TE Vwgh Erkenntnis 2002/8/7 99/08/0101

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Veröffentlicht am 07.08.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;

Norm

ASchG 1994 §67 Abs1;
ASchG 1994 §68 Abs1;
ASchG 1994 §68 Abs3;
ASchG BildschirmarbeitsV 1998 §1 Abs2;
ASchG BildschirmarbeitsV 1998 §1 Abs4;
AVG §37;
AVG §52;
NSchG 1981 Art7 Abs2 Z7 idF 1992/473;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der G GmbH in S, vertreten durch Hofbauer, Hofbauer & Wagner, Rechtsanwälte - Partnerschaft, 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 29. April 1999, Zl. 121.500/1-7/99, betreffend das Vorliegen von Nachtschwerarbeit gemäß Art. VII Abs. 2 Z 7 NSchG (mitbeteiligte Parteien: 1. Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3101 St. Pölten, Dr. Karl-Renner-Promenade 14-16;

2. Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Rossauerlände 3; 3. E; 4. J; 5. E; 6. M; 7. W; 8. L; 9. J; 10. G;

11. M; 12. S und 13. L; Dritt- bis Dreizehntmitbeteiligte p.A. B in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Gesellschaft hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen von EUR 332,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit elf gleich lautenden Bescheiden vom 3. Juli 1997 hat die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse festgestellt, dass nähergenannte Mitarbeiter der beschwerdeführenden Gesellschaft - die Dritt- bis Dreizehntmitbeteiligten - auf Grund ihrer Tätigkeit in der Dampfkessel- und Turbinenanlage Nachtschwerarbeit gemäß Art. VII Abs. 2 Z 7 Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG) verrichteten. Nach der Begründung habe der Betriebsrat der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Grund geänderter Arbeitsbedingungen im Bereich der Dampfkessel- und Turbinenwarte die Feststellung beantragt, ob die in diesem Bereich ausgeübte Tätigkeit Nachtschwerarbeit sei. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse traf folgende Feststellungen (Fettdruck im Original):

"Im Bereich der betreffenden Anlagen (Dampfkessel, Turbine) kommen insgesamt abwechselnd im Schichtbetrieb 11 Arbeitnehmer (einschließlich Springer) zum Einsatz, wobei auch Nachtdienste in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr inkludiert sind. Die zu bedienenden Bildschirmgeräte befinden sich in einer durch eine Glaswand vom Maschinenraum abgetrennten Einheit. Den in dieser Warte tätigen Mitarbeitern (pro Schicht zwei Arbeitnehmer) obliegt es, Dampfkessel und Turbine sowie das Eingangstor mittels der Bildschirme zu beobachten und zu kontrollieren. In den Nachtstunden kommen zudem die Überwachung der biologischen Abwasserreinigungsanlage (BARA) sowie die Bedienung der Telefonanlage hinzu. Vorrangige Aufgabe der Dienstnehmer ist es, die Werte von Turbine und Dampfkessel hinsichtlich der Temperatur des Turbinenkühlwassers mit Hilfe des Bildschirmes zu überwachen, wobei auch nicht sichtbare Bildschirmseiten (durch einfache Tastatureingaben) aufgerufen werden müssen. Das Überbzw. Unterschreiten bestimmter Schwellgrenzen wird mit einem optischen und/oder akustischen Signal angezeigt, welches vom Dienstnehmer zu quittieren ist. Hernach erfolgt entweder lediglich mit entsprechenden Eingaben an der Rechnereinheit durch Lastverschiebungen bzw. Drehzahlregelungen die erforderliche Korrektur oder es ist ferner ein persönliches Tätigwerden vor Ort außerhalb der klimatisierten, lärmgeschützten Warte notwendig.

