TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/15 2002/08/0017

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Veröffentlicht am 15.05.2002
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der P in F, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager, Dr. Dieter Gallistl und Dr. Elfgund Frischenschlager, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Landstraße 15, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 19. März 2001, Zl. LGSOÖ/Abt.4/1281/106/2001, betreffend Aberkennung des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice hat mit der Beschwerdeführerin am 15. Jänner 2001 eine Niederschrift betreffend die Nichtannahme bzw. das Nichtzustandekommen einer zugewiesenen Beschäftigung aufgenommen. Demnach sei der Beschwerdeführerin vom Arbeitsmarktservice am 8. Jänner 2001 eine Beschäftigung als Reinigungskraft beim Dienstgeber M. mit möglichem Arbeitsantritt am 8. Jänner 2001 zugewiesen worden. Die Beschwerdeführerin habe angegeben, sie habe die Einwendung, dass die Arbeitszeiten nur am Abend und am Wochenende gewesen wären. Sie habe Betreuungspflichten, für abends bekäme sie keine Tagesmutter und ihr Gatte sei nicht immer zu Hause. Daher wäre die Kinderbetreuung zu diesen Arbeitszeiten nicht gewährleistet gewesen. Laut telefonischer Stellungnahme von Frau W., der Vertreterin des Unternehmens M., könnten keine Dienstnehmer angestellt werden, die nur vormittags arbeiten würden. Die Dienstzeiten wären hauptsächlich abends und am Wochenende, da auch die Vollzeitangestellten des Unternehmens am Wochenende frei haben wollten. Frau W. habe natürlich Verständnis dafür, wenn eine Bewerberin Betreuungspflichten habe, dass sie mit diesen Arbeitszeiten nicht einverstanden sei. Laut Aussage der Beschwerdeführerin stimmten die Angaben von Frau W. "überein".

Mit Bescheid vom 25. Jänner 2001 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice aus, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für den Zeitraum vom 8. Jänner 2001 bis 18. Februar 2001 verloren habe. Dieser Zeitraum verlängere sich um die in ihm liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen würde. Nachsicht werde nicht erteilt. Begründend führte die Behörde erster Instanz aus, die Beschwerdeführerin habe die Arbeitsaufnahme bei dem Unternehmen M. ohne triftigen Grund verweigert.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid legte die Beschwerdeführerin dar, sie habe die Einstellung bei dem Unternehmen M. weder abgelehnt noch diese vereitelt. Beim Vorstellungsgespräch am 12. Jänner 2001 sei sie mit einer Aufnahme in ein Arbeitsverhältnis bei dem Unternehmen M. einverstanden gewesen. Bei diesem Gespräch habe ihr Frau W. von dem Unternehmen M. jedoch mitgeteilt, dass die Beschäftigung nur abends und am Wochenende wäre. Das wäre für die Beschwerdeführerin schwierig gewesen, da für diese Zeit die Kinderbetreuung noch nicht geklärt und in F. eine Tagesmutter zu dieser Zeit nicht verfügbar gewesen sei. Doch auch dieses Problem hätte sich lösen lassen und sollte einer Einstellung nicht im Wege stehen. Frau W. habe dazu gemeint, für die Arbeitszeit abends und am Wochenende sei auf Grund der Bezahlung eine Tagesmutter nicht finanzierbar und wahrscheinlich auch nicht verfügbar. Frau W. habe eine Einstellung abgelehnt.

Laut Aktenvermerk des Arbeitsmarktservice vom 14. Februar 2001 habe Frau W. auf telefonische Anfrage bekannt gegeben, dass sich die Beschwerdeführerin zusammen mit über 30 Personen beworben habe. An den genauen Ablauf des Gespräches könne sich Frau W. nicht mehr erinnern. Es sei jedoch in fast allen Fällen so, dass sie, in Kenntnis der Probleme mit Betreuungspflichten, die Frauen auf die Arbeitszeiten abends und an den Wochenenden hinweise und üblicherweise wendeten die Frauen ihre Betreuungspflichten ein. So werde dies auch im konkreten Fall gelaufen sein.

In der Folge teilte das Arbeitsmarktservice der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 14. Februar 2001 mit, dass ergänzende Ermittlungen bei dem Unternehmen M. ergeben hätten, dass sich Frau W. an das konkrete Bewerbungsgespräch nicht im Detail erinnern könne. Sie sei sich jedoch sicher, dass, wenn die Betreuungspflichten und deren Vereinbarkeit mit Abend- und Wochenenddienst angesprochen würden, die Leistungsbezieher ihrerseits mitteilten, dass unter diesen Umständen eine Annahme der Beschäftigung für sie nicht möglich wäre. Von ihrer Seite aus würde jedenfalls keine Ablehnung wegen bestehender Betreuungspflichten erfolgen.

