TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/25 2001/05/1204

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Veröffentlicht am 25.04.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. November 2001, Zl. 604.033/6-II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde G, 2. LH in W, bzw. in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die 1968 geborene, verheiratete Zweitmitbeteiligte ist seit Geburt in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters, G (Bezirk G), gemeldet. Seit 4. Februar 1997 ist sie mit weiterem Wohnsitz in Wien gemeldet.

In ihrer Wohnsitzerklärung vom 13. Mai 2001 und in einem (formularmäßigen) Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes vom selben Tag gab sie an, sie halte sich rund 105 Tage im Jahr in G auf, wo sie bei ihren Eltern wohne, die dort mit Hauptwohnsitz gemeldet seien. In G wohnten auch zahlreiche Verwandte (eine Großmutter, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen, die dort alle mit Hauptwohnsitz gemeldet seien). Sie halte sich rund 260 Tage im Jahr in Wien auf, und zwar werktags. Sie wohne dort mit ihrem Ehegatten, welcher in Wien mit weiterem Wohnsitz gemeldet sei. In Wien wohne ebenfalls ein Bruder (mit Hauptwohnsitz gemeldet). Den Weg zu ihrem Arbeitsplatz in Wien I trete sie in der Regel von Wien aus an. Sie sei weiters auch noch in Wien II sowie in Linz berufstätig. Die Frage nach "Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften" wird für beide Wohnsitze verneint. Ihre "aktiven gesellschaftlichen Betätigungen" in G seien "sehr intensiv" ("div.; gesamter Freundes- u. Bekanntenkreis"), in Wien gebe es keine gesellschaftliche Betätigung.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten in G abgewiesen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Zweitmitbeteiligte in G den Mittelpunkt ihrer familiären gesellschaftlichen Beziehungen habe. Der Umstand, dass sie in Wien berufstätig sei, reiche nicht aus, den Hauptwohnsitz in G aufzuheben.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt; angesprochen wird der Vorlageaufwand. Der erstmitbeteiligte Bürgermeister hat in einem Schriftsatz darauf verwiesen, die Zweitmitbeteiligte habe G als ihren Hauptwohnsitz und Mittelpunkt der Lebensbeziehungen bezeichnet. Er schließe sich dieser Willensäußerung und der Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Bescheid an.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).

Die Zweitmitbeteiligte hat im Verwaltungsverfahren gesellschaftliche, vor allem familiäre Beziehungen zu G geltend gemacht (die ihrer Auffassung zufolge offensichtlich zu Wien nicht bestünden). Im Beschwerdefall kommt aber dem Umstand wesentliche Bedeutung zu, dass die hauptsächlich in Wien (aber nicht auch in G) berufstätige Zweitmitbeteiligte in Wien mit ihrem Ehemann lebt (wenngleich dieser in Wien nur mit weiterem Wohnsitz gemeldet ist). Bei der im Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde schon 34-jährigen Zweitmitbeteiligten kann eine derartige familiäre Bindung an das Elternhaus in G nicht mehr angenommen werden, dass der gesellschaftlichen Beziehung zu G noch entscheidendes Gewicht zuzumessen wäre. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist vielmehr die zu Wien bestehende Lebensbeziehung gegenüber der (im Wesentlichen) gesellschaftlichen Lebensbeziehung zu G als derart überwiegend anzusehen, dass der Mittelpunktcharakter von G nicht mehr bejaht werden kann.

Ausgehend davon hat die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 25. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001051204.X00

Im RIS seit

11.07.2002

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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