TE Vfgh Erkenntnis 1999/6/7 B891/97, V235/97

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Veröffentlicht am 07.06.1999
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
VfGG §57 Abs1
Wr BauO 1930 §6 Abs8
Wr BauO 1930 §134 Abs3
Wr BauO 1930 §134a

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung der Berufung des Inhabers einer gewerblichen Betriebsanlage gegen eine Baubewilligung zur Errichtung einer Wohnhausanlage auf dem Nachbargrundstück mangels Parteistellung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Stadt Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertreter die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

II. Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Zur Beschwerde:

1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 2516, KG Margareten, ... Auf diesem Grundstück besteht eine mit Bescheid vom 1. März 1926 gewerbebehördlich genehmigte Betriebsanlage, nämlich eine Autospenglerei. Im Obergeschoß sind Kleingewerbebetriebe (ua. eine Näherei) untergebracht.

Die beteiligte "A Gesellschaft m.b.H" ist Eigentümerin der angrenzenden Liegenschaft EZ 2505, KG Margareten, ... Sie hat die Bewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses mit drei Stiegenhäusern, enthaltend 170 Wohnungen und Geschäftslokalflächen im Ausmaß von 1.295 m2 sowie einer dreigeschossigen, hauseigenen Tiefgarage beantragt.

Mit Bescheid vom 5. November 1996 hat der Magistrat der Stadt Wien die Baubewilligung erteilt und die Einwendungen des Beschwerdeführers bezüglich der Punkte

"1.)

Verminderung der Qualität der Wohnverhältnisse des Neubaues durch die Weiterführung des bestehenden Gewerbebetriebes (Spenglerei)

2.)

Höherführung der Abluftleitungen und Rauchfänge auf der Liegenschaft der Spenglerei, bedingt durch den Neubau

3.)

Benutzung des eigenen Grundstückes für baubedingt notwendige Instandhaltungsarbeiten nach Vollendung des Neubaues"

als im Gesetz nicht begründet abgewiesen.

Die vorgebrachten Einwendungen betreffend die Punkte

"4.)

Gesundheitliche Belange durch den Betrieb des Supermarktes und der Wohnungen

5.)

Genehmigung innerhalb des eigenen Gewerbebetriebes

6.)

Beeinträchtigung der Gewerbeausübung des Spenglereibetriebes durch den baustellenbedingten Lastwagenverkehr

7.)

Gehsteigverunreinigung und Einfahrtsbehinderung im Bereich der Spenglerei durch mögliche Absperrungen am öffentlichen Gut

8.)

Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 1990, GZ B1368/87, betreffend Sicherstellung der Qualität von Wohnverhältnissen"

wurden als unzulässig zurückgewiesen.

Die vorgebrachten Einwendungen betreffend die Punkte

"9.)

Bauzustandsaufnahme vor Baubeginn

10.)

Kosten für privatrechtliche Vereinbarungen (Grundbuchseintragungen etc.)

11.)

Verdienstentgang"

wurden als privatrechtliche Einwendungen beurteilt und es wurden die Streitteile auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

2. Die dagegen erhobene Berufung hat die Bauoberbehörde für Wien mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §66 Abs4 AVG mangels Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen.

Begründet wird diese Entscheidung im wesentlichen folgendermaßen:

"Die vom nunmehrigen Berufungswerber im Verfahren vorgebrachten Einwendungen sind nicht unter die erschöpfend aufgezählten subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte zu subsumieren. Wenn sich der Berufungswerber auf das Verfassungsgerichtshoferkenntnis vom 28.9.1990, Zl. B1368/87, beruft, so übersieht er, daß sich mittlerweile durch die Novelle zur Bauordnung LGBl. für Wien Nr. 34/1992 die Rechtslage verändert hat.

