TE Vwgh Erkenntnis 2002/2/27 2001/05/1056

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Veröffentlicht am 27.02.2002
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Index

41/02 Melderecht;
61/01 Familienlastenausgleich;

Norm

FamLAG 1967 §2 Abs1 litb;
MeldeG 1991 §1 Abs6;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §17 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. März 2001, Zl. 601.192/5- II/13/00, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Stadtgemeinde Bad Aussee, 2. Waltraud Fahrnberger in 1040 Wien, Danhausergasse 9/22), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Kostenersatzbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die am 19. Oktober 1973 in Eisenerz geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist (jedenfalls) seit 1995 in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters (Bad Aussee) mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz:

MeldeG) gemeldet. Seit 1999 ist die Zweitmitbeteiligte mit einem weiteren Wohnsitz in Wien gemeldet. Sie studiert dort und tritt den Weg zum Studienplatz grundsätzlich von der Wiener Mietwohnung aus an, die sie allein bewohnt.

Im Zuge des vom beschwerdeführenden Bürgermeister eingeleiteten Reklamationsverfahrens gab die Zweitmitbeteiligte über Aufforderung der belangten Behörde im Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes vom Mai 2000 an, in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder (geb. 1987) zum Wochenende und in der Ferienzeit zu wohnen. Ihre gesellschaftlichen Betätigungen in der Heimatgemeinde seien "sehr intensiv"; sie sei staatlich geprüfte Schilehrerin und betreue den Ausseer Sportnachwuchs. Wien sei nur Studienort. Gesellschaftliche Kontakte bestünden in Wien nicht.

Der erstmitbeteiligte Bürgermeister gab eine ähnliche Stellungnahme ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Bad Aussee ab. Der Schwerpunkt der "ausbildungsmäßigen" Lebensbeziehungen der Zweitmitbeteiligten läge in Wien; Familienwohnsitz und gesellschaftlicher Schwerpunkt sei hingegen Bad Aussee. Das soziale Umfeld der Zweitmitbeteiligten sei dort konzentriert. Der Ausbildungsplatz in Wien reiche allein nicht, um den Hauptwohnsitz der Zweitmitbeteiligten in Bad Aussee, der den Mittelpunkt der familiären und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen darstelle, aufzuheben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und beantragte Zuspruch des Vorlageaufwandes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die nunmehr ausdrücklich im § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), genannten Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935 klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.

Bei Studenten hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, im Wesentlichen darauf abgestellt, ob das 26. Lebensjahr vollendet ist; verzögert sich das Studium dermaßen, dass auch die Altersgrenze für die Familienbeihilfe überschritten wird, ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die Nahebeziehung zum Studienort wesentlich verdichtet hat, sodass der Mittelpunktcharakter des Heimatortes im Allgemeinen nicht mehr bejaht werden kann. Davon abzugehen bietet auch der Beschwerdefall keinen Anlass, zumal Studenten typischerweise ihre Ferien am Heimatort verbringen; da der Verwaltungsgerichtshof geringfügigen Nebenbeschäftigungen am Ausbildungsort bei jungen Studenten schon bisher keine Relevanz zugebilligt hat (hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/05/1024), kann es auch keine Rolle spielen, wenn der Student in den Ferien einer Beschäftigung am Heimatort (hier: als Schilehrer) nachgeht.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Das Kostenersatzbegehren (angesprochen wurde der Schriftsatzaufwand) war abzuweisen, weil der Beschwerdeführer nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war (§ 49 Abs. 1 VwGG idF der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997).

Wien, am 27. Februar 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001051056.X00

Im RIS seit

08.05.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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