TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/14 2000/01/0514

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Veröffentlicht am 14.05.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs4;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des MK in St. G, geboren am 16. März 1975, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. November 2000, Zl. 217.661/1-VII/43/00, betreffend Zurückweisung einer Berufung und Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit nach dem Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, gelangte am 26. April 1999 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet und wurde im Zuge seiner Ausreise nach Deutschland festgenommen und nach Österreich rücküberstellt. Im Rahmen seiner Einvernahme am 30. April 1999 stellte er einen Asylantrag und einen "Antrag nach § 75 FrG", da er in seinem Heimatstaat im Sinn des § 57 leg. cit. bedroht sei.

Am 7. Mai 1999 wurde der Beschwerdeführer in die Bundesbetreuung aufgenommen und in der Betreuungsstelle Thalham untergebracht. Am 18. Mai 1999 <seite_2>verließ er diese Betreuungsstelle, um über Deutschland nach Schweden zu gelangen. Nachdem er in Deutschland festgenommen und inhaftiert worden war, kehrte er am 28. Juni 1999 nach St. G zurück.

Mit Bescheid vom 26. Mai 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien nicht zulässig sei.

Laut einer in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltenen "Beurkundung gem. § 23 (2) des Zustellgesetzes" vom 31. Mai 1999 hätten die "durchgeführten Ermittlungen" ergeben, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz ohne Bekanntgabe seines künftigen Aufenthaltes aufgegeben habe und eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeit festgestellt werden könne. Nachdem die unverzügliche Mitteilung der Abgabestelle in Kenntnis des "Feststellungsverfahrens" unterlassen worden sei, sei die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch gemäß § 8 Abs. 2 des Zustellgesetzes vorzunehmen. Gemäß § 23 Abs. 1 leg. cit. werde der Bescheid vom 26. Mai 1999 mit heutigem Tag (dem 31. Mai 1999) beim Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, zur Abholung bereitgehalten und gelte gemäß § 23 Abs. 4 leg. cit. mit dem ersten Tag der Hinterlegung als zugestellt. Eine Unterrichtung (des Beschwerdeführers) von der Hinterlegung gemäß § 23 Abs. 3 leg. cit. sei nicht zweckmäßig.

Gegen die Abweisung des Asylantrages erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 28. Juni 2000, zur Post gegeben am 30. Juni 2000, Berufung und brachte zur Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels vor, er habe seinen Rechtsvertreter am 14. Juni 2000 bevollmächtigt. Dieser habe am 20. Juni 2000 bei der Erstbehörde Akteneinsicht genommen und festgestellt, dass der Asylantrag mit Bescheid vom 26. Mai 1999 abgewiesen worden sei. Damit sei das Schriftstück dem Beschwerdeführer am 20. Juni 2000 tatsächlich zugekommen und gelte der Erstbescheid mit diesem Datum als zugestellt. Nach der Beurkundung sei der Erstbescheid dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung zugestellt worden. Jedoch <seite_3>sei der Erstbescheid nicht wirksam zugestellt worden, weil nach § 17 Abs. 3 des Zustellgesetzes ein Schriftstück als nicht zugestellt gelte, wenn sich ergebe, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinn des § 13 Abs. 3 leg. cit. wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang habe Kenntnis erlangen können. Der Beschwerdeführer habe den Erstbescheid nicht zur Kenntnis genommen, weil er unmittelbar nach seiner Einvernahme versucht hätte, über Deutschland nach Schweden zu gelangen und in Deutschland festgenommen und angehalten worden sei. Während dieses Zeitraumes sei der Zustellversuch erfolgt.

