TE Vfgh Erkenntnis 1999/6/12 V7/99

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Veröffentlicht am 12.06.1999
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
Richtlinien des Hauptverbandes der österr Sozialversicherungsträger betr Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung vom 19.12.94 §4
ASVG §31 Abs5 Z9
ASVG §76 Abs2, Abs3

Leitsatz

Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung betreffend Pensionisten in den Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung

Spruch

1. Der Ausdruck "(Pensionisten)" in §4 Abs3 Z3 der Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung und über Form und Inhalt diesbezüglicher Anträge gemäß §31 Abs5 Z9 ASVG vom 19. Dezember 1994, kundgemacht in Soziale Sicherheit, Amtliche Verlautbarung Nr. 6/1995 (SoSi 1995, 78f.), in der Fassung der Änderung vom 1. Juli 1996, kundgemacht in Soziale Sicherheit, Amtliche Verlautbarung Nr. 93/1996 (SoSi 1996, 801f.) war gesetzwidrig.

2. Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B2548/97 protokollierte Beschwerde gegen einen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 29. August 1997 anhängig. Die dortige Beschwerdeführerin bezieht als Hinterbliebene nach einem Rechtsanwalt ab 1.1.1997 von der Rechtsanwaltskammer für Niederösterreich eine Witwenrente von

S 13.455,-- monatlich. Mit diesem Pensionsbezug ist keine gesetzliche Krankenversicherung verbunden. Mit dem bekämpften Bescheid wurden - in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse - für die Selbstversicherung der Beschwerdeführerin in der Krankenversicherung ab 1. Jänner 1997 eine Beitragsgrundlage von monatlich S 18.600,-- und ein monatlicher Beitrag von S 1.264,80 festgestellt. Die belangte Behörde stützte sich zur Begründung ihres Bescheides auf gemäß §31 Abs5 Z9 ASVG erlassene Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, insbesondere auf deren §4 Abs3 Z3, welche Bestimmung - so der Sache nach die Begründung des angefochtenen Bescheides - eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage zur Selbstversicherung in der Krankenversicherung unter dem im Bescheid festgestellten Betrag nicht zulasse.

1.2. Aus Anlaß dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 10. Dezember 1998 gemäß Art139 Abs1 B-VG ein Verfahren zur amtswegigen Prüfung des Ausdrucks "(Pensionisten)" in §4 Abs3 Z3 der im Spruch näher bezeichneten Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ein.

2.1. In seinem Prüfungsbeschluß ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß die in Rede stehenden Richtlinien eine Verordnung im Sinne des Art139 B-VG seien und er die in Prüfung gezogene Bestimmung des §4 Abs3 Z3 dieser Richtlinien, insbesondere deren Ausdruck "(Pensionisten)" bei seiner Entscheidung über die Beschwerde im Anlaßverfahren anzuwenden habe.

2.2. §31 Abs5 Z9 ASVG ermächtigt den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zur Aufstellung von Richtlinien

"über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung (§76 Abs2 und 3) und über Form und Inhalt diesbezüglicher Anträge".

Diese Richtlinien lauten in der genannten, im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung auszugsweise wie folgt (die in Prüfung gezogene Wendung ist hervorgehoben):

"Beitragsgrundlage

§4. (1) Als Beitragsgrundlage ist jener Betrag festzusetzen, der dem durchschnittlich auf den Monat entfallenden Teil des Jahreseinkommens des Antragstellers entspricht.

(2) Für folgende Personen darf die Beitragsgrundlage nicht niedriger sein als jener Betrag, der sich bei Anwendung des Beitragsatzes gemäß §27 Abs1 Z1 GSVG (inklusive Zusatzbeitrag in der Krankenversicherung) und der im §25 Abs5 GSVG vorgesehenen Mindestbeitragsgrundlage ergibt:

1.

...

2.

...