Da dem Berufungswerber infolge des Fehlens von Einwendungen im Sinne des §134a BO keine Parteistellung gemäß §134 BO zukommt, war auf sein Berufungsvorbringen nicht weiter einzugehen, sondern die Berufung mangels Parteistellung zurückzuweisen."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art5 StGG) sowie in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen (der Verordnung des Gemeinderates der Stadt Wien vom 26. Juni 1996, PD 6763, und - in eventu - des §134a lite Bauordnung für Wien) behauptet wird.

4. Die belangte Behörde hat unter Vorlage der Verwaltungsakten eine Gegenschrift erstattet und die Abweisung der Beschwerde beantragt. Begründend wird ausgeführt:

"Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung von Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof zu §8 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes ist die Frage, wer Parteistellung in dem jeweiligen Verwaltungsverfahren besitzt, auf Grund der materiellen Verwaltungsvorschrift zu beantworten. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung die tatsächliche Betroffenheit als für die Parteistellung nicht ausreichend beurteilt und dem einfachen Gesetzgeber hier eher weite verfassungsrechtliche Schranken gesetzt. Hiebei wird auf die Verfassungsgerichtshoferkenntnisse vom 11. März 1978, Slg. 8279, und vom 21. März 1986, Slg. 1048, verwiesen. Im Erkenntnis vom 11. März 1978 wird ausgeführt, daß abgesehen von Einzelfällen wie Art119a Abs9 B-VG (Parteistellung der Gemeinde im aufsichtsbehördlichen Verfahren), die Verfassung keine Parteienrechte in einem bestimmten Verfahren bzw. in einem bestimmten Umfang garantiert. Aus dem rechtsstaatlichen Prinzip läßt sich eine bestimmte Ausgestaltung von Parteienrechten (hier Nachbarrechte) nicht ableiten. Im Erkenntnis vom 21. März 1986 hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, daß die beschränkte Parteistellung nach §7 Abs1 lita Salzburger Baupolizeigesetz nicht den Gleichheitssatz verletze, da der Gesetzgeber keine unsachliche Differenzierung vorgenommen habe.

Ohne einem allfälligen Gesetzprüfungsverfahren und der Stellungnahme des zuständigen Organes vorzugreifen, erscheint es für die belangte Behörde nicht erkennbar, warum der Beschwerdeführer eine unsachliche Differenzierung erkennen will, wenn nunmehr im Gesetz einheitlich geregelt wurde, daß der Nachbar nur mehr die Verletzung der in §134a BO taxativ aufgezählten subjektiv-öffentlichen Rechte geltend machen kann. In diesem Zusammenhang darf auf den Artikel von Wolfgang Hauer, 'Kann sich der Inhaber eines immissionsträchtigen Betriebes im Baubewilligungsverfahren gegen eine heranrückende Wohnbevölkerung wehren?' (ÖJZ 1995, 50. Jahrgang, Heft 10) hingewiesen werden, in dem unter anderem folgendes ausgeführt wird:

'Durch diese Rechtslage wurde sowohl in räumlicher Hinsicht als auch inhaltlich die Rechtsstellung der Nachbarn stark eingeschränkt. Wenn der §134a lite BO nun eine Auslegung ausschließt, daß ein Schutz für immissionsträchtige Betriebe gegeben ist, hat der Wiener Landesgesetzgeber damit dem Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit genommen, §6 Abs8 BO verfassungskonform im Sinne des Wiener Erkenntnisses auszulegen. Der Verfassungsgerichtshof könnte meines Erachtens nur die Bestimmung des §134a lite BO als verfassungswidrig aufheben, sollte er bei seiner Auffassung bleiben, daß der Schutz des Betriebsinhabers im aufgezeigten Sinn Gegenstand einer gesetzlichen Regelung sein muß, wenn der Wohnbevölkerung ein Schutz vor Immissionen gewährleistet wird; eine solche Regelung ist im Interesse eines wohlverstandenen Umweltschutzes - soll vorausschauende Raumordnung überhaupt einen Sinn haben - sachlich gerechtfertigt, also nicht gleichheitswidrig. Daß der Landesgesetzgeber das Ziel verfolgen darf, Wohngebiete von Betrieben freizuhalten, hat im übrigen auch der Verfassungsgerichtshof schon betont. Ich kann jedenfalls keine Verfassungswidrigkeit darin erblicken, daß in bestimmten Bereichen des Baulandes ein immissionsträchtiger Betrieb nicht errichtet bzw. erweitert werden darf bzw. ein bestehender Betrieb wegen der von ihm ausgehenden Immissionen weitere Beschränkungen auf sich nehmen muß oder tatsächlich abzusiedeln ist. Bestimmte Betriebe dürfen eben nur in den dafür vorgesehenen Widmungskategorien, etwa im Industriegebiet nach §6 Abs1 BO errichtet werden, in der die Errichtung von Wohnbauten unzulässig ist.'

