TE Vfgh Erkenntnis 1999/6/7 B2154/98

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Veröffentlicht am 07.06.1999
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8500 Straßen

Norm

StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
Nö LandesstraßenG §22, §23

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht bei Vorschreibung eines Kostenbeitrags zur Errichtung eines Güterweges; denkunmögliche Verneinung der Einbeziehung Dritter auf Antrag eines Beteiligten

Spruch

Die beschwerdeführenden Parteien sind durch den angefochtenen Bescheid in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 29.700,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die beschwerdeführenden Ehegatten sind Landwirte und Anrainer des Güterweges "..." in der Marktgemeinde O. Im nach Aufhebung des ursprünglichen Bescheides fortgesetzten Verfahren setzte der Gemeinderat der Marktgemeinde O die Prozentsätze der Konkurrenzteilnehmer zu den Kosten der Errichtung und Erhaltung des genannten Güterweges fest. Dem schon im ersten Rechtsgang gestellten Begehren der beschwerdeführenden Parteien auf Einbeziehung eines bestimmten anderen Grundstückes in die Trasse des Güterweges und in die Errichtungs- und Erhaltungsgemeinschaft wurde dabei nicht Folge gegeben. Gegen den Bescheid des Gemeinderates haben die beschwerdeführenden Parteien Vorstellung bei der niederösterreichischen Landesregierung erhoben. Diese wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

II. 1. Die Beschwerde behauptet eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz. Sie wirft der Behörde Willkür durch denkunmögliche Gesetzesauslegung und mangelnde Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Parteien vor.

2.1. Die belangte Behörde hat zwar eine Gegenschrift erstattet, die Verwaltungsakten aber nicht vorgelegt, weshalb gemäß §20 Abs2 letzter Satz VerfGG 1953 auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens zu entscheiden ist.

2.2. In ihrer Gegenschrift beantragt die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde als unbegründet und verteidigt den angefochtenen Bescheid im wesentlichen damit, daß eine Einbeziehung Anderer in eine Beitragsgemeinschaft auf Antrag der Beitragsgenossen nicht vorgesehen sei und überdies die Liegenschaft, deren Einbeziehung begehrt worden sei, nicht unmittelbar an die Trasse des Güterweges angrenze.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. §§22 und 23 des niederösterreichischen Landesstraßengesetzes, LBGl. 8500/00 lauten:

"Beitragsgemeinschaften (Konkurrenzen)

§22. Bestehen für die Herstellung und Erhaltung von öffentlichen Straßen sowie von Privatstraßen, die gemäß §1 Abs2 als öffentliche Straßen gelten oder für einzelne dazu gehörige bauliche Anlagen zeitlich beschränkte oder dauernde Beitragsgemeinschaften, so sind diese für die Kostenaufteilung maßgebend. Diese Beitragsgemeinschaften sind bei wesentlicher Änderung der Verkehrsverhältnisse auf Antrag der Straßenverwaltung oder eines oder mehrerer Beteiligter neu zu regeln. Über einen solchen Antrag entscheidet auf Grund einer örtlichen Verhandlung die Behörde.

§23. Für die Herstellung und Erhaltung von öffentlichen Straßen und Privatstraßen, die gemäß §1 Abs2 als öffentliche Straßen gelten, können von der Behörde von Amts wegen oder auf Antrag eines oder mehrerer Beteiligter Beitragsgemeinschaften festgesetzt werden, wenn diese Straßen vorwiegend einem bestimmbaren mit der Gesamtheit der Gemeindebewohner nicht zusammenfallenden Kreis von Benützern dienen. Zunächst ist in solchen Fällen ein gütliches Übereinkommen über den auf die einzelnen Beteiligten entfallenden Herstellungs- oder Erhaltungsbeitrag anzustreben. Kommt ein solches Übereinkommen nicht zustande, so setzt die Behörde auf Grund einer örtlichen Verhandlung den Aufteilungsschlüssel nach Maßgabe der Benützung fest. Die Bestimmungen der §§18 und 19 werden hiedurch nicht berührt."

