TE Vfgh Erkenntnis 1999/3/11 V46/98

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Veröffentlicht am 11.03.1999
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
Halte- und ParkverbotsV des Magistrats der Stadt Wien vom 13.01.97 betr Wien 6. Mariahilfer Straße 45-47
StVO 1960 §94f Abs1 litb Z2

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit der Erweiterung eines Halte- und Parkverbots in einer Geschäftsstraße wegen Verletzung des Anhörungsrechts der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer; Antizipation dieser Interessenartikulation im Hinblick auf früher abgegebene Äußerungen in ähnlichen Zusammenhängen verwehrt

Spruch

Die Verordnung des Magistrates der Stadt Wien, Z MA 46-V6-86/97, genehmigt am 13. Jänner 1997, kundgemacht am 8. April 1997, soweit damit

"gemäß §43 Abs1 litc iVm. §94d StVO 1960 in Wien 6., Mariahilfer Straße ONr. 45-47, zwischen dem Beginn des absoluten Halteverbotes und der Gehsteigvorziehung in Höhe des Straßenhofes in der Zeit von Mo - Fr (wt) von 07.00 - 18.00 Uhr das Halten und Parken mit Fahrzeugen aller Art, ausgenommen die Ladetätigkeit mit Lastfahrzeugen, verboten wird und der Hauptbewilligungsträger der Ladezone, die Firma Brieftaube, unverändert bleibt"

wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Wiener Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien ist eine Berufung gegen ein Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, vom 2. September 1997, Z MA 67-RV-048268/7/5, anhängig, mit dem der Berufungswerber gemäß §24 Abs1 lita StVO 1960 schuldig erkannt wurde, sein Fahrzeug am 11. April 1997 in Wien 6., Mariahilfer Straße 45-47, in einem Halte- und Parkverbot abgestellt zu haben, ohne eine Ladetätigkeit vorzunehmen, und über ihn eine Geldstrafe in Höhe von S 900,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 22 Stunden) verhängt wurde.

Aus Anlaß dieses Verfahrens entstanden beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der oben angeführten Halte- und Parkverbotsverordnung.

2. Gestützt auf Art139 Abs1 B-VG iVm. Art129a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG stellte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien den Antrag, die Verordnung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 46, Z MA 46-V6-86/97, durch die unter Punkt 6.d) in Wien 6., Mariahilfer Straße ONr. 45-47, zwischen dem Beginn des absoluten Halteverbotes und der Gehsteigvorziehung in Höhe des Straßenhofes in der Zeit von Mo - Fr (wt) von 07.00 - 18.00 Uhr das Halten und Parken mit Fahrzeugen aller Art, ausgenommen die Ladetätigkeit mit Lastfahrzeugen, verboten wurde, als gesetzwidrig aufzuheben.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hegt das Bedenken, daß die verordnungserlassende Behörde die bezeichnete Halte- und Parkverbotsverordnung in einem nicht den Bestimmungen des §94f StVO 1960 entsprechenden Verfahren erlassen habe. Der Berufungswerber im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien sei ein Rechtsanwalt mit Kanzleisitz außerhalb Wiens. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei davon auszugehen, daß Rechtsanwälte von der gegenständlichen Verordnung in spezifischer Weise betroffen seien, weil die Verordnung für eine Verkehrsfläche vor einer Notariatskanzlei erlassen worden sei, und diese von Rechtsanwälten im allgemeinen aus beruflichen Gründen, wie beispielsweise wegen Beglaubigungen oder Inanspruchnahmen als Gerichtskommissär, aufgesucht werde. Die Verordnung berühre darüberhinaus jedoch auch die spezifischen Interessen von Mitgliedern anderer Berufsgruppen. Die Verordnung sei gesetzwidrig zustande gekommen, weil - wie dem Verordnungsakt zu entnehmen sei - weder die Rechtsanwaltskammer noch eine andere gesetzliche berufliche Interessenvertetung vor Erlassung der gegenständlichen Verordnung angehört worden sei. Vielmehr habe nur die Bundespolizeidirektion für Wien, Bezirkspolizeikommissariat für den 6. Bezirk, die Möglichkeit einer Stellungnahme gehabt.