Nach den Angaben der Tätigwerdenden liegt die Mehrzahl der Reaktionen (Korrekturen durch Eingaben auf der Tastatur) aber vor Auslösung der automatisch erfolgenden Signale. Dies deshalb, um den Störfall, welcher durch die Quittierung als solcher registriert wird, tunlichst zu vermeiden. Es werden aber nur die durch optische bzw. akustische Signale aufgezeigten Abweichungen edv - mäßig registriert. Aus den diesbezüglichen Aufzeichnungen des Jahre 1996 (Monate Jänner bis September) ergibt sich ein Durchschnittswert von 22 registrierten Störfällen pro Schicht. Zur Frage der durchschnittlichen Anzahl der vor den angezeigten aufgezeichneten Störfällen liegenden, nicht registrierten Anpassungsvorgängen bzw. Reaktionen pro Nacht führten die Arbeitnehmer übereinstimmend an, daß ihnen eine derartige Angabe wegen der komplexen Verknüpfung verschiedener Tätigkeiten und der zeitlich jeweils sehr unterschiedlichen Situation leider nicht möglich sei.

Neben den durch Alarm ausgelösten, vor Ort außerhalb der Warte zu behebenden Störfällen sind überdies noch Rundgänge im lärmbelasteten Bereich (Schallpegelwert liegt über im NSchG normierten Grenzwert) vorgeschrieben, welche pro Schicht insgesamt ca. 2 1/2 Stunden in Anspruch nehmen. Während der Rundgänge bzw. der vor Ort vorzunehmenden Korrekturen hat der in der Warte verbleibende Dienstnehmer sämtliche Bildschirmaufgaben zu übernehmen.

Neben den vorstehend geschilderten vorrangigen Obliegenheiten ist von den in der Warte Tätigwerdenden noch das Eingangstor über Monitor zu beobachten, um dieses erforderlichenfalls zu öffnen. Vor allem kommt aber in den Nachtstunden überdies neben der zusätzlichen Bedienung der Telefonanlage auch noch die Überwachung der biologischen Abwasserreinigungsanlage (BARA) hinzu. Diese Aufgabe erfordert die Durchsicht von Bildschirmen zwecks ph-Wertkontrolle, verbunden mit einem allenfalls notwendigen regulierenden Eingreifen mittels Tastatur.

Den Ausführungen der in der Warte tätigen Personen konnte entnommen werden, dass auf Grund der Anzahl der zu beobachtenden Monitore (insgesamt vier) und des darüber hinaus notwendigen Aufrufens weiterer Bildschirmseiten auf diesen Monitoren in Verbindung mit der Tatsache, daß nur bestimmte Grenzwertüberschreitungen bzw. -unterschreitungen optisch und akustisch angezeigt werden, jedenfalls die Notwendigkeit einer besonderen Konzentration gegeben ist. Besonders jene Phasen, in denen in der Warte nur ein Dienstnehmer anwesend ist und dieser die Verantwortung alleine trägt, ist der Betreffende einer zusätzlichen Streßsituation ausgesetzt."

In rechtlicher Hinsicht zog die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Schluss, dass die festgestellte Tätigkeit Nachtschwerarbeit sei. Der Umstand, dass mehrere Monitore zu beobachten und weitere Bildschirmseiten aufzurufen seien sowie dass nur bestimmte Grenzwertüberschreitungen bzw. - unterschreitungen auch akustisch bzw. optisch angezeigt würden, ließen erkennen, dass für die Tätigkeit eine besondere Konzentration notwendig sei. Hinzu komme die Stresssituation als Alleinverantwortlicher während der Zeiten der vorgeschriebenen Rundgänge des zweiten Mitarbeiters und der vor Ort vorzunehmenden Korrekturen. Die außerhalb der Warte zu erbringenden Arbeiten seien von extremer Lärmbelastung gekennzeichnet. Insgesamt läge Nachtschwerarbeit im Sinne des Art. VII Abs. 2 Z 7 NSchG vor.

Gegen diese Bescheide erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Berufungen. Die belangte Behörde führte am 23. Juni 1998 im Betrieb der beschwerdeführenden Gesellschaft von 22 Uhr bis 0.20 Uhr unter Beiziehung unter anderem eines Vertreters des Arbeitsinspektorates eine mündliche Verhandlung durch.