2. Die belangte Behörde begründet die Abweisung der Vorstellung im wesentlichen damit, daß im gegenständlichen Fall die Beitragsgemeinschaft auf Antrag von Güterwegsinteressenten gebildet worden und daher die zwangsweise Einbeziehung eines anderen Grundstückes nicht möglich gewesen sei. Hinsichtlich des Beitragsanteiles der beschwerdeführenden Parteien wird festgehalten, daß dieser nicht höher sei als jener Anteil, den die beschwerdeführenden Parteien laut eigener Eingabe äußerstenfalls zu tragen bereit gewesen seien und daß der Anteil auch gegenüber dem erstinstanzlichen Bescheid nicht hinaufgesetzt worden, insofern also keine Beschwer der Vorstellungswerber gegeben sei.

3. Die Beschwerde erblickt im Vorgehen der belangten Behörde Willkür. Die belangte Behörde verkenne den normativen Gehalt der §§22 f. des niederösterreichischen Landesstraßengesetzes (nö. LandesstraßenG). Danach seien nämlich Beitragsgemeinschaften von Amts wegen oder auf Antrag festzusetzen. Dies erlaube auch die von den beschwerdeführenden Parteien verlangte antragsgemäße Einbeziehung eines bislang nicht berücksichtigten Grundstückes. Des weiteren habe es die belangte Behörde unterlassen, sich mit dem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien auseinanderzusetzen. Die Einbeziehung der in Rede stehenden Liegenschaft sei im wirtschaftlichen Interesse der beschwerdeführenden Parteien gelegen, weil erstens sich durch die Einbeziehung zusätzlicher Liegenschaften der eigene Beitragsanteil mindere und weil zweitens zugunsten eben dieser Liegenschaft eine Wegservitut auf dem Grundstück der beschwerdeführenden Parteien laste, die bei Einbeziehung der Liegenschaft in den Güterweg schonender ausgenützt oder abgelöst werden könne.

4. Der Verfassungsgerichtshof hält die Auffassung der belangten Behörde, wonach eine Einbeziehung Dritter auf Antrag eines Beteiligten nicht möglich sei, für mit dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums nach Art5 StGG und Art1 1. ZP zur EMRK unvereinbar: Wäre dies richtig, so hätte es die Behörde in der Hand, Nutznießer eines Interessentenweges von der Beitragsverpflichtung auszunehmen, ohne daß den tatsächlich Einbezogenen diesbezüglich Parteistellung zukäme. Anders aber als im Fall der Gleichbehandlung im Unrecht besteht hier ein aus dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums herrührendes rechtliches Interesse an der Einbeziehung Dritter. Durch die Einbeziehung Dritter ermäßigt sich nämlich automatisch auch die Beitragslast des Betroffenen.

Einer solchen Deutung steht auch der Wortlaut des §23 nö.

LandesstraßenG nicht entgegen, im Gegenteil: Nach dieser Bestimmung können "von der Behörde von Amts wegen oder auf Antrag eines oder mehrerer Beteiligter Beitragsgemeinschaften festgesetzt werden". Das Gesetz räumt damit ausdrücklich auch einem einzelnen Interessenten das Recht der Antragstellung auf Begründung einer Beitragsgemeinschaft ein. Es sieht daher gerade den von der belangten Behörde verneinten Fall der Antragstellung auf Einbeziehung Dritter vor. Ob und mit welcher Beitragslast Dritte tatsächlich in die Beitragsgemeinschaft einzubeziehen sind, hat die Behörde zu entscheiden, wobei auf die entsprechenden Anträge einzugehen ist.

5. Indem die belangte Behörde dies verkannte, hat sie dem nö. LandesstraßenG einen im Hinblick auf Art5 StGG und Art1 des

1. ZP zur EMRK verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Dadurch hat sie das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet. Der angefochtene Bescheid verletzt daher die beschwerdeführenden Parteien in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

IV.1. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag sind S 4.950,-- an Umsatzsteuer enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Straßenverwaltung, Güterweg, Interessentenweg, Weggemeinschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B2154.1998

Dokumentnummer

JFT_10009393_98B02154_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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