3. Der Magistrat der Stadt Wien führt in seiner Äußerung aus, daß im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur Umstände, welche die Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe "in spezifischer Weise" durch eine straßenpolizeiliche Verordnung berührt erscheinen lassen, eine Anhörungspflicht gemäß §94f Abs1 StVO 1960 begründen könnten. Mit der gegenständlichen Verordnung sei jedoch lediglich eine bereits bestehende Ladezone in ihrem örtlichen Geltungsbereich geringfügig erweitert worden. Es handle sich daher nur um eine unwesentliche Änderung einer bestehenden Verordnung, wodurch die geschützten Interessen von Berufsgruppen keinesfalls "in spezifischer Weise" berührt würden. Diese geringfügige Änderung bzw. Erweiterung einer bestehenden Ladezone begründe sohin keine spezifische Interessenbetroffenheit irgendeiner Berufsgruppe, welche die verordnungserlassende Behörde zu einem Anhörungsverfahren gemäß §94f Abs1 StVO 1960 verpflichtet hätte. Auch seien die spezifischen Interessen der Berufsgruppe der Rechtsanwälte durch diese Verordnung nicht berührt. Rechtsanwälte seien von der gegenständlichen Verordnung ebenso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer betroffen. Es werde daher die Abweisung des Antrages beantragt.

4. Die Wiener Landesregierung schließt sich in ihrer Äußerung dem Antrag und den Ausführungen des Magistrates der Stadt Wien an.

5. Die mitbeteiligte Partei sieht durch die in Prüfung gezogene Verordnung die Interessen von Rechtsanwälten, Wirtschaftstreibenden und unselbständig Erwerbstätigen gleichermaßen in spezifischer Weise betroffen. Diese Rechtsauffassung habe offenbar auch der Magistrat der Stadt Wien vertreten, weil er vor Erlassung der ursprünglich geltenden Verordnung alle Interessenvertretungen zur Stellungnahme eingeladen habe. Auch eine geringfügige örtliche Anpassung der Ladezone bedeute eine neue Verordnung; diesfalls bestehe neuerlich die Verpflichtung, ein Anhörungsverfahren gemäß §94f StVO 1960 durchzuführen.

Die mitbeteiligte Partei stellt weiters den Antrag auf Ersatz der Kosten des Verfahrens.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof erkennt gemäß Art139 Abs1 B-VG über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag eines Unabhängigen Verwaltungssenates, sofern der Unabhängige Verwaltungssenat gemäß Art129a Abs3 B-VG iVm. Art89 Abs2 B-VG aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken gegen die Anwendung der Verordnung hat. Da der Unabhängige Verwaltungssenat Wien bei seiner Entscheidung über die bei ihm anhängige Berufung der mitbeteiligten Partei die eingangs wiedergegebene Verordnung, deren Übertretung der Berufungswerber für schuldig befunden worden ist, anzuwenden hat, ist der vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien gestellte Antrag gemäß Art139 Abs1 B-VG zulässig.

2. Gemäß §94f Abs1 litb Z2 StVO 1960 ist (außer bei Gefahr im Verzuge) vor Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung die gesetzliche Interessenvertretung einer Berufsgruppe anzuhören, "wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden". Bereits in VfSlg. 5784/1968 hat der Verfassungsgerichtshof angenommen, daß "das Interesse einer Berufsgruppe jedenfalls dann berührt wird, wenn durch eine Verkehrsbeschränkung die Ausübung des betreffenden Gewerbes ... erschwert oder gar unterbunden wird".

3. Es ist im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 5784/1968, 9818/1983, 11920/1988, 13783/1994, 14053/1995) davon auszugehen, daß die Erlassung einer Halte- und Parkverbotsverordnung gemäß §43 Abs1 litc iVm. §94d StVO 1960 jedenfalls die Interessen jener Mitglieder von Berufsgruppen berührt, die im unmittelbaren Umkreis des räumlichen Geltungsbereiches der Verordnung ihren Berufssitz oder ihre Arbeitsstätte haben. Auch der Magistrat der Stadt Wien war offenkundig dieser Rechtsauffassung, weil er - wie dem Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien zu entnehmen ist - vor Erlassung der - ursprünglichen, mittlerweile durch die gegenständliche Verordnung formell aufgehobenen, inhaltlich großteils übereinstimmenden - Verordnung, Z MA 46-V6-1739/95, über eine Halteverbotszone in Wien 6., Mariahilfer Straße ONr. 45-47 (zwischen absolutem Halteverbot und ehemaliger Invalidenzone) mit den Zusätzen Mo - Fr (wt) von

07.00 - 18.00 Uhr, ausgenommen Ladetätigkeit mit Lastfahrzeugen, ein Anhörungsverfahren mit den in Betracht kommenden gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen durchführte.