(3) Für folgende Personen darf der Beitrag nicht niedriger sein als jener Betrag, der sich bei Anwendung des Beitragssatzes gemäß §27 Abs1 Z1 GSVG (inklusive Zusatzbeitrag in der Krankenversicherung) und der im §25a GSVG vorgesehenen Beitragsgrundlage ergibt:

1. selbständig Erwerbstätige, die keinen Antrag zur Einbeziehung in die Versicherung nach dem GSVG gestellt haben;

2. selbständig Erwerbstätige, die aufgrund ihrer Tätigkeit keine Pflichtversicherung nach dem GSVG oder BSVG begründen;

3. freiberuflich selbständig Erwerbstätige (Pensionisten), die im §2 Abs1 FSVG angeführt sind (Ärzte, Rechtsanwälte u.a.)."

(4)...

(5)Für Bezieher einer Pension nach dem GSVG, die keinen Antrag zur Einbeziehung in die Versicherung nach dem GSVG gestellt haben, darf die Beitragsgrundlage nicht niedriger sein als der Betrag des Richtsatzes für Ausgleichszulagen für alleinstehende Pensionisten (§293 Abs1 lita sublit. bb ASVG)."

2.3. Zum rechtlichen Umfeld dieser Bestimmung führte der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß folgendes aus:

   "... Gemäß §16 Abs1 ASVG können sich Personen, die nicht in

einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind,

solange ihr Wohnsitz im Inland gelegen ist, in der

Krankenversicherung selbst versichern.

   ... Die Beitragsgrundlage einer solchen Selbstversicherung ist

nach §76 ASVG zu ermitteln. Sie beträgt für die in §16 Abs1 bezeichneten Selbstversicherten den Tageswert der Lohnstufe (§46 Abs4 ASVG), in welche die über ein Sechstel ihres Betrages erhöhte Höchstbeitragsgrundlage (§45 Abs1 leg. cit.) fällt. Von hier nicht in Rede stehenden Ausnahmen abgesehen, ist jedoch gemäß §76 Abs2 lita ASVG die Selbstversicherung auf Antrag des Versicherten in einer niedrigeren als nach der zuvor genannten Bestimmung in Betracht kommenden Lohnstufe zuzulassen, sofern dies nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Versicherten gerechtfertigt erscheint (und es sich nicht um bestimmte, im Gesetz näher genannte selbstversicherte Personen handelt, die von dieser Herabsetzungsmöglichkeit ausgenommen sind; keiner dieser Fälle liegt hier vor).

Nach dem dritten Satz des §76 Abs2 ASVG darf die Selbstversicherung jedoch nicht unter dem Tageswert der Lohnstufe (§46 Abs4 ASVG), in die der gemäß §76a Abs3 genannte, jeweils geltende Betrag fällt, zugelassen werden. Der in dieser Bestimmung verwiesene §76a Abs3 ASVG ordnet wieder an, daß die Beitragsgrundlage den Betrag von S 138,-- nicht unterschreiten darf. An die Stelle des Betrages von S 138,-- tritt ab 1. Jänner eines jeden Jahres der unter Bedachtnahme auf §108 Abs9 ASVG mit der jeweiligen Aufwertungszahl (§108a Abs1 ASVG) vervielfachte Betrag."

2.4. Die in Rede stehende Bestimmung des §4 Abs3 der Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger in der hier anzuwendenden Fassung wurde mittlerweile durch die 2. Änderung dieser Richtlinien, kundgemacht in der Sozialen Sicherheit, Amtliche Verlautbarung Nr. 91/1998 (SoSi 1998, 742f.), mit Wirkung vom 1. Jänner 1999 geändert.

