TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/22 2000/10/0117

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.04.2002
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
27/01 Rechtsanwälte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §68 Abs1;
B-VG Art130 Abs1;
B-VG Art131 Abs1;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z31;
RAO 1868 §19;
RAO 1868 §26 Abs5;
RAO 1868 §28 Abs1 litf;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, über die Beschwerde des Dr. N, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 30. Mai 2000, Zl. 11/03 99/3929, betreffend Erstattung eines Gutachtens gemäß § 28 Abs. 1 lit. f RAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und des angefochtenen Bescheides geht der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 38 Abs. 2 VwGG von folgendem Sachverhalt aus:

Mit Schreiben der Rechtsanwaltskammer Wien vom 31. August 1999 wurde der Beschwerdeführer ersucht, zur Eingabe von Frau P., welche er vom 28. Oktober 1998 bis zum 24. Juni 1999 in einer Kaufvertragsangelegenheit vertreten hatte, Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer wurde ersucht, zur Vermeidung eines Kostenprozesses das Einverständnis zur Kostenüberprüfung und Kostenfestsetzung durch den Kammerausschuss zu erteilen oder die Gründe bekannt zu geben, weshalb er dies nicht wünsche beziehungsweise der Ansicht sei, an der Beilegung der "Kostendifferenz" nicht mitwirken zu können. In der Folge erklärte sich der Beschwerdeführer ausdrücklich mit der Kostenüberprüfung und Kostenfestsetzung durch den Kammerausschuss einverstanden.

Mit Beschluss der Abteilung V.b der Rechtsanwaltskammer Wien vom 28. September 1999 wurden die Kosten des Beschwerdeführers für die Vertretung der genannten Klientin, wofür er dieser ursprünglich einen Betrag von S 108.794,-- in Rechnung gestellt hatte, mit S 59.154,80 inklusive Umsatzsteuer und Barauslagen bestimmt.

Gegen diesen Beschluss erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25. Oktober 1999 Vorstellung an die belangte Behörde.

Mit Bescheid vom 30. Mai 2000 gab diese der Vorstellung keine Folge. In der Begründung stützte sich die belangte Behörde im Wesentlichen auf eine näher zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, von der die belangte Behörde keinen Anlass sehe abzuweichen. Im Übrigen verwies sie darauf, dass ihrer Ansicht nach das Kostenüberprüfungsverfahren nicht nur der Überprüfung der Angemessenheit der Kosten, sondern auch der Vermeidung von Zivilprozessen diene.

Gegen diese Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, ohne jedoch - trotz ausdrücklichen Hinweises auf die in § 38 Abs. 2 VwGG vorgesehene Rechtsfolge - die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

1.1. Da im Hinblick auf die unten näher darzustellenden Rechtsgrundlagen der angefochtenen Erledigung (§ 19 und § 28 RAO betreffend die Erstattung von Gutachten über Angemessenheit des Honorars des Rechtsanwalts) Bedenken hinsichtlich der Bescheidqualität der angefochtenen Erledigung und der Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde bestehen könnten, ist zunächst Folgendes festzuhalten:

1.2. Im Beschwerdefall sind gemäß Art. II Abs. 2 Z 31 EGVG die Bestimmungen des AVG nicht anzuwenden. Spezielle Verfahrensbestimmungen oder ein allgemeiner Verweis auf ein Verfahrensregime sind in der Rechtsanwaltsordnung nicht enthalten. Es fehlen somit ausdrückliche Vorschriften über die formelle Gestaltung von Bescheiden durch die belangte Behörde.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 und Art. 131 Abs. 1 B-VG in Verbindung mit § 34 VwGG entscheidet der Verwaltungsgerichtshof über Beschwerden gegen letztinstanzliche Bescheide von Verwaltungsbehörden. Unabhängig davon, ob für ein Verwaltungsverfahren ausdrückliche Verfahrensvorschriften für die Bescheiderlassung gelten oder nicht (vgl. z.B. §§ 58 ff AVG), ergibt sich die Notwendigkeit, Kriterien für das Vorliegen eines Bescheides, der vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden kann, zu entwickeln (vgl. etwa Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts7, Rz 377 ff und 387).

