TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/25 2002/05/0052

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Veröffentlicht am 25.04.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. November 2001, Zl. 619622/5-II/D/9//01-bek, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 1 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Stadtgemeinde Hartberg, 2. Gottfried Günther Kriegsauer, Alleegasse 6, Hartberg), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der am 28. Dezember 1976 in Hartberg geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit seiner Geburt mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters gemeldet. Seit 25. Juli 2000 ist er mit weiterem Wohnsitz in Wien gemeldet.

Der Zweitmitbeteiligte gab in seiner Wohnsitzerklärung an, er halte sich am Hauptwohnsitz 130, in Wien 234 Tage im Jahr auf. Am Hauptwohnsitz seien die Eltern wohnhaft, in Wien eine Lebensgefährtin, die in Wien mit Hauptwohnsitz gemeldet ist. In einer Stellungnahme an die belangte Behörde führte der Zweitmitbeteiligte aus, in Hartberg stehe ihm eine große Wohnung zur Verfügung, während es sich in Wien um nicht viel mehr als eine Schlafstätte handle. Weiters befänden sich in Hartberg beide Firmen seiner Eltern, diese würden durch seine Mithilfe unterstützt, geplant sei ein zukünftiger Einstieg in diese Firmen. Derzeit sei er daher zum Pendeln gezwungen.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Wohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Hartberg abgewiesen. Hiezu stellte die belangte Behörde fest, dass der Zweitmitbeteiligte in Wien berufstätig sei und von dort einen Teil des Jahres den Weg zu seinem Arbeitsplatz antrete. Der Zweitmitbeteiligte habe zwei Mittelpunkte seiner Lebensbeziehungen. Das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", welches nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck komme, gebe daher im Beschwerdefall den Ausschlag.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt; angesprochen wird der Vorlageaufwand. Der Zweitmitbeteiligte beantrage in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).

Der Zweitmitbeteiligte arbeitet in Wien, wo auch seine Lebensgefährtin mit Hauptwohnsitz gemeldet ist.

Wegen der Ausübung eines Berufes verbunden mit einer Lebensgemeinschaft in Wien kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass zwei Wohnsitze des Zweitmitbeteiligten den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen darstellen. Die erforderliche Gesamtbetrachtung verleiht der beruflichen und der eheähnlichen Lebensbeziehung ein deutliches Übergewicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/05/1096). Demgegenüber treten bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die familiäre Bindung an die Eltern und die gesellschaftlichen Beziehungen am Geburtsort umso mehr in den Hintergrund, als sich der Betroffene von der Volljährigkeit entfernt hat. Auf den geplanten zukünftigen Einstieg in die Firmen seiner Eltern in Hartberg kommt es nicht an, weil das Reklamationsverfahren gegenwartsbezogen ist.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 25. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050052.X00

Im RIS seit

13.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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