Der Ehemann der Beschwerdeführerin benachrichtigte das Arbeitsmarktservice daraufhin am 21. Februar 2001 telefonisch, dass die Beschwerdeführerin vom Dienstgeber abgelehnt worden sei. Sie habe lediglich Frau W. über die beiden Kinder informiert, damit aber keinesfalls ausdrücken wollen, dass sie nicht arbeitswillig sei. Es seien flexible Arbeitszeiten gefordert gewesen, weshalb eine Abklärung wegen der Kinderbetreuung erforderlich gewesen wäre. Dazu sei es allerdings nicht mehr gekommen. Frau W. habe das Gespräch sofort beendet, die Beschwerdeführerin habe keine weiteren Möglichkeiten zur Fortsetzung des Gespräches gehabt, um Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeit abklären zu können. Die Annahme von Frau W., die Beschwerdeführerin sei nicht arbeitswillig, sei völlig unrichtig.

Die belangte Behörde hat mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der Berufung nicht stattgegeben. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, die zugewiesene Beschäftigung bei dem Unternehmen M. wäre innerhalb des Wohnortes der Beschwerdeführerin auszuüben gewesen. Die Betreuungspflicht für ihre beiden Kinder beeinträchtige daher die Zumutbarkeit der angebotenen Beschäftigung nicht. Richtig sei, dass Frau W. die Anstellung der Beschwerdeführerin abgelehnt habe, dies jedoch erst, nachdem die Beschwerdeführerin auf ihre "natürlich bestehenden" Betreuungspflichten hingewiesen habe. Da die Beschwerdeführerin jedoch eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung beziehe und bei Zuweisungen am Wohnort die Betreuungspflichten nicht zu berücksichtigen seien, hätte sie diese nicht einmal erwähnen dürfen. Die Feststellung, wonach Frau W. die Anstellung der Beschwerdeführerin erst nach Erwähnung der Betreuungspflichten durch die Beschwerdeführerin abgelehnt habe, gründe sich auf die Angaben des potenziellen Dienstgebers, der am Ausgang des Berufungsverfahrens kein wie immer geartetes Interesse habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.

Eine Beschäftigung außerhalb des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Arbeitslosen ist gemäß § 9 Abs. 3 AlVG zumutbar, wenn hiedurch die Versorgung seiner Familienangehörigen, zu deren Unterhalt er verpflichtet ist, nicht gefährdet wird und am Orte der Beschäftigung, wenn eine tägliche Rückkehr an den Wohnort nicht möglich ist, entsprechende Unterkunftsmöglichen bestehen.

Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs (unter näher umschriebenen Voraussetzungen: acht) Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Auf Grund des § 38 AlVG sind die genannten Regelungen auch auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2002, Zl. 99/08/0104) ist es ohne Relevanz, ob die belangte Behörde das Verhalten der Beschwerdeführerin dem richtigen Tatbestand des § 10 Abs. 1 AlVG unterstellt hat. Das Beschwerdevorbringen, soweit es rügt, dass die belangte Behörde eine Verweigerung der Arbeitsaufnahme seitens der Beschwerdeführerin angenommen hat, geht insoweit ins Leere.

Von entscheidender Bedeutung ist im vorliegenden Fall der Verlauf des Vorstellungsgespräches der Beschwerdeführerin bei Frau W. Der Niederschrift vom 15. Jänner 2001 ist über diesen Verlauf nichts zu entnehmen. Frau W. habe demnach nur allgemein festgestellt, dass sie keine Dienstnehmer anstelle, die nur vormittags arbeiten könnten. Die indikative Formulierung der Aussagen der Beschwerdeführerin vor dem Arbeitsmarktservice über die Probleme mit ihren Betreuungspflichten widerlegt im Zusammenhang mit dem sonstigen Vorbringen der Beschwerdeführerin deren Angabe nicht, dass sie diese Probleme beim Vorstellungsgespräch als überwindbar dargestellt habe.

In der Berufung hat die Beschwerdeführerin ausgeführt, dass sie beim Vorstellungsgespräch mit einer Aufnahme in ein Arbeitsverhältnis bei dem Unternehmen M. einverstanden gewesen sei. Auch das Problem der Kinderbetreuung hätte sich lösen lassen und sollte einer Einstellung nicht im Wege stehen. Frau W. habe dazu gemeint, für die Arbeitszeit am Abend und am Wochenende sei auf Grund der Bezahlung eine Tagesmutter nicht finanzierbar und wahrscheinlich auch nicht verfügbar. Frau W. habe die Einstellung abgelehnt.