2.5. Die Erwägungen, die den Gerichtshof zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahren veranlaßt hatten, legte er in seinem Prüfungsbeschluß wie folgt dar:

"... Die gesetzliche Ermächtigung zur Erlassung der in Rede stehenden Richtlinie (§31 Abs5 Z9 ASVG) scheint nach ihrem Wortlaut offenkundig nur Richtlinien 'über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung (§76 Abs2 und 3) und über Form und Inhalt diesbezüglicher Anträge' zuzulassen. Diese Voraussetzungen scheinen - wie die Verweisung auf §76 Abs2 und 3 ASVG zeigt - die RL auf Festlegungen einzuschränken, die für die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Bedeutung sind. Zur Festsetzung einer vom Gesetz abweichenden Mindestbeitragsgrundlage, die bei Herabsetzung der Beitragsgrundlage auch dann nicht unterschritten werden darf, wenn die übrigen wirtschaftlichen Voraussetzungen im Sinne des §76 Abs2 und 3 ASVG hiefür vorlägen, für einen bestimmten, im Gesetz in diesem Zusammenhang aber nicht bezeichneten Personenkreis, scheint §31 Abs5 Z9 ASVG nicht zu ermächtigen.

... Selbst wenn man aber davon ausginge, daß in der RL auch von der gesetzlichen Mindestbeitragsgrundlage abweichende Beitragsgrundlagen festgesetzt werden dürfen, etwa um die Beitragsbelastung nicht pflichtversicherter selbständig Erwerbstätiger (zB von Freiberuflern, wie Rechtsanwälten) mit jenen der Pflichtversicherten nach dem GSVG abzustimmen (der Verwaltungsgerichtshof hat eine solche Einschränkung des Ermessensspielraums des Sozialversicherungsträgers durch die Richtlinien in seinem Erkenntnis vom 20. Februar 1996, Z95/08/0275, 0276, für zulässig erachtet), die RL insoweit also nicht anders zu deuten wäre als eine sachlich gerechtfertigte Vorwegnahme der Ermessensübung der einzelnen Sozialversicherungsträger im Interesse einer einheitlichen Handhabung, scheint die Regelung in sich unsachlich zu sein und damit gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen: Die undifferenzierte Gleichstellung von Pensionisten mit freiberuflich selbständig Erwerbstätigen scheint auch dann unsachlich zu sein, wenn es sich um Pensionisten (hier: um eine Witwenpensionsbezieherin) nach einer früheren freiberuflich selbständigen Erwerbstätigkeit handelt: Diese frühere Tätigkeit dürfte nämlich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse beim späteren Pensionsbezug nicht in der Weise von Einfluß sein, daß sich diese von jenen aller anderen Pensionisten in relevanter Weise unterscheiden. Auch dürfte sich die Aussagekraft des Pensionseinkommens von jener eines Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit zumindest soweit unterscheiden, daß sie eine undifferenzierte Gleichsetzung beider Einkommensarten für bestimmte Berufsgruppen unter Hinweis auf die Verhältnisse bei den aktiv Erwerbstätigen unter dem hier allein maßgebenden Gesichtspunkt der Zumutbarkeit von bestimmten Beitragsleistungen (und damit der Rechtfertigung der Festlegung einer höheren Mindestbeitragsgrundlage auch für Pensionisten) nicht rechtfertigen dürfte.

... Die Auffassung der beteiligten Gebietskrankenkasse, es könne

'zufolge der Bestimmungen des §2 FSVG und der dadurch bedingten Gleichstellung eine davon abgehende Differenzierung zwischen aktiven Freiberuflern und Pensionisten bei der Mindestbeitragsgrundlagenfestsetzung nicht vorgenommen werden. Eine derartige Vorgangsweise würde nach Auffassung der Kasse jedenfalls nicht mit der Zielsetzung des FSVG konform gehen',

vermag der Verfassungsgerichtshof vorläufig schon deshalb nicht zu teilen, weil auch innerhalb des Systems der Pflichtversicherung nach dem FSVG eine solche Gleichstellung nicht vorgenommen wird: Die nach dem FSVG sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen des GSVG sehen für Pensionisten nach selbständig erwerbstätigen Personen weder eine Mindestbeitragsgrundlage vergleichbar jener des §25a GSVG für die Krankenversicherung vor, noch ist der Beitrag in der Krankenversicherung zwischen aktiven Versicherten und Pensionisten gleich hoch: Während der Beitragssatz gemäß §27 Abs1 Z1 GSVG für Pflichtversicherte 8,8 vH beträgt, beträgt er in der Krankenversicherung für Pensionisten gemäß §29 Abs1 GSVG nur 3,75 vH.

