TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/23 2002/05/0217

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Veröffentlicht am 23.05.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Jänner 2002, Zl. 643454/5- Stra/02-scb, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde Bludesch, 2. Hans Jürgen Tinkhauser in Innsbruck, beide vertreten durch Piccolruaz & Müller, Anwaltspartnerschaft in Bludenz, Bahnhofstraße 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat den Mitbeteiligten zusammen Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der am 26. Jänner 1965 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit Geburt mit Hauptwohnsitz in Bludesch gemeldet. In Innsbruck ist er seit 1998 mit Nebenwohnsitz gemeldet.

Der Zweitmitbeteiligte besucht in Innsbruck das Priesterseminar. Laut Wohnsitzerklärung verbringt er in Innsbruck 245 Tage, in Bludesch 120 Tage im Jahr.

Der beschwerdeführende Bürgermeister beantragte die Einleitung eines Reklamationsverfahrens zur Entscheidung darüber, ob der Zweitmitbeteiligte in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters weiterhin den Hauptwohnsitz hat.

Der Zweitmitbeteiligte führte in seiner Stellungnahme vom 13. Dezember 2001 aus, beim Ausfüllen der Wohnsitzerklärung seien Fehler unterlaufen; die Sekretärin habe die Aufenthaltsdauer falsch berechnet, auch ihm sei der Fehler nicht aufgefallen. Er halte sich max. 5-6 Monate in Innsbruck auf. Sonst halte es sich meist bei seiner Familie (Mutter und Bruder) in Bludesch auf, wo er auch seine Pastoraldienste versehe. Von April 1990 bis Dezember 1999 sei er gewählter Gemeindevertreter in Bludesch gewesen. Bludesch sei der Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen.

Auch der Erstmitbeteiligte führte in seiner Stellungnahme vom 27. November 2001 aus, dass der Zweitmitbeteiligte an verschiedenen Wochenenden in Bludesch kirchliche Dienste versehe, in Innsbruck halte er sich nur zu Studienzwecken auf.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Bludesch ab. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Zweitmitbeteiligte zwei Wohnsitze mit Mittelpunktqualität besitze. Der Zweitmitbeteiligte habe in seiner Stellungnahme sein "überwiegendes Naheverhältnis" eindeutig dargelegt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die Mitbeteiligten legten den Schriftverkehr des Verwaltungsverfahrens vor und erstatteten eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Der Zweitmitbeteiligte studiere erst seit drei Jahren, die Ausbildung zum Priester bedinge auch, dass er in seiner Pfarrgemeinde mitarbeiten müsse. Der Beschwerdeführer erstattete eine Replik zur Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof im Geltungsbereich der auch im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage des Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung BGBl. Nr. 352/1995, ausgeführt, dass im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt (wird), ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG 1991) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u. a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher - wie auch den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Meldegesetznovelle, BGBl. Nr. 505/1994 (GP XVIII RV 1334), zu entnehmen ist - vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Durchaus möglich ist, dass am Hauptwohnsitz - und damit beim Mittelpunkt der Lebensbeziehungen - wenige oder gar keine beruflichen Lebensbeziehungen bestehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 1999, Zl. 99/05/0076). Diese Regelung hat auch durch die Anfügung des Abs. 8 im § 1 MeldeG mit der Novelle vom 30. März 2001, BGBl. I Nr. 28/2001, keine inhaltliche Änderung erfahren, weil damit nur die in der vorzitierten Regierungsvorlage angeführten Kriterien in Gesetzesform gegossen worden sind.

Für das vom Verfassungsgerichtshof in seinem obzitierten Erkenntnis vom 26. September 2001 als verfassungskonform bewertete Reklamationsverfahren gilt daher, dass nur die im § 17 Abs. 3 MeldeG angeführten Beweismittel zulässig sind; die Parteien trifft eine besondere Mitwirkungspflicht. Die am Reklamationsverfahren beteiligten Bürgermeister dürfen nur Tatsachen geltend machen, die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem Übermittlungsverbot unterliegen.

Um dem Ziel des Reklamationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 3 MeldeG - "die Richtigkeit einer von einem Meldepflichtigen vorgenommenen Erklärung seines Hauptwohnsitzes im öffentlichen Interesse zu hinterfragen" (siehe das bereits zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001) - nachkommen zu können, hat sohin die Behörde (§ 17 Abs. 1 MeldeG) in ihrer Entscheidung für die Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen des Betroffenen als wesentliches Tatbestandsmerkmal seines Hauptwohnsitzes gemäß § 1 Abs. 7 MeldeG eine Gesamtbetrachtung seiner beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen vorzunehmen. Diesen Anforderungen wird das Ermittlungsverfahren nur dann entsprechen, wenn die Behörde jedenfalls die oben wiedergegebenen, nunmehr im § 1 Abs. 8 MeldeG, BGBl. Nr. 28/2001, für den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen eines Menschen angeführten Kriterien berücksichtigt hat. Hiefür stehen der Behörde die im § 17 Abs. 3 MeldeG (abschließend) aufgezählten Beweismittel zur Verfügung. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich in diesem Zusammenhang der vom Verfassungsgerichtshof in dessen Erkenntnis vom 26. September 2001 vertretenen Auffassung an, dass die dort normierte besondere Mitwirkungspflicht der Parteien, insbesondere des Betroffenen, deren Verpflichtung einschließt, zu strittigen Umständen in Form verbindlicher und nachvollziehbarer Erklärungen und Erläuterungen Stellung zu nehmen. Die belangte Behörde hat daher in diesem Rahmen den maßgebenden Sachverhalt (§ 37 AVG) zu ermitteln und die vorliegenden Beweise auch zu würdigen (§ 45 Abs. 2 AVG). In diesem Zusammenhang weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass das subjektive Kriterium des "überwiegenden Naheverhältnisses" nur dann entscheidend ist, wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen Mittelpunkte der Lebensbeziehungen darstellen (siehe das hg. Erkenntnis 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935), die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung des Hauptwohnsitzes allein also nicht jedenfalls maßgeblich ist.

Im Beschwerdefall steht fest, dass der nunmehr 37-jährige Zweitmitbeteiligte in Innsbruck in einem Priesterseminar lebt und dort seinem Studium nachgeht.

Gleichzeitig kann nicht außer Acht gelassen werden, dass er durch mehrere Jahre hindurch Gemeindevertreter in Bludesch war und nunmehr im Rahmen seiner Ausbildung pastorale Dienste in Bludesch versieht, wo er mit seiner Mutter und seinem Bruder in einer Wohnung wohnt. Somit besteht eine berufliche und familiäre Beziehung zu Bludesch. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher im vorliegenden Ausnahmefall zu der Ansicht gelangt, dass die Annahme der belangten Behörde, der Zweitmitbeteiligte verfüge über zwei Mittelpunkte der Lebensbeziehungen, gerechtfertigt ist.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall der Zweitmitbeteiligte mit Recht eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu keiner Aufhebung des Hauptwohnsitzes führen konnte. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil nach der genannten Verordnung die Umsatzsteuer im pauschalierten Schriftsatzaufwandersatz enthalten ist und die Zuerkennung von Zuschlägen nicht vorgesehen ist.

Der Vorlageaufwand für die Aktenvorlage steht nur der belangten Behörde zu.

Wien, am 23. Mai 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050217.X00

Im RIS seit

08.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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