TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/22 2001/02/0046

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Veröffentlicht am 22.03.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §4 Abs5;
VStG §44a Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des JK in W, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 18. Jänner 2001, Zl. E 002/05/2000.210/002, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 18. Jänner 2001 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe als Lenker eines dem Kennzeichen nach näher bestimmten Pkw's am 19. Juli 1999 um 20.28 Uhr in P nach einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden, mit dem er durch sein Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle von diesem Verkehrsunfall verständigt, obwohl ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift mit der Person, in deren Vermögen der Schaden eingetreten sei, nicht erfolgt sei.

Er habe eine Übertretung gemäß § 4 Abs. 5 StVO begangen. Es wurde eine Geldstrafe in der Höhe von S 2.000,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafe von 67 Stunden) verhängt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, sie gehe auf Grund der unter Wahrheitspflicht bei sonstiger Sanktionsdrohung erstatteten Zeugenaussage der unbeteiligten U, ihrer dem Aussehen des Beschwerdeführers entsprechenden Personenbeschreibung und der "korrespondierenden Schäden an den unfallbeteiligten Fahrzeugen", die der Beschwerdeführer den Ausführungen in der Anzeige zufolge nicht zu erklären vermocht habe, vom Vorliegen eines Verkehrsunfalles aus, mit dem der Beschwerdeführer im ursächlichen Zusammenhang stehe. Der "Umstand, dass bei der Kollision der Außenspiegel der verfahrensgegenständlichen Fahrzeuge, die sich als ein Streifen der PKW bei Parallelfahrt darstellt, der Außenspiegel des vom Berufungswerber (Anmerkung: des Beschwerdeführers) gelenkten PKW im Gegensatz zum Außenspiegel des unfallbeteiligten Fahrzeuges unbeschädigt blieb", stehe "dem nicht entgegen" und es sei "ein solches Schadensbild dem Erfahrungsschatz des erkennenden Mitgliedes des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland aus anderen anhängig gewesenen Geschäftsfällen entsprechend, nicht unüblich". Die Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens könne daher unterbleiben. Auf Grund der Zeugenaussage sei ein lautes Aufprallgeräusch verursacht worden und es habe der Beschwerdeführer den Schaden auch besichtigt. Damit sei erwiesen, dass er vom Eintritt eines Sachschadens anlässlich dieses Verkehrsunfalles Kenntnis gehabt habe. Eine Verständigung der nächsten Polizei- und Gendarmeriedienststelle von diesem Verkehrsunfall habe der Beschwerdeführer nicht behauptet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Insoweit der Beschwerdeführer als inhaltliche Rechtswidrigkeit rügt, dass das "erstinstanzliche Erkenntnis" weder in seinem Spruch noch in seiner Begründung eine behördliche Angabe dahingehend enthalten habe, mit welchem Fahrzeug das Fahrzeug des Beschwerdeführers kollidiert sein solle, zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit auf. Denn im Spruch eines Straferkenntnisses hinsichtlich Übertretungen u.a. gemäß § 4 Abs. 5 StVO ist es weder erforderlich, den anderen Verkehrsteilnehmer zu konkretisieren (darunter fällt auch die Zitierung des Kennzeichens des beschädigten Fahrzeuges), noch anzuführen, welcher Person der Schaden erwuchs, an welcher Stelle der Schaden eintrat und welcher Art und welchen Ausmaßes der Schaden war. Diese Umstände stellen keine wesentlichen Tatbestandsmerkmale dieser Übertretung dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 1988, Zl. 88/03/0047).

Der Beschwerdeführer bekämpft einerseits die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung und rügt andererseits die Unterlassung der Beiziehung eines verkehrstechnischen Sachverständigen als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Damit ist er im Ergebnis im Recht:

Im gegenständlichen Fall liegen Ungereimtheiten vor, die von der belangten Behörde nicht bzw. nicht ausreichend behandelt oder geklärt wurden:

a) In den beiden von dem die Erhebungen führenden Gendarmen R. erstatteten Meldungen vom 20. Juli 1999 bzw. 16. August 1999 (die inhaltlich nicht ident sind) ist enthalten, dass die Zeugin U angegeben habe, sie sei beim Haus Nr. 9 vorbei gegangen. Sie sei in ihr Grundstück Nr. 35 gegangen, dabei habe sie das Unfallgeräusch gehört. Der "angezeigte" silber (bzw. grau) lackierte Renault sei anschließend "rückwärts bis zur Kreuzung zurück" gelenkt worden. Dem gegenüber gab die Zeugin U in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 13. Jänner 2000 an, sie sei mit dem Fahrrad bei Haus Nr. 9 vorbei gefahren und habe ein lautes Aufprallgeräusch gehört, als sie bereits passiert habe und habe sich umgedreht. Der Lenker habe nach dem "Aufprall" kurz angehalten, um nachzusehen, was passiert sei. Als er den Schaden gesehen habe, habe er sein Fahrzeug stark beschleunigt und sei "im Vorwärtsgang" gefahren, "um wenig später rechts abzubiegen".

b) Die vom erhebenden Gendarmen besichtigten Beschädigungen wurden von ihm in seiner Anzeige vom 20. Juli 1999 folgendermaßen dargestellt:

"bei A: linke Außenspiegel wurde abgebrochen, weiters wurde der linke vordere Kotflügel (Lack) sowie der Gummi an der Fahrertür bzw am l. v. Kotflügel zerkratzt.

bei B (Anmerkung: Pkw des Beschwerdeführers): linke Hintertür - unterhalb der Gummileiste schwarze Abriebspur bzw Lackabsplitterungen".