1.3. Enthält eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die Unterschrift oder auch die Beglaubigung, dann ist das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung unerheblich. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann aber nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. In jedem Fall, in dem der Inhalt einer Erledigung Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen lässt, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell. Die Rechtskraftfähigkeit der Erledigung ist kein neben der normativen Natur derselben selbstständig anzuführendes Merkmal eines Bescheides, weil die Rechtskraftfähigkeit nicht Ursache, sondern Folge der normativen Natur der Erledigung ist (vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. Nr. 9458/A). Für die Beurteilung der hier vorliegenden Erledigung ist nicht ausschlaggebend, inwieweit bei der Prüfung des hoheitlichen Charakters der Erledigung die objektiven Merkmale eines Schriftstückes im Gegensatz zu einer allenfalls ersichtlichen subjektiven Absicht der Behörde maßgebend sein können (vgl. zu einer solchen Sachlage den Beschluss vom 21. Februar 2001, Zl. 2000/08/0158). Sowohl die Formulierung des Spruches als auch die Sachverhaltsdarstellung der hier angefochtenen Erledigung zeigen (wie noch näher darzulegen ist), dass objektiver Erklärungswert und subjektiver Wille der belangten Behörde im vorliegenden Fall auf die Erledigung eines Rechtsmittels gegen einen Beschluss der Abteilung V.b des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer hinweisen.

1.4. § 19 der Rechtsanwaltsordnung (RAO), RGBl. Nr. 96/1868 idF BGBl. Nr. 474/1990, lautet:

"§ 19. (1) Der Rechtsanwalt ist berechtigt, von den für seine Partei an ihn eingegangenen Barschaften die Summe seiner Auslagen und seines Verdienstes, in soweit sie durch erhaltene Vorschüsse nicht gedeckt ist, in Abzug zu bringen, ist jedoch schuldig, sich hierüber sogleich mit seiner Partei zu verrechnen.

(2) In dem Falle, als die Richtigkeit und Höhe seiner Forderung bestritten wird, ist sowohl der Rechtsanwalt als die Partei berechtigt, den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer um die gütliche Beilegung des Streites anzugehen.

(3) Der Rechtsanwalt ist aber im Falle, als die Richtigkeit und Höhe seiner Forderung bestritten wird, zu seiner Deckung auch zum gerichtlichen Erlage der ihm eingegangenen Barschaften bis zur Höhe der bestrittenen Forderung befugt, zugleich aber, wenn die angesuchte gütliche Beilegung ohne Erfolg geblieben ist, verpflichtet, die Richtigkeit und Höhe der letzteren nachzuweisen.

(4) Auf den erlegten Betrag kommt dem Rechtsanwalt ein gesetzliches Pfandrecht für seine Forderung aus der Vertretung zu."

1.5. Gemäß § 26 Abs. 5 RAO, idF BGBl. I Nr. 71/1999, kann gegen den Beschluss einer Abteilung binnen 14 Tagen nach Zustellung des Beschlusses Vorstellung erhoben werden; über diese entscheidet der Ausschuss.

Zum Wirkungskreis des Ausschusses gehören gemäß § 28 Abs. 1 lit. f RAO, idF BGBl. Nr. 474/1990, "die Erstattung von Gutachten über die Angemessenheit des Honorars und Vergütung für Dienstleistungen des Rechtsanwalts, sowie die angesuchte gütliche Beilegung des Streites über selbe (§ 19)".

