TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/5 2002/02/0163

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Veröffentlicht am 05.09.2002
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Index

000;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §24 Abs1 litd;
VerwaltungsreformG 2001 Art2;
VStG §19 Abs2;
VStG §21 Abs1a idF 2001/I/065;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 24. April 2002, Zl. UVS-03/M/26/4673/2001/2, betreffend Absehen von der weiteren Durchführung des Strafverfahrens gemäß § 21 Abs. 1a VStG (mitbeteiligte Partei: Peter W in Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 2. April 2001 wurde die mitbeteiligte Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens einer Übertretung des § 24 Abs. 1 lit. d StVO für schuldig befunden und hiefür bestraft, wogegen diese Berufung erhob.

Darüber entschied die belangte Behörde mit Bescheid vom 24. April 2002 dahin gehend, dass sie spruchgemäß nach § 21 Abs. 1a VStG von der weiteren Durchführung des Strafverfahrens absah.

In der Begründung wurde im Wesentlichen - unter Hinweis auf § 21 Abs. 1a VStG - ausgeführt, in der Berufung werde der Sachverhalt, wie er vom Meldungsleger in der Organstrafverfügung festgehalten worden sei, bestritten. Im vorliegenden Fall wäre zur Abklärung der Tatanlastung eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, in der der Meldungsleger als Zeuge zu befragen wäre. Überdies wäre ein Lokalaugenschein durchzuführen. Der für die Durchführung des Berufungsverfahrens erforderliche Aufwand stünde angesichts der von der Behörde erster Instanz verhängten Geldstrafe in Höhe von S 800,-- (entspricht 58,14 Euro) in einem Missverhältnis zum Grad und zur Bedeutung der in der Verwaltungsübertretung liegenden Verletzung öffentlicher Interessen. Es sei sohin spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende auf Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG gestützte Beschwerde des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 21 Abs. 1a VStG wurde durch Artikel 2 des Verwaltungsreformgesetzes 2001, BGBl. Nr. 65/2002, in das VStG eingefügt und hat folgenden Wortlaut:

"Die Behörde kann von der Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens absehen, wenn die Verfolgung aussichtslos erscheint oder der hiefür erforderliche Aufwand in einem Missverhältnis zum Grad und zur Bedeutung der in der Verwaltungsübertretung liegenden Verletzung öffentlicher Interessen steht."

Damit konnte die belangte Behörde nur dann von der (weiteren) Durchführung des Strafverfahrens absehen, wenn ein "Missverhältnis" im Sinne dieser Bestimmung vorlag. Von einem solchen kann allerdings nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshof jedenfalls nur dann gesprochen werden, wenn der Unrechtsgehalt gering ist (vgl. dazu zutreffend Thienel, Die Verwaltungsverfahrensnovellen 2001, S. 62) und der im Interesse eines rechtsstaatlichen Verfahrens erforderliche Aufwand für die (Einleitung und) Durchführung des gegenständlichen Strafverfahrens jenen Aufwand, der üblicherweise mit einem Strafverfahren betreffend Delikte solcher Art verbunden ist, erheblich übersteigt. Eine andere Betrachtungsweise würde etwa bei so genannten "Bagatelldelikten" - außer im Fall eines Geständnisses - in der Regel zur Anwendung des § 21 Abs. 1a VStG führen, obwohl der Gesetzgeber von der Strafwürdigkeit eines Verstoßes gegen eine Vorschrift - unter Zugrundelegung öffentlicher Interessen - ausgeht; der Verdächtige hätte es nämlich in der Hand, den Strafanspruch des Staats etwa durch bloßes Bestreiten und Stellen von Beweisanträgen zunichte zu machen.

Ausgehend davon, hat die belangte Behörde mit der bloßen Bezugnahme auf die von der Erstbehörde verhängte Geldstrafe die Rechtslage verkannt; dass dies kein wesentliches Kriterium im Sinne des § 21 Abs. 1a VStG darstellen kann, erhellt schon daraus, dass u.a. bei der Strafbemessung nach § 19 Abs. 2 letzter Satz VStG auch die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen sind und daher die Strafhöhe mit dem "Aufwand" im Sinne des § 21 Abs. 1a VStG nicht im Zusammenhang steht. Dass der von der belangten Behörde im vorliegenden Fall als erforderlich erachtete Aufwand - selbst wenn von einem geringen Unrechtsgehalt der Tat auszugehen wäre - den üblicherweise mit einem Strafverfahren wegen Verdachtes der Übertretung des § 24 Abs. 1 lit. d StVO verbundenen Aufwand erheblich übersteigt, ist nicht erkennbar.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Wien, am 5. September 2002

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Allgemein Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Missverhältnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002020163.X00

Im RIS seit

29.10.2002

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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