In der Folge nahm der Vertreter des Arbeitsinspektorrates mit Schreiben vom 7. August 1998 zu der bei der beschwerdeführenden Gesellschaft vorgefundenen Arbeitssituation während der Nachtstunden Stellung und hielt fest, dass an Hand des Computerausdruckes für die Nachtschicht vom 22./23. Juni 23 Störungen festgestellt worden seien. Einen beträchtlichen Teil der Arbeitszeit - so der Bericht weiter - benötigten die Arbeitnehmer zur Regelung der Turbinensteuerung vor dem Erscheinen eines Störsignals, um das Eintreten von Störungen im Vorhinein zu verhindern. Zwischen 22.30 Uhr und 00.30 Uhr habe ein Arbeitnehmer insgesamt 64 Minuten für Eingaben, Abrufungen und Verarbeitung der Daten an Bildschirmgeräten verwendet. Dies sei die gemessene Zeit für die Behebung von Störungen und für zusätzliche Regelungen. Unter Berücksichtigung der Definition von Bildschirmarbeit in der Bildschirmverordnung werde von den Arbeitnehmern der beschwerdeführenden Gesellschaft Bildschirmarbeit geleistet; die Bildschirmarbeit sei für den gesamten Arbeitsablauf bestimmend.

Die beschwerdeführende Gesellschaft wies in einer Stellungnahme zur mündlichen Verhandlung darauf hin, dass am Tag der Verhandlung mit 119 Eingriffen überdurchschnittlich viele angefallen seien, während der Durchschnitt bei 30 Eingriffen liege. Zum Beweis dieser Behauptung legte die beschwerdeführende Gesellschaft Computerausdrucke vor. Zum Bericht des Vertreters des Arbeitsinspektorrates hielt die beschwerdeführende Gesellschaft in einer Stellungnahme vom 14. September 1998 fest, dass dieser von einer überdurchschnittlichen Häufigkeit an Eingriffen ausgehe und die von ihr in der letzten Stellungnahme vorgelegten Berichte über die durchschnittliche Häufigkeit betrieblicher Störfälle nicht berücksichtigt habe.

In einer weiteren Stellungnahme vom 20. Oktober 1998 legte die beschwerdeführende Gesellschaft Protokolle über EDV-mäßig festgehaltene Störfälle bei der Turbine und der Abwasserreinigungsanlage (BARA) vor und stellte der Anzahl der von der EDV festgehaltenen Störfälle im Zeitraum vom 29. Juni bis 8. Juli 1998 die Zahl der von den Mitarbeitern aufgezeichneten Störfälle gegenüber. Bei diesem Vergleich ergab sich bei den von den Mitarbeitern aufgezeichneten Störfällen eine weitaus geringere Anzahl, wobei nur an einem Tag im Vergleich zur EDV mehr Störfälle aufgezeichnet wurden. Die unregistrierten Tastatureingaben sollten gemäß den Aufzeichnungen durch das Personal mindestens 24 und höchstens 44 täglich betragen.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 1998 teilte der Vertreter des Arbeitsinspektorates der belangten Behörde mit, dass die von der beschwerdeführenden Gesellschaft mit ihrer Stellungnahme vorgelegten Aufzeichnungen über Störfälle an seiner Einschätzung über die Dauer der Tätigkeit am Bildschirm von 208 Minuten nichts änderten, weil diese Aufzeichnungen nicht berücksichtigten, dass die Beschäftigten einen beträchtlichen Teil der Arbeitszeit dafür benötigten, die Regelung der Turbinensteuerung schon vor dem Erscheinen eines Störsignals zu betätigen, um das Eintreten von Störungen zu verhindern. Diese Stellungnahme wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft nicht zur Kenntnis gebracht.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Berufungen der beschwerdeführenden Gesellschaft keine Folge und bestätigte diese mit der Ergänzung, "daß ab 1.2.1996 Nachtschwerarbeit vorliegt." In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und des Ganges des von ihr durchgeführten Ermittlungsverfahrens folgende Feststellungen (Unterstreichung im Original):

"Die Herren (Dritt- bis Dreizehntmitbeteiligte) sind im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1.2.1996 bis laufend unbestritten Dienstnehmer der (beschwerdeführenden Gesellschaft). Die (beschwerdeführende Gesellschaft) ist ein chemischer Betrieb und erzeugt Viskosefilamente. Die gegenständlichen Arbeitsplätze befinden sich in der Abteilung Energieversorgung des Unternehmens. Die Arbeitsplätze liegen in einer abgeschlossenen Schaltkabine. Pro Nachtschicht sind 2 Dienstnehmer anwesend. Es sind 4 Bildschirme zu bedienen, einer für den Dampfkessel, einer für die Turbinen, einer für die Kläranlage und einer für die Ein- und Ausgangstore. Neben der Tätigkeit in der Schaltkabine haben die Bediensteten (jeweils ein Bediensteter, während der andere in der Schaltkabine verbleibt) einen Rundgang durch das Turbinenhaus zu machen. Dieser Rundgang dient der Dokumentation von Daten und gleichzeitig werden vor Ort Eingriffe, wie z. B.

Temperaturregelung, vorgenommen. Dieser Rundgang hat 3x pro Nachtschicht zu erfolgen und dauert mindestens eine halbe Stunde. Sind Eingriffe vor Ort fällig, verlängert sich die Anwesenheit im Turbinenraum. Die Schallpegelwerte im Turbinenhaus betrugen laut Messung der AUVA vom 26.11.1992 87 Dezibel (dB). Einer der beiden anwesenden Dienstnehmer verrichtet die Tätigkeit eines sogenannten Kesselwärters, der andere die eines Turbinenwärters. Beide Tätigkeiten sind hinsichtlich der Bildschirmarbeit im großen und ganzen gleich. Ein Störfall macht sich am Bildschirm dadurch bemerkbar, daß am unteren Teil des Bildschirms eine Störmeldezeile erscheint. Die Störung kann nunmehr am Bildschirm oder vor Ort behoben werden. Aufgrund des unterschiedlichen Automatisierungsgrades können manche Störungen nur vor Ort, andere am Bildschirm oder vor Ort behoben werden. Hinsichtlich der Dringlichkeit der Behebung der Störung sind drei Kategorien (in unterschiedlichen Farben) vorgesehen. Die aufgrund einer Fehlermeldung notwendigen Eingriffe stellen nicht den einzigen Dialog mit der EDV dar, es werden auch nicht registrierte Eingriffe durchgeführt. Diese haben den Sinn, eine Korrektur der Werte vor dem Abgleiten in den 'roten Bereich' und damit vor Erscheinen einer Störmeldung zu beheben. Unbestritten ist zwischen den Dienstnehmern und der Dienstgeberin, dass diese Eingriffe durchgeführt werden. Hinsichtlich der Quantifizierung wurden von

den Dienstnehmern Aufzeichnungen angeboten ... Das Gutachten des

Arbeitsinspektorates hat die tatsächlich bei Eingriffen über Bildschirm in das Steuerungssystem verbrachte Zeit (registrierte und nicht registrierte Störfälle!) erfaßt. Die Berufungsbehörde nimmt den im Gutachten festgestellten Wert, der beim Lokalaugenschein mit der Stoppuhr gemessen wurde, als Grundlage für die Sachverhaltsfeststellung an und sieht eine Einsatzzeit am Bildschirm von 208 Minuten als gegeben an. (Dieser Wert ergibt sich aus einer Hochrechnung, es wurden nämlich in dem Zeitraum von 2 Stunden 64 Minuten für Eingaben, Abrufungen und Bearbeitungen von Daten aufgewendet; berücksichtigt ist dabei, dass die einzelnen Arbeitnehmer ca. 2.5 Stunden pro Schicht (vgl. unten) für die Rundgänge benötigen und in der Zeit nicht am Bildschirm sind.) Am Computerausdruck für die Nachtschicht vom 22. Juni zum 23. Juni wurden 23 registrierte Störfälle aufgezeichnet.

Wie bereits oben erwähnt, steuern die betroffenen Dienstnehmer im wesentlichen das Energieversorgungszentrum (sowie die biologische Kläranlage). (Die Bedienung von Toren und Telefon spielt für die Beurteilung der Tätigkeit als Nachtschwerarbeit keine Rolle.) Eine falsche Reaktion könnte bis zu einem Ausfall der Produktion des gesamten Betriebes führen.

Einvernehmlich wurde bei der mündlichen Verhandlung festgestellt, dass sich der jeweilige Arbeitnehmer auf Grund der Rundgänge und der Störbehebungen vor Ort ca. 2,5 Stunden nicht in der Schaltkabine aufhält, sondern im lärmbelasteten Bereich des Turbinenhauses. Unbestritten ist weiter, daß eine funktionale Einheit von Bildschirm und Eingabetastatur vorliegt."