... §4 Abs3 RL dürfte daher entweder wegen Überschreitens der gesetzlichen Ermächtigung gesetzwidrig, jedenfalls aber wegen des Fehlens einer sachlichen Rechtfertigung für die Gleichbehandlung freiberuflich selbständiger Erwerbstätiger mit Pensionisten bzw. der Ungleichbehandlung von Pensionsbeziehern verschiedener Zweige der gesetzlichen Sozialversicherung untereinander bei der Beitragsbemessung in der Krankenversicherung gegen den Gleichheitssatz verstoßen und daher gesetzwidrig sein."

3. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger hat im Verordnungsprüfungsverfahren mit Schriftsatz vom 29. März 1999 folgende Äußerung erstattet:

"Der Hauptverband hat gemäß §31 Abs5 Z9 ASVG für den Bereich der Krankenversicherung Richtlinien über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung und über Form und Inhalt diesbezüglicher Anträge aufzustellen.

Unter Beachtung der Vorgaben des gesetzlichen Rahmens hat der Hauptverband in den genannten Richtlinien die näheren Kriterien der Beurteilung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Herabsetzung der Beitragsgrundlage zu normieren.

Dies bedeutet, daß zwischen den Beträgen der Beitragsgrundlage im §76 Abs1 Z1 ASVG (47.400,-- S für 1997) und der nach einer erfolgten Herabsetzung nicht zu unterschreitenden 'Mindestbeitragsgrundlage' (6.600,-- S für 1997) der zuständige Krankenversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen eine entsprechende Beitragsgrundlage festzusetzen hat.

Durch die dem Hauptverband im §31 Abs5 Z9 ASVG erteilte Richtlinienkompetenz wurde dieser verpflichtet, detailliertere Kriterien für die Voraussetzung einer Herabsetzung bundeseinheitlich festzulegen.

Bis zur Erlassung der gegenständlichen Richtlinien gab es bei den Krankenversicherungsträgern unterschiedliche Vorgangsweisen bei der Festlegung des niedrigstmöglichen Beitrages bei einzelnen Berufsgruppen. Ein wichtiges Anliegen der vorliegenden Richtlinien war es daher, für bestimmte Berufsgruppen maximale Untergrenzen für die Herabsetzung der Beitragsgrundlage anzuführen. Durch diese sachlich gerechtfertigten Regelungen wurde eine bundeseinheitliche Vorgangsweise gewährleistet, die bisher nicht immer gegeben war. Außerdem führte diese Regelung dazu, daß sachlich zweifelhafte, extreme Herabsetzungen der Beitragsgrundlagen möglichst zurückgedrängt wurden.

Schon der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 20. Februar 1996, Zl. 95/08/0275, 0276, erkannt, daß, soweit der Beitrag für selbständig Erwerbstätige gemäß §4 Abs2 der Richtlinien nicht niedriger sein darf als jener Beitrag, der sich bei Anwendung des Beitragssatzes des GSVG aufgrund der Mindestbeitragsgrundlage des GSVG ergibt, die Richtlinien zwar den (sonst bestehenden) Ermessensspielraum des Sozialversicherungsträgers - zulässigerweise und aus sachlichen Gründen - einschränken, dies jedoch schon im Interesse einer einheitlichen Handhabung bei allen in Betracht kommenden Sozialversicherungsträgern nicht als gesetzwidrig erkannt werden kann.

