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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §8;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2000/01/0450 E 9. Juli 2002Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den am 12. September 2000 mündlich verkündeten und am 14. September 2000 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 206.128/0-VIII/23/98, betreffend §§ 7, 8 und 15 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Partei: RH, geboren am 20. September 1968, W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinen Spruchpunkten II. und III. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligte, eine aus dem Kosovo stammende jugoslawische Staatsangehörige, gehört der albanischen Volksgruppe an und stellte am 25. August 1998 einen Asylantrag.
Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom 19. Oktober 1998 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und sprach zugleich aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Jugoslawien gemäß § 8 AsylG zulässig sei.
Dagegen erhob die Mitbeteiligte Berufung. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung sprach der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid aus, dass die Berufung gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Fremdengesetz 1997 (FrG) festgestellt werde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten in die Bundesrepublik Jugoslawien nicht zulässig sei; gemäß § 15 AsylG werde der Mitbeteiligten eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 11. September 2001 erteilt.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Mitbeteiligte sei gemeinsam mit ihren drei minderjährigen Kindern vor den kriegerischen Auseinandersetzungen im Kosovo geflüchtet. Ihr Ehemann sei seit zwölf Jahren im Bundesgebiet niedergelassen und verfüge über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung. Das Haus der Familie im Kosovo sei im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen völlig zerstört worden. Zwar lebten dort noch nahe Angehörige der Mitbeteiligten, doch hätten diese keine Möglichkeit, sie mit ihren drei minderjährigen Kindern aufzunehmen. Andere Unterkunftsmöglichkeiten im Heimatland seien nicht erkennbar. Zur Situation der Mitbeteiligten "im Herkunftsstaat" traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:
"Derzeit und in weiterer Zukunft ist mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass es im Kosovo erneut zu Massenvertreibungen, Tötungen und Misshandlungen von albanischen Volkszugehörigen durch den serbischen Staat kommt. Die Bedrohungssituation ist nach der tatsächlichen und nachhaltigen Übernahme der Hoheitsgewalt durch UNMIK und KFOR Kosovo - entsprechend der UN-Resolution 1244 - infolge des gänzlichen Abzuges der serbischen Sicherheitskräfte, sohin auf Grund zur Gänze geänderter Verhältnisse, weggefallen, sodass nunmehr für die meisten der betroffenen Personen die Möglichkeit besteht, ohne Risiko zumindest in die vormalig autonome Provinz Kosovo zurückzukehren.
Die Berufungsbehörde verkennt aber nicht, dass es durch die Kampfhandlungen und mutwilligen Zerstörungen im Kosovo bis Juni 1999 zu einer umfassenden Beschädigung der Infrastruktur und zu einer nicht unbeträchtlichen Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen gekommen ist.
Doch kann weder aus dem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen noch aus Berichten von UNHCR, OSZE, EU und anderer befasster Institutionen sowie der internationalen Berichterstattung ein Hinweis entnommen werden, dass - mit Ausnahme von besonderen Fallgruppen - derzeit zurückkehrende kosovarische Albaner grundsätzlich in ihrer notdürftigsten Lebensgrundlage bedroht wären.
Festzuhalten ist, dass der institutionelle Aufbau unter UN-Verwaltung im Kosovo als nachhaltig, weit reichend und dauerhaft anzusehen ist. Mögliche Befürchtungen, dass das UN-Mandat im Jahr 2000 nicht verlängert werden wird und es zur Rückkehr serbischer Militärs und Wiederholung der Ereignisse vom März bis Juni 1999 kommen könnte, lassen sich vor dem Hintergrund des internationalen Engagements beim Wiederaufbau und der offensichtlichen Langfristigkeit der strukturellen Planungen der UN in allen Lebensbereichen verbunden mit der weit gehenden Zustimmung der albanischen Bevölkerung und maßgeblicher Politiker zur UNMIK-Verwaltung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen. (Beweisquelle: Dokumentation zur aktuellen Situation im Kosovo, Dr. Samsinger, 17.10.2000, aktualisiert 21.06.2000; sowie die dort genannten Materialien)
Die im Kosovo engagierten internationalen Organisationen raten trotz der oben geschilderten Verbesserung der allgemeinen Situation davor, unbegleitete Minderjährige, allein stehende Frauen, alte, kranke oder behinderte Personen sowie solche, die im Kosovo über keine familiären Kontakte mehr verfügen, dorthin abzuschieben (siehe Positionspapier UNMIK vom April 2000; die im Themenpapier Asylbewerber aus Serbien/Montenegro und Kosovo des deutschen Bundesamtes für dei Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom Mai 2000 zusammengefassten Berichte internationaler Organisationen; sowie den Adhoc-Lagebericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom Mai 2000). Die Gastgeberfamilien seien völlig überlastet.
Der einen Personengruppe ist es auf Grund der im Kosovo dominierenden Klan-Struktur, die weitestgehend das gesellschaftliche Leben und Überleben prägt, nicht möglich, ohne Vorhandensein eines solchen sozialen Netzes das für das Leben Notwendigste zu finden. Allein stehende Frauen sind schon auf Grund ihres Geschlechtes beeinträchtigt. Personen mit chronischen Krankheiten aber auch Behinderte sehen sich wegen der immer noch angespannten Versorgungssituation mit Spezialmedikamenten und fachärztlicher Betreuung großen Problemen ausgesetzt."