In rechtlicher Hinsicht beurteilte die belangte Behörde die in Rede stehende Tätigkeit dahin, dass keine reine Kontrolltätigkeit vorliege, sondern der Zweck der Tätigkeit darin bestünde, Werte zu kontrollieren, um dann regulierend eingreifen zu können. Es sei im Besonderen auf die geforderte Schnelligkeit, die Verantwortung, die Vielfalt der möglichen Reaktionen und die drohenden Konsequenzen bei einem Fehlverhalten Bedacht zu nehmen. Nicht außer Acht zu lassen sei auch der Umstand, dass sich die Dienstnehmer zwei bis zweieinhalb Stunden in einem Bereich aufhielten, der das Schwerarbeitskriterium des Lärms über einen bestimmten Dezibelpegel erfülle. Die Häufigkeit der steuernden Eingriffe sei auf die restliche in der Schaltkabine verbrachte Arbeitszeit zu beziehen, woraus sich ergibt, dass innerhalb dieses Zeitraumes die Bildschirmarbeit sowohl quantitativ als auch qualitativ bestimmend sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die übrigen Mitbeteiligten haben sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Maßgeblich für das vorliegende Verfahren sind folgende Bestimmungen des Art. VII Nachtschwerarbeitsgesetz, BGBl. Nr. 354/1981 (NSchG), dessen Bezeichnung bis zu der auch hier anzuwenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 473/1992 Nachtschicht - Schwerarbeitsgesetz lautete:

"Art. VII

Nachtarbeit und Nachtschwerarbeit

(1) Nachtarbeit im Sinne dieses Bundesgesetzes leistet ein Arbeitnehmer, der in der Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr mindestens sechs Stunden arbeitet, sofern nicht in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Ausmaß Arbeitsbereitschaft fällt.

(2) Nachtschwerarbeit leistet ein Arbeitnehmer im Sinne des Abs. 1, der unter einer der folgenden Bedingungen arbeitet:

...

4. bei andauernd starkem Lärm, sofern ein Schallpegelwert von 85 dB (A), oder bei nicht andauerndem Lärm, sofern ein äquivalenter Pegelwert überschritten wird;

...

7. bei Arbeit an Bildschirmarbeitsplätzen (das sind Arbeitsplätze, bei denen das Bildschirmgerät und die Dateneingabetastatur sowie gegebenenfalls ein Informationsträger eine funktionale Einheit bilden), sofern die Arbeit mit dem Bildschirmgerät und die Arbeitszeit an diesem Gerät für die gesamte Tätigkeit bestimmend sind. Sonstige Steuerungseinheiten sind Dateneingabetastaturen gleichgestellt, wenn die Voraussetzungen des ersten Satzes erfüllt sind und die Bedienung dieser Steuerungseinheiten durch die Vielfältigkeit und Menge der je Zeiteinheit zu verarbeitenden Informationen und die Häufigkeit und Dichte aufeinander folgender Teilaufgaben oder sonstige Arbeitsbedingungen (z.B. Störeinflüsse, Beleuchtung) für die dort beschäftigten Arbeitnehmer eine entsprechende Erschwernis darstellen; ..."

Nach den Erläuternden Bemerkungen in der Regierungsvorlage zur Stammfassung des NSchG (720 Blg. NR XV GP) belasten Nachtschichten in Verbindung mit Arbeit unter besonders erschwerenden Bedingungen den menschlichen Organismus besonders, weshalb die Gefahr der Frühinvalidität besonders groß ist. Solche Tätigkeiten nützten die menschliche Arbeitskraft in besonders hohem Ausmaße ab.

Im Beschwerdefall steht außer Streit, dass die festgestellten Tätigkeiten als Nachtarbeit einzustufen sind. Strittig ist, ob die Dritt- bis Dreizehntmitbeteiligten wegen ihrer Arbeit an Bildschirmarbeitsplätzen auch Schwerarbeit im Sinne des NSchG leisten.

Art. VII Abs. 2 Z 7 NSchG fordert für die Annahme von Schwerarbeit zunächst (Nacht)Arbeit an einem Bildschirmarbeitsplatz. Das Vorliegen dieser Voraussetzung wird von keiner der Verfahrensparteien bestritten.