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1999, Zl. 96/19/0758, ausgesprochen hat, hat die Erstattung eines Gutachtens und die Streitbeilegung gemäß § 28 Abs. 1 lit. f RAO nicht in Bescheidform zu ergehen. Dafür spricht bereits die Terminologie des Gesetzes (arg. "gütliche Beilegung des Streites") sowie der offensichtliche Gesetzeszweck, durch das zu erstattende Gutachten Streitigkeiten zu schlichten, wobei den Beteiligten für den Fall des Misslingens eines derartigen Schlichtungsversuches das Recht zur Austragung des Streites im ordentlichen Rechtswege jedenfalls gewahrt bleibt. Der Verweis in § 28 Abs. 1 lit. f RAO auf § 19 RAO belegt, dass das in § 28 RAO genannte Gutachten jenes ist, welches im Zusammenhang mit dem Verfahren nach § 19 RAO zu erstatten ist. Der hoheitlichen, der Rechtskraft fähigen Entscheidung des Streites hat das Gutachten jedoch nicht zu dienen (vgl. hiezu die ähnlichen Bestimmungen des § 44 WT-BO beziehungsweise nunmehr der §§ 114 Abs. 2 und 146 Abs. 2 Z 8 WTBG, BGBl. I Nr. 58/1999, oder auch § 134 Notariatsordnung, RGBl. Nr. 75/1871 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 72/1999).

1.6. Es ergibt sich somit, dass im Verfahren nach § 19 RAO kein Bescheid zu erlassen ist. Die erstinstanzliche Erledigung hätte vielmehr ein Gutachten sein sollen. Zu prüfen ist, welche Bedeutung dies für den Beschwerdefall hat.

1.7. Ausschlaggebend für die Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde ist nicht die allfällige Bescheidqualität der mit "Vorstellung" bekämpften Erledigung des Ausschusses (welche die belangte Behörde nicht vorgelegt hat), sondern die rechtliche Qualifikation der angefochtenen Erledigung der Vorstellung.

In diesem Zusammenhang erscheint wesentlich, dass die belangte Behörde über die "Vorstellung" des Beschwerdeführers entschieden hat und spruchgemäß der "Vorstellung ... keine Folge gegeben" hat. Die belangte Behörde ging somit ersichtlich davon aus, dass sie hoheitlich über ein ihr vorliegendes Rechtsmittel abzusprechen hätte. Nach dem Wortlaut der Wiedergabe der bekämpften Erledigung ("wurden die Kosten ... mit S ... bestimmt") und der Begründung der Erledigung ("die Angemessenheit der Kosten festzustellen") ging die belangte Behörde davon aus, dass das vom Beschwerdeführer eingeleitete Verfahren der "Festsetzung" der Kosten diente und nicht davon, dass ein Gutachten über die Angemessenheit der von ihm von der Mandantin verlangten Kosten zu erstatten wäre.

Auch wenn die Erledigung nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet wurde, lässt ihr Spruch, welcher eindeutig als Rechtsmittelentscheidung formuliert ist, keinen Zweifel an ihrem normativen Charakter (Bestätigung der erstinstanzlichen Festsetzung der Kosten des Beschwerdeführers).

1.8. Die angefochtene Erledigung stellt daher unter Zugrundelegung der in der oben wiedergegebenen Rechtsprechung entwickelten Kriterien für das Vorliegen eines Bescheids jedenfalls einen Bescheid dar. Die Beschwerde ist daher zulässig.

2. In der Sache:

2.1. In der RAO werden die Begriffe "Gutachten" und "Beschluss" nicht synonym verwendet. Das Rechtsmittel der Vorstellung gemäß § 26 Abs. 5 RAO steht nur dann zur Verfügung, wenn die Abteilung eines Ausschusses mit Bescheid entschieden hat (vgl. hiezu das bereits zitierte Erkenntnis vom 15. Oktober 1999).

Nach der Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Bescheid erfolgte in erster Instanz eine bescheidmäßige Festsetzung der Kosten (und wurde nicht bloß ein Gutachten abgegeben).

2.2. Dies bedeutet für den Beschwerdefall, dass die Vorstellung des Beschwerdeführers zwar zulässig war, die belangte Behörde auf Grund der Vorstellung des Beschwerdeführers den bei ihr bekämpften Akt jedoch (ersatzlos) aufzuheben gehabt hätte, da die Abteilung des Ausschusses entgegen dieser Rechtslage eine bescheidmäßige Festsetzung der Kosten vorgenommen hat.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Auf das Beschwerdevorbringen war daher nicht weiter einzugehen.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 22. April 2002

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Verfahrensgrundsätze außerhalb des Anwendungsbereiches des AVG VwRallg10/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000100117.X00

Im RIS seit

08.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten