TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/25 2002/05/0075

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Veröffentlicht am 25.04.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Dezember 2001, Zl. 612454/5-I/6/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde Gralla in 8430 Gralla, 2. Helmut Draxler in Wien XXII, Am Heidjöchl 14/40/9 bzw. in 8430 Gralla, Sommerweg 79 B), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der 1974 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit Geburt in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters, Gralla (kurz: G), Bezirk Leibnitz, mit Hauptwohnsitz gemeldet. Er ist seit 24. Feber 2001 mit weiterem Wohnsitz in Wien gemeldet, wo er berufstätig ist.

In seiner Wohnsitzerklärung vom 16. Mai 2001 gab der Zweitmitbeteiligte an, er halte sich rund 155 Tage im Jahr in G auf, wo er mit seinen Eltern wohne (die dort mit Hauptwohnsitz gemeldet seien). In Wien halte er sich rund 150 Tage im Jahr auf, wo er mit seiner Lebensgefährtin wohne (die in Wien mit Hauptwohnsitz gemeldet sei). Die Frage nach Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften wird für beide Wohnsitze verneint. Der Weg zur Arbeitsstätte in Wien wird überwiegend von Wien aus angetreten.

Der mitbeteiligte Bürgermeisters äußerte sich in einer Stellungnahme vom 25. Oktober 2001 dahin, der Zweitmitbeteiligte habe in Wien lediglich deshalb Unterkunft genommen, weil das tägliche Pendeln von G nach Wien zu zeitaufwändig wäre. Er habe G als Hauptwohnsitz angegeben, woraus zu schließen sei, dass er zu G ein überwiegendes Naheverhältnis habe, was auch bestätigt werden könne (Anmerkung: das wird nicht näher begründet).

Der Zweitmitbeteiligte schloss sich in einer Eingabe vom 17. November 2001 der Stellungnahme des mitbeteiligten Bürgermeisters an. Auf Grund seiner persönlichen und familiären Verhältnisse sei G als einziger und alleiniger Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen anzusehen.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Reklamationsantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, was im Wesentlichen damit begründet wurde, dass die zweitmitbeteiligte Partei jedenfalls einen Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in G habe.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt; angesprochen wird der Vorlageaufwand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).

Der Beurteilung des Zweitmitbeteiligten, dass er nur in G einen "Mittelpunkt von Lebensbeziehungen" hätte, ist nicht zu folgen, lebt er doch seinen Angaben zufolge in Wien mit einer Lebensgefährtin (die im Übrigen in Wien unbestritten ihren Hauptwohnsitz hat). Diesem Umstand kommt entscheidende Bedeutung zu (siehe dazu das hg. Erkenntnis ebenfalls vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird). Weiters tritt bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die familiäre Bindung einer Person an die Eltern umso mehr in den Hintergrund, je mehr sich das Alter dieser Person vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat. Insgesamt ist der Beurteilung des Beschwerdeführers beizutreten, dass dem Wohnsitz in G keine Mittelpunktqualität zukommt, womit der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 MeldeG getroffen hat.

Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 25. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050075.X00

Im RIS seit

14.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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