Weiters brachte der Beschwerdeführer am 4. Juli 2000 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufung gegen den Bescheid vom 26. Mai 1999 ein, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 3. August 2000 abwies. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen den Bescheid vom 26. Mai 1999 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück und die Berufung gegen den Bescheid vom 3. August 2000 gemäß § 71 Abs. 4 AVG als unbegründet ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei in der Zeit vom 7. bis 18. Mai 1999 bei der Betreuungsstelle Thalham gemeldet gewesen und habe diese am 18. Mai 1999 ohne Abmeldung, insbesondere ohne Mitteilung gemäß § 8 des Zustellgesetzes, verlassen. Laut Auskunft des Meldeamtes der Gemeinde St. G sei er seit 28. Juni 1999 in dieser Gemeinde gemeldet. Der seine bisherige Abgabestelle ändernde Beschwerdeführer sei dem Gebot des § 8 Abs. 1 leg. cit. nicht nachgekommen, sodass die Hinterlegung am 31. Mai 1999 bei der Erstbehörde rechtens und der Erstbescheid mit 14. Juni 1999 in Rechtskraft erwachsen sei. Betreffend die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte die belangte Behörde aus, das Verlassen Österreichs sei ausschließlich im Dispositionsbereich des Beschwerdeführers gelegen, sodass die Voraussetzungen des <seite_4>§ 71 AVG nicht vorlägen. Zudem sei auch ein erhebliches Verschulden des Beschwerdeführers darin zu erblicken, dass er vom Asylverfahren Kenntnis gehabt, seine Abgabestelle ohne Verständigung der Behörde gewechselt und nicht dafür vorgesorgt habe, dass ihm ein allfälliger Bescheid trotz seiner Abwesenheit zugestellt werden könne.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid unter anderem in seinem Recht darauf verletzt, dass seine Berufung gegen den Bescheid der Erstbehörde vom 26. Mai 1999 nicht gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen werde.

Die Beschwerde ist aus folgendem Grund berechtigt:

Gemäß § 8 Abs. 1 Zustellgesetz hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. ist dann, wenn diese Mitteilung unterlassen wird und die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Die Ermächtigung gemäß § 8 Abs. 2 Zustellgesetz, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, hat nicht nur zur Voraussetzung, dass die unverzügliche Mitteilung über die Änderung der Abgabestelle unterlassen wurde, sondern auch, dass eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Ohne - wenn auch durch "einfache Hilfsmittel" - versucht zu haben, die neue Abgabestelle auszuforschen, darf von § 8 Abs. 2 Zustellgesetz kein Gebrauch gemacht werden. Die durch § 8 Abs. 2 leg. cit. erlaubte einfache Zustellung durch Hinterlegung darf die Behörde somit nicht <seite_5>veranlassen, gar nicht erst zu versuchen, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf zumutbare Weise die neue Abgabestelle auszuforschen. Eine Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch ist somit nur dann mit der Wirkung der Zustellung ausgestattet, wenn die Behörde ergebnislos den ihr zumutbaren und ohne Schwierigkeiten zu bewältigenden Versuch unternommen hat, eine (neue) andere Abgabestelle festzustellen. Daran ändert auch nichts, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass die der Behörde zumutbar gewesenen Ausforschungsversuche ergebnislos verlaufen wären (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2002, Zl. 2000/01/0373 mwN; vgl. auch die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze Band I2, unter E 31 zu § 8 ZustG wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Eine Anfrage bei der Meldebehörde der letzten Abgabestelle stellt ein der Behörde zur Verfügung stehendes Mittel dar, um auf zumutbare Weise die neue Abgabestelle auszuforschen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2001, Zl. 99/20/0487 mwN).

Der in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltenen Beurkundung des Zustellvorganges nach § 8 Abs. 2 Zustellgesetz ist nur zu entnehmen, dass die "durchgeführten Ermittlungen" ergeben hätten, der Beschwerdeführer habe seinen Wohnsitz ohne Bekanntgabe seines künftigen Aufenthaltes aufgegeben und eine Abgabestelle könne nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden. Damit entziehen sich jedoch die Vorgangsweise der Erstbehörde, in der die belangte Behörde implizit die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 Zustellgesetz erfüllt sah, ohne jedoch ihrerseits nähere Feststellungen über die Art der von der Erstbehörde "durchgeführten Ermittlungen" zu treffen, und damit letztlich der angefochtene Bescheid einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof.

Da die belangte Behörde nähere Feststellungen über die der Zustellung des Bescheides vom 26. Mai 1999 vorangegangenen Bemühungen zur Feststellung einer Abgabestelle des Beschwerdeführers unterließ und der Sachverhalt somit in einem wesentlichen Punkt noch nicht ausreichend geklärt ist, war der angefochtene <seite_6>Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 14. Mai 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000010514.X00

Im RIS seit

06.08.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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