TE Vwgh Erkenntnis 2002/2/27 2001/05/0946

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Veröffentlicht am 27.02.2002
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
41/02 Melderecht;

Norm

ABGB §44;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §1 Abs8 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §17 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Mai 2000, Zl. 600.519/5-II/13/00, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde B, vertreten durch Beck & Krist Rechtsanwälte-Partnerschaft in 2340 Mödling, Freiheitsplatz 8, 2. S B in B), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuspruch von Kosten wird abgewiesen.

Begründung

Die am xxx in W geborene, verheiratete Zweitmitbeteiligte hat seit 1. Oktober 1996 ihren Hauptwohnsitz in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters gemeldet. Seit 27. April 1999 besteht ein "weiterer aktueller Wohnsitz" in W. Von 1979 bis 1. Oktober 1996 war sie mit Hauptwohnsitz in W, jedoch nicht in der nunmehr angegebenen Unterkunft, gemeldet.

Im Zuge des über Antrag des Beschwerdeführers eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wurde von der Zweitmitbeteiligten über Aufforderung der belangten Behörde die Stellungnahme abgegeben, verheiratet zu sein und mit ihrem Ehegatten, der dort den Hauptwohnsitz hat, gemeinsam in W zu wohnen. Sie arbeite auch in W und trete den Weg zu Arbeitsstätte überwiegend von ihrer W Unterkunft aus an. Sie arbeite jedoch nur gelegentlich. In B sei sie selten. Das Ausmaß des tatsächlichen Aufenthaltes in W gab sie mit: "kleinerer Teil des Jahres" an; sie halte sich nämlich weder an ihrem Haupt- noch Nebenwohnsitz regelmäßig auf und habe nicht vor, noch lange in Österreich zu leben. Gesellschaftliche Betätigungen übe sie an keinem der Wohnsitze aus. Ein besonderes Naheverhältnis habe sie zu B. Dort wohne sie gemeinsam mit ihrer Mutter.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in B ab. Die Zweitmitbeteiligte halte sich an keinem ihrer beiden Wohnsitze regelmäßig auf. In W habe sie zeitweise berufliche sowie familiäre, in B ebenfalls familiäre Anknüpfungspunkte. Eine Gesamtschau zeige, dass sie zwei Mittelpunkte ihrer Lebensbeziehungen habe und daher im Beschwerdefall das subjektive Kriterium des überwiegenden Naheverhältnisses den Ausschlag gegeben habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung der Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die erstmitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen..

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935 klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.

Im Beschwerdefall steht fest, dass die 22-jährige Zweitmitbeteiligte in W (gelegentlich) einer Beschäftigung nachgeht und in W gemeinsam mit ihrem Ehegatten wohnt. Sie macht familiäre Beziehungen zu B geltend, die in W nicht bestünden.

Wohl spielt bei der erforderlichen Abwägung der einzelnen Kriterien die für eine 22-jährige Person im Regelfall noch gegebene familiäre Bindung eine Rolle. Andererseits führt aber die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit zu einer wirtschaftlichen Selbstständigkeit. Die eheliche Lebensgemeinschaft schafft darüber hinaus eine neue familiäre Beziehung (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941).

Diese in W bestehende familiäre sowie die berufliche und die wirtschaftliche Lebensbeziehung muss gegenüber der familiären Lebensbeziehung zur Mutter als derart überwiegend angesehen werden, dass der Mittelpunktcharakter zum Wohnsitz B nicht mehr bejaht werden kann.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - aufzuheben.

Das Kostenersatzbegehren des Beschwerdeführers (angesprochen wurde ein Schriftsatzaufwand) war abzuweisen, weil er nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war (§ 49 Abs. 1 VwGG idF der Novelle BGBl I Nr. 88/1997).

Wien, am 27. Februar 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001050946.X00

Im RIS seit

21.05.2002

Zuletzt aktualisiert am

17.06.2016
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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