Es erfolgte somit keine restriktive Auslegung des §6 Abs8 BO wie der Beschwerdeführer vermeint, sondern es waren die Einwendungen diesbezüglich mangels Parteistellung gar nicht zu prüfen.

Weiters erlaubt sich die belangte Behörde auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. September 1962, Zl. 1263/61, hinzuweisen, in dem ausgeführt wird, daß wirtschaftliche Interessen nur dann einen rechtlichen Schutz genießen, wenn dieser vom Gesetz ausdrücklich eingeräumt wird. Die vom nunmehrigen Beschwerdeführer in der Verhandlung und in der Berufungsschrift vorgebrachten Einwendungen beziehen sich unter anderem auf eine Verletzung seiner wirtschaftlichen Interessen. Diesbezüglich hat aber die Wiener Bauordnung keinen Schutz unter Einräumung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte vorgesehen.

Was die weiteren Ausführungen bezüglich des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes betrifft, kann darauf nicht weiter eingegangen werden, ohne der Stellungnahme des zuständigen Organes in einem allfälligen Verordnungsprüfungsverfahren vorzugreifen. Es darf jedoch bemerkt werden, daß der Beschwerdeführer gerade darauf hinzielt, daß sein Einzelinteresse nicht berücksichtigt wurde, obwohl er selbst ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (VwSlg. 6785A) zitiert, wonach Einzelinteresse eines Beteiligten keine nach dem Gesetz zu berücksichtigenden Gründe für die Abänderung eines Flächenwidmungsplanes darstellen."

5. Die beteiligte Gesellschaft hat ebenfalls eine Äußerung erstattet und die Abweisung der Beschwerde mit folgender Begründung beantragt:

"1./ Zum Sachverhalt: Der Sachverhalt ist richtig, jedoch unvollständig:

a ) Dem Plandokument Nr. 6763 laut Gemeinderatsbeschluss vom 26.6.1996 voraus ging das Plandokument 6093 von 1988, in dem die selben Bauklassen III. und IV. ausgewiesen waren, jedoch ohne Wohnzone entlang der Stolberggasse.

b) Der Beschwerdeführer verschweigt, daß der gegenständliche Neubau nur anstelle eines Altbaues tritt, der ca. 6.500 m2 Nutzfläche, mit derselben Bauklasse III/IV und der nämlichen U-Form tritt. Auch rundherum sind seit Jahren bestehende Wohnbauten, die zum Teil näher liegen als der Neubau.

c) Die Abänderung von 'gemischten Baugebiet' in Wohngebiet gilt nur für den Neubau von Objekten, nicht jedoch betrifft diese Widmung die derzeitige Nutzung der Grundstücke im Rahmen des Altbaues. Auch Nutzungen gewerblicher Art im Rahmen gegebener Betriebsanlagengenehmigungen stehen der Umwidmung in Wohngebiet nicht entgegen. Der Beschwerdeführer hat die behördlichen Auflagen durch Gesetz und Anlagenbetriebsgenehmigungsbescheid einzuhalten, gleichgültig wie die Flächenwidmung gelautet hat oder lautet und gleichgültig, ob am Nachbargrundstück ein Neubau errichtet und/oder der Altbau belassen wird.