Weiter muss die "Arbeit mit dem Bildschirmgerät" (somit in qualitativer Hinsicht) und die "Arbeitszeit an diesem Gerät" (also in quantitativer Hinsicht) für die gesamte Tätigkeit bestimmend sein.

Das NSchG umschreibt zwar das Wesen eines Bildschirmarbeitsplatzes, lässt aber den Inhalt des Begriffes der Bildschirmarbeit offen. Allerdings enthalten Regelungen im Bereich des Arbeitnehmerschutzes, die ähnliche Zielsetzungen wie das NSchG im Auge haben, solche Begriffsbestimmungen.

Etwa findet sich in dem in Umsetzung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates (Bildschirmrichtlinie) in Kraft gesetzten ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, BGBl. Nr. 450/1994 (ASchG), Folgendes:

" Bildschirmarbeitsplätze

§ 67. (1) Bildschirmgerät im Sinne dieser Bestimmung ist eine Baueinheit mit einem Bildschirm zur Darstellung alphanumerischer Zeichen und zur Grafikdarstellung, ungeachtet des Darstellungsverfahrens. Bildschirmarbeitsplätze im Sinne dieser Bestimmung sind Arbeitsplätze, bei denen das Bildschirmgerät und die Dateneingabetastatur oder sonstige Steuerungseinheit sowie gegebenenfalls ein Informationsträger eine funktionale Einheit bilden.

...

Besondere Maßnahmen bei Bildschirmarbeit

§ 68. (1) Im Rahmen der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren ist auch auf die mögliche Beeinträchtigung des Sehvermögens sowie auf physische und psychische Belastungen besonders Bedacht zu nehmen. Auf Grundlage dieser Ermittlung und Beurteilung sind zweckdienliche Maßnahmen zur Ausschaltung der festgestellten Gefahren zu treffen, wobei das allfällige Zusammenwirken der festgestellten Gefahren zu berücksichtigen ist."

In § 1 Abs. 2 der auf Grund der §§ 67 und 68 ASchG erlassenen Verordnung BGBl. II Nr. 124/1998 (Bildschirmarbeitsverordnung) wird Bildschirmarbeit als Ausführung von Tätigkeiten wie Datenerfassung, Datentransfer, Dialogverkehr, Textverarbeitung, Bildbearbeitung oder CAD/CAM-Arbeiten an Bildschirmarbeitsplätzen im Sinne des § 67 Abs. 1 zweiter Satz ASchG unter Verwendung von Bildschirmgeräten in Sinne des § 67 Abs. 1 ASchG definiert.

§ 68 Abs. 3 ASchG sieht bei Beschäftigung von Arbeitnehmern, die bei einem nicht unwesentlichen Teil ihrer normalen Arbeit ein Bildschirmgerät benutzen, vom Arbeitgeber zu veranlassende Schutzmaßnahmen und besondere Rechte des Arbeitnehmers vor. Ein nicht unwesentlicher Teil der normalen Arbeit liegt gemäß § 1 Abs. 4 der Bildschirmarbeitsverordnung vor, wenn ArbeitnehmerInnen durchschnittlich ununterbrochen mehr als zwei Stunden oder durchschnittlich mehr als drei Stunden ihrer Tagesarbeitszeit mit Bildschirmarbeit beschäftigt werden.

Dem Regelungszweck des NSchG entsprechend ist für den Beschwerdefall nur von Bedeutung, ob die Bildschirmarbeit während der Nacht als besonderes erschwerende Arbeitsbedingung anzusehen ist (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum ArbeitnehmerInnenschutzgesetz BGBl. Nr. 450/1994, 1590 Blg. NR XVIII GP, 103).