Die belangte Behörde hat mit Recht diese Ausführungen der Beschwerdeführerin zum Anlass weiterer Ermittlungen genommen. Diese führten allerdings zu keinem Ergebnis, das die Begründung des angefochtenen Bescheides stützen könnte.

Die belangte Behörde hat nicht festgestellt, dass die Beschwerdeführerin schon im Vorhinein, etwa anlässlich der Zuweisung durch die regionale Geschäftsstelle, auf die besonderen Arbeitszeiten der betreffenden Stelle (abends bzw. an den Wochenenden) aufmerksam gemacht worden wäre. Es ist daher davon auszugehen, dass sie erstmals beim Vorstellungsgespräch damit konfrontiert worden ist, weshalb - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - keine Vereitelungshandlung anzunehmen ist, wenn die Beschwerdeführerin in dieser Situation spontan darauf hingewiesen hat, dass sie Kinderbetreuungspflichten hat, zugleich aber zum Ausdruck gebracht hat, sie werde diese Frage mit Hilfe einer Tagesmutter lösen können. Damit hat die Beschwerdeführerin ihre Arbeitswilligkeit in der konkreten Bewerbungssituation nicht in Frage gestellt.

Wenn die Beschwerdeführerin somit beim Bewerbungsgespräch objektiv keine Vereitelungshandlung gesetzt hat, dann ist es unerheblich, aus welchen Gründen sie nicht eingestellt wurde. Dennoch sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zu der Bemerkung veranlasst, dass die Feststellung der belangten Behörde, dass Frau W. eine Anstellung der Beschwerdeführerin auf Grund der Erwähnung der Kinderbetreuungspflichten abgelehnt habe, ebenso wenig in der Aktenlage Deckung findet.

Im Telefongespräch vom 14. Februar 2001 hat Frau W. dem Arbeitsmarktservice laut Aktenvermerk vom selben Tag mitgeteilt, dass sie sich an den genauen Ablauf des Gespräches nicht mehr erinnern könne. Es sei jedoch in fast allen Fällen so, dass sie, in Kenntnis der Probleme mit Betreuungspflichten, die Frauen auf die Arbeitszeiten abends und an den Wochenenden hinweise und üblicherweise wendeten die Frauen ihre Betreuungspflichten ein. So werde dies auch im konkreten Fall gelaufen sein. Entgegen dem Schreiben des Arbeitsmarktservice an die Beschwerdeführerin vom 14. Februar 2001 ist dem zitierten Aktenvermerk nicht zu entnehmen, dass von Seite der Frau W. aus jedenfalls keine Ablehnung wegen bestehender Betreuungspflichten erfolgen würde. Im Aktenvermerk ist auch nur festgehalten, dass die Frauen üblicherweise ihre Betreuungspflichten einwendeten. Die Aussage, dass die Leistungsbezieher ihrerseits regelmäßig mitteilen, dass unter diesen Umständen eine Annahme der Beschäftigung für sie nicht möglich ist, wie sie im Schreiben des Arbeitsmarktservice vom 14. Februar 2001 wiedergegeben ist, findet im Aktenvermerk vom selben Tag keine Grundlage.

Es steht somit nicht fest, dass die Beschwerdeführerin das Zustandekommen der Beschäftigung vereitelt hat. Der bloße Hinweis auf Kinderbetreuungspflichten kann eine solche Vereitelung noch nicht darstellen, wenn die Beschwerdeführerin, so wie dies in ihrer Berufung ausgeführt wird, darauf hingewiesen hat, dass sich das Problem der Kinderbetreuung lösen lasse und einer Einstellung nicht im Wege stünde. Wenn Frau W., wie dies die Beschwerdeführerin behauptet hat, trotzdem sofort davon ausgegangen sei, dass eine solche Lösung nicht möglich wäre und deshalb keine Einstellung vorgenommen habe, könnte der Beschwerdeführerin keine Vereitelung zur Last gelegt werden.

Im Hinblick auf die unbegründete Annahme der belangten Behörde, es liege eine Vereitelungshandlung vor, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Auf das Vorbringen in der Beschwerde, die Art. 1 bis 3 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, und die Art. 3 und 4 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit hätten eine andere Auslegung des § 10 Abs. 1 AlVG durch die belangte Behörde erfordert, erübrigt es sich schon deshalb einzugehen, da wegen des mangelhaft ermittelten Sachverhaltes nicht klargestellt ist, ob eine mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes im Hinblick auf die Kinderbetreuungspflichten überhaupt erfolgt sein könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Umrechnung der entrichteten Stempelgebühren gründet sich auf § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.

Wien, am 15. Mai 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002080017.X00

Im RIS seit

18.09.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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