TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/25 2002/05/0099

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Veröffentlicht am 25.04.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Dezember 2001, Zl. 607.221/5-II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Marktgemeinde G, 2. Mag. UZ in W, bzw. in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die 1966 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit 1971 in der Gemeinde des mitbeteiligten Bürgermeisters, G, Bezirk Klagenfurt, mit Hauptwohnsitz gemeldet. Sie ist seit 1984 in Wien mit weiterem Wohnsitz gemeldet. In ihrer Wohnsitzerklärung vom 8. Mai 2001 brachte die Zweitmitbeteiligte vor, sie halte sich an rund 80 Tagen im Jahr in G auf, an rund 200 Tagen im Jahr hingegen in Wien (Mitbewohner sind jeweils nicht angeführt). Die Frage nach Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften wird für beide Wohnsitze nicht beantwortet. Der Weg zur Arbeitsstätte in Wien wird überwiegend von Wien aus angetreten.

Die Zweitmitbeteiligte äußerte sich in einer Stellungnahme vom 9. August 2001 dahin, sie sehe keine überwiegenden Vorteile eines Hauptwohnsitzes in Wien gegenüber ihrem Hauptwohnsitz in G. Sie fühle sich dem kulturellen und politischen Leben in Kärnten und in G eindeutig näher verbunden, ihre engste Familie und ein wichtiger Teil ihres Freundeskreises befänden sich in Kärnten. Zusammenfassend sei deshalb für sie das überwiegende Naheverhältnis und damit ihr Hauptinteresse ausschließlich "mit/an" G gegeben.

Der mitbeteiligte Bürgermeister brachte in einer Stellungnahme vom selben Tag vor, die Zweitmitbeteiligte sei aus beruflichen Gründen gezwungen gewesen, in Wien eine Wohnung zu beziehen. Ihre Familie lebe in G und die Zweitmitbeteiligte komme an den Wochenenden aber auch im Urlaub regelmäßig nach Hause. Weiters befinde sich hier ihr Bekanntenkreis und sie sei mit dem Gemeindegeschehen in G verbunden.

In einer weiteren Stellungnahme vom 23. Oktober 2001 verblieb der mitbeteiligte Bürgermeister auf diesem Standpunkt.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Reklamationsantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, was im Wesentlichen damit begründet wurde, dass die Zweitmitbeteiligte sowohl in G als auch in Wien Mittelpunkte ihrer Lebensbeziehungen habe, womit ihr ein Wahlrecht zugekommen sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt; angesprochen wird der Vorlageaufwand.

Der mitbeteiligte Bürgermeister hat eine Gegenschrift erstattet. Darin wird unter anderem vorgebracht, die Zweitmitbeteiligte sei als Regionalbetreuerin einer Bank für den Bereich Steiermark und Kärnten zuständig, womit sich ein weiterer beruflicher Schwerpunkt in Kärnten ergebe und ein weiterer Aspekt dafür, dass sich ihr Hauptwohnsitz in G befinde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).

Die 35-jährige Zweitmitbeteiligte hat fraglos einen Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in Wien. Hinsichtlich G wird eine (insbesondere gesellschaftliche) Nahebeziehung geltend gemacht, die in dieser Form zu Wien nicht bestehe. Dem ist zu entgegnen, dass bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die familiäre Bindung einer Person an die Eltern umsomehr in den Hintergrund tritt, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat. Auch ist die Heimatverbundenheit einer Person in den im § 1 Abs. 8 MeldeG genannten Kriterien nicht enthalten. Aus der in der Wohnsitzerklärung angegebenen Aufenthaltsdauer in G ergibt sich, dass der Großteil der Freizeit nicht dort verbracht wird. Insgesamt kann aus der im Reklamationsverfahren gebotenen Gesamtschau nicht gesagt werden, dass dem Wohnsitz in G die Qualität eines Mittelpunktes von Lebensbeziehungen zukäme, sodass die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl im Sinne des § 1 Abs. 7 MeldeG getroffen hat.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 25. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050099.X00

Im RIS seit

14.06.2002

Zuletzt aktualisiert am

03.07.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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