TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/25 2002/05/0014

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Veröffentlicht am 25.04.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. November 2001, Zl. 603.056/6-II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz in Linz, 2. Dipl. Ing. Adolf Reinhart in Wien XVI, Ottakringer Straße 144/11, bzw. in Linz, Ginzkeystraße 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der 1960 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit Geburt in Linz mit Hauptwohnsitz gemeldet. Seit 1993 ist er mit weiterem Wohnsitz in Wien gemeldet, wo er berufstätig ist.

In seiner Wohnsitzerklärung vom 22. Mai 2001 gab der Zweitmitbeteiligte an, er halte sich rund 115 Tage im Jahr in Linz auf, wo er mit seinen Eltern wohne (die dort mit Hauptwohnsitz gemeldet seien). In Wien halte er sich rund 250 Tage im Jahr auf (Mitbewohner an der Wiener Anschrift sind nicht angegeben). Die Frage nach "Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften" wird für beide Wohnsitze verneint. Der Weg zur Arbeitsstätte in Wien wird überwiegend von Wien aus angetreten.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der zweitmitbeteiligten Partei in Linz abgewiesen. Dies wurde im Wesentlichen auf Grundlage der Angaben in der Wohnsitzerklärung damit begründet, dass der Zweitmitbeteiligte einen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in Wien habe, wo er berufstätig sei. Der "Familienwohnsitz" und somit der gesellschaftliche Schwerpunkt der Lebensbeziehungen liege aber in Linz, wo das soziale Umfeld des Zweitmitbeteiligten konzentriert sei. Das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", welches nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck komme, gebe vorliegendenfalls den Ausschlag.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt; angesprochen wird der Schriftsatzaufwand.

Der Zweitmitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet. Darin bringt er vor, es sei richtig, dass er seit Juli 1993 einen Wohnsitz in Wien habe und es stimme natürlich, dass dieser Wohnsitz und damit die Bundeshauptstadt Wien das Zentrum seiner momentanen Lebensführung darstellten. Allerdings sei es von ihm von vornherein nicht geplant gewesen, dass seine "zweiten Wien-Jahre" (er sei bereits während des Präsenzdienstes, im Zuge des Studiums und anschließend daran während einer längeren Berufstätigkeit, insgesamt von 1979 bis 1988, in Wien wohnhaft gewesen) so lange dauern würden, weil er nur ein eigentlich viersemestriges post Graduate-Studium absolvieren habe wollen, daneben arbeiten habe müssen und gedacht habe, dass der Nebenberuf "HTL-Lehrer" daneben möglich sei, was aber nicht zutreffend gewesen sei. Da er nicht daran gedacht habe, erneut so lange Zeit in Wien zu leben, habe er auch keine Änderung des Hauptwohnsitzes vorgenommen. Nun habe er aber dieses Studium zwar Mitte 2000 abgeschlossen, aber Wien mit Rücksicht auf seine Schüler nicht "Hals über Kopf verlassen" wollen, weshalb sich eine weitere Verzögerung ergeben habe. Er plane aber, im Verlauf der nächsten ein bis zwei Jahre Wien endgültig den Rücken zuzuwenden (wird näher ausgeführt), weshalb er auch weiterhin keine Änderung des gemeldeten Hauptwohnsitzes vornehmen wolle.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).

Dem Vorbringen des Zweitmitbeteiligten ist entgegenzuhalten, dass das Reklamationsverfahren gegenwartsbezogen ist; es kommt also nicht auf beabsichtigte Veränderungen in der Zukunft an. Auch ist die Heimatverbundenheit einer Person in den im § 1 Abs. 8 MeldeG genannten Kriterien nicht enthalten (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 2001/05/1163). Bei dem im Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde schon 41- jährigen Zweitmitbeteiligten kann eine derartige familiäre Bindung an das Elternhaus nicht mehr angenommen werden, dass der gesellschaftlichen Beziehung zu Linz noch entscheidendes Gewicht zuzumessen wäre. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist vielmehr die zu Wien bestehende Lebensbeziehung gegenüber der familiären Lebensbeziehung zu Linz als derart überwiegend anzusehen, dass der Mittelpunktcharakter von Linz nicht mehr bejaht werden kann.

Ausgehend davon hat der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 25. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050014.X00

Im RIS seit

11.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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