TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/21 2000/20/0189

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Veröffentlicht am 21.03.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §13 Abs1;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des J C in Linz, geboren am 20. Juni 1973, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Klosterstraße 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Februar 2000, Zl. 211.278/3-V/14/00, betreffend § 13 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 21. August 1997 in das Bundesgebiet ein und stellte am 27. August 1997 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. September 1997 führte der Beschwerdeführer, der seinen Angaben zufolge in der Armee Sierra Leones als KFZ-Mechaniker tätig gewesen ist, unter anderem aus, dass er nach einem Angriff der Rebellen seine Frau tot vorgefunden habe. Er habe sie in ihrer Heimatstadt, vier Stunden außerhalb von Freetown, begraben. Aufgrund der Nachricht vom Tod seiner Frau habe seine Mutter einen Herzinfarkt erlitten, an dem sie gestorben sei. Der Beschwerdeführer sei ins Camp zurückgekehrt, habe sich eine Waffe genommen und sei davongelaufen. Er habe die Personen, die seine Frau getötet hätten, finden und ebenfalls töten wollen. Schließlich habe er die Rebellen gefunden und lediglich zwei von ihnen erschossen, da er mit den anderen Mitleid gehabt habe. Er sei dann um sein Leben gelaufen, habe jedoch kein bestimmtes Ziel gehabt. Sierra Leone habe er wegen des Todes seiner Frau und seiner Mutter verlassen. Wären diese noch am Leben, so hätte er sein Land trotz der dortigen Unruhen nicht verlassen. "Außerdem" befürchte er eine Racheaktion seitens der Rebellen, weil er zwei von ihnen getötet habe.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 8. September 1997 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. Begründend legte das Bundesasylamt dar, dass der Beschwerdeführer keinen tauglichen Asylgrund im Sinne des Asylgesetzes 1991 vorgebracht habe. Außerdem sei der Beschwerdeführer bereits in anderen Staaten, die er auf seiner Flucht durchreist habe, sicher vor Verfolgung gewesen.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid appellierte der Beschwerdeführer im Wesentlichen um Gnade.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 13 Abs. 1 Asylgesetz 1997 ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer durch sein Vorgehen ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen habe. Die Tötung von zwei Personen aus Rache stelle zweifellos ein schweres Verbrechen mit jedenfalls überwiegend kriminellem Charakter dar. Der Umstand, dass der Asylwerber die Tat kurz nach der Ermordung seiner Gattin und dem Tod seiner Mutter auf Grund eines Herzinfarkts begangen habe, könne dieser den Charakter eines schweren, nicht politischen Verbrechens nicht nehmen, zumal der Asylwerber nicht unmittelbar als Reaktion auf den die Geschehnisse auslösenden Mord gegen die Täter vorgegangen sei, sondern sich erst nach einigen Stunden eine Waffe genommen, die Rebellen gesucht und aus Rache zwei von ihnen erschossen habe. Bei diesem Sachverhalt könne von einer Notwehrsituation nicht die Rede sein, sei der Asylwerber doch nach seinen Angaben in keiner Weise angegriffen worden. Auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes und des vom Asylwerber begangenen kriminellen Racheaktes sei ihm kein Asyl zu gewähren und offensichtlich, dass der Ausschlussgrund des Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) vorliege. Ob und inwiefern dem Asylwerber in seinem Heimatland Verfolgungshandlungen - von welcher Seite auch immer - drohen, könne angesichts der konkreten und unzweifelhaften Ausführungen seinerseits dahingestellt bleiben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. In Ergänzung dazu bestimmt § 13 Abs. 1 AsylG, dass Asyl ausgeschlossen ist, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F FlKonv genannten Ausschlussgründe vorliegt. Nach der - hier in Betracht kommenden - lit. b des Art. 1 Abschnitt F FlKonv sind die Bestimmungen dieser Konvention auf Personen nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie, bevor sie als Flüchtlinge in das Gastland zugelassen wurden, außerhalb desselben ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben.

Eine Tat, wie sie der Beschwerdeführer gesetzt hat (das Töten zweier Menschen), kann zwar unter obgenannten Umständen, von denen die belangte Behörde sachverhaltsmäßig ausgegangen ist, als schweres, nicht politisches Verbrechen angesehen werden. Dennoch kommt der vorliegenden Beschwerde im Ergebnis Berechtigung zu.

