TE Vwgh Erkenntnis 2002/7/18 2000/20/0243

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Veröffentlicht am 18.07.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des E J in Linz, geboren am 2. Juli 1982, vertreten durch Mag. Johannes Blätterbinder, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Europaplatz 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Februar 2000, Zl. 202.687/11-V/15/00, betreffend § 6 Z 3 und § 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem zweiten Spruchteil betreffend die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone gemäß § 8 Asylgesetz wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 10. Februar 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 16. Februar 1998 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. März 1998 gab der Beschwerdeführer an, seine Eltern seien im September 1997 auf Grund des in seinem Heimatland herrschenden Krieges getötet worden. Es gebe Krieg und werde gekämpft und deshalb sei der Beschwerdeführer weggegangen. Ohne Krieg hätte er sein Heimatland nicht verlassen. Seine Muttersprache sei Maraka. Anlässlich einer weiteren Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 24. März 1998 führte der Beschwerdeführer aus, er stamme aus Konodu Town aus dem Gebiet Kono. Er wiederholte, Maraka zu sprechen. Mit einem anderen, ihm bekannten Asylwerber spreche er Englisch. Auf die Frage, weshalb er mit diesem nicht Maraka spreche, obwohl auch dieser andere Asylwerber behauptet habe, Maraka zu sprechen, antwortete der Beschwerdeführer, es gebe innerhalb dieser Sprache verschiedene Dialekte, sodass er seinen Freund nicht verstehe, wenn er seinen Maraka-Dialekt spreche.

Mit Bescheid vom 1. April 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z. 4 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 8 Asylgesetz als zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht möglich gewesen, einen Dolmetscher für Maraka zu finden, und diese Sprache scheine auch im umfangreichsten Nachschlagewerk zum Thema Sprachen und Dialekte "Ethnologue - Languages of the World" nicht auf. Auch eine Anfrage bei der Botschaft Sierra Leones in Bonn habe ergeben, dass in diesem Staat keine Stammessprache mit dem Namen Maraka vorkomme. Der Beschwerdeführer sei nicht gewillt, seinen Herkunftsstaat zu bezeichnen, weshalb seine Staatsangehörigkeit ungeklärt sei und auch nicht glaubhaft sei, dass ihm in seinem Herkunftsstaat Gefahr im Sinne des § 57 Fremdengesetz drohe. Da der Beschwerdeführer seiner Mitwirkungspflicht bezüglich der Klärung seiner Identität und Herkunft nicht nachgekommen sei und sein tatsächlicher Herkunftsstaat habe nicht von Amts wegen bestimmt werden können, müsse der Schluss gezogen werden, dass im tatsächlichen Herkunftsstaat des Beschwerdeführers diesem keine Gefahr im Sinne des § 57 Fremdengesetz drohe.

In der vom gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Beschwerdeführers erhobenen Berufung gegen diesen Bescheid wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass kein negativer Asylbescheid darauf gestützt werden dürfe, dass es die Sprache Maraka auf Grund offizieller Informationen in Sierra Leone nicht gebe. Außerdem träfe die Behauptung, dass der Beschwerdeführer keine Angst vor Verfolgung in seinem Heimatstaat haben müsse und er dort sicher sei, keinesfalls zu, weil er bei seiner Einvernahme angegeben habe, dass seine Eltern im September 1997 getötet worden seien und er selbst Angst habe, bei einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat verfolgt und getötet zu werden.

Mit Bescheid vom 20. April 1998 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z. 4 Asylgesetz ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in seinen Herkunftsstaat gemäß § 8 Asylgesetz iVm § 57 Abs. 1 Fremdengesetz für zulässig.

Dieser Bescheid der belangten Behörde wurde mit dem hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0260, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Die Aufhebung wurde damit begründet, dass der angefochtene Bescheid auf Grund eines Berufungsverfahrens erlassen worden sei, in dem die zweitägige Berufungsfrist des § 32 Abs. 1 Asylgesetz noch anzuwenden gewesen sei. Der Verwaltungsgerichtshof verwies diesbezüglich gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1999, Zl. 98/01/0258. Ergänzend wies der Verwaltungsgerichtshof allerdings darauf hin, dass der Vorwurf der mangelnden Mitwirkung des Beschwerdeführers nicht gerechtfertigt erscheine, weil sich aus dem Vernehmungsprotokoll ergebe, dass der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen Angaben gemacht habe, die grundsätzlich zur Beurteilung ihrer asylrechtlichen Relevanz nicht ungeeignet sein dürften. Die belangte Behörde hätte sich auch mit den in Englisch gehaltenen Ausführungen des Beschwerdeführers auseinandersetzen müssen.

Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z. 3 Asylgesetz ab und stellte gemäß § 8 Asylgesetz iVm § 57 Abs. 1 Fremdengesetz fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Sierra Leone sei oder in Sierra Leone seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hätte. Weiters könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer irgendwelchen Verfolgungshandlungen aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund ausgesetzt gewesen sei. Krio, das von 95 % der Bevölkerung in Sierra Leone beherrscht werde, spreche der Beschwerdeführer nicht. Die Sprache Maraka werde zwar in Mali, Senegal und Gambia, nicht aber in Sierra Leone gesprochen. Der Beschwerdeführer habe seine Heimatregion nicht einmal ansatzweise beschreiben können, insbesondere habe er auch den für den Distrikt Kono charakteristischen Diamantenabbau nicht erwähnt. Mit dem Begriff "Bubu" (traditionelle Musik in Sierra Leone) habe der Beschwerdeführer nichts anzufangen gewusst. Er sei auch nicht in der Lage gewesen, die in Sierra Leone allgemein bekannten Begriffe für kleinere Lastwagen (Poda-Poda) oder für Jeans (Donklins) zuzuordnen. Auch bei Zugrundelegung des Vorbringens habe es aber keine gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlung in seinem behaupteten Heimatstaat gegeben und läge kein Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Berufungswerber im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in Sierra Leone einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Da der Beschwerdeführer nicht einmal seine Herkunft aus Sierra Leone habe glaubhaft machen können, sei auch eine individuell konkrete, von diesem Staat geduldete Bedrohung des Beschwerdeführers "jedenfalls auszuschließen". Außerdem sei es dem Beschwerdeführer weder bei der erstinstanzlichen Behörde noch bei der belangten Behörde gelungen, seine Identität nachweisende Dokumente oder sonstige Unterlagen vorzulegen. Er sei auch nicht in der Lage gewesen, seine Identität auf andere geeignete Weise darzutun. Ausschließlich auf Grund seines Vorbringens sei es daher nicht möglich gewesen, die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Person mit der für das Asylverfahren notwendigen Verlässlichkeit festzustellen. Schon aus diesem Grund sei die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone festzustellen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 6 Asylgesetz sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist gemäß § 6 Z. 3 Asylgesetz der Fall, wenn das Vorbringen des Asylwerbers zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht.

Der belangten Behörde kann nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie im vorliegenden Fall den Tatbestand des § 6 Z. 3 Asylgesetz als verwirklicht angesehen hat, weil der Beschwerdeführer die Region, aus der er angab, zu stammen, nicht beschreiben konnte, gängige Begriffe aus Sierra Leone nicht zuordnen konnte und eine Sprache als Muttersprache angab, die, auch nach den vom Vertreter des Beschwerdeführers vorgelegten Unterlagen, in Sierra Leone offenbar nicht gesprochen wird.

Hinsichtlich des Ausspruches gemäß § 8 Asylgesetz hat die belangte Behörde ihre Entscheidung durch dessen Einschränkung auf § 57 Abs. 1 Fremdengesetz mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2000/20/0144).

Darüber hinaus hat sich die belangte Behörde weder bei der mündlichen Verhandlung (vgl. zur Verhandlungspflicht in Bezug auf § 8 Asylgesetz z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2002, Zl. 2001/20/0716, mwN) noch in der Begründung des angefochtenen Bescheides damit auseinandergesetzt, ob dem Beschwerdeführer im Falle seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone auf Grund der dort gegebenen Verhältnisse unabhängig von seiner Herkunft aus diesem Land konkrete Gefahren oder Bedrohungen im Sinne des § 57 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz drohten. Die Ansicht der belangten Behörde, eine gemäß § 57 Abs. 1 Fremdengesetz relevante Bedrohung in Sierra Leone sei "jedenfalls auszuschließen", wenn der Beschwerdeführer nicht von dort stamme, widerspricht dem Gesetz und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Bemerkt wird, dass entgegen der Ansicht der belangten Behörde die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdungssituation im Sinne des § 57 Fremdengesetz auch das Feststehen der Identität nicht notwendig voraussetzt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2000/20/0200).

Der Ausspruch des angefochtenen Bescheides, dass gemäß § 8 Asylgesetz die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone festgestellt wird, war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 18. Juli 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200243.X00

Im RIS seit

05.12.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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