Mit der nunmehr vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien angefochtenen Verordnung des Magistrates der Stadt Wien, MA 46-V6-86/97, wurde - wie der im Verordnungsakt beiliegenden Planbeilage 1 zu entnehmen ist - das Halte- und Parkverbot in seiner räumlichen Ausdehnung um den Bereich der ehemaligen Invalidenzone (etwa eine Autolänge) erweitert. Der Verfassungsgerichtshof vermag dem Magistrat der Stadt Wien nicht zu folgen, wenn dieser die Anhörung gesetzlicher Interessenvertretungen vor Erlassung der ursprünglichen Halteverbotszone als im Sinne des §94f Abs1 StVO 1960 ausreichend zur Erlassung der nunmehr in Prüfung gezogenen Verordnung bezeichnet, sodaß sich vor Erlassung dieser Verordnung eine neuerliche Anhörung erübrige. Das - behauptete - Fehlen einer Interessenbeeinträchtigung im Zuge einer geringfügigen Ausweitung einer Halte- und Parkverbotszone vermag nicht von der gesetzlichen Anhörungspflicht zu entbinden. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 14053/1995 zu §94f Abs1 lita Z3 StVO 1960 ausgesprochen hat, ist es der gesetzlichen Interessenvertretung anheimgestellt, die Interessen der von ihr repräsentierten Mitglieder in jedes Verfahren zur Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung einzubringen, wenn diese Interessen durch die geplante Verordnung berührt werden. Der für die Erlassung der straßenpolizeilichen Verordnung zuständigen Behörde ist es nämlich verwehrt, diese Interessenartikulation im Hinblick auf früher und in einem anderen (wenn auch ähnlichen) Zusammenhang abgegebene Äußerungen der zuständigen gesetzlichen Interessenvertretungen gleichsam zu antizipieren. Selbst bei Aufhebung einer straßenpolizeilichen Verordnung und ihrer darauffolgenden unveränderten Neuerlassung ist es nämlich möglich, daß aufgrund der Erfahrung, welche die Mitglieder einer gesetzlichen Interessenvertretung mit einer derartigen Verordnung gemacht haben, von der gesetzlichen Interessenvertretung im Zuge der Neuerlassung ein von ihrer früheren Stellungnahme abweichender Standpunkt vertreten wird. Es ist unbestritten, daß keine der in Betracht kommenden gesetzlichen Interessenvertretungen jemals zur Ausweitung der Halte- und Parkverbotszone, welche durch die in Prüfung gezogene Verordnung bewirkt wurde, angehört wurde. Die verordnungserlassende Behörde hätte daher vor Erlassung der gegenständlichen Verordnung jedenfalls der Kammer für Arbeiter und Angestellte und der Wirtschaftskammer die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen müssen, weil in Anbetracht der Bedeutung der Mariahilfer Straße als Geschäftsstraße davon auszugehen ist, daß die Interessen der Mitglieder der im unmittelbaren Umkreis des räumlichen Geltungsbereiches der Verordnung ihren Sitz bzw. ihre Arbeitsstätte habenden Berufsgruppen in spezifischer Weise von der gegenständlichen Verordnung berührt werden.

4. Die Verordnung des Magistrates der Stadt Wien wurde sohin mangels Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretungen der Berufsgruppen, deren Interessen durch die Einrichtung der gegenständlichen Halte- und Parkverbotszone berührt wurden, in Widerspruch zu §94f StVO 1960 erlassen. Sie ist daher gesetzwidrig.

5. Die Verpflichtung zur Kundmachung des Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

6. Im Verfahren nach den §§57 bis 61 VerfGG 1953 ist ein Kostenersatz nicht vorgesehen. Bei Antragstellung durch einen Unabhängigen Verwaltungssenat ist es Aufgabe dieser Behörde, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für ihr Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (vgl. VfSlg. 14631/1996 uva.)

Es waren daher der mitbeteiligten Partei keine Kosten zuzusprechen.

7. Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Beratung gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 beschlossen werden.

Schlagworte

Verordnungserlassung, Straßenpolizei, Halte(Park-)verbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:V46.1998

Dokumentnummer

JFT_10009689_98V00046_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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