Die Feststellungen zur persönlichen Lage der Mitbeteiligten ergäben sich aus deren Angaben im Zuge der Einvernahmen und in den Schriftsätzen. Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat gründeten auf den umfassenden internationalen Medienberichten und Berichten internationaler Organisationen sowie den im Verfahren verwendeten Länderberichten, wobei die grundlegende Änderung der Situation im Kosovo offenkundig sei. Als allgemein bekannte Tatsache werde der Umstand angesehen, dass seit dem vollzogenen Einmarsch der internationalen Friedenstruppe im Kosovo keine Verfolgung von Kosovo-Albanern durch den jugoslawischen (serbischen) Staat bzw. die ihm zurechenbaren oder zumindest mit seiner Billigung agierenden Kräfte mehr erfolge.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde zur Feststellung nach § 8 AsylG aus, die Mitbeteiligte habe auf Grund der gänzlich geänderten Verhältnisse jedenfalls im Kosovo keinen Anlass mehr, von jugoslawischen (serbischen) Behörden bzw. Sicherheitskräften ausgehende Verfolgungs- bzw. Bedrohungsmaßnahmen zu befürchten. Fest stehe allerdings, dass es durch Kampfhandlungen und mutwillige Zerstörungen im Kosovo bis Juni 1999 zu einer umfassenden Beschädigung der Infrastruktur und zu einer nicht unbeträchtlichen Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen gekommen sei, doch könne weder aus dem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen noch aus Berichten von UNHCR, OSZE, EU und anderer befasster Institutionen sowie aus der internationalen Berichterstattung ein Hinweis entnommen werden, dass es derzeit zurückkehrenden kosovarischen Albanern grundsätzlich an der notwendigsten Lebensgrundlage fehlen würde, was bei einer allfälligen Rückkehr die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK indizieren würde. Vielmehr ergebe sich angesichts umfassender Hilfsmaßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft wie zahlreicher internationaler Organisationen, dass sich die Lebensumstände in allen Bereichen erheblich verbessert hätten, wiewohl einzuräumen sei, dass von normalisierten Verhältnissen derzeit und wahrscheinlich auch in näherer Zukunft nicht gesprochen werden könne. Bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur seien hinzunehmen, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe habe, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstünden, ein Standpunkt, den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft einnehme.
Das Vorbringen der Mitbeteiligten und die amtswegigen Ermittlungen vermöchten im Lichte der obigen Ausführungen dennoch die Unzumutbarkeit der Rückkehr auf Grund der individuellen konkreten Lebensumstände darzutun. Es sei die Zugehörigkeit der Mitbeteiligten zu einer der oben geschilderten besonderen Fallgruppen (allein stehende Frau - für eine Rückkehr des Ehemannes in den Kosovo gebe es keine Anhaltspunkte), für die nach zutreffender Auffassung verschiedener internationaler Organisationen der Refoulementschutz geboten erschiene, unzweifelhaft gegeben. Dies gelte unter Hinweis auf § 57 Abs. 1 FrG nicht nur im Hinblick auf die Rückkehr der Mitbeteiligten nach Serbien/Montenegro, sondern auch in den Kosovo selbst.
Über die gegen die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides erhobene Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Amtsbeschwerde verweist unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit - zutreffend - darauf, keine der Feststellungen der belangten Behörde sei geeignet, eine die Mitbeteiligte konkret treffende Gefahr zu begründen. Die Rede sei von "Beeinträchtigungen", "angespannter Versorgungssituation mit Spezialmedikamenten und fachärztlicher Betreuung", "Überlastung von Gastgeberfamilien" etc., ohne dass an irgend einer Stelle eine nähere Feststellung über eine von der Mitbeteiligten zu befürchtende, sie konkret treffende Behandlung im Sinne des § 57 FrG ersichtlich wäre. Die belangte Behörde stütze sich ausschließlich auf den von ihr so bezeichneten "Rat" internationaler Organisationen, ohne dass das Vorhandensein derartiger Empfehlungen im Asyl- oder Fremdengesetz rechtlich positiviert wäre.
Der vorliegende Beschwerdefall gleicht in den für seine Erledigung wesentlichen Punkten - sowohl hinsichtlich des Sachverhaltes als auch in Ansehung der zu lösenden Rechtsfrage einer konkreten Begründung der Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG - jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2000/01/0453, zu Grunde lag; gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf diese Entscheidung verwiesen.
Die belangte Behörde hätte vor dem Hintergrund ihrer auf konkrete Länderberichte gegründeten Feststellungen über die allgemeine Sicherheits- und insbesondere Versorgungslage im Kosovo ihre Beurteilung im Grunde des § 8 AsylG nicht ohne nähere Begründung auf Empfehlungen internationaler Organisationen stützen dürfen, die zudem hinsichtlich der Ausgangslage mit den von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichten zumindest teilweise nicht übereinzustimmen scheinen.
Nach dem Gesagten ist die Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres daher schon aus diesem Grund im Recht. Der Bescheid der belangten Behörde war daher in den bekämpften Spruchpunkten II. und III. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 9. Juli 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000010428.X00Im RIS seit
18.09.2002