TE Vwgh Erkenntnis 2002/6/5 99/08/0048

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Veröffentlicht am 05.06.2002
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
60/03 Kollektives Arbeitsrecht;

Norm

ABGB §6;
ABGB §7;
ABGB §8;
ArbVG §2 Abs1;
ArbVG §2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dr. P in H, vertreten durch Dr. Anton Weber, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Rathausstraße 35a, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 11. Dezember 1998, Zl. IVb-69-22/1998, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Vorarlberger Gebietskrankenkasse, 6850 Dornbirn, Jahngasse 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 27. Februar 1998 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Beschwerdeführer als Dienstgeber für die in der dem Bescheid angeschlossenen Beitragsnachverrechnung angeführten Dienstnehmer zur Zahlung allgemeiner Beiträge für die in der Beilage angeführten Zeiträume in der dort angeführten Höhe sowie zur Zahlung der dort errechneten Verzugszinsen. Nach der wesentlichen Begründung habe die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse anlässlich einer Beitragsprüfung festgestellt, dass die in der Beitragsnachverrechnung angeführten Dienstnehmer in der vom Beschwerdeführer betriebenen Hotel-Pension an sechs Tagen pro Woche beschäftigt gewesen seien. Gemäß Punkt 2. a) des Kollektivvertrages für Arbeiter im Gastgewerbe sei die wöchentliche Normalarbeitszeit auf fünf Tage aufzuteilen. Aus den "Erläuterungen des Kollektivvertrages" zu Punkt 2.a) 2. (Fünf-Tage-Woche im Gastgewerbe) ergebe sich, dass die Normalarbeitszeit am sechsten Tag der Woche in jedem Fall mit einem 50%-igen Zuschlag auf den Grundlohn abzugelten sei. Dies auch dann, wenn es sich um keine Überstunden im Sinne des Arbeitszeitgesetzes handle. Die Nachverrechnung der Beiträge resultiere aus der Differenz zu den tatsächlich gemeldeten Grundlagen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch keine Folge und stützte ihre Entscheidung - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - auf Punkt 2.a) des Kollektivvertrages für Arbeiter im Gastgewerbe und auf die "Erläuterungen" zu dieser Bestimmung. Nach diesen "Erläuterungen" sei die am sechsten Tag der Woche geleistete Arbeitszeit in jedem Fall mit einem 50%-igen Zuschlag auf den Grundlohn abzugelten. Dies gelte auch dann, wenn es sich dabei um keine Überstunden im Sinne des Arbeitszeitgesetzes handle, die Arbeitsleistung also innerhalb der Grenzen der Normalarbeitzeit liege. Ausgehend von einer Wochenarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz von Montag bis Sonntag falle der sechste Arbeitstag entweder auf den Samstag oder den Sonntag dieser Woche. In diesem Sinne seien zur Berechnung des 50% Zuschlages der Samstag oder der Sonntag herangezogen worden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 23. Februar 1999, B 129/99-3, abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat. In der - nach Aufforderung - ergänzten Beschwerde macht der Beschwerdeführer erkennbar eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattet ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der im Beschwerdefall - unstrittig - anzuwendende Kollektivvertrag für Arbeiter im Gastgewerbe sieht in seinem Punkt 2.a) vor, dass die wöchentliche Normalarbeitszeit auf fünf Tage aufzuteilen sei. Die sich daraus zusätzlich zur wöchentlichen Ruhezeit ergebende Freizeit kann jedoch innerhalb der in lit. b) erwähnten Durchrechnungszeiträume verschoben werden. Eine solche Durchrechnung der wöchentlichen Normalarbeitszeit kann im Form einer Betriebsvereinbarung oder mittels Einzelvertrag für einen Zeitraum von höchstens vier Wochen vereinbart werden (lit. b).

In einem im Akt der belangten Behörde einliegenden Auszug aus dem genannten Kollektivvertrag finden sich im Anschluss an die Wiedergabe des Textes von Punkt 2) "Erläuterungen zu Punkt 2", in denen es unter Anderem heißt (Fettdruck im Original):

"lit. a) 1. Begriff der Normalarbeitszeit: Die wöchentliche Normalarbeitszeit beträgt gem. § 3 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz 40 Stunden. Bei einer Aufteilung auf fünf Tage ergibt sich daraus grundsätzlich eine tägliche Normalarbeitszeit von 8 Stunden. Der Kollektivvertrag lässt eine davon abweichende Verteilung der Arbeitszeit unter bestimmten Voraussetzungen zu (siehe dazu Erläuterungen zu Punkt 2, lit. b - 'Durchrechnung der Arbeitszeit').

Unter Arbeitszeit versteht das Gesetz Nettoarbeitszeit, nicht also die gesamte Dauer der betrieblichen Anwesenheit.

Was zählt zur Arbeitszeit?

Arbeitszeit ist jene Zeit, während der sich der Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers im Betrieb aufzuhalten hat. ...

2. Fünftagewoche im Gastgewerbe:

Die Einführung der Fünftagewoche bedeutet keine Arbeitzeitverkürzung und kein generelles Verbot der Arbeit am 6. Tag.

Selbstverständlich können sich Dienstnehmer im Rahmen der gesetzlichen Grenzen weiterhin zu Arbeitsleistungen an 6 Tagen pro Woche verpflichten. Die am 6. Tag geleistete Arbeitszeit ist aber in jedem Fall mit einem 50 prozentigen Zuschlag auf den Grundlohn abzugelten.

Dies gilt auch dann, wenn es sich dabei um keine Überstunden im Sinne des Arbeitszeitgesetzes handelt, die Arbeitsleistung also innerhalb der Grenzen der Normalarbeitszeit liegt.