2./ Zum Beschwerdepunkt:

a) Dem weiteren Betrieb der Autospenglerei und Autolackiererei gemäss der Betriebsanlagengenehmigung steht nichts entgegen, weder die Widmung am Neubaugrundstück der AWG noch die Widmung des Grundstückes des Beschwerdeführers auf seinem Grundstück hindern ihn am Betrieb.

b) Der Neubau (Wohnhaus) wäre sowohl nach dem alten als auch dem neuen Plandokument zu bewilligen, da im 1. Fall 'gemischtes Baugebiet' und im 2. Fall nur Wohnbau am Grundstück der AWG durch Gemeinderatsbeschluss festgelegt wurde. Die Baugenehmigung stützt sich nur auf jenen Teil des Plandokumentes, der das Grundstück der AWG betrifft, nicht auch auf das Grundstück des Beschwerdeführers. Da der Beschwerdeführer das alte Plandokument und den alten Gemeinderatsbeschluss als verfassungswidrig nicht bekämpft, kann er nunmehr das neue Plandokument nicht bekämpfen, da er bezogen auf die Baugenehmigung durch den Gemeinderatsbeschluss vom 26.6.1996 nicht schlechter gestellt wird.

c) In Wahrheit richtet sich der Beschwerdeführer nur gegen die Widmungsänderung bezüglich seines eigenen Grundstückes von 'gemischten Wohngebiet' in Wohnbau; dieser Teil des Plandokumentes ist aber nicht Rechtsgrundlage für die Baugenehmigung und sohin kann die Widmung am Grundstück des Beschwerdeführers selbst nicht Gegenstand der nunmehrigen Beschwerde sein.

d) Der Umstand, daß die nach der Betriebsanlagengenehmigung zulässigen Immissionen an Lärm und Geruch vielleicht einem Bewohner nicht gefallen, ändert nichts daran, daß die zulässigen Immissionen behördlich genehmigt sind und sohin dem Beschwerdeführer daraus kein Nachteil erwächst.

e) Im konkreten Fall ist es so: Der Lärmschutz-Sachverständige hat im Bauverfahren gutachtlich festgestellt, daß die zulässigen Lärmschutzobergrenzen beim Betrieb des Beschwerdeführers zum Grossteil nicht einmal die Hälfte erreichen. Zusätzliche Lärmschutzmassnahmen aufgrund einer versuchten Vereinbarung zwischen dem Beschwerdeführer und AWG konnte allein wegen dem Beschwerdeführer nicht realisiert werden. Der Beschwerdeführer verlangte völlig unzumutbare Bedingungen, wie z.B. generelle Erfolgshaftung aller zukünftigen Wohnungseigentümer, für den Fall unberechtigter Beschwerden auch nur eines Wohnungseigentümers, die servitutsmässige Verankerung und Akzeptanz der zukünftigen Wohnungseigentümer von Lärmschutzwerten, die weit unter der gesetzlichen Norm liegen u.a. mehr. Vorgesehen waren Lärmschutzmassnahmen im Betrag von/bis S 1,3 Mio (Flugdach über dem Hof, Lärmblenden und Motorendämpfung) -aber all dies konnte aufgrund der Divergenzen und masslosen Forderungen des Beschwerdeführers nicht realisiert werden.

3./ Der Stadt Wien und dem Gemeinderat als Gesetzgeber die Verbauungsbestimmungen steht das Recht zu, die Widmungen zu ändern; in bestehendes gewerbliches Recht wird dadurch nicht eingegriffen und ein Verstoss gegen das garantierte Eigentum ist nicht gegeben. Der Beschwerdeführer ist in keinem Eigentumsrecht verletzt und versucht nur durch Einspruch, Verzögerung und Drohung, den Neubau hintanzuhalten, um sich unberechtigte und im Gesetz nicht vorgesehene Vorteile zu sichern. Der Verfassungsgerichtshof hat mehrmals und wiederholt die Kompetenz des Gemeinderates für die Grundstückwidmung bestätigt. Dies umsomehr, wenn die gegebenen Bauklassen III. und IV. im engen städtischen Gebiet ausser Diskussion stehen und sich die Baugenehmigung auf eine Widmung bezieht, die nach dem alten und neuen Dokument den Wohnbau zulässt. Zeitlich total überholte und nicht vergleichbare VfGH-Erk. ('grüne Wiese') sind im gegenständlichen Fall nicht relevant."