Die belangte Behörde hat in ihrer Entscheidung und damit erstmals im Verfahren den Asylausschlussgrund des Art. 1 Abschnitt F lit. b FlKonv herangezogen und als gegeben angenommen. Sie hat diesbezüglich ohne weitere Ermittlungen die Feststellungen der Behörde erster Instanz übernommen.

Die Heranziehung des Art. 1 Abschnitt F lit. b FlKonv erfordert jedoch typischerweise Sachverhaltsermittlungen, zu denen jedenfalls auch der Beschwerdeführer beizuziehen gewesen wäre, damit der Sachverhalt als umfassend geklärt angesehen werden könnte (so sind z.B. Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen und muss die Tat auch in subjektiver Hinsicht schwerwiegend sein, vgl. Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, 1999, Rz 449). Die Bedachtnahme auf alle relevanten Faktoren der Tat (vgl. UNHCR-Handbuch, Abs. 157, und die ergänzenden Ausführungen den UNHCR in einem aktuellen Positionspapier, Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (2001), Absatz 45) und damit verbunden eine entsprechend umfassende Beweiswürdigung ist von vornherein nur möglich, wenn dem Asylwerber bekannt ist, dass es im Verfahren um die Anwendbarkeit des in Rede stehenden Asylausschlussgrundes geht, und er die Gelegenheit hat, dazu eine Stellungnahme abzugeben (zu dem diesbezüglichen Informationsrecht des Asylwerbers und dem Recht, dazu mündlich gehört zu werden, vgl. etwa Bliss in: Sonderheft des International Journal of Refugee Law - IJRL, Vol. 12, Winter 2000, Seiten 100 ff). Der entsprechende Vorhalt wäre von der belangten Behörde im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vorzunehmen gewesen. Bei einer solchen mündlichen Verhandlung hätte der Beschwerdeführer auch die Möglichkeit gehabt, an Stelle der ursprünglichen Behauptungen sein nunmehriges Beschwerdevorbringen darzulegen, dass die Tötungen bei Gefechtshandlungen stattgefunden hätten, an denen er als Angehöriger des Militärs von Sierra Leone beteiligt gewesen sei.

Darüber hinaus ist in einem Asylverfahren jedenfalls zu prüfen, ob und welche Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 FlKonv dem Asylwerber droht. In diesem Sinn ist von den Behörden in jedem Fall zu untersuchen, ob der Asylwerber überhaupt die Voraussetzungen der genannten Bestimmung erfüllt. Diesbezüglich finden sich im angefochtenen Bescheid jedoch keine Ausführungen. Es ist ihm nicht ausdrücklich entnehmbar, ob die belangte Behörde, indem sie § 13 Abs. 1 AsylG für ihre Entscheidung herangezogen hat, die Möglichkeit einer asylrelevanten Verfolgung des Beschwerdeführers entgegen der Annahme der Behörde erster Instanz bejaht hat (zur allenfalls bestehenden Erforderlichkeit einer Güterabwägung bei der Frage, ob im Übrigen Art. 1 Abschnitt F lit. b FlKonv anzuwenden ist, indem die Art - Verwerflichkeit - der Straftat, derer der Asylwerber verdächtig ist, und der Grad der befürchteten Verfolgung gegeneinander abzuwägen sind, vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0372).

Die belangte Behörde hat es vielmehr ausdrücklich dahingestellt gelassen, ob und inwiefern dem Asylwerber in seinem Heimatland asylrelevante Verfolgungshandlungen drohen. Dies widerspricht, auch wenn ein schweres, nicht politisches Verbrechen als gegeben angesehen wird, der Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtshofes, die er in dem bereits genannten Erkenntnis vom 31. Jänner 2002 zum Ausdruck gebracht hat. Indem die belangte Behörde ausdrücklich eine Auffassung vertrat, wonach Verfolgungshandlungen gegen den Asylwerber in seinem Heimatland nicht von Bedeutung seien, hat sie die Rechtslage verkannt.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 21. März 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200189.X00

Im RIS seit

08.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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