In seiner Meldung vom 16. August 1999 stellte er die Schäden wie folgt dar:

"Am Pkw von F wurde der linke Außenspiegel abgebrochen. Weiters wurde der linke vordere Kotflügel bzw die Fahrertür zerkratzt.

Am Pkw von K (Anmerkung: das ist der Beschwerdeführer) war an der linken Hintertür unterhalb der Gummileiste eine ca 50 cm lange Abriebspur sichtbar. Weiters war der Lack leicht beschädigt."

Als Zeuge vernommen, gab der Gendarm am 3. Mai 2000 an:

"Zwar handelte es sich um äußerst leichte Schäden, doch konnte ich an der linken hinteren Türe seines Kfz (Anm.: Pkw des Beschwerdeführers) unterhalb der Zierleiste eine schwarze Lackabriebspur und eine Lackabsplitterung feststellen. Die Schäden schienen frisch zu sein bzw. konnten keine Anhaltspunkte dafür vorgefunden werden, dass es sich um alte Beschädigungen handelt. Es stimmt, dass der linke Seitenspiegel des Beschuldigtenfahrzeuges unbeschädigt war. Aus Erfahrung weiß ich jedoch, dass am Seitenspiegel dann keine Schäden auftreten müssen, wenn dieser bei einem Anstoß weggeklappt wird, was bei neueren Modellen nichts Außergewöhnliches ist."

Vor dem Hintergrund der Verantwortung des Beschwerdeführers, er habe den Anstoß nicht verursacht, es sei "höchst unwahrscheinlich", dass bei der geschilderten Anstoßweise sein eigener Rückspiegel vollkommen unbeschädigt geblieben sei, an dem in gleicher Höhe befindlichen Kotflügel gebe es keine Lackspuren (Sachverhaltsdarstellung 30. Oktober 1999), bei der "schwarzen Lackabriebspur" handle es sich um dunkle Rostspuren (Sachverhaltsdarstellung vom 30. Oktober 1999, Berufung vom 30. November 2000), hätte es einer Objektivierung der vom erhebenden Gendarmen unterschiedlich dargestellten tatsächlichen Schäden bedurft. Nach dem derzeit vorliegenden Akteninhalt ist die Feststellung der belangten Behörde, es handle sich um "korrespondierende Schäden an den unfallbeteiligten Fahrzeugen", nicht nachvollziehbar, zumal das beschädigte Fahrzeug "rot" lackiert sein soll (Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers vom 30. Oktober 1999, Berufung vom 30. November 2000).

Zudem handelt es sich in diesem speziellen Fall bei der Frage, ob es beim Schadensbild "abgebrochener linker Außenspiegel" am Fahrzeug des Geschädigten und der im gegenständlichen Fall behaupteten Art des Anstoßes (Außenspiegelvorderseite gegen Außenspiegelvorderseite) möglich ist, dass der in Frage kommende Außenspiegel am Fahrzeug des Beschwerdeführers unbeschädigt (lt. Feststellung des erhebenden Gendarmen und Behauptung des Beschwerdeführers) bleiben konnte, um eine Frage, zu deren Beantwortung besondere Fachkenntnisse erforderlich sind. Derartige Fachfragen bedürfen gemäß § 52 Abs. 1 AVG grundsätzlich der Beantwortung durch einen Sachverständigen. Dass der erhebende Gendarm derartige Fachkenntnisse hätte, wurde nicht dargetan; zudem geht seine - oben angeführte - Aussage betreffend allgemeine Möglichkeit des Wegklappens von Außenspiegeln nicht näher differenziert auf das Fahrzeug des Beschwerdeführers und die gegenständliche Situation ein. Die belangte Behörde hat diese Fachfrage im angefochtenen Bescheid mit ihrem "Erfahrungsschatz" - wie oben ausgeführt - zu beantworten versucht. Eine Behörde darf Fachfragen nur dann selbst beurteilen, wenn sie die Kenntnisse und Erfahrungen hat, die für eine selbständige fachliche Beurteilung von Fragen eines Wissensgebietes vorausgesetzt werden müssen. Die betreffenden selbständigen Darlegungen der Behörde müssen, abgestellt auf das jeweils in Betracht kommende Wissensgebiet, methodisch und dem inhaltlichen Niveau nach den gleichen Anforderungen entsprechen wie das Gutachten eines Sachverständigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 1991, Zl. 90/04/0215, ua.). Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid aber in keiner Weise dargetan, woraus sie ihren "Erfahrungsschatz" gewonnen hat, sie hat keinen ausreichenden Befund erhoben und kein darauf basierendes, auf seine Schlüssigkeit überprüfbares Urteil (Gutachten im engeren Sinn) ausgeführt.

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 22. März 2002

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001020046.X00

Im RIS seit

24.06.2002

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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