Unterschiedliche Behandlung der Pflichtversicherten und der freiwillig Versicherten

Ein für die gesetzliche Sozialversicherung typisches Grundprinzip ist die Pflichtversicherung. Die Riskengemeinschaft kommt durch einen Akt des Gesetzgebers zustande, indem die von gleichartigen Gefahren bedrohten Personen zu einer Versicherungsgemeinschaft zusammengeschlossen und einem Sozialversicherungsträger zugeordnet werden. Der notwendige Riskenausgleich kann nur durch das Prinzip der Pflichtversicherung erreicht werden, weil in der gesetzlichen Sozialversicherung im Gegensatz zur Privatversicherung keine Riskenauslese vorgesehen ist. Der Versicherungsträger kann die ihm durch Gesetz zugewiesenen Versicherungsverhältnisse nicht selektieren, also keine ihm zu groß erscheinenden Risken ablehnen.

Erst in der 32. ASVG-Novelle wurde das Prinzip der Pflichtversicherung mit der Einräumung der uneingeschränkten Berechtigung zur freiwilligen Versicherung in der sozialen Krankenversicherung durch die 'Selbstversicherung' im Sinne des §16 ASVG umfassend ergänzt. Damit wollte der Gesetzgeber auch für jenen Personenkreis einen Sozialversicherungsschutz anbieten, der von den Bestimmungen der Pflichtversicherung nicht erfaßt ist, ohne dies wie bisher von der Erfüllung besonders strenger Voraussetzungen abhängig zu machen.

Der Gesetzgeber hat aber eine differenzierte Behandlung der freiwillig Versicherten in verschiedenen Bereichen gewollt und auch verwirklicht. Eine unterschiedliche Behandlung der freiwillig Versicherten ist einerseits insbesondere deswegen sachlich gerechtfertigt, weil dieser Personenkreis es sich aussuchen kann, ob und wann er einen gesetzlichen Sozialversicherungsschutz erhalten möchte. Er hat die Möglichkeit, eine Risikoabschätzung vorzunehmen sowie einen Kosten-Nutzen-Vergleich zu privaten Versicherungsunternehmen anzustellen. Nach Abschätzung aller Für und Wider kann dieser Personenkreis wählen, welchem System der Versicherung (gesetzlich oder privat) er beitreten möchte.

Im Gegensatz dazu kann der soziale Krankenversicherungsträger auch im Bereich der Selbstversicherung nicht wählen, ob und unter welchen Konditionen er einen Versicherten aufnimmt. Er unterliegt einem Kontrahierungszwang und ist verpflichtet, allen Anträgen zur Selbstversicherung ohne Berücksichtigung unterschiedlicher Riskenverteilung nachzukommen (z.B. stellen 'Pensionisten' statistisch gesehen eine Versichertengruppe mit hohem Risiko dar). Jeder kann der Selbstversicherung unter denselben Bedingungen beitreten, egal ob er noch erwerbstätig ist oder schon Pensionist.

Gerade was den Personenkreis der Freiberufler betrifft, so hatte dieser durch die Schaffung des Sozialversicherungsgesetzes der freiberuflich selbständig Erwerbstätigen (FSVG) die Möglichkeit, sich in das gesetzliche System der sozialen Pflichtversicherung vollwertig einbeziehen zu lassen.

Diese Möglichkeit wurde lediglich von der Österreichischen Ärztekammer, der Österreichischen Apothekerkammer und der Österreichischen Patentanwaltskammer, wenn auch nur teilweise, für ihre Kammermitglieder wahrgenommen.

Ein direkter Vergleich zwischen den Personen- bzw. Berufsgruppen, die in die Pflichtversicherung einbezogen sind und jener Personen- bzw. Berufsgruppe, die auf eine derartige Einbeziehung durch eine ausdrückliche Entscheidung verzichtet hat (wenn auch nur mittelbar durch die jeweilige gesetzliche berufliche Interessenvertretung), erscheint aus den oben genannten Gründen nicht zulässig. Es handelt sich dabei eben um zwei verschiedene Zugänge zum System der gesetzlichen Sozialversicherung: einerseits Pflichtversicherung, andererseits freiwillige Versicherung im Vergleich zum gesamten freien Versicherungsmarkt.

Daß solche Unterschiede im Zugang zum gesetzlichen Sozialversicherungsschutz in der Absicht des Gesetzgebers liegen, hat dieser schon im §123 Abs9 litc ASVG klar und deutlich ausgedrückt. In der genannten Bestimmung schließt der Gesetzgeber die im §2 Abs1 FSVG, BGBl.NR. 624/1978 in der ab 31. Dezember 1997 geltenden Fassung, angeführten Personen ausdrücklich von der Möglichkeit der Inanspruchnahme eines beitragsfreien Krankenversicherungsschutzes als Angehöriger eines ASVG-Versicherten aus.

Gleichstellung Erwerbstätige - Pensionisten

Die gesetzliche berufliche Interessenvertretung der Rechtsanwälte hat sich auf Wunsch der Mitglieder der Einbeziehung in die soziale Krankenversicherung bis heute enthalten. Es hat sich daher die Berufsgruppe der Rechtsanwälte dafür entschlossen, ihre sozialen Risken (Kranken-, Unfall-, Pensionsversicherung usw.) in Eigenverantwortung abzusichern. Diese Entscheidung wirkt sich jedoch nicht nur auf die aktiv erwerbstätigen Mitglieder der Berufsgruppe aus, sondern umfaßt systemgemäß auch die Pensionisten sowie die Angehörigen.

Gerade im Bereich der freiberuflich selbständigen Erwerbstätigkeit hat der einzelne die Freiheit und damit notwendigerweise verbunden die Eigenverantwortung, für sich und seine Angehörigen ausreichend vorzusorgen.

Die Gleichstellung von Pensionisten nach einer früheren freiberuflich selbständigen Erwerbstätigkeit (bzw. einer solchen des Ehegatten bzw. Verstorbenen) mit freiberuflich selbständig Erwerbstätigen nach den Richtlinien ist keinesfalls unsachlich.

Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt festgestellt, daß bei einer Regelung von einer Durchschnittsbetrachtung ausgegangen und auf den Regelfall abgestellt werden kann, wenn die Differenzierung den Erfahrungen des täglichen Lebens entspricht. Daß dabei Härtefälle entstehen, macht die Rechtsnorm nicht gleichheitswidrig (VfSlg. 3568, 7891, 8767, 8942). Der Normgeber kann einfache und leicht handhabbare Regelungen treffen (VfSlg. 8827).

Es entspricht den Erfahrungen des täglichen Lebens, daß im allgemeinen ein freiberuflich Erwerbstätiger weit mehr finanzielle Mittel (Einkommen, Gestaltungsmöglichkeiten) zur Verfügung hat als den in den Richtlinien genannten Betrag der Mindestbeitragsgrundlage.

Dies gilt entsprechend auch für Pensionisten nach einer freiberuflichen Erwerbstätigkeit. Wie bereits vorher ausgeführt, sind diese Berufsgruppen dazu verhalten, die sozialen Risken - insbesondere auch für das Alter - in Eigenverantwortung privat abzusichern. Grundlage für die private Absicherung im Alter (Pensionsleistung) wird dabei das aus der Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen sein. Das Ziel wird die Beibehaltung des Lebensstandards auch im Alter sein. Somit darf davon ausgegangen werden, daß der im Pensionsalter zur Verfügung stehende Betrag der früheren Einkommenshöhe angepaßt sein wird. Es darf hier nicht bloß die Pensionshöhe betrachtet werden, sondern es müssen auch diverse andere Vorsorgen (Einkommensrücklagen, Zinserträge) berücksichtigt werden, weil die bloße Kammerpensionshöhe erfahrungsgemäß äußerst selten die einzige Einkommensquelle im Bereich der Freiberufler-Pensionisten darstellt (vgl. z.B. auch die Rolle von Mieterträgen etc.).

Die Gleichstellung der Erwerbstätigen und der Pensionisten in den Richtlinien ist daher sachlich gerechtfertigt und führt zu keinen unsachlichen Belastungen."