In qualitativer Hinsicht ist - in Anlehnung an die Beschreibung von Bildschirmarbeit in der Bildschirmarbeitsverordnung - die "Arbeit mit dem Bildschirmgerät" als Kommunikation mit dem Bildschirm über die Dateneingabetastatur zu verstehen; somit einerseits als (richtige) Reaktion auf die vom Bildschirm übertragenen Informationen, andererseits als aktive Benutzung des Bildschirms über die Dateneingabetastatur zur Erreichung eines bestimmten Zweckes, etwa eines Rechenergebnisses. Liegt nur eine reine Kontrolltätigkeit vor, bei der ausschließlich der Bildschirm beobachtet und gegebenenfalls mit vorgegebenen Befehlen korrigierend eingegriffen wird, kann von einer "Arbeit mit dem Bildschirmgerät" keine Rede sein. Dazu kommt, dass die Arbeit mit dem Bildschirmgerät - um erschwerend im Sinne des NSchG zu sein - für die gesamte Tätigkeit und den Arbeitsablauf bestimmend sein muss (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Novellierung von Artikel VII NSchG, BGBl. Nr. 473/1992, 597 Blg. NR XVIII GP, 8).

Bei der in der Beschwerde aufgestellten Behauptung einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit hat die beschwerdeführende Gesellschaft offenbar diese Rechtslage im Auge und geht davon aus, dass die Tätigkeit ihrer Dienstnehmer in der Korrektur von aufgetretenen Störfällen durch einfache Tasteneingaben - unbestrittener Weise im Ausmaß von 208 Minuten innerhalb von 8 Stunden - bestünde. Eine solche Tätigkeit - so die beschwerdeführende Gesellschaft resümierend - sei aber weder in quantitativer Hinsicht noch inhaltlich bestimmend, weil Kontroll- und Störfallbehebungstätigkeit nicht als Arbeit mit dem Bildschirmgerät gewertet werden könne.

Bei dieser Beurteilung entfernt sich die beschwerdeführende Gesellschaft - was den Arbeitsinhalt betrifft - vom festgestellten Sachverhalt, weshalb die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt ist. Zur Tätigkeit der Dienstnehmer der beschwerdeführenden Gesellschaft hat die belangte Behörde nämlich - von der beschwerdeführenden Gesellschaft nicht bekämpft - festgestellt, dass die Einsatzzeit am Bildschirm durchschnittlich 208 Minuten betrage und in diesem Zeitraum Daten eingegeben, abgerufen und bearbeitet würden (diese Beschreibung der Tätigkeit deckt sich mit der Definition von Bildschirmarbeit in § 1 Abs. 2 Bildschirmarbeitsverordnung). Während ihrer Arbeitszeit "steuern die betroffenen Dienstnehmer im Wesentlichen das Energieversorgungszentrum", indem sie über Bildschirm in das Steuerungssystem eingreifen - so die unbekämpften Feststellungen - , wobei eine falsche Reaktion zu einem Ausfall der Produktion des gesamten Betriebes führen könnte. Hauptzweck der Tätigkeit ist die Kontrolle von Dampfkessel und Turbinen über jeweils einen Bildschirm und die Behebung von am Bildschirm aufgezeigten Störfällen mit Hilfe von Eingaben über die Tastatur. Dabei werden Daten eingegeben, abgerufen und bearbeitet. Von "einfachen Tasteneingaben" kann bei diesem Sachverhalt keine Rede sein. Dazu kommt noch die Überwachung der biologischen Abwasserreinigungsanlage via Bildschirm.

Prüft man aber die Rechtsfrage an Hand des festgestellten Sachverhaltes (§ 41 Abs. 1 VwGG), kann vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage kein Zweifel daran bestehen, dass die Arbeit mit dem Bildschirmgerät für die Gesamttätigkeit und den Arbeitsablauf bestimmend ist. Abgesehen von dem rund 2 1/2- stündigen Rundgang, bei dem an Ort und Stelle Manipulationen durchgeführt werden, werden sämtliche Arbeitsvorgänge während der übrigen in der Schaltkabine verbrachten Zeit mit Hilfe des Bildschirms über die Eingabetastatur abgewickelt, sodass bei Betrachtung der Gesamttätigkeit die Arbeit mit dem Bildschirmgerät - im Vergleich zu den ohne Bildschirmgerät verrichteten Arbeiten - dominiert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Störfälle auch an Ort und Stelle behoben werden könnten, sondern wie sich der tatsächliche Arbeitsablauf darstellt. Daher macht es auch keinen Unterschied, ob Eingriffe auf Grund einer Fehlermeldung oder in Vorwegnahme einer solchen durchgeführt werden; auch die festgestellte durchschnittliche Häufigkeit der Eingriffe lässt den Schluss zu, die Bildschirmarbeit sei der bestimmende Faktor für die gesamte Tätigkeit. Die beschwerdeführende Gesellschaft rügt in diesem Zusammenhang die von der belangten Behörde vorgenommene Trennung der (achtstündigen) Arbeitszeit in einen auf dem rund zweieinhalbstündigen Rundgang einerseits sowie den in der Warte (Schaltkabine) verbrachten Teil andererseits und den Bezug der 208- minütigen Bildschirmtätigkeit lediglich auf den zuletzt genannten Zeitraum. Zwar sieht das Gesetz eine solche Trennung nicht vor; eine allenfalls unrichtig angenommene Voraussetzung macht jedoch den Bescheid deshalb nicht rechtswidrig, weil sich am Ergebnis auch ohne diese Trennung - somit bei einem Bezug der Bildschirmarbeit auf die gesamte Arbeitszeit - keine Änderung ergibt.