II. Zur Zulässigkeit des (Individual-)Antrages:

1. Der Antragsteller begehrt "direkt" gemäß Art139 Abs1 B-VG die Aufhebung der - seiner Ansicht nach gegen das Eigentumsrecht verstoßenden - Verordnung des Gemeinderates der Stadt Wien vom 26. Juni 1996, Pr. Zl. 84 GPS/96, Plandokument 6763.

2. Gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. In einem solchen Antrag ist auch darzutun, inwieweit die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für den Antragsteller wirksam geworden ist (§57 Abs1 letzter Satz VerfGG 1953).

2.1. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Antrag läßt nicht erkennen, aus welchen Gründen durch die bekämpfte Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingegriffen wird. Schon aus diesem Grund ist der Antrag wegen eines nicht behebbaren Formgebrechens als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 11323/1987, 12797/1991).

3. Die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 letzter Satz B-VG setzt auch voraus, daß für den Rechtsschutz kein anderer zumutbarer Weg als die Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof zur Verfügung steht (vgl. VfSlg. 8118/1977, 8210/1977, 9041/1981).

3.1. Ein solcher Weg ist hier aber gegeben, da der Antragsteller im nächsten Rechtsgang die Möglichkeit hat, Einwendungen zu erheben, über welche bescheidmäßig abzusprechen ist. Gegen einen derartigen Bescheid kann nach Erschöpfung des verwaltungsbehördlichen Instanzenzuges Beschwerde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts erhoben werden, womit dem Antragsteller die Möglichkeit geboten wird, sämtliche gegen die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung sprechenden Bedenken darzulegen und die Einleitung eines Verordnungsprüfungsverfahrens durch den Verfassungsgerichtshof von Amts wegen anzuregen (vgl. VfSlg. 8652/1979, 10356/1985, 10856/1986, 11045/1986).

3.2. Somit fehlt dem Antragsteller schon deshalb die Legitimation zur Stellung eines Antrages nach Art139 Abs1 (letzter Satz) B-VG, was gleichfalls zur Zurückweisung des Antrages führen muß.

III. 1. Die für den vorliegenden

Fall maßgeblichen Bestimmungen der Bauordnung für Wien lauten:

"§134 (1)...

(3) Im Baubewilligungsverfahren und im Verfahren zur Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften sind außer dem Antragsteller (Bauwerber) die Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaften Parteien. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind wie Eigentümer der Liegenschaft zu behandeln. Die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften sind dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im §134 a erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des §134a gegen die geplante Bauführung erheben. Alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden, sind Beteiligte (§8 AVG). Benachbarte Liegenschaften sind im Bauland jene, die mit der vom Bauvorhaben betroffenen Liegenschaft eine gemeinsame Grenze haben oder nur durch Fahnen oder eine höchstens 20 m breite öffentliche Verkehrsfläche von dieser Liegenschaft getrennt sind und im Falle einer Trennung durch eine öffentliche Verkehrsfläche der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen. In allen übrigen Widmungsgebieten sowie bei Flächen des öffentlichen Gutes sind jene Liegenschaften benachbart, die in einer Entfernung von höchstens 20 m vom geplanten Gebäude oder der geplanten baulichen Anlage liegen.

...

Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte

§134a. Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§134 Abs3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, werden durch folgende Bestimmungen, soferne sie ihrem Schutze dienen, begründet:

...

e) Bestimmungen, die den Schutz vor Immissionen, die sich aus der widmungsgemäßen Benützung eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage ergeben können, zum Inhalt haben. Die Beeinträchtigung durch Immissionen, die sich aus der Benützung eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage zu Wohnzwecken oder für Stellplätze im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß ergibt, kann jedoch nicht geltend gemacht werden."

              2.              Im vorliegenden Fall vertritt die belangte Behörde - ebenso wie im mit VfSlg. 14943/1997 beendeten Verfahren - die Auffassung, daß die im Hinblick auf die mit der Bauordnungsnovelle LGBl. für Wien 34/1992 bewirkte Neuregelung der Nachbarrechte im Bauverfahren (va. der §§134 Abs3 und 134 a BauO) die von der beschwerdeführenden Partei vorgebrachten Einwendungen nicht "unter (die) erschöpfend aufgezählten subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte zu subsumieren" seien und ihre gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung daher mangels Parteistellung zurückzuweisen sei.

Mit dieser Auffassung ist die belangte Behörde jedoch nicht im Recht.

3. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner in VfSlg. 12468/1990 entwickelten Auffassung (die in ihrer Grundtendenz im Erkenntnis VfSlg. 13210/1992 fortgeführt wurde), derzufolge §6 Abs8 BauO - der seither keine Änderung erfahren hat - ausdehnend dahin auszulegen ist, daß er auch das Verbot einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Wohnqualität für den Fall enthält, daß die Quelle der Emissionen (hier: die gewerbliche Betriebsanlage) bereits besteht und erst durch die (zeitlich nachfolgende) Errichtung von Wohnhäusern ihre beeinträchtigende Wirkung entfalten kann (vgl. VfSlg. 14943/1997).

Anders als die belangte Behörde offenbar meint, wurde durch die oben wiedergegebene Neufassung der Bestimmungen des §134 Abs3 und des §134a BauO in Fällen wie dem hier vorliegenden für den Inhaber einer benachbarten gewerblichen Betriebsanlage die rechtliche Möglichkeit nicht beseitigt, als Partei im Baubewilligungsverfahren Einwendungen gegen eine "heranrückende Wohnverbauung" geltend zu machen. Dies auf Grund folgender Überlegung:

In Verbindung mit §6 Abs8 BauO in der Auslegung, die diese Bestimmung in dem oben erwähnten Erkenntnis erfahren hat, ist der Wortgruppe "soferne sie ihrem Schutz dienen" im Einleitungssatz des §134a BauO sowie dem Tatbestand des §134a lite leg. cit. als solchem (arg.: "Bestimmungen, die den Schutz vor Immissionen, die sich aus der widmungsgemäßen Benützung eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage ergeben können, zum Inhalt haben") auch der Fall des Inhabers einer gewerblichen Betriebsanlage zu unterstellen, dessen rechtliche Interessen durch die Bewilligung einer Wohnbebauung auf dem Nachbargrundstück deshalb tangiert werden, weil er - iS der Vorerkenntnisse - "mit Auflagen der Gewerbebehörde (gegebenenfalls mit weiteren Auflagen gemäß §79 Abs2 der Gewerbeordnung) zum Schutz der Nachbarschaft rechnen muß".

Ausgehend davon ergibt sich daher, daß die belangte Behörde - weil sie die Unzulässigkeit der Berufung zu Unrecht mit dem Mangel der Parteistellung des Berufungswerbers begründete - der beschwerdeführenden Partei mit der bekämpften Entscheidung zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert hat. Damit hat sie deren verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. VfSlg. 9094/1981). Der bekämpfte Bescheid war daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.000,- auf die Umsatzsteuer.

IV. Die Zurückweisung des (Individual-)Antrages konnte gemäß §19 Abs3 Z2 litc und e VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Von einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 abgesehen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Formerfordernisse, Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan, Baurecht, Nachbarrechte, Parteistellung Baurecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B891.1997

Dokumentnummer

JFT_10009393_97B00891_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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