Der Zuschlag für die am 6. Tag erbrachte Arbeitsleistung wird allerdings durch einen allfälligen Überstundenzuschlag konsumiert.

Es ist somit im Ergebnis gleich, ob es sich bei dieser Arbeit am 6. Tag um eine Überstunde im Sinne des Arbeitszeitgesetzes oder um Arbeitsleistungen innerhalb der Normalarbeitszeit handelt. In beiden Fällen ist ein 50% prozentiger Zuschlag zu leisten.

Die steuerliche Begünstigung der Zuschläge im Sinne des § 68 EStG gilt nur für Arbeitsleistungen, die über die Normalarbeitszeit hinaus erbracht werden.

Beispiele:

- Im Rahmen einer sechstägigen Arbeitswoche werden an 5 Tagen je 7 Stunden gearbeitet und am 6. Tag 5 Stunden. Die fünf Stunden Arbeitszeit am 6.Tag sind mit einem 50 prozentigen Überstundenzuschlag zu versehen. An Stelle von 40 Stunden ist das Entgelt für 42,5 Stunden zu leisten. ...

Ermittlung des 6. Arbeitstages:

... Nach dem Arbeitszeitgesetz erstreckt sich die Wochenarbeitszeit von Montag bis Sonntag. Unter analoger Heranziehung dieses Grundsatzes ergibt sich, je nach Lage des wöchentlichen Ruhetages, dass der 6. Arbeitstag entweder auf den Samstag oder Sonntag fällt. ...

lit. b)

Durchrechnung der wöchentlichen Normalarbeitszeit:

Unter Durchrechnung versteht man eine abweichende Verteilung der Normalarbeitszeit. Diese kann innerhalb eines längeren Zeitraumes (Durchrechnungszeitraum) so verteilt werden, dass sie im Durchschnitt dieser Periode die 40-Stunden-Grenze nicht überschreitet.

Der Vorteil der Durchrechnung für den Arbeitgeber liegt darin, dass arbeitsintensive Perioden mit solchen eines reduzierten Arbeitszeiteinsatzes im Verhältnis 1:1 ausgeglichen werden können. Es fallen erst insoweit Überstunden an, als die wöchentliche Normalarbeitszeit ... im Durchschnitt des Durchrechnungszeitraumes überschritten wird.

Der Durchrechnungszeitraum beträgt

in Jahresbetrieben: vier Wochen,

in Saisonbetrieben: die ganze Saison.

Innerhalb dieses Zeitraumes können sowohl Überstunden als auch Freizeit für den 6. Tag verschoben werden. ..."

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind für die Auslegung des normativen Teiles eines Kollektivvertrages die §§ 6ff ABGB maßgebend (vgl. das Erkenntnis vom 30. März 1993, Zl. 92/08/0050, mit weiteren Judikaturnachweisen). Nach § 6 ABGB darf einem Gesetz (im vorliegenden Fall einem Kollektivvertrag) in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet. Dem gemäß hat jede Interpretation zunächst mit der wörtlichen Auslegung der strittigen Norm "in ihrem Zusammenhang", das heißt unter Beachtung der sachlich zusammengehörigen Normen, und der darin zum Ausdruck kommenden "Absicht des Gesetzgebers" (der Kollektivvertragsparteien) zu beginnen (vgl. das Erkenntnis vom 21. September 1993, Zl. 92/08/0258).

Da der Grundsatz "iura novit curia" auf einen Kollektivvertrag nicht anzuwenden ist (vgl. ua die Erkenntnisse vom 19. Mai 1988, Zl. 87/08/0309, und vom 25. April 1995, Zl. 94/08/0058), sind Tatsachenfeststellungen über den Inhalt der im Beschwerdefall relevanten lohnrechtlichen und arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen des gegenständlichen Kollektivvertrages notwendig, um die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides prüfen zu können. Die belangte Behörde hat ihre rechtlichen Erwägungen auf eine Ablichtung einer Ausgabe des Kollektivvertragstextes gestützt, die - augenscheinlich - von der zuständigen Fachgruppe der Wirtschaftskammer herausgegeben wurde und die zunächst nicht erkennen lässt, in welcher Beziehung die "Erläuterungen" zum Text des Kollektivvertrages stehen, insbesondere ob es sich um Feststellungen der Kollektivvertragsparteien handelt, die aus Anlass des Kollektivvertragsabschlusses getroffen und gemeinsam mit dem Kollektivvertrag in der dafür im Gesetz vorgesehenen Weise hinterlegt wurden (dann könnten sie selbst dem normativen Teil des Kollektivvertrages zuzurechnen sein) oder ob es sich um einen Kommentar der herausgebenden Fachgruppe zu dem Kollektivvertrag handelt, dem selbst dann, wenn er mit dem Kollektivvertragspartner auf Arbeitnehmerseite akkordiert wäre, keine normative Wirkung zukäme (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. September 1993, Zl. 92/08/0258).

Da sich der angefochtene Bescheid - ohne irgend einen anderen Rechtsgrund anzugeben - ausschließlich auf die erwähnten Erläuterungen stützt, jedoch maßgebliche Feststellungen über den Inhalt des Kollektivvertrages, insbesondere zur Frage der Rechtsnatur der Erläuterungen fehlen, war der angefochtene Bescheid als ergänzungsbedürftig schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 43 Abs. 2 Z 3 lit b VwGG aufzuheben.

Die belangte Behörde wird im weiteren Verfahren zur Lösung der Frage eines Zuschlages auf am Samstag oder Sonntag geleistete Arbeitsstunden allenfalls entsprechende gesetzliche Regelungen über die Arbeitszeit bzw. die Arbeitsruhe heranzuziehen haben.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 5. Juni 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999080048.X00

Im RIS seit

07.10.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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