In quantitativer Hinsicht (Arbeitszeit am Gerät) reichen gelegentliche Bildschirmtätigkeiten für die in Frage stehende Bestimmtheit für die Gesamttätigkeit nicht aus (597 Blg. NR XVIII GP, 8). Erschwerende Arbeitsbedingungen iSd NSchG liegen aber auch dann noch nicht vor, wenn ununterbrochen zumindest ein Viertel oder durchschnittlich mehr als ein Drittel der regelmäßig achtstündigen Tagesarbeitszeit mit Bildschirmarbeit verbracht wird (vgl. § 1 Abs. 4 Bildschirmarbeitsverordnung), weil ab einem solchen Ausmaß zwar schon arbeitsrechtliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind, die zeitliche Belastung aber noch nicht als "bestimmend" für die Gesamttätigkeit angesehen werden kann. Im Beschwerdefall übersteigt die zeitliche Beanspruchung durch Bildschirmarbeit dieses Maß, wenn von acht Stunden 3 1/2 dafür aufgewendet werden. In Rücksicht auf die sonstigen Tätigkeiten (Rundgang) ist somit auch die am Bildschirmgerät verbrachte Arbeitszeit für die Gesamttätigkeit bestimmend, weshalb insgesamt die Arbeit mit dem Bildschirmgerät und die Arbeitszeit an diesem Gerät als bestimmend für die Gesamttätigkeit zu betrachten ist.

Soweit die beschwerdeführende Gesellschaft als Verfahrensmangel die Unterlassung der Beiziehung eines Sachverständigen im Berufungsverfahren rügt, zeigt sie die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht auf. Abgesehen davon wurden in den Berufungsverfahren die Einholung eines Gutachtens "zu dem hier maßgeblichen Themenkreis, nämlich dass die Arbeit des Dienstnehmers in der Schaltwarte mit Bildschirmgeräten und die Arbeitszeit an diesen Geräten keineswegs für die gesamte Tätigkeit bestimmend ist" beantragt; dabei handelt es sich jedoch um die zu lösende Rechtsfrage, die nicht durch einen Sachverständigenbeweis, sondern durch die Behörde zu beantworten ist (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, auf Seite 611 angeführte Rechtsprechung). Aus diesem Grund war die belangte Behörde zur Durchführung des beantragten Beweises nicht verhalten.

Auch beim weiters als Verfahrensfehler gerügten Unterbleiben der Übermittlung der Stellungnahme des Vertreters des Arbeitsinspektorrates vom 15. Dezember 1998 verabsäumt die beschwerdeführende Gesellschaft die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 45 Abs. 3 AVG) kommt dann nicht in Betracht, wenn sich der Beschwerdeführer darauf beschränkt hat, diesen Mangel aufzuzeigen, ohne jedoch die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten tatsächlichen Feststellungen zu bekämpfen und ohne darzulegen, was er vorgebracht hätte, wenn ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden wäre (vgl. Dolp, aaO, Seite 610).

In Anbetracht der unbegründeten Verfahrensrügen und der zutreffenden Beurteilung der Tätigkeit der Dritt- bis Dreizehntmitbeteiligten als Nachtschwerarbeit durch die belangte Behörde war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 510/2001. Wien, am 7. August 2002

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche BeurteilungSachverständiger Aufgaben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999080101.X00

Im RIS seit

29.11.2002

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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