4. Diesen Ausführungen hat sich auch die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales in ihrer Äußerung vom 16. April 1999 angeschlossen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die in Rede stehenden Richtlinien des Hauptverbandes der vsterreichischen Sozialversicherungsträger sind an einen nach generellen Merkmalen umschriebenen Adressatenkreis gerichtet und enthalten nähere normative Regelungen über die Rechtsverhältnisse zwischen dem Sozialversicherungsträger und Antragstellern auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung. Sie sind daher eine Verordnung im Sinne des Art139 Abs1 B-VG (zum Verordnungscharakter von Normen im allgemeinen vgl. die bei Mayer, B-VG2, 118 (II.2) zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, zu jenem solcher (früher im §76 Abs6 ASVG geregelter) Richtlinien vgl. insbesondere die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 24.11.1988, 88/08/0220, vom 17. Dezember 1991, 89/08/0214, und vom 20. Februar 1996, 95/08/0275, 0276). Die in Rede stehende Bestimmung dieser Verordnung, insbesondere die in Prüfung gezogene Wortfolge, bildet eine Rechtsgrundlage des angefochtenen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Bescheides; sie ist demnach auch bei Fällung des Erkenntnisses über die Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG anzuwenden. Die Verordnung ist somit in dieser Beschwerdesache präjudiziell im Sinne des Art139 Abs1 Satz 1 B-VG.

Da auch sonst kein Prozeßhindernis hervorgekommen ist, ist das Verordnungsprüfungsverfahren somit zulässig.

2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich als zutreffend erwiesen. Die Argumente des beteiligten Hauptverbandes sind nicht geeignet, diese Bedenken zu zerstreuen:

2.1. Der Hauptverband ist dem Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Vorschrift einer gesetzlichen Deckung entbehrt, in seiner Stellungnahme nicht entgegengetreten. Diese Bedenken haben sich als zutreffend erwiesen: Die gesetzliche Ermächtigung des §31 Abs5 Z9 ASVG, auf welche allein die Richtlinien gestützt werden können, läßt ausdrücklich nur Richtlinien "über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung (§76 Abs2 und 3) und über Form und Inhalt diesbezüglicher Anträge" zu. Nun kann eine Begrenzung der Möglichkeiten zur Herabsetzung der Beitragsgrundlage nach unten schon sprachlich nicht zu den "Voraussetzungen" für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage gezählt werden.

Vor allem aber spricht die in der Verordnungsermächtigung zitierte Vorschrift des §76 Abs2 ASVG gegen eine solche Ermächtigung, zumal die genannte Gesetzesstelle zwar nicht "die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten" näher und abschließend umschreibt, wohl aber eine gesetzliche Untergrenze für die Herabsetzung der Beitragsgrundlage festlegt, welche ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten nicht unterschritten werden darf. Daraus kann aber kein anderer Schluß gezogen werden als der, daß es oberhalb der Mindestbeitragsgrundlage ausschließlich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse im Einzelfall und nicht überdies auf die Art der Einkommenserzielung ankommen soll.

2.2. Obschon die in Prüfung gezogene Vorschrift somit aus dem Grund ihrer mangelnden gesetzlichen Deckung aufzuheben ist, sei zu den Ausführungen des Hauptverbandes zum Gleichheitsbedenken ergänzend auf folgendes hingewiesen:

2.2.1. Mit dem Hinweis, es sei im Interesse einer einheitlichen Handhabung bei allen in Betracht kommenden Sozialversicherungsträgern zulässig, den von Gesetzes wegen bestehenden Ermessensspielraum der Sozialversicherungsträger bei der Herabsetzung der Beitragsgrundlagen durch Verordnung einzuschränken, soweit diese vorsieht, daß der Pflichtbeitrag selbständig freiberuflicher Erwerbstätiger nicht niedriger sein darf als dies bei Anwendung der Mindestbeitragsgrundlage nach dem GSVG der Fall wäre, vermöchte der Hauptverband allenfalls die Abstimmung der (Mindest)Beitragsgrundlagen von aktiven, nicht pflichtversicherten Erwerbstätigen in der Selbstversicherung mit jenen, die vergleichbare selbständig erwerbstätige Pflichtversicherte in der Pflichtversicherung zu entrichten haben, sachlich zu rechtfertigen, nicht aber die Übertragung dieser Überlegungen auf Pensionsbezieher, da diese nach der Art des (für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit maßgeblichen) erzielten Einkommens nicht mit selbständig Erwerbstätigen sondern nur mit unselbständig Erwerbstätigen verglichen werden können. Es kann dabei auf sich beruhen, ob sich - wie der Hauptverband behauptet - das Einkommen freiberuflich Erwerbstätiger im Pensionseinkommen typischerweise abbildet. Der sachliche Grund für eine einkommensunabhängige, nur an die Ausübung einer bestimmten Erwerbstätigkeit geknüpfte Mindestbeitragsgrundlage liegt bei selbständig Erwerbstätigen in der Eigenart ihrer Einkommenserzielung begründet und soll verhindern, daß bei Auftreten von Verlusten (d.h. bei Fehlen eines "Positiveinkommens") auch der Sozialversicherungsschutz verlorengeht. Dieser Gedanke ist daher auf Versicherte mit Einkünften aus unselbständiger Erwerbstätigkeit von vornherein nicht übertragbar, gleichgültig, in welcher Höhe solche Einkünfte bezogen werden.

2.2.2. Der Hauptverband argumentiert weiters dahin, daß die Gruppe der aktiv freiberuflich Erwerbstätigen und Pensionisten nach solchen Erwerbstätigen frei entscheiden könnte, dem System der gesetzlichen Krankenversicherung in Form der Selbstversicherung beizutreten, während die Krankenversicherungsträger aufgrund gesetzlicher Verpflichtung zur Kontrahierung mit dieser Gruppe gezwungen wäre; deshalb sei eine unterschiedliche Behandlung dieser Gruppe sachlich gerechtfertigt. Dies hat mit der gegenständlichen Fragestellung aber offenkundig insoweit nichts zu tun, als diese Überlegung im Gesetz im Zusammenhang mit den Bedingungen für den Eintritt in die Selbstversicherung keinen Ausdruck findet und auch in keinem Sachzusammenhang zur Frage steht, ob und wieweit eine Beitragsleistung aufgrund der geringen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten herabgesetzt werden darf.

2.3. Die Argumente des Hauptverbandes vermöchten somit - käme es auf sie noch an - weder die durch die Regelung bewirkte Verschiedenbehandlung der in Rede stehenden Pensionisten im Verhältnis zu ehemals nach GSVG versicherten Pensionsbeziehern, noch die (ungeachtet der Verschiedenheiten in der Sache) vorgenommene Gleichstellung dieser Pensionisten mit freiberuflich erwerbstätigen Versicherten zu rechtfertigen.

3. Schon aus den zuvor genannten Gründen ist der Ausdruck "(Pensionisten)" in §4 Abs3 Z3 der gegenständlichen Richtlinien des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger gesetzwidrig. Da diese Bestimmung in der maßgeblichen Fassung durch die erwähnte 2. Änderung der gegenständlichen Richtlinien des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger mittlerweile außer Kraft gesetzt worden ist, war gemäß Art139 Abs4 B-VG auszusprechen, daß der Ausdruck "(Pensionisten)" in dieser Bestimmung gesetzwidrig war.

4. Der Ausspruch über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VerfGG, jener über den Ort der Kundmachung (Bundesgesetzblatt II) auf §2 Abs2 Z4 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsgegenstand, Verordnungsbegriff, Sozialversicherung, Versicherung freiwillige, Krankenversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:V7.1999

Dokumentnummer

JFT_10009388_99V00007_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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