziehungen der Zweitmitbeteiligten in Wien, der gesellschaftliche Schwerpunkt der Lebensbeziehungen hingegen in Nikolsdorf liege. Auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens und einer Gesamtbetrachtung der Lebensbeziehungen der Zweitmitbeteiligten reiche der Arbeitsplatz und der zeitweilige Aufenthalt in Wien - somit lediglich der "Schwerpunkt" der Berufstätigkeit - allein nicht aus, um ihren Hauptwohnsitz in Nikolsdorf, der den Mittelpunkt der familiären, gesellschaftlichen und kulturellen Lebensbeziehungen darstelle, aufzuheben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens ohne Gegenschrift, jedoch mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen, vor. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten keine Gegenschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt (wird), ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG 1991) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher - wie auch den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Meldegesetznovelle, BGBl. Nr. 505/1994 (GP XVIII RV 1334), zu entnehmen ist - vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Durchaus möglich ist, dass am Hauptwohnsitz - und damit beim Mittelpunkt der Lebensbeziehungen - wenige oder gar keine beruflichen Lebensbeziehungen bestehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 1999, Zl. 99/05/0076). Diese Regelung hat auch durch die Anfügung des Abs. 8 im § 1 MeldeG mit der Novelle vom 30. März 2001, BGBl. I Nr. 28/2001, keine inhaltliche Änderung erfahren, weil damit nur die in der vorzitierten Regierungsvorlage angeführten Kriterien in Gesetzesform gegossen worden sind.

Ausgehend von der Wohnsitzerklärung steht im Beschwerdefall fest, dass die 27-jährige, ledige Zweitmitbeteiligte in Wien einer zeitintensiven Berufstätigkeit nachgeht. Sie macht soziale und familiäre Beziehungen zu Nikolsdorf geltend, die in Wien nicht bestünden. Die erforderliche Gesamtbetrachtung verleiht der beruflichen Lebensbeziehung ein deutliches Übergewicht. Demgegenüber tritt bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die familiäre Bindung einer ledigen Person umso mehr in den Hintergrund, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat.

In Anbetracht des Alters der Beschwerdeführerin und des Umstandes, dass Nikolsdorf von Wien nicht nur weit entfernt ist, sondern auch schwer erreichbar ist, kann eine derartige Reduktion der gesellschaftlichen Beziehungen zum Heimatort angenommen werden, dass eine Mittelpunktqualität des dortigen Wohnsitzes nicht mehr vorliegt.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit

einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 29. Jänner 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001051110.X00

Im